Achtung:
Sie brauchen etwas Zeit, Geduld und Aufmerksamkeit, um all das aufnehmen und verarbeiten zu können, was in diesem Dossier vorgelegt wird. Aber es ist not-wendig, wenn man sich wirklich jener Frage nach der Zukunft der Öffentlich-Rechtlichen Sende-Anstalten (wir nennen diese Einrichtungen in diesem Text fortan ÖRA) stellen will, eine Frage, die seit Jahr und Tag durch diese Republik wandert und - endlich ! - einer schlüssigen Ausformulierung, Beantwortung und Umsetzung bedarf.
Der Anlass...
... ist eine Einladung der neuen Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Journalistenverbandes (DJV), Ella Wassink, vom 8. Januar 2021 an alle Delegierten des DJV-Verbandstages, die sich nicht wie geplant Ende letzten Jahres persönlich haben treffen können. Stattdessen wird jetzt zu einer Reihe von "Thementagen" eingeladen [1] [2].
Der DJV-Bremen twittert am gleichen Tag:
Alle DJV-Mitglieder sind herzlich eingeladen! #djvThementag #Rundfunk #Rundfunkbeitrag https://t.co/6FuqQxkbQS
— DJV Bremen (@DJV_Bremen) January 22, 2021
Auf der öffentlich zugänglichen Seite Infos und Anmeldung heisst es:
Die Teilnahme an der Diskussion bei den DJV-Thementagen ist exklusiv für interessierte DJV-Mitglieder möglich. Nach der Anmeldung zum jeweiligen Thementag unten erhalten Sie rechtzeitig einen Link zur virtuellen Veranstaltung per E-Mail zugeschickt. Alle Nicht-Mitglieder und Interessierten können die Podiumsdiskussion auf dieser Seite im Livestream verfolgen.
Kritik und Selbstkritik
– Warum war es dem Journalistenverband nicht möglich, was auch der CDU oder vorab schon den Grünen möglich gewesen war, sich gemeinsam in einem virtuellen, digital signierten Umfeld zu treffen und untereinander auszutauschen?
– Wie kann es angehen, dass als Alternative dann "Thementage" angekündigt werden, die für alle der dann virtuell anwesenden Delegierten gerade mal zwei Stunden bereithalten... zwei Stunden, in denen dann auch noch zwei Persönlichkeiten zu Wort kommen sollen, die wirklich etwas zu sagen haben?
– Warum haben die Delegierten weder zuvor oder im Nachgang die Möglichkeit, sich virtuell in sogenannten breakout-sessions zu treffen? Zuvor: Um sich miteinander ein gemeinsames Bild über die aktuellen Einschätzungen zu diesem Thema zu machen. Danach: Um herauszufinden, was wir aus der heute geführten Unterredung mitnehmen können, was davon für die eigene Arbeit von Nutzen sein kann.
– Warum wird das Thema "Rundfunk" und "Medienpolitik" in zwei unterschiedlichen Themenblöcken in mehr als vier Wochen Distanz voneinander verhandelt? Hat nicht gerade die heute gestellte "Quo vadis..." - Frage einen unmittelbaren Konnex und Kontext zur Medienpolitik (es sei denn, man ist der Meinung, dass es diese im eigentlichen Sinne gar nicht mehr gäbe ;-)?
– Und noch ein letztes persönliches ceterum censeo: Nach mehr als einem wahrlich harten Jahrzehnt der Vorstandstätigkeit in Berlin ist es zwar nach fast unendlich lange währenden Bemühungen endlich gelungen, die zwei bis dahin miteinander im Widerstreit liegenden Landesverbände zusammenzuführen. Aber ein bei allen Konflikten immer gemeinsam vorgetragenes Anliegen, dass der Bundesverband endlich (endlich!) seinen Sitz von Bonn nach Berlin verlegen solle (ja: müsse!), konnte immer noch nicht umgesetzt werden: und darf gerade jetzt, wo die Arbeits- und Dialogräume noch weiter ’ins Netz’ wandern, nicht dazu führen, dass noch ein letztes untaugliches Hilfs-Argument für Bonn in die Waagschale geworfen wird.
Zur Sache
Es ist ja nicht so, dass zu diesem Thema nicht schon lange und immer wieder neu diskutiert worden wäre. Und dass es aktuell bei der Diskussion über zukünftig fällige Rundfunk-Beiträge mit der Frage verbunden wird, warum diese überhaupt noch "zeitgemäss" seien. Dass die krude Verknüpfung dieser Fragen überhaupt ein solches Gewicht erhält, ist aber nachvollziehbar, angesicht der unbefriedigenden Ergebnisse, die die Gespräche zu diesem Thema bislang zutage gefördert haben.
Auffallend war und ist, dass selbst im Rahmen der erneut aufgeflammten "Gebühren"-Diskussion vonseiten der ÖRA ein um das andere Mal betont wird, dass es Aufgabe der Politik sei, darüber zu entscheiden, wie die zukünftigen Aufgaben und Themenschwerpunkte ihrer Arbeit zu definieren seien.
Diese Haltung zeigt an, das die ÖRA auch nach so langer Zeit noch nicht jenen Kinderschuhen entwachsen sind, mit denen sie einst von den Alliierten in die jeweiligen Bundesländer entlassen wurden.
Ja, es mag gut und richtig gewesen sein, am 15. April 2019 zum 70-jährigen ARD-Jubiläum Tony Hall, den Generaldirektor der BBC, nach Hamburg einzuladen. Hall sprach dann von den beiden Sendern gemeinsamen Prinzipien der
"Unabhängigkeit, Unvoreingenommenheit, Universalität."
Und NDR-Intendant Lutz Marmor [3] fügte dem hinzu:
"Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist heute, und muss auch zukünftig Garant für Verlässlichkeit, Qualität und Unabhängigkeit bleiben."
Aber die Frage nach dem "was nun? / was tun?" - ist sie damit beantwortet? Oder sind solche Sätze nicht zu vernehmen wie die metaphorische Redewendung vom Pfeifen im Walde?
Delphine Ernotte, Präsidentin des französischen öffentlich-rechtlichen Fernsehens, France Télévisions, erklärte am 16. Januar 2019 in einem Gastbeitrag in der FAZ:
Eine Demokratie, in der es keinen Zugang zu zuverlässigen Informationen gibt, ist eine geschwächte Demokratie. Deshalb sind die Grundprinzipien von Genauigkeit und Unabhängigkeit, denen sich die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten verpflichtet fühlen, immer wertvoller geworden.
Im Lichte dieser Herausforderungen sind aus den Alliierten Bündnispartner geworden.
Ja, es ist richtig, sich im Schulterschluss mit diesen und weiteren Anstalten in Europa über die gemeinsamen Verpflichtungen ebenso zu verständigen wie über die wachsenden Bedrohungen. Und doch ist die Furcht vor und das Elend einer Beschränkung des aktuellen Aufgabenumfangs allein kein guter Ratgeber für die Suche nach Lösungen für und Wegen in die Zukunft.
Ja, es ist dringend geboten, sich mit den Herausforderungen und Konsequenzen der Digitalisierung von Produktion und Distribution auseinanderzusetzen und diesen Veränderungen produktiv etwas entgegenzusetzen. Aber: Die Bewältigung des technologischen Wandels allein wird noch nicht die grundlegenderen Fragen nach der Zukunft der ÖRA beantworten können.
Diese Fragen nach der Zukunft der ÖRA können nur beantwortet werden, wenn die für deren Geschicke jeweils Zuständige endlich das tun, wofür sie gewählt wurden:
– die Intendantinnen [4] und Intendanten müssen sich über die Grenzen des alltäglichen Hickhacks hinaus als das profilieren, wofür sie letztendlich stehen: als Programm-Verantwortliche. Eingezwängt zwischen dem Siegeszug von konkurrierenden Anbietern wie Netflix, die ihnen jetzt auch in Deutschland den Rang abgelaufen haben, und den "Lügenpresse"-Populisten und Propagandisten auf der anderen Seite, bedürfen Sie - endlich - einer eigenen Magna Carta Libertatum .
Es bedarf einer selbstbewussten und eigenständigen Programmatik und Programmhoheit, die sich endlich aus den seit 1949 nicht abgelegten Fängen und Zwängen der politischen Instanzen befreit. Die gemeinsame Verpflichtung zur Wahrung und Ausgestaltung demokratischer Prinzipien er-fordert von den Sende(r)verantwortlichen, sich als eigenständiger und selbstbewusster Teil dieser Gesellschaft zu sehen - und danach zu handeln [5]!
– die Medienpolitik muss sich endlich (wieder) der politischen Verantwortung bewusst werden, dies in diesem Sinne nicht nur formulieren sondern auch ver-handeln. "Uns allen ist das ständige Geschachere um Pöstchen und Positionen leid ..." - ein Satz, den man sinngemäss in den letzten Jahren immer häufiger aus dem Maschinenraum der dort Wirkenden hören konnte - und der heute allfälliges Vokabular in den vielfältigsten Facetten geworden ist [6]
Fragen über Fragen...
– An die Intendanz:
> ÖRA wie der SR [7] oder radiobremen [8] hängen nicht nur von den Beiträgen aller zur Zahlung Verpflichteten ab, sondern zudem auch noch von den Ausgleichszahlungen anderer ÖRA.
Wie weit ist es unter solchen Umständen überhaupt noch möglich, die hier eingeforderte programm-verantwortliche Selbstständigkeit nicht nur zu erklären, sondern auch zu praktizieren? [9]
– An die KEF:
> Welche Einsprüche und Einsichten müssen die für die finanzielle due-diligence Verantwortlichen auslösen - und wie weit können / ja müssen sie damit auch zu einer inhaltlichen Qualifizierung der ÖRA beisteuern?
> Wie geht die Aufforderung nach immer grösserer Sparsamkeit zusammen mit dem sich wiederholenden Mantra der Wirtschaft, dass nur Wachstum der Schlüssel zum Erfolg sein könne?
– an Beide:
> Inwieweit korrespondiert wirtschaftliche Souveränität mit der über die inhaltliche Ausgestaltung und Ausformung der medialen Angebote?
> Wenn es nicht (nur) die Quote ist, die den Erfolg der Angebote der ÖRA begründet, welche andern Kriterien lassen sich für die Beurteilung der Leistungen heranziehen?
> Wenn dazu auch die Innovationskraft und Suche nach zukünftigen Angebotsmodellen gehört, warum musste dann so eine Einrichtungen wie das Institut für Rundfunktechnik (IRT) Ende 2020 nach 60 Jahren Forschungs- und Entwicklungsarbeit schliessen ?
in medias res
Nein, mit dieser Überschrift soll nicht (nur) Werbung gemacht werden von für eine alltägliche Radiosendung des Deutschlandfunks, die noch unter der Ägide des inzwischen ausgeschiedenen Intendanten ins Leben gerufen wurde, sondern konkret an Beispielen diskutiert werden, was diese zuvor gestellten Fragen für die Praxis bedeuten könn(t)en.
– Wenn die Information von allen übereinstimmend als eine DER Kernkompetenzen der ÖRA angesehen wird, warum können dann nicht, diesem Ziel entsprechend, die Angebote von PHOENIX, tagesschau 24, ZDF info synergetisch verkoppelt und neu gebündelt werden [10], um auf diesem Wege ein Pendant zu den Angeboten aus dem Vereinigten Königreich und Frankreich auf den Weg zu bringen. Eines der vielen Beispiele, bei denen nach der Forderung nach "weniger", in diesem Falle weniger Sendekanälen, "mehr" werden könnte?!
– Nachdem endlich damit begonnen wurde, die Archive der ARD-Anstalten Zug um Zug nicht nur zu digitalisieren, sondern auch online zugänglich zu machen: Warum wird das technisch Machbare nun nicht auch konsequent in den Kommunikationszusammenhang mit dem Publikum eingesetzt?
Wer von den jetzt online wieder erfahrbaren Einzelpersonen / Institutionen weiss denn davon, dass es ab jetzt etwas aus ihrer Lebens-/ Geschichte zu sehen und zu hören gibt, das ihnen so bislang nicht bekannt war. [11] -Thema, sondern bekommt gerade im Umfeld der aktuellen Livestreaming-Angebote eine hohe zusätzliche Relevanz. Ein gutes Beispiel dafür sind die Online-Angebote von "funk",: alles dort bislang Produzierte ist von hoher Relevanz und wird aktiv genutzt, da hier seit dem Start der Plattform Nichts und Niemand depubliziert wurde [12].
– Depublizieren
Einer meiner persönlichen Lieblinge seit der Onlinebereitstellung von ARD-Archivmaterial ist dieser Link auf den Radio Bremen Beitrag "Wie funktioniert Fernsehen?". Wenige Jahre später habe ich als Novize in diesem Hause selber an einem Steenbeck -Schneidetisch gesessen und kurz danach schon meine erste Filme für den WDR produziert.
In dieser Aufzeichnung vom 22.09.1965 finden sich auch Einstellungen mit Bildern von meinem verstorbenen (Schauspiel!-)Kollegen Wilhelm Wieben, dem ich zu seinem Andenken am 13. Juni 2019 einen eigenen Eintrag geschrieben hatte: "† Piet: "allennig, un doch da för us all"". Wird dieser heute geöffnet, ist zu sehen, dass jene damals eingestellten Links zu tagesschau und tagesthemen nicht mehr angesprochen werden können [13].
Die These lautet:
Um das an dem hier aufgeführten Beispiel nochmals konkret zu machen: Dazu gehört nicht nur die Bereitstellung des durch unsere Zahlungen erstellten Sende-Materials, sondern auch seine interaktive Aufbereitung im Dialog mit jenen schon verloren geglaubten Konsumenten. Das kann mit den Mitteln der KI geschehen, aber auch durch die freiwillige Mitarbeit jener, denen es nach ihrer Pensionierung sogar eine Freude wäre, das nun freigegebene Material wieder "an den Mann" - und selbstverständlich auch "an die Frau" - zu bringen. Also das zu tun, was das eher jugendliche Publikum auf "funk" schon von selber tut.
Hat’s gefunkt?
Dass dies funktioniert, und wie dieses geschieht, dazu hier am Schluss dieses Notats eine Zusammenstellung all jener Beiträge, die in den letzten Jahren im Umfeld des Themas ÖRA produziert wurden - und die alle bis heute online eingesehen werden können:
— aus der "represent"-Staffel 2 (Episode 33) vom 21. Januar 2021 [14]:
> ARD, ZDF zu teuer, langweilig und links?
— aus der DIE DA OBEN - Staffel (mit nun 186 Videos) vom 5. November 2019:
> Brauchen wir die Öffentlich-Rechtlichen?
— aus der Info-Reihe "Kurzgesagt" (mit bisher 75 Videos) vom 28. November 2018:
> Brauchen wir die öffentlich-rechtlichen noch?
— aus HEAD LINEZ (Folge 50 - sic!) vom 10. März 2017:
> JA, ich arbeite für die Öffentlich-Rechtlichen. Und JETZT?
Zu guter Letzt
In dem "DaybyDay ISSN 1860-2967"-Beitrag "rbb: Du Altes Haus einer öffentlichen Sende-Anstalt" vom 22. Januar 2021 wird auf die bis heute funktional wirkende Architektur von Hans Poelzig verwiesen, dessen Entwurf für ein neues Berliner Funkhaus vor neunzig Jahren eingeweiht wurde. Seitdem steht über dem Eingang der Schriftzug HAUS DES RUNDFUNKS.
Nach Poelzigs Plänen hätte aber auch noch ein Pavillon errichtet werden sollen, der den Namen HAUS DES RUNDFUNKHÖRERS hätte tragen sollen. Dieser ist nie gebaut worden: Damals nicht - und bis heute nicht.