MühewalterInnen der Ebene, die pro-aktiv abdankten

VON Dr. Wolf SiegertZUM Dienstag Letzte Bearbeitung: 26. Februar 2025 um 00h13min

 

Zum Wochenbeginn, am Montag, 24.02.2025, waren die Gazetten voll von Überschriften und Beiträgen wie diesen:

> Lindner raus, Scholz weg, Habeck abgewählt: Die zerzauste Mitte
Gabor Steingart, Pioneer Editor, Gründer & Herausgeber The Pioneer

> Christian Lindner geht, Olaf Scholz verzichtet, Robert Habeck tritt kürzer
Katja Joho, WirtschaftsWoche

> Scholz, Wagenknecht, Lindner und Habeck: Das sagen sie über ihre Zukunft
Artikel von Klemens Handke auf msn.com

Im Gegensatz dazu gab es schon in der Woche zuvor ein Porträt aus drei PolitikerInnen mit dem Schwerpunkt "Digitales", die sich bereits längst aus freien Stücken zu einem Abgang entschieden hatten:

Sehr geehrter Herr Dr. Siegert,
die Bundestagswahl steht in wenigen Tagen bevor und für einige Abgeordnete könnte es knapp werden. Nicht mehr bangen müssen Anke Domscheit-Berg (Linke), Tabea Rößner (Grüne) und Manuel Höferlin (FDP). Zwischen acht und sechzehn Jahre waren sie im Bundestag und haben netzpolitische Themen erst im „Ausschuss Digitale Agenda“ und später im heutigen Digitalausschuss vorangebracht, jetzt wollen sie nicht mehr kandidieren. Im Gespräch mit Viola Heeger und Josefine Kulbatzki erzählen sie über die Anfänge der Digitalregulierung, persönliche Höhepunkte und was es in der Digitalpolitik bräuchte.

Aus Tagesspiegel Background vom Freitag, den 21.02.2025 08:08 Uhr (die Links hat die hiesige Redaktion hinzgefügt)

> Die letzte Rede von Anke Domscheit-Berg im Bundestag am 30. Januar 2025:

> Zeit für einen neuen Weg - Meine Entscheidung für die Zukunft, Manuel Höferlin am 11.11.2024:

Liebe Freunde, Wegbegleiter und Unterstützer,

nach nunmehr 16 Jahren in der Bundespolitik, davon knapp 12 Jahre als Abgeordneter im Deutschen Bundestag, habe ich nach monatelangen intensiven Überlegungen und Gesprächen mit meiner Familie und engen Freunden entschieden, bei der nächsten Bundestagswahl nicht erneut anzutreten. Diese Entscheidung ist mir alles andere als leichtgefallen – zu viel Herzblut steckt in dieser Aufgabe. Wohin mich mein Weg führen wird, ist noch offen.

Politik hat mir immer große Freude bereitet, doch mich hat stets das Mandat als Auftrag auf Zeit motiviert. Diesen Grundsatz habe ich nie aus den Augen verloren. Das Thema Freiheit und die Verantwortung für die Menschen lagen mir stets besonders am Herzen – sie bildeten das Herzstück meines politischen Handelns. Als Unternehmer vor meiner Zeit im Bundestag ist es nun mein Wunsch, wieder aktiv zur wirtschaftlichen Wertschöpfung unseres Landes beizutragen. Die Entscheidungsprozesse in der Politik dauern mir oft zu lange; ich bin ungeduldig! Ein gutes Pils braucht sieben Minuten – damit komme ich klar. Doch politische Entscheidungen, die sieben Jahre oder länger brauchen, stellten meine Geduld oft auf eine harte Probe.

Besonders am Herzen lagen mir immer die Bürgerrechte, gerade im digitalen Raum, ein Thema, das heute aktueller denn je ist. Der Staat muss seine Rolle als Garant für Freiheit und Eigenverantwortung ernst nehmen und darf den Menschen nicht unter dem Deckmantel der Sicherheit stückweise ihre Freiheit nehmen. Hierfür habe ich stets gekämpft, und es war mir eine Ehre, dies im Namen der Freien Demokraten zu tun – als Teil einer Partei, die wie keine andere für den Freiheitsgedanken steht.

Auch die Themen Wirtschaft und Digitalisierung begleiteten mein politisches Wirken. Ich bin überzeugt, dass die digitale Transformation enorme Chancen für unser Land bietet und unsere Gesellschaft entscheidend voranbringen kann. Doch um diese Chancen zu nutzen, braucht es Mut zur Veränderung und einen dynamischeren Ansatz – es muss einfach schneller gehen! Was uns beispielsweise bis heute fehlt, ist das von mir bereits vor acht Jahren geforderte starke Digitalministerium, das die notwendige Transformation und die wirtschaftlichen Potenziale, die unser Land so dringend braucht, konsequent vorantreibt. Ich bin stolz, in meiner Rolle als Vorsitzender des Digitalausschusses des Bundestages, digitalpolitischer Sprecher sowie als IT-Beauftragter unserer Fraktion diese Themen maßgeblich mitgestaltet und vorangetrieben zu haben. Die Cybersicherheit, ein Bereich, der uns alle betrifft und für mich die Achillesferse der modernen Informationsgesellschaft darstellt, wird mich weiterhin bewegen. Ich kann mir gut vorstellen, in diesem Bereich auch zukünftig aktiv zu sein.

Mein Weg in der FDP war geprägt von Verantwortung und Einsatz in zahlreichen Gremien und Ausschüssen – von der Kommunalpolitik bis zur Arbeit auf europäischer Ebene. Über die Jahre war ich Mitglied in den Ausschüssen für Inneres, Recht, Verkehr, Wirtschaft und Digitales. Zudem durfte ich in den Enquete-Kommissionen „Internet und digitale Gesellschaft“ sowie „Künstliche Intelligenz“ mitarbeiten und so an zukunftsweisenden Themen aktiv mitwirken. Darüber hinaus vertrat ich die FDP in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates und in der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung. In meiner Rolle als innenpolitischer Sprecher der letzten drei Jahre konnte ich an wichtigen Projekten mitarbeiten, darunter das seit Jahrzehnten überfällige Einwanderungsgesetz, auf das die deutsche Wirtschaft sehnsüchtig gewartet hat.
In Zeiten außerparlamentarischer Opposition habe ich gemeinsam mit vielen engagierten Parteimitgliedern am Wiederaufbau der FDP mitgearbeitet, damit die Freien Demokraten in Rheinland-Pfalz und im Bund wieder im Parlament vertreten sind. Besonders in Erinnerung bleibt mir die Zeit als Spitzenkandidat der FDP Rheinland-Pfalz im Jahr 2017. Mit einem großartigen Team und viel Einsatz haben wir den Wiedereinzug in den Bundestag geschafft – ein Erfolg, der mich mit Stolz erfüllt und für den ich allen Beteiligten herzlich danke.
Ich kenne das Auf und Ab, die Momente, in denen wir totgesagt wurden, nur um dann umso entschlossener für unsere Werte und Prinzipien einzutreten. Ich bleibe Teil dieser liberalen Familie und werde mich auch zukünftig kommunalpolitisch engagieren.

Was die Zukunft betrifft, sehe ich die FDP weiterhin auf einem guten Weg. Die kommenden Wochen werden für unsere Partei besonders herausfordernd, und es gilt, den bevorstehenden Bundestagswahlkampf mit aller Kraft zu meistern. Als Kreisvorsitzender werde ich bis zur Bundestagswahl weiterhin tatkräftig an dieser Herausforderung mitarbeiten und meinen Beitrag leisten, damit wir gemeinsam erfolgreich sind. Meine Entscheidung, nicht erneut zu kandidieren, basiert nicht auf einem Zweifel an der Zukunft der FDP. Im Gegenteil: Ich bin überzeugt, dass unsere Partei – getragen von einem starken Team und einem klaren Wertefundament – die Kraft hat, Freiheit, Eigenverantwortung und Fortschritt in den Mittelpunkt gesellschaftlicher Debatten zu stellen. Ich freue mich darauf, diesen Weg als Teil der liberalen Familie weiterhin zu begleiten.

Zum Schluss möchte ich mich von Herzen bei Euch allen bedanken: meiner Familie, die mich über die Jahre unterstützt hat, meinem engagierten Büroteam in Berlin und Rheinhessen, das an der Grenze des Zumutbaren oft erst ermöglichte, dass ich als Abgeordneter wirken konnte, und bei Euch, lieben Parteifreunden und Unterstützern. Ihr habt mir über all die Jahre Euer Vertrauen geschenkt, mit Rat und Tat an meiner Seite gestanden und mich darin bestärkt, für unsere gemeinsamen Werte einzutreten.
Für diesen Rückhalt und die vielen gemeinsamen Erlebnisse bin ich zutiefst dankbar.

Herzlichst Euer

Manuel Höferlin

> Brief von Tabea an die Mitglieder von BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN RLP, veröffentlicht am 12. Juli 2024 um 05:03 Uhr. Copyright Tabea Rößner

In eigener Sache: Rückzug aus dem Bundestag

Liebe Freundinnen und Freunde,

nach reiflicher Überlegung habe ich entschieden, bei der nächsten Bundestagswahl nicht erneut zu kan­didieren. Es war und ist für mich eine außerordentliche Ehre, Euch seit 2009 im Bundestag ver­tre­ten zu dürfen. Mit Leidenschaft und Engagement habe ich mich meinen Aufgaben gewidmet, stets mit dem Ziel, einen Bei-trag zu einer demokratischen, sozialen und nachhaltigen Gesellschaft zu leisten.

Auch wenn ich ursprünglich geplant hatte, mich auf drei Legislaturperioden zu beschrän-ken, wollte ich 2021 meine Erfahrungen in die Regierungsarbeit einbringen und so die Chance ergreifen, unser Land endlich mitzugestalten. Nun ist Zeit für etwas Neues. Unser politisches System lebt davon, dass sich möglichst viele Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen und Sichtweisen einbringen und Ver­ant­wortung übernehmen. Daher möchte ich jetzt Platz machen.

Ich blicke auf eine intensive, ereignisreiche Zeit zurück und bin unendlich dankbar, dass Ihr mir über all die Jahre Euer Vertrauen geschenkt habt. Ich bin dankbar für die vielen interessanten Begegnungen, ob in meinem Wahlkreis, in Rheinland-Pfalz, Berlin oder bundesweit und während meiner Delega­tions­reisen ins Ausland. Diese haben immer wieder den Blick geschärft. So wurde mir nicht zuletzt in Aser­baidschan deutlich vor Augen geführt, wie wichtig Integrität und Haltung gerade für eine Man­dats­trä­gerin sind. Dem habe ich stets versucht, gerecht zu werden.

Gerade die vergangenen Jahre waren voller bewegender Momente und Herausforderungen, insbe­son­dere während der Pandemie. Ich habe mich dabei stets von meinem inneren Kompass leiten lassen, auch wenn dies bedeutete, nicht immer im Einklang mit der Mehrheitsmeinung auch meiner Fraktion zu stehen. Mein Einsatz galt fortwährend einer freien demokratischen Diskussionskultur, dem Mit­einander und dem Zusammenhalt sowie der freien Entfaltung jedes Einzelnen im gegenseitigen Respekt und in Ver­ant­wortung füreinander. Das hat mein politisches Handeln von Anfang an geleitet.

Als dreimalige Spitzenkandidatin in Rheinland-Pfalz und zuvor als Landesvorsitzende und langjährige Kommunalpolitikerin habe ich immer einen lebendigen Austausch mit Bürger:innen gepflegt, Euch wann immer möglich unterstützt und mich als Allrounderin in viele Themen von Energie- und Verkehrs­politik über Sozial- und Wirtschaftspolitik bis zur Bildungs- und Familienpolitik eingearbeitet. Auch die Erfahrungen aus meinem ehrenamtlichen Engagement in Vereinen wie Rheinhessen gegen Rechts, Bürgerinitiativen gegen Kohlekraft, Bahnlärm- und Fluglärm sowie in Elterninitiativen oder dem VAMV habe ich in die Fraktionsarbeit eingebracht.

Wenn ich zurückblicke, bin ich froh zu sehen, dass ich einiges bewegen konnte: Den gewonnenen Kampf gegen den Bau eines Kohlekraftwerks in Mainz und mit meinem Engage­ment für den Ausbau der erneuerbaren Energien – auch in den Aufsichtsräten der Unternehmen, die das Kohlekraftwerk bis zur Genehmigung vorangetrieben hatten. Das 2014 er­strittene ZDF-Urteil des Bundesverfassungsge­richts nach der „Causa Brender“, in der politische Ein­fluss­nahme ungeniert ausgeübt wurde, mit meinem stetigen Einsatz für mehr Staatsferne, journali­sti­sche Unabhängigkeit und Medienfreiheit, den Erhalt einer vielfältigen, unabhängigen Medienland­schaft und für eine grundlegende Reform des öffent­lich-rechtlichen Rundfunks – für mich als ehemali­ge Journa­listin eine Herzensangelegenheit. Die Medienpolitik war mir immer besonders wichtig, denn sie ist Demokratiepolitik.

Mit dieser Motivation habe ich mich auch in der Digitalpolitik für eine gemeinwohlorientier-te und nach­haltige Digitalisierung eingesetzt, für digitale Bildung und Teilhabe und für die Regulierung großer Internetkonzerne, damit die Nutzer:innen im ungleichen Machtverhältnis gegen­über großen Plattform­betreibern nicht ins Hintertreffen geraten. Nie war ich der Meinung, wir müssten die Digitalisie­rung als neues, übermächtiges Phänomen einfach so über uns ergehen lassen. Früh habe ich sie als Chance und Gestaltungsraum begriffen. Als Vorsitzende des Ausschusses für Digitales oder als grüne Digitalpoliti­kerin konnte ich entscheidende Akzente setzen, ob in den großen Fraktionskonferenzen „nachhaltig by design“ und „Shaping AI“ oder bei der Implementierung des Digital Services Act und des AI Act. Das Ziel war es stets, die Rechte der Nutzer:innen zu stärken, die Verant­wortung der Platt­for­men zu erhö­hen sowie verbindliche Standards für neue Technologien wie den Einsatz von Künst­li­cher Intelligenz zu setzen. Auch der Breit­band- und Mobilfunkausbau war mir ein großes Anliegen, um die digitale Teil­habe vor allem im ländlichen Raum zu verbessern. Bereits in meiner ersten Wahlperiode habe ich das Recht auf einen leistung­sfähi­gen Internetzugang gefordert, jetzt endlich konnten wir diesen Rechts­an­spruch umsetzen. Ebenso setze ich mich für nachhaltigen Konsum und ein „Recht auf Reparatur“ ein, damit Rohstoffe geschont und zu­gleich Verbraucher:innen gestärkt werden. Ich bin zuversichtlich, dass die Bundesregierung die EU-Richtlinie noch in dieser Legislaturperiode umsetzen wird. Dafür werde ich weiter streiten.

In der Politik kann man also vieles bewegen und unsagbar viel lernen. Dafür bin ich sehr dank­bar. Auch wie meine am Flughafen vergessene Tasche zum #Taschengate hochgeschrieben und skanda­lisiert wur­de – Tasche samt Zeitungsartikel sind übrigens heute Ausstellungsstücke im Ledermuseum Offenbach.

Für die Zukunft wünsche ich mir, dass mehr Menschen den Mut finden, sich für unsere De-mokratie zu engagieren und ihre Meinungen einzubringen. Offene Debattenräume, in denen unterschiedliche Auf­fassungen respektvoll ausgetauscht und nicht zuletzt vernünftig und lösungsorientiert diskutiert wer­den können, sind dafür unerlässlich. Auch Fehleranalysen gehören zum demokratischen Prozess, und es täte allen Beteiligten gut, sie als Grundlage für zukünftig bessere Sachentscheidungen zu nutzen – anstelle von Skandalisierung und Pflege politischer Gegnerschaft. In diesem Sinne halte ich eine ehr­liche und fundierte Auf-arbeitung der Corona-Pandemie und ihrer Auswirkungen auf unsere Gesell­schaft für sehr wichtig.

Als ehemalige Journalistin erwarte ich insbesondere von meiner Berufsbranche, den Medien, sich weniger auf Krisen und Konflikte zu fokussieren und zu skandalisieren. Sie sollten die Vielfalt der Meinungen aufzeigen, denn Streit und das Ringen um Lösungen sind urdemokratisch. Das gilt auch mit Blick auf die Ampel, die in einer schwierigen Dreierkonstellation – anders als öffentlich wahrnehmbar – vieles er­reicht hat. Gleichwohl haben wir Politiker:innen ebenso Hausaufgaben zu machen: Die Politik darf sich nicht gegenüber den Menschen abschotten, die sie repräsentiert. Sie muss vielmehr bereit sein, ver­stärkt den Kontakt zu den Menschen vor Ort zu suchen, gerade auch zu denen, die anderer Meinung sind, und deren Sorgen und Nöte ernst nehmen, und nicht mit den eingeübten Sprech­blasen re­agie­ren. Nur so können wir Spaltung überwinden und unsere Demokratie stärken. Aus vielen Gesprä­chen weiß ich, dass ein Großteil der Menschen beispielsweise ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten wollen, sie sich aber oft überlastet fühlen. Ihnen müssen wir unsere Politik erklären, ihre Kritik aufnehmen, und vor allem müssen wir ihnen gangbare Lösungen und Anreize bieten.

So ist mein Anspruch. Und wer mich kennt, weiß, dass ich mein Mandat bis zum Ende gewissenhaft und engagiert ausüben und keine Abstriche machen werde – das betrachte ich als meine Pflicht gegen­über den Wähler:innen. Ihnen möchte ich für das stets große Vertrauen danken, das sie mir über Jahre hinweg geschenkt haben. Es war und ist noch eine intensive Zeit, nie einfach im Ringen um gemeinwohlorientierte Lösungen, aber erfüllend und absolut bereichernd.

Herzlichst,

Eure Tabea


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