Berlin(ale) hat gewählt...

VON Dr. Wolf SiegertZUM Montag Letzte Bearbeitung: 13. April 2023 um 11 Uhr 53 Minutenzum Post-Scriptum

 

I.

Dass die Berlinale dieses Jahr als Erfolg gefeiert werden wird, hat sich schon am vergangenen Mittwoch in der Halbzeit-Bilanz abgezeichnet - siehe dazu auch den Beitrag Hommage und Goldener Ehrenbär 2023.

Zu den vielen, vielen Filmen mit Berlin-Bezug ist dieses Jahr noch dieser dazugekommen:

Sonne und Beton

Da ist diese Kino-im-Kiez-Initiative besonders zu loben, so wie hier von Nicolas Butylin in der Berliner Zeitung am 22. Februar 2023 beschrieben:

„Sonne und Beton“ aus Neukölln: Berlinale zeigt Film in der JVA Plötzensee

Der Film zeigt einen schonungslosen Blick auf das Leben von Jugendlichen in Gropiusstadt. Die Berlinale führte den Streifen dort auf, wo manche Lebensläufe enden: im Knast.

Welch krasse - und gelungene - Alternative zu dem oben bereits angeteaserten Bericht über die Verleihung des goldenen Ehrenbären.

Als pars pro toto diese Rezension von Kathrin Hollmer aus dem fluter vom 21. Februar 2023: Treten oder getreten werden [1]

In der rbb 24 - Abendschau vom 23. Februar 2023 berichtet Markus Reher über Coming-of-Age in Gropiusstadt: "Sonne und Beton" bei der Berlinale:

Hier diw Bewertung durch das ttt-Magazin der ARD, die dem Film, wäre er im Wettbewerb gestartet worden, einen Bären zugetraut hätte:

Das lässt der Constantin-Verleih von der Premier in Neuköln berichten:

München, 24. Februar 2023 – SONNE UND BETON genau dort, wo alles angefangen hat: Am Abend feierte die Bestsellerverfilmung von David Wnendt nach dem gleichnamigen Roman von Felix Lobrecht eine Premiere im UCI Luxe, wie sie wohl nicht nur die Gropiusstadt bisher noch nicht erlebt hat. Unter dem Jubel hunderter Fans betraten Cast und Crew den orangenen Teppich in den Gropius Passagen, neben den vier Hauptdarstellern Levy Rico Arcos, Vincent Wiemer, Rafael Luis Klein-Heßling, Aaron Maldonado-Morales, die im Film ihr Kinodebüt geben, natürlich auch Felix Lobrecht, der zusammen mit Regisseur David Wnendt das Drehbuch schrieb. Mit dabei waren auch Luvre47, der u.a. den Titelsong beisteuerte, Franziska Wulf sowie die Gaststars Lucio101, Chapo (AOB), Almani (AOB), Olexesh, NNOC, Juju und Azzi Memo. Neben vielen Komparsen und Crew-Mitgliedern waren natürlich auch David Wnendt, Produzent Fabian Gasmia und Co-Produzent Christoph Müller (Constantin Film) gekommen, um den Film zu präsentieren.

Damit gibt es zwei Jugend-Film-Empfehlungen für den Kinostart

 ab dem 2. März 2023;

 ab dem 9. März 2023:

II.

Und dann gibt es noch einen ganz besonderen Berlin-Film, "Tár", über den ebenfalls in der rbb24 - Abendschau-Sendung vom 23. Februar 2023 berichtet wird - von Petra Gute - eine Welt, die den ProtagonistInnen von "Sonne und Beton" wohl - auf Dauer? - verschlossen bleiben wird.

In "Tár" spielt Cate Blanchett Lydia Tár, die erste, fiktive Chefdirigentin der Berliner Philharmoniker. Dafür drehte sie vor zwei Jahre vorwiegend in Berlin, vor allem in der Hufeisensiedlung in Britz und in Charlottenburg. Herausgekommen ist eine brillante Studie über Macht und was sie mit einem macht. Der Film läuft als "Berlinale Special" im Berlinale Palast.

Im Deutschlandfunk Kultur gab es am 26. Februar 2023 in der Sendung "Vollbild" ein Interview mit dem Regisseur des Films, mit Todd Field: Macht und Machtmissbrauch am Dirigentenpult

Macht und Machtmissbrauch am Dirigentenpult: "Tar" bei der Berlinale

III.

In dem zweiten aus Anlass der Berlinale publizierten Beiträge - Berlinale: "Back to the US-roots?" Pro & Contra - ging es um die Proteste gegen die Lohnpolitik der York-Kino-Gruppe sowie gegen die Entscheidung der Festspielleitung, den US-amerikanischen Fahrdienstvermittler Uber als einen der drei Haupt-Sponsoren an Bord zu holen. Schon in den PS.-Einträgen auf dieser Seite wurden erste Reaktionen zusammengetragen. Derweil hat das Thema aber noch eine weit höhere Aufmerksamkeit gefunden, sodass hier nochmals darauf eingegangen wird,

Die Redaktion von TAXItimes war es, die in diesem Jahr den den allerersten Berlinale-Preis verieh: Die Goldene Augenbinde für Mariette Rissenbeek und Claudia Roth:

Am morgigen Donnerstag beginnt die Berlinale und damit der Wettbewerb um die Goldenen Bären. Eine erste Auszeichnung darf man allerdings schon im Vorfeld vergeben: Die Goldene Augenbinde für die Veranstalterin und die Kulturstaatsministerin – weil beide mit der Wahl ihres Hauptsponsors Uber die demokratischen Werte eines Rechtsstaats ignorieren. Weil der Staat als Förderer der Berlinale auftritt, bekommt dieser Faux-Pas eine politische Dimension.

Am 21. Februar 2023 kam dann aus gleicher Quelle die Nachricht, dass dieser Vertrag mit Uber "nur für dieses Jahr" gelte:

Der Berliner Taxi-Soziallotse Klaus Meier protestierte ebenfalls und hielt eine Kundgebung am Rande der Eröffnungsfeier ab – gemeinsam mit Vertretern der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di). Er machte mit Plakaten und Flugblättern auf Ubers „Lohn- und Sozialdumping“ aufmerksam, während die Verdi-Leute die teils prekären Bedingungen für Kino-Mitarbeiter anprangerten.

Und weiter:

Auf Meiers Internetseite heißt es, die Partnerschaft der Berlinale mit Uber schade Berlin [2].
Das sah auch Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) so und sprach das Thema im Vorfeld der Berlinale bei einem Treffen mit Mariëtte Rissenbeek, der Geschäftsführerin der Internationalen Filmfestspiele Berlin, an. Wie es aus Insiderkreisen heißt, habe Giffey deutlich ihren Unmut über die Partnerschaft mit Uber geäußert.

Auch hier sind Reaktionen und Entwicklungen zu verzeichnen, die weit über das Ende dieser Festspiele hinausreichen werden und weit über sogenannte Insiderprobleme einer kleinen Berufsgruppe - siehe dazu den Bericht der AG-Taxi vom 21. Februar 2023: Berlinale: Protest gegen Uber - hinausgehen.

Denn auch grosse Berliner Zeitungen reagierten inzwischen mit umfangreichen Beiträgen:

 Peter Neumann in der Berliner Zeitung vom 18. Februar 2023:
Protest beim Filmfest: Taxifahrer demonstrieren gegen Berlinale-Sponsor.

 Boris Buchholz im Tagesspiegel vom 16. Februar 2023:
Taxi-Soziallotse kritisiert Berlinale-Sponsor Uber: „Das Festival soll vor jedem Kino eine Taxihalte einrichten“

Uber ruiniere die Taxibetriebe: Taxi-Soziallotse Klaus Meier hält die Entscheidung, Uber zu einem Hauptsponsor der Filmfestspiele zu machen, für grundfalsch.

IV.

Angekündigt von Manori Ravindran in Variety vom 1. Februar 2023: Belarusian Independent Film Academy Launches to Support Local Creatives Facing State Repression, Official Rollout Planned at EFM (EXCLUSIVE) berichtet in der 3sat - "Kulturzeit"-Sendung vom 27. Februar 2023 Teresa Corceiro in ihrer Berlinale-Nachlese von der Gründungsversammlung der Belarusian Independent Film Academy

und verkündet dabei zu Beginn und dann zum Ende ihrer Beitrages folgendes Verdikt:

V.

Nach allem, was bis dato über die Wahlergebnisse in Berlin bekannt ist, war heute der Tag, an dem das vorläufige Endergebnis bekannt gemacht wurde. Würde die SPD ihre Anwartschaft auf den zweiten Platz nach der CDU mit ihrer geringen Stimmenmehrheit halten können? Und, wenn ja, würde die bisher Regierende dennoch "nicht länger am Amt kleben" bleiben, wenn ihr in absehbarer Zukunft wieder in der Bundespolitik eine Position eingeräumt werden würde? [3]

SPD bleibt knapp vor Grünen. Das ist das amtliche Endergebnis der Berliner Wiederholungswahl

Hier der O-Ton vom Beginn der rbb24 - Abendschau-Sendung vom 27. Februar 2023:

P.S.

I.

Der Horror par excellence:
Premiere Becker-Doku - "Du weißt nie, was um die Ecke kommt"

II.

Die Horror-Story für 2024 ff: "cruise" Robotaxis statt Uber.

III.

Höre dazu auch die Besprechung der beiden oben genannten Filme durch Jörg Taszmann in der Sendung "Fazit" auf Deutschlandfunk Kultur vom 1. März 2023: Filme der Woche: „Tár“, „Sonne und Beton“

IV.

SONNE UND BETON knackt Besuchermillion.

München, 13. April 2023 – Ganz großes Kino: SONNE UND BETON begeistert seit dem Kinostart am 2. März nicht nur die Kritiker*innen, sondern ist auch an den Kinokassen ein voller Erfolg! In der sechsten Spielwoche hat nun David Wnendts Bestsellerverfilmung nach dem gleichnamigen Roman von Felix Lobrecht die magische Grenze von 1 Mio. Besucher*innen überschritten und ist damit erst der zweite in 2023 gestartete deutsche Film, dem das gelungen ist.

Anmerkungen

[1

Sonne und Beton
Worum geht’s?

Um den Alltag von Lukas (Levy Rico Arcos), Gino (Rafael Luis Klein-Heßling), Julius (Vincent Wiemer) und Sanchez (Aaron Maldonado Morales), vier Jungs um die 14, die in der Gropiusstadt aufwachsen, einer Plattenbausiedlung im Berliner Bezirk Neukölln: Am Schuleingang kontrollieren Security-Leute die Schulausweise der Schüler*innen, im Klassenzimmer fliegen Stühle. Laufen die Freunde durch den Park, geraten sie in die Prügeleien konkurrierender Jugendgangs, und auch zu Hause erleben manche Gewalt. Den Rekordsommer 2003 verbringen die vier mit Schuleschwänzen, Schnapsklauen und Träumen von neuen Turnschuhen oder Geld fürs Freibad.

Im Mittelpunkt steht Lukas. Er schreibt brillante Aufsätze, schämt sich aber, wenn sein Lehrer ihn lobt. Seine Mutter ist gestorben, im Schulranzen hat er eine Schneekugel mit ihrem Foto; sein Vater und dessen neue Frau wollen Lukas aus der kleinen Wohnung haben. Ärger geht er lieber aus dem Weg, trotzdem wird er immer wieder in welchen reingezogen. Er vertraut nur seinem Bruder Marco (gespielt vom Berliner Rapper Luvre47), der krumme Geschäfte macht. „Der Klügere tritt nach“, rät der. Als Lukas im Park von einem Grasdealer verprügelt wird, soll er Schutzgeld zahlen. Um das zu besorgen, bricht er zusammen mit seinen Freunden in seine Schule ein und versucht, die für den EDV-Unterricht neu angeschafften Computer zu klauen.
Worum geht’s eigentlich?

Um die Trostlosigkeit in sogenannten sozialen Brennpunkten, um Ungerechtigkeit und Potenzial, das ungenutzt bleibt, weil Geld und Förderung durch Eltern oder Lehrer*innen fehlen. Und ums Wegschauen. „Jeden Tag ist was in der Schule, und niemanden interessiert’s“, sagt Lukas, als die Polizei – mit großer medialer Aufmerksamkeit – wegen der gestohlenen Computer ermittelt. Es geht um Gewalt im Klassenzimmer, im Park und zu Hause, die Sehnsucht nach einem besseren Leben und die Freundschaft zwischen den vier Jungs. Lukas und Julius sind an ihrer Schule als Deutsche ohne Einwanderungsgeschichte in der Minderheit, besonders Julius kompensiert das, indem er permanent provoziert. Der Film ist eine Adaption des autobiografischen Romandebüts von Comedian Felix Lobrecht aus dem Jahr 2017. Damals sagte er dem Deutschlandfunk: „In einer Gegend, in der blonde Deutsche in der Minderheit sind, kriegen die natürlich eher auf die Schnauze, weil Minderheiten immer diskriminiert werden in irgendeiner Form.“

Wie wird’s erzählt?

„Sonne und Beton“ ist in einem Moment abgrundtief traurig und berührend, dann wieder wohltuend lustig. Es wird viel geflucht und auf die Straße gerotzt, die Dialoge sind authentisch. Der Soundtrack, unter anderem von den Rapper*innen Azzi Memo, Juju, Lucio101, Luvre47 und Olexesh, die auch im Film zu sehen sind, trägt den Film und gibt seinen schnellen Rhythmus vor. „Sonne und Beton“ nimmt seine Figuren ernst und das nicht nur, weil Lobrecht das Milieu so gut kennt: Er schrieb das Drehbuch zusammen mit dem Regisseur David Wnendt, der für sein Debüt „Kriegerin“ über ein rechtsradikales Mädchen in Ostdeutschland 2012 den Deutschen Filmpreis in Bronze erhielt.
Gut zu wissen:

Felix Lobrecht ist selbst mit seinen Geschwistern bei seinem alleinerziehenden Vater in Berlin-Neukölln aufgewachsen. Er betonte, sein Roman sei nicht autobiografisch, er habe aber vieles eingearbeitet, was er in seiner Kindheit in der Gropiusstadt erlebt habe. „Es war alles genau so. Vielleicht aber auch nicht“, wird zu Beginn des Films eingeblendet.
Heimlicher Star:

„Gropiusstadt ist offensichtlich einer der Hauptdarsteller in dem Buch und in dem Film“, sagte Felix Lobrecht im Rahmen der Premiere auf der Berlinale. Das vom Bauhaus-Gründer Walter Gropius entworfene Viertel am Rand von Neukölln war eigentlich großzügiger geplant, aus Kostengründen und wegen der Wohnungsnot in Westberlin nach dem Mauerbau wurde dann höher und enger gebaut als vorgesehen. Diese Enge, das will der Film zeigen, befeuert Aggression. „Sonne und Beton“ beschönigt nicht, zeigt finstere Ecken, ist aber auch ein liebevolles Porträt des Viertels und seiner vielen Facetten.

Good Job!

„Sonne und Beton“ ist hervorragend besetzt und gespielt. Für die jugendlichen Hauptrollen wurde bundesweit gecastet, mehr als 5.000 Jugendliche hatten sich beworben oder wurden bei Straßencastings angesprochen (verantwortlich: Jacqueline Rietz). Die vier Schauspieler Levy Rico Arcos, Rafael Luis Klein-Heßling, Vincent Wiemer und Aaron Maldonado Morales spielen so wahrhaftig, mit Timing und Gespür für Humor, dass man nur hoffen kann, sie bald in weiteren Rollen zu sehen.

[2

[3Hierzu wurden im nicht-öffentlichen Raum bereits sehr konkrete Prognosen abgegeben... WS.


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