Paul Löbe zu Ehren

VON Dr. Wolf SiegertZUM Samstag Letzte Bearbeitung: 19. Februar 2023 um 20 Uhr 50 Minutenzum Post-Scriptum

 

In der letzten Aussendung des DJV-Berlin / JVBB an seine Mitglieder ist zu lesen:

1. Ein Denkmal für die Pressefreiheit

In unserem ersten Newsletter des Jahres berichteten wir von der Initiative, dem früheren Reichstagspräsidenten und Gründungsvorsitzenden des Presseverbands Berlin Paul Löbe ein Denkmal zu setzen. Wir berichteten auch von dem Symposium, welches den Startschuss für diesen Prozess darstellen soll [1]. Und jetzt geht’s los:
Dieses Symposium wird am 17. Februar 2023 zwischen 13 und 17 Uhr in der Europäischen Akademie Berlin (Bismarckallee 46/48, 14193 Berlin, Raum ROM) veranstaltet. Es soll der Vorbereitung einer Ausschreibung für die künstlerische Gestaltung des Denkmals dienen.
Mit dabei sind der DJV-Bundesvorsitzende Frank Überall, Christian Walther vom Kompetenzteam „Verbandsgeschichte“ des DJV Berlin – JVBB, Anna Litvinenko (Freie Universität Berlin), Gemma Pörzgen (Reporter ohne Grenzen), der frühere israelische Botschafter Shimon Stein, Stefan Heinz (Gedenkstätte Deutscher Widerstand) sowie der Historiker Siegfried Heimann.

Erst bei einem Besuch des Berliner Büros am Mittwoch dieser Woche wurde auf Anfrage mitgeteilt, dass sich diese Einladung nicht nur an die Mitglieder, sondern an alle Interessierte richte und auch noch kurzfrstig Anmeldungen unter ordumabtl-buero@charlottenburg-Wilmersdorf.de eingereicht werden können.

Auf der Webseite der Akademie gab es zu dieser Veranstaltung keine weiteren Informationen, auf der Seite mit den Veranstaltungen von DJV-Berlin und JVBB auch nicht. Auf der Seite: Skulpturen und Denkmale des Bezirksamtes Charlottenburg-Wilmersdorf finden sich ebenfalls keine weiterführenden Hinweise [2].

Also ein Grund mehr für eine persönliche Teilnahme, auch wenn diese wegen gleichzeitiger Prüfungsverpflichtungen an der Hochschule nur zeitweise möglich gewesen sein wird.

Zur Vorbereitung wurde auf der eigenen Plattform nochmals jene Beiträge zusammengetragen, in denen auf Paul Löbe direkt Bezug genommen wird:
 vom 20. Juli 2004 RESPEKT
 vom 21. April 2018 zum Thema Wege (Werte?!) im Wandel (II) mit einem Mitschnitt einer Intervention des Autors im Kampf um das Ansehen für Paul Löbe:
 vom 7. Juli 2018: 70 Jahre DJV-Berlin
 vom 7. November 2018: „1914/1918 - Not Then, Not Now, Not Ever“ mit einer Lesung aus dem Bundestag aus den Aufzeichnungen von Paul Löbe
 vom 9. November 2018: November-Erinnern
 vom 11. Januar 2020: DJV/JVBB-MITGLIEDER-VERSAMMLUNG [3]

Sowie mit diesen Beiträgen mit einem Bezug auf das Paul Löbe Haus:
 vom 20. Oktober 2006 im Rahmen eines Kongresses "Für eine Ethik der digitalen Gesellschaft" #NK16
 vom 30. Oktober 2016 und Das Sonntagsfoto: Akteneinsicht
 vom 12. Februar 2017 und der Bundesversammlung
 vom 13. Februar 2022 Bundesversammlung: Mehr als Sonntagsreden

Und: dieser Archivfund aus der ARD.Mediathek (der als Quelle den rbb benennt - sic!), in dem es um ein Gespräch mit Paul Löbe geht; das am 22.10.1957 ausgestrahlt wurde: Wie ich angefangen habe: Paul Löbe ∙ rbb Fernsehen

Im Nachgang zu dieser Veranstaltung schreibt Prof. Dr. Frank Überall in seinem "Überall dabei" - LinkedIn- / KVVON-Account:

#Pressefreiheit: Ein Denkmal für Paul Löbe

In Berlin soll ein Denkmal für Paul Löbe errichtet werden. Er stand in seiner Zeit vor allem für die Pressefreiheit. Für den Deutschen Journalisten-Verband (DJV) durfte ich an einem Symposium zum Thema teilnehmen.

Paul Löbe war Präsident des Reichstages, später Alterspräsident des Deutschen Bundestages. Aber er war auch Journalist, und er hat sich intensiv für die Pressefreiheit eingesetzt. In Berlin wird jetzt diskutiert, ein Denkmal für ihn zu errichten. Auf Einladung des Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf fand dazu ein Symposium statt, an dem die Geschichte von Paul Löbe aufgearbeitet wurde. Außerdem wurden erste Ideen für den Erinnerungsort diskutiert. Auf dem Podium waren mit mir auch Gemma Pörzgen von "Reporter ohne Grenzen", Anna Litvinenko (Freie Universität Berlin) und Shimon Stein(ehemaliger israelischer Botschafter).

Nähere Informationen zu Paul Löbe gibt es unter diesem Link auf der Webseite des Deutschen Bundestages.

Und der engagierte DJV-Kollege Wolf Siegert hat unter diesem Link in seinem Blog viele interessante Aspekte zusammengetragen.

Damit sich nach diesem abschliessenden Verweis auf diese Seite diese die "Zugmieze" [4] nicht in den Schwanz beisst, hiernach eigene Beobachtungen, ja vielleicht sogar schon Schlussfolgerungen, die mit Bezug auf diese Veranstaltung hinzugefügt werden.

Dieses geschieht kursorisch im Zusammenhang mit diesen Stichworten:

PARAMETER
an denen sich Ausschreibung und Umsetzung orientieren könnten:

 Es geht hier nicht ’nur’ um ein Denkmal, sondern darüber hinaus um ein Denkzeichen (so wie für Rosa Luxemburg in Leipzig oder Georg Elser in Berlin [5]).

 Damit ist gemeint die Anerkennung von Leben und Werk der Persönlichkeit von Paul Loebe u n d der Werte, für die er sich - bis an die Grenzen seines Lebens - eingesetzt

 Diese Werte sind die Pressefreiheit, die Informationsfreiheit - und die Grenzen dieser Freiheit. [6]

 Dieser Werte immer wieder neu zu ergründen, unter den jeweiligen politischen, ökonomischen, kulturellen und soziologischen Einflüssen - auch über die nationalen Grenzen hinaus - neue zu bestimmen: Eine permanente Aufgabe, die allein mit der Errichtung eines Denkmals noch nicht erfüllt wird.

 Es bedarf einer besonderen Attraktivität, die weder vor der Fantasie von KünstlerInnen noch der Verve von Kommunikationsagenturen gebremst werden darf, im Gegenteil. Ihr Wettbewerb selbst sei schon Gegenstand des Konzeptes in statu nascendi.

 Es bedarf einer besonderen Verantwortung nicht nur den ’Altvorderen’ wie einem Schriftsetzer / Metteur, nicht nur den noch Älteren gegenüber, die schon 1848 den Kampf um die "Press-Freiheit" postulierten, sondern:

 Die Verantwortung gilt explizit auch in einer ganz besonderen Weise jenen Jugendlichen gegenüber, die mit all dem nichts mehr anfangen können, die davon noch nie gehört haben: Jenen jungen Menschen gebenüber, denen dennoch der Druck der von ihnen digital empfangenen Buchstaben, Bilder und Töne auf der Seele liegt - und die ebenso nach (Ant-)Worten für sich und ihre Umwelt suchen.

 Der Welttag der Pressefreiheit wäre nicht nur der richtige Augenblick zur Einweihung dieses Denkmals, sondern zugleich ein jährlich wiederkehrender Anlass, um Gedenken, Partizipation und permanente Fortschreibung der Werte des Journalismus miteinander in Beziehung zu setzen.

 Dieser Dialog bedarf der Aufklärung und zugleich der Neu-Entdeckung jener Freiheiten, die derzeit an den Schnittstellen eines Datenbrowsers, einer Smartphone-App, einer virtuellen Präsenz im Metaversums ab- / aufgegeben werden.

 Dieser Diskurs bedarf einer finanziellen Absicherung und persönlichen Vertretung - einer ökonomisch ab-gesicherten Einrichtung und einer / eines jährlich erneut ausgelobten Botschafterin / Botschafters. Zum Beispiel mit einem eigenen Büro in der Pressestelle des Bundestages - das müsste doch schon in den siebenhundert Millionen für den Anbau an das Bundskanzleramt drin sein [7].

[...]

Hier noch zwei besonders relevante Stichworte, die in diesem Kontext von Bedeutung werden können:

PARTIZIPATION

Aus der Vielfalt unserer Gesellschaft heraus Position beziehen

Interessant an dieser jetzt anstehenden Debatte um das Bismarck-Denkmal in Hamburg ist, dass gerade erst dessen Sanierung mit einem Kostenfaktor von gut neun Millionen Euro abgeschlossen wurde. Während die Diskussion darüber schon seit Jahren andauert

Zuvor waren zwei Jahre an Diskussionen und Workshops mit Experten darüber, wie man das Denkmal in einen neuen Kontext einbetten könnte, ins Land gegangen. Diese Zeit sei nötig gewesen, so Brosda, um sich in der Gemengelage zu positionieren und die Entwürfe beurteilen zu können.
Brosda spricht sich gegen den Abriss und für den Erhalt solcher Denkmale wie in Hamburg aus: „Aber wir müssen uns zu ihnen verhalten.“ Dabei führe kein Weg an breiten Partizipations- und Diskussionsprozessen mit der Zivilgesellschaft vorbei.

Auch wenn derzeit noch völlig offen ist, wie viel Geld für die Entwicklung und Umsetzung des Paul-Loebe-Projektes freigegeben werden wird, eine zielführende und erfolgreiche Umsetzung wird nur möglich sein, wenn es gelingen wird, schon die Ausschreibungsphase selbst als Teil dieser öffentlich geförderten Diskussion ebenso mitzufinanzieren wie auch die Zeit nach der Einweihung.

BISMARCK

Da der Bismarckplatz als Zielort der Ausschreibung gesetzt sein wird, ist es besonders interessant, die derzeit in Hamburg geführte Diskussion um das Denkmal dort zu verfolgen, zumal an diesem Ort in Berlin auch ein Bismarckdenkmal seit 1897 aufgestellt worden war. Und am 2. Juni 1996 zum zweiten Male enthüllt wurde. [8]

Die Rede des Wilmersdorfer Bezirksbürgermeisters Michael Wrasmann endet mit der Einladung an

"seine Durchlaucht Ferdinand Fürst von Bismarck [...] Vielen Dank dafür, daß Sie sich bereit erklärt haben, bei dieser Denkmalenthüllung zu sprechen.

Dieser Redetext liegt aber (noch) nicht vor. Stattdessen zurück zum Wettbewerb in Hamburg:
"Das Hamburger Bismarck-Denkmal steht im Mittelpunkt eines künstlerischen Wettbewerbs, ab dem sich auch internationale Künstler beteiligen können", so das Hamburger Abendblatt vom 4. Januar 2023 unter der Überschrift: Bismarck-Denkmal: Nun sollen sich die Künstler kreativ austoben [9]

P.S.

Um an zwei Redebeispielen deutlich zu machen, worum es hier geht:

1.

Die im Haus des Rundfunks in Berlin von Joseph Goebbels verfasste und vorgetragene Rede an die für den 25. März 1933 einbestellten Intendanten der Reichsrundfunkgesellschaft. Hier ein Ausschnitt aus dem Deutschen Rundfunkarchiv

Ich halte den Rundfunk für das allermodernste und für das allerwichtigste Massenbeeinflussungsinstrument, das es überhaupt gibt.

Hier ein weiteres Zitat, erweitert um Auszüge aus der Rede auf der IFA am 18. August 1933, im SWR2-Archiv nachzuhören unter: Joseph Goebbels: "Der Rundfunk gehört uns!"

Goebbels 1933: ’Der Rundfunk gehört uns!

2.

Vor den Türen eben dieses Senders, dem SWR, waren am 4. Januar 2020 in Baden Baden diese Töne von Dubravko Mandic von der AfD Freiburg zu hören:

Das ist nur der Anfang. Wir werden sie aus ihren Redaktionsstuben vertreiben. Wir werden uns ihre Lügen nicht länger anhören. Das ist erst der Anfang des Sturms: Dereinst werden sie für ihre Verbrechen bezahlen müssen, das verspreche ich ihnen.

Anmerkungen

[1

Paul Löbe und das Erinnern

Der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf hat eine Initiative ins Leben gerufen, um dem früheren Reichstagspräsidenten und Gründungsvorsitzenden des Presseverbandes Berlin ein Denkmal zu setzen. Dies soll einerseits die Verdienste von Paul Löbe würdigen, andererseits aber auch den Wert der Pressefreiheit allgemein vergegenwärtigen.
Dem vorausgehen soll ein Prozess, in den auch im Umfeld liegende Institutionen wie das Rathenau-Gymnasium oder die Europäische Akademie einbezogen werden sollen. Standort wäre der Bismarckplatz, wo Paul Löbe als Herausgeber des „Telegraf“ sein Büro hatte; und dort wurde 1949 auch der DJV gegründet.
Am 17.02.2023 fällt, mit einem von Stadtrat Oliver Schruoffeneger initiierten und moderierten Symposium, der Startschuss für diesen Prozess. Über Paul Löbe sprechen Stefan Heinz von der Gedenkstätte Deutscher Widerstand, der Historiker Siegfried Heimann und Christian Walther vom DJV Berlin – JVBB Kompetenzteam „Verbandsgeschichte“. Das Kompetenzteam hatte mit einer biografischen Skizze zu Löbe den Anstoß für die Initiative des Bezirks gegeben.
Anschließend diskutieren Anna Litvinenko (Freie Universität Berlin), Gemma Pörzgen (Reporter ohne Grenzen), Shimon Stein (ehem. israel. Botschafter) und natürlich Frank Überall als Bundesvorsitzender des Deutschen Journalist-Verbandes über Pressefreiheit im nationalen und internationalen Kontext.

[2Die Liste dieses Tages liest sich so;

17.02.2023 09:00 Uhr
Stolpersteinverlegungen mit dem Künstler Gunter Demnig am 17.+18 Februar 2023

Kategorie: Kunst, Kultur
Veranstaltungsort: Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf in Charlottenburg-Wilmersdorf
Mehr
17.02.2023 10:00 - 17:00 Uhr
Gruppenausstellung Kyiv Emerging

Kategorien: Ausstellungen, Kunst, Kultur, Kultur
Veranstaltungsort: Kommunale Galerie in Charlottenburg-Wilmersdorf
Mehr
17.02.2023 10:00 - 17:00 Uhr
Kyiv Emerging - Fotografien ukrainischer Künstler*innen

Kategorie: Ausstellungen
Veranstaltungsort: Kommunale Galerie in Charlottenburg-Wilmersdorf
Mehr
17.02.2023 10:00 - 17:00 Uhr
Habitat im Dialog: Fotografien von Anne Schönharting

Kategorie: Ausstellungen
Veranstaltungsort: Museum Charlottenburg-Wilmersdorf in der Villa Oppenheim in Charlottenburg-Wilmersdorf
Mehr
17.02.2023 10:00 - 17:00 Uhr
Ausstellung „Chotzen. Bilder nach der Erinnerung“ in der Villa Oppenheim

Kategorie: Ausstellungen
Veranstaltungsort: Museum Charlottenburg-Wilmersdorf in der Villa Oppenheim in Charlottenburg-Wilmersdorf
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17.02.2023 15:30 Uhr
„Weißt du…“ Zeichen- und Erzählwerkstatt für Kinder in der Heinrich-Schulz-Bibliothek

Kategorie: Kinder, Jugendliche
Veranstaltungsort: Heinrich-Schulz- Bibliothek in Charlottenburg-Wilmersdorf
Mehr
17.02.2023 19:30 Uhr
Art of Duo - Tangos

[3mit diesem Foto

© Bernd Lammel

[4Siehe Uwe Barfknecht am Freitag, den 29. August 2014 über 15 JAHRE FOCUS – ERFOLGSGESCHICHTE Codewort „Zugmieze“ (... an deren Entwicklung als auch weitergehenden Digitalisierung der Autor seinen Anteil gehabt hat ;-)

[5das in der hier als Link zitierten Berlin.de-Seite trotz aller gegentdiligen Bemühungen sprachlich auch als "Denkmal"zur Darstellung kommt.

[6Hierzu - als pars pro toto - dieser Hinweis in dem Beitrag Bibi in Berlin - und wo ist Jorge?. Und das Brecht-Zitat aus der eigenen Theater-Arbeit mit Peter Palitzsch in Frankfurt am Main "über die Freiheit, die so schwer zu machen ist".

[7...oder im rbb in der Masurenallee, dort, wo eines Goebbels seine Rede an die Intendanten 1932 verfasst hatte: Siehe dazu auch das Post-Scriptum.

[8

Zur zweiten Enthüllung des Bismarck-Denkmals in der Kolonie Grunewald am Sonntag, dem 2.6.1996, 11.00 Uhr auf dem Bismarckplatz

Sehr geehrter Herr Regierender Bürgermeister, Senor Espinoza Villareal, Euer Durchlaucht, sehr geehrte Frau Cölle-Lück, sehr geehrte Damen und Herren!

Vor 99 Jahren, am 10. Mai 1897, wurde hier, am damaligen Joachimsplatz, das von dem Bildhauer Max Klein geschaffene Bismarck-Denkmal enthüllt. Der damals 82jährige Fürst Bismarck war eingeladen, konnte aber wegen seines angegriffenen Gesundheitszustandes nicht an der Feier teilnehmen. Er starb ein Jahr später, am 30. Juli 1898 in Friedrichsruh. Danach wurde der Joachimsplatz in Bismarckplatz umbenannt.

Die Villenkolonie Grunewald war erst 6 Jahre alt, als einige ihrer Bewohner beschlossen, ein Bismarck-Denkmal zu errichten. Innerhalb eines Jahres war die Finanzierung durch Spenden und Bankbürgschaften gesichert, und nach einem weiteren Jahr das Denkmal fertiggestellt. Was hat Privatleute, die sich eben hier niedergelassen hatten, dazu bewogen, ein Bismarck-Denkmal aufzustellen?

Die Inschrift auf dem Sockel, der beide Weltkriege überdauert hat, mag einen ersten Hinweis geben: “Dem Fürsten Otto von Bismarck. Die dankbare Villenkolonie Grunewald”

Zweifellos war dieses Gelände rund um die Grunewaldseen eine idyllische Wohnanlage. Schnell waren die Grundstücke verkauft. Wissenschaftler, Künstler, Architekten, Verleger, Schriftsteller, Industrielle und Bankiers zogen hierher – überwiegend war es ein konservativ-liberales Bürgertum. Der jüdische Anteil war überdurchschnittlich hoch. Aus vielen Memoiren spricht die Begeisterung der Bewohner über ihre Millionärskolonie, wie sie in Berlin bald genannt wurde. Es lag nahe, dieser Begeisterung Ausdruck zu verleihen. Wie aber kamen die Grunewalder auf Bismarck?

Der Reichskanzler hatte angeregt, den Kurfürstendamm vom Reitweg zum Boulevard auszubauen, und aus dieser Idee entstand in gewisser Weise als Nebenprodukt die Villenkolonie Grunewald. Ein für den Ausbau des Boulevards gegründetes Bankenkonsortium, die Kurfüstendamm-Gesellschaft, hatte das Gelände erschlossen und für die nötige Infrastruktur gesorgt. Es war also nicht unbedingt selbstverständlich, Bismarck als Gründer der Villenkolonie Grunewald zu feiern. Er war nur indirekt an ihrer Entwicklung beteiligt, und die Inschrift des Sockels trägt dem Rechnung: Sie teilt uns nichts mit über die Beziehung Bismarcks zur Villenkolonie.

Vielleicht verrät uns die Figur selbst mehr über die Beweggründe ihrer Stifter und über die historische Situation, in der sie entstand. Bismarck war von dem jungen Kaiser Wilhelm dem Zweiten knapp 2 Jahre nach dessen Regierungsantritt entlassen worden. Wir alle haben die berühmte Karikatur vor Augen: Der Lotse mußte von Bord gehen, und Bismarck wurde gleichsam in politischer Quarantäne gehalten. Wer mit ihm weiterhin Kontakt pflegte, der mußte auf eine politische Karriere im wilhelminischen Kaiserreich verzichten. Dies tat aber seiner Popularität keinen Abbruch. Zu seinem 80. Geburtstag am 1. April 1895 mußte das Postamt in Friedrichsruh um 23 Mitarbeiter verstärkt werden, damit die 460.000 eingehenden Telegramme, Briefe, Postkarten und Drucksachen zugestellt werden konnten.

Bismarck wurde schon zu Lebzeiten zum Mythos, zum lebenden Denkmal. Ohne ihn als politisch denkenden aktiven Menschen noch wahrzunehmen, stellte man ihn auf Hunderte von Denkmalsockeln, meist in Kürassieruniform, mit Helm und Säbel. Das Klischee vom Eisernen Kanzler entstand, passend zum hohlen Pathos des wilhelminischen Kaiserreichs. Dieses Klischee konnte man später umstandslos in eine Reihe stellen, die scheinbar direkt zu Adolf Hitler führte. Hier in Grunewald dagegen tritt uns nicht der eisernen Kanzler entgegen, sondern der zivile Bismarck, der nachdenkliche Mensch. Wir sehen Bismarck hier fast als Gegenfigur zum auftrumpfenden Kaiser Wilhelm II. Vielleicht war dies die Absicht der Grunewalder Bürger und des Bildhauers Max Klein.

Der Bezirk Wilmersdorf hat in den letzten Jahren viel getan zur Auseinandersetzung mit unserer Geschichte. Gerade hier im Grunewald haben wir allen Anlaß dazu. Walther Rathenau wurde nur wenige Schritte von hier ermordet. Menschen wie Alfred Kerr oder Lion Feuchtwanger mußten vor den Nationalsozialisten aus Deutschland fliehen, und Dietrich Bonhoeffer wurde als Widerstandskämpfer ermordet. An sie und viele andere erinnern wird mit Gedenktafeln, und das Mahnmal am Bahnhof Grunewald soll verhindern, daß die Deportation Tausender Berliner Juden nach Auschwitz in Vergessenheit gerät. Wir werden in dieser Erinnerungsarbeit nicht nachlassen, und ich begrüße, daß die Deutsche Bahn AG auch auf ihrem Gelände am Bahnhof Grunewald eine Gedenkstätte errichten wird.

Aber zur Auseinandersetzung mit unserer Geschichte gehört auch die Erinnerung an Bismarck, und eine ernsthafte Auseinandersetzung wird zu einem differenzierten Bild führen. Niemand wird bestreiten, daß er Fehler gemacht und Niederlagen erlitten hat, am spektakulärsten mit den Sozialistengesetzen. Aber er war auch der Architekt der ersten deutschen Einigung, er war der Begründer des Sozialstaates in Deutschland, und er war der geniale Außenpolitiker, der eine Politik der Bescheidenheit und des vernünftigen Interessenausgleichs betrieb. Großmachtstreben war ihm fremd.

Bismarck predigte keineswegs den Verzicht auf Selbst- und Machtbewußtsein des Deutschen Reiches, aber das Reich sollte sich nicht aufspielen – so sagte er – “wie jemand, der plötzlich zu Geld gekommen ist und nun, auf die Taler in seiner Tasche pochend, jedermann anrempelt.” Bismarck war ein begnadeter Rhetoriker mit großer Überzeugungskraft, und er war ein geschickter politischer Taktiker, ein Meister im Schmieden immer neuer politischer Koalitionen zur Durchsetzung seiner Pläne.

Gerade heute gibt es viele Gründe, an Bismarck zu erinnern und ihn als wichtige Persönlichkeit unserer Geschichteernstzunehmen, ihn jenseits des falschen Klischees neu zu entdecken. Bismarck selbst wollte nicht auf Denkmalsockel gestellt werden: “Auf Titel und Orden habe ich niemals großen Wert gelegt, so wenig wie auf Denkmäler, die man mir errichtet hat und errichten will; ich will weder ein Schaustück sein noch mich versteinert oder am wenigsten bei Lebzeiten als Mumie sehen. Mir genügt mein einfacher Name, und ich hoffe, daß er auch in der Zukunft genügen wird, die vielleicht weniger auf hohe Titel als auf erfolgreiche Taten sehen wird.”

Paradoxerweise könnte die Wiederherstellung dieses Denkmals dazu ein Anlaß sein. Es zeigt uns den zivilen Bismarck, der gerade hier, im Kontext der Villenkolonie Grunewald, viel Stoff zum Nachdenken bietet.

Ich freue mich, daß es gelungen ist, hier auch im denkmalpflegerischen Sinne den historischen Zustand wiederherzustellen. Heute wie damals ist es der Privatinitiative einzelner Bürgerinnen und Bürger zu verdanken, daß wir dieses Denkmal enthüllen können. Ich danke allen, die daran mitgewirkt haben, vor allem dem Wilmersdorfer Heimatverein mit dem früheren Vorsitzenden Werner Goldberg und der jetzigen Vorsitzenden Anita Cölle-Lück, der Bankgesellschaft Berlin mit dem Vorstandsvorsitzenden Dr. Knut Fischer und Dr. Dietrich Beier und der Stiftung Deutsche Klassenlotterie Berlin, dem Bildhauer Harald Haacke und der Gießerei Noack.

Lassen Sie mich zum Schluß noch sagen, daß ich mich als Wilmersdorfer Bezirksbürgermeister ganz besonders darüber freue, daß nicht nur der Regierende Bürgermeister an dieser Veranstaltung teilnimmt, sondern auch der Bürgermeister von Mexiko-Stadt Senör Espinoza Villareal, den ich herzlich willkommen heiße.

Im Gegensatz zur Ersten Enhüllung vor 99 Jahren nimmt heute Fürst Bismarck an unserer Feier teil. Ich begrüße herzlich seine Durchlaucht Ferdinand Fürst von Bismarck.

[9Dazu Dr. Carsten Brosda im Gespräch mit Elena Gorgis in der Sendung "Fazit" im Deutschlandfunk Kultur vom 19. August 2022:
Künstlerwettbewerb zum Umgang mit Hamburger Bismarck-Denkmal

Es gibt immer noch diejenigen, die sagen "reisst den ab, legt den auf die Seite, schlagt ihm den Kopf ab", was für martialischen Vorstellungen da alle so sind, auf deren Seite bin ich nicht, weil ich schon finde, wir müssen diese Monumente an der Stelle schon erhalten, aber wir müssen uns zu ihnen verhalten. Und es gehört für mich zu einer aufgeklärten Gesellschaft, dazu, dass sie sich mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzt und eine Position bezieht.


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