Calle Call (1)

VON Dr. Wolf SiegertZUM Dienstag Letzte Bearbeitung: 21. September 2004 um 11 Uhr 20 Minuten

 

Am frühen Nachmittag ein Anruf mit einer Einladung in die Galerie Max Hetzler in Berlin. Nachdem ich schon der "art forum berlin" - Vernisage fergeblieben war und mir die Einladung auch persönlich zusagt, ist der Weg nach Berlin Mitte in die erste Etage der Zimmerstrasse 90/91 eine ausgemachte Sache.

Dort hängt eine ganze Serie von Arbeiten von Sophie Calle. Nach den ersten Blicken durch den Raum denkst Du auf Grund der bis an den Boden reichenden gerahmten Bilder, es sei eine Fotoausstellung. Aber schon bald treten jene Texte in den Vordergrund, die, identisch gerahmt, jeweils über den grossformatigen schwarz-weissen Abbildungen angebracht sind (bis auf eine Ausnahme, in der das Bild über diesem Text an der Wand angebracht wurde, während sie in anderen Fällen wie nicht fertig gehängt auf dem Parkettboden stehen).

Schon bald nach den ersten orientierenden Sichtkontakten ändert sich das Wahrnehmungsritual. Erst lesen, dann schauen. Es ist so, wie am Vortag auf der MoMA-Schau immer wieder erlebt, dass viele Betrachter zunächst auf das Schild nach dem Namen der Arbeit und des Urhebers, der Urheberin (gerade mal 6 der ausgesuchten Künstler sind Frauen) schauen, bevor sie sich der Arbeit selber zuwenden, oder auch nicht.

Die in den Vordergrund rückende Lektüre dieser Text gibt ein immer wieder anderes neues Streiflich aus dem Erleben der Protagonisten preis. Es ist, als trete sie als Kronzeugin ihres eigenen Lebens auf. Ihrer Aussage gewahr geworden, lässt sie uns als Augenzeuge daran teilhaben, als Leser(in) und dann, indem sie diese assoziativen Momente zu ihren Texten in dem jeweils dazugehörigen Bild auffängt - und zugleich einfängt.

Sie macht sich also in jedem ihrer Exponate doppelt bemerkbar und dieses in zweifacher Weise: in Text und Bild. Und - sozusagen "doppelt gemoppelt" - erlaubt Sie Einblicke in ihre Geschichten, macht sie uns Lesern zu unseren und sorgt doch zugleich dafür, dass unsere Wahrnehmung nicht allzu weit von ihrer Vorhersehung ihrer eigenen Assoziationsfelder abweicht: in dem sie die durch ihre Texten freigewordenen Projektionen mit ihren Fotos wieder einfängt.

Ihre Freizügigkeit ist damit sogleich ein besonders artistisches Moment, den Betrachter im Banne seiner eigenen Fantasie gefangen zu nehmen. Wie im "richtigen" Leben. Auch das ist: Kunst.

WS.


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