Lingua latina necesse est

VON Dr. Wolf SiegertZUM Mittwoch Letzte Bearbeitung: 23. September 2004 um 19 Uhr 32 Minuten

 

Der Vatikan modernisiert seine Amtssprache: Endlich können die Eminenzen, Monsignori und Ordensfrauen rund um den Petersdom über Slips, Playboys und Haschisch auch auf Latein tuscheln.

1976 hatte Papst Paul VI. die Stiftung "Latinitas" gegründet und beauftragt, die - neben Italienisch - offizielle Sprache des 44-Hektar-Zwergstaats im Zentrum Roms alltagstauglich zu machen. 15.000 neue Begriffe haben die päpstlichen Sprachwissenschaftler nach und nach in ihr "Neues Latein-Lexikon" aufgenommen.

Jetzt folgte ein neuer Wortschwall, von Blue Jeans (bracae linteae caeruleae) bis Hot Pants (brevissimae bracae femineae), von Idiot (homo hebes) bis Terrorist (tromocrates), berichtet DER SPIEGEL.

Manche der Neuschöpfungen in der Sprache von Caesar und Ovid verraten allerdings, dass bisweilen nicht nur die linguistische Umsetzung, sondern auch die Wahrnehmung der Welt und ihrer Zeitgeisterscheinungen hinter den vatikanischen Mauern in Verzug sind. So gilt ein Flirt dort gleich als "leichte Liebe" (amor levis), der Minirock wird als "Kurzhemdchen" (tunicula minima) interpretiert und die weltweit gerühmte italienische Pizza als "gepresster Kuchen" (placenta compressa) verhöhnt.

Auch von der weiblichen Unterwäsche macht man sich im weitgehend zölibatären Vatikan offenbar eher verwegene Vorstellungen. So wird der Slip mit parvum subligaculum übersetzt, was früher etwa so viel bedeutete wie "kleines Schurzfell".

© Dieser Artikel aus SPIEGEL ONLINE vom 21. September 2004, 9:07 mit der URL: http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,318943,00.html
unter der Überschrift: "Modernes Latein. Wenn der Papst über Hot Pants plaudert" wurde uns heute als "Leserbrief" zugesandt und wird hiermit gerne übernommen.

PS_1: Umso lieber, da gerade zu Beginn dieser Woche ein neues Urteils in der bundesdeutschen Rechtssprechung dadurch Aufmerksamkeit erregt hat, dass es einen im Deutschen zwar eingeführten, aber bislang wenig üblichen Begriff wieder ins allgemeine Bewusstsein gehoben hat: den schuldmindernden Hinweis auf ein "Augenblicksversagen".
Wie gut nur, dass dieser Begriff nicht ins Lateinische übersetzt werden muss(te).

PS_2: Aber - gerade noch rechtzeitig zur Eröffnung des Oktoberfestes - kann man jetzt zumindest auch im latinischen über den erneut gestiegenen Preis der "Würstel", sprich: "botellus (Germánicus; Austríacus)" palavern. Wer sich aus Neugier oder Passion selbst mit diesem Wörterbuch beschäftigen will, kann ab sofort eine Reihe ausgesuchter Begriffe online auf ihre Latinisierung überprüfen. Zu finden unter: http://www.vatican.va/roman_curia/i...

PS_3: Einen guten - oder sagen wir, zumindest authentischen - Einblick in das Leben des Papstes gibt der von Marie Czernin aufgezeichnete Bericht seines persönlichen Fotografen Marturo Mari, der seit "26 Jahre(n) von früh bis spät neben seiner Person lebt und arbeitet" - nachzulesen und mit dessen Bildern in Szene gesetzt in der September-Ausgabe des Magazins für politische Kultur "Cicero", ab Seite 118.

WS.


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