I
Die regelmässigen Leser von "DaybyDay" wissen, dass es einige wenige Grundregeln gibt, die dieser Publikation gut zu Gebote stehen. Eine davon lautet: Im Mittelpunkt stehen die Medien - und der Mensch. Aber nicht das "Ich".
Deshalb wird es an diesem Tag auch keinen detaillierten Eintrag über das heutige Klassentreffen geben. Auch wenn dieses ein hochspannender Moment ist. Denn er ermöglicht auch die Begegnung mit einem Selbst, von dem man selber kaum noch eine Vorstellung hat, wer und wie man gewesen sein mag.
Die These lautet also, dass das unterschwellig Spannende eines solchen Ereignisses nicht nur sein kann zu sehen, "was aus den Anderen geworden ist", sondern auch dem nachzuspüren, wie es sich mit einem selbst angesichts dieser Frage verhält.
Und im eigenen Fall geht die Frage noch tiefer: es ist nur so möglich herauszufinden, wo man heute steht, wenn man von sich selbst und dem Damals überhaupt noch ein Bild hat.
Und dieses Bild von sich wieder-zu-gewinnen, dafür bietet ein solcher Tag, ein solcher Abend sicherlich eine Gelegenheit, eine Möglichkeit, eine Chance - aber keine Garantie.
II
Wo aber sind sie, die Bilder, die es damals von einem gab? Und wie sieht man selber angesichts dieser heute aus? Und wie sehen einen "die Anderen" in dem Bild, das man heute abgibt und im Vergleich zu jenen Darstellungen, die von einem "damals" gemacht worden sind?
Also wäre es doch spannend, sich selbst und seinen MitschülerInnen so diskret und doch direkt zu nähern, in dem man sie bittet, das eine oder andere Bild mitzubringen, das man von sich selbst aus der Schulzeit noch hat auffinden können: Was hiermit geschieht! [1] [2]
Womit wir wieder inmitten eines Medien-Themas wären: wäre es nicht spannend, von jenen, die dazu bereit sind, ein Foto zu machen, auf dem man sie sieht, während sie neben ihrem Gesicht ein Abbild aus ihrer Jugendzeit hochhalten? [3]
[4]
III
Um nachvollziehen zu können, dass dieses mehr ist als nur ein "spleen" oder ein "ego-photo-shooter", dem sein die Arbeiten von Chino Otsuka empfohlen, die während der Darmstädter Tage der Fotografie [e.V.] im Jahr 2007 unter dem Titel: "Imagine finding me" ausgestellt worden sind.
Sie stellt sich nicht nur der Begegnung mit sich selber, sondern die nutzt die Fotografien aus ihrer Kindheit als Vorlage für eine digitale Replikation - in die sie sich selbst als Person des Hier und Jetzt mit einbringt.
Das ist nicht nur eine gute und stimmige Idee. Es ist auch eines der wenigen überzeugenden Konzepte auf die Frage in Zukunft immer häufiger aufkommende Frage: was kommt nach der Digitalisierung.
Eine der Antworten die sie dazu gibt ist ebenso überraschend wie überzeugend. Sie tut genau das, was wir als "Puristen" der Welt der Foto-Film-Welt zunächst so gerne und nachhaltig abzulehnen bestrebt sind: Sie manipuliert sie. Aber sie tut das in einer Weise, die nicht nur persönlich überzeugt, sondern aus dieser Überzeugungskraft heraus sogar als "legitim" angenommen wird.
Hier könnte man jetzt lange ausholen [5], aber da die Kürze die Würze - und der Nachweis für wirkliches Verstehen ist - hier nur so viel: Das Drama der Digitalisierung ist, dass im Konglomerat der Bits und Bytes jegliches Element der Zeit und der Bewegung aufgehoben ist [6]
Hier wird der Preis der Digitalisierung gezahlt, indem sich die Fotografin dieses Prozesses in der gleichen Konsequenz annimmt, wie einst bei der Entwicklung und Belichtung in der Dunkelkammer. Auch dort ist sie mit ihren Bildern allein. Und heute kann sie diese Einsamkeit aufheben und durch die Abwesenheit der Zeit in der Ausgestaltung eines digitalen Bildes das Zeit-Element in einer ganz neuen Qualität wieder einführen.
Das ist ebenso konsequent wie irritierend, ebenso "tricky" wie überzeugend, ebenso persönlich und doch alles andere als eitel. [7]

Daher zitieren wir [8] aus dem online veröffentlichten Katalog dieser Ausstellung die Künstlerin Chino Otsuka:
Imagine Finding Me ist eine Serie von einzigartigen Doppel-Selbstportraits, die um eine Sammlung von Fotografien meiner Kindheit aus dem Familienalbum komponiert wurden.
In diesen digital manipulierten Bildern sind mein heutiges und vergangenes Selbst durch verschiedene Orte und Situationen zusammengeklammert.
Der digitale Prozess wird zu einem Werkzeug, fast wie eine Zeitmaschine, wenn ich mich auf die Reise begebe wo ich einmal hingehörte und gleichzeitig zu einem Touristen meiner eigenen Geschichte werde.
If
again
I have a chance to meet
there is so much I want to ask
and so much I want to tell.
Falls
ich wieder
die Möglichkeit zu einem Treffen habe,
es gibt so viel, dass ich fragen möchte,
und so viel möchte ich sagen.
Und - vielleicht - ist das ja sogar ein Motto für ein Klasse(n)Treffen an diesem Tag?!
IV
Nach all diesen Vor-Bemerkungen hier nun drei ausgesuchte Bilder, die das Ergebnis dieser abendlichen Begegnung exemplarisch festhalten.


Zunächst zwei jener Doppelportraits, in denen das Vorgesehene tatsächlich umgesetzt und zur Geltung gebracht werden konnte.

Und hier - wie die heruntergebrannten Kerzen zeigen - ein geblitzter "Schnappschuss" der zeigt, wie selbst am Ende des Abends das Interesse an dieser Begegnung mit der Vergangenheit - und einem selbst - auch 40 Jahre danach nicht nachgelassen hat [9].