Todgesagte leben - länger?

VON Dr. Wolf SiegertZUM Mittwoch Letzte Bearbeitung: 15. Januar 2015 um 18 Uhr 23 Minuten

 

Nachfolgendes Thema hat uns hier bereits seit Jahren beschäftigt.
Und ist bereits in der Vergangenheit ebenso diskret wie kontinuierlich auskommentiert woren.

Am 12. Februar 2008 kam es dann zur Offenbarung: Mit der folgenden Presseerklärung zum Thema

Strategische Neuausrichtung bei Brockhaus
Kostenloses Onlineportal startet im April

Der Brockhaus-Verlag wird zum 15.4.2008 mit einem umfangreichen kostenlosen Lexikonportal online gehen. In die Entwicklungsarbeiten von »Brockhaus online« hat der Verlag massiv investiert. »Brockhaus online« liefert relevante und geprüfte Informationen aus allen Wissensgebieten und wird auch in der multimedialen Ausstattung neue Maßstäbe setzen. Das einzigartige Wissensangebot versteht sich als Wissensnavigator im Internet.

Der Traditionsverlag reagiert damit auch auf die Geschäftsentwicklung bei den gedruckten klassischen Lexika. 2007 wurden die Umsatzziele insbesondere im Segment der allgemeinen Lexika verfehlt. Die Marktanalysen zeigen eindeutig, dass die Kunden künftig Sachinformationen in erster Linie online nachschlagen werden.

Die Brockhaus-Redaktion in Leipzig wurde im vergangenen Jahr folgerichtig in eine reine Online-Redaktion umgewandelt. Chefredakteurin von »Brockhaus online« ist die Journalistin Sigrun Albert, zuvor mehrere Jahre Redaktionsleiterin von »Brigitte.de« und »YoungMiss.de«.

»Der immer unübersichtlicher werdenden Flut von Informationen aus dem Internet stellen wir mit »Brockhaus online« jetzt ein Wissensportal entgegen, das für Relevanz, Richtigkeit und Sicherheit steht«, erklärt Marion Winkenbach, die als Mitglied des Vorstands im Mannheimer Traditionsverlag für die Weiterentwicklung der Marke Brockhaus verantwortlich ist.

Das Wissensportal bietet neben den erweiterten Inhalten der »Brockhaus Enzyklopädie« auch zahlreiche weitere Lexika und Inhalte des Verlags. Die zum Start von »Brockhaus online« veröffentlichten Lexikonbeiträge werden nach und nach ausgebaut und um weitere Themen und Inhalte ergänzt. Der komplette Datenbestand wird von der Online-Redaktion in Leipzig gepflegt. Finanziert wird das neue Wissensportal des Verlags durch Werbung.

Brockhaus hat den Wissensmarkt im Internet schon lange intensiv beobachtet und sammelt seit über 10 Jahren fundierte Erfahrungen mit kostenpflichtigen Angeboten im Internet. Der aktuelle Schritt zum werbefinanzierten Modell ermöglicht es allen Menschen, am relevanten, nicht manipulierbaren »Brockhaus-Wissen« teilzuhaben. Der Verlag plant zudem für Herbst 2008 ein werbefreies und kostenloses Online-Angebot für Schulen, damit auch die Schüler und Lehrer im Unterricht auf sichere Informationen zurückgreifen können.

Brockhaus wird seine Wissensangebote auch künftig für alle Trägermedien – vom Buch bis hin zu mobilen Anwendungen aller Art – anbieten und wird auch weiter die klassischen Buchkunden bedienen. Für die Zukunft rechnet der Verlag aber mit einer noch stärkeren Verlagerung der Kundennutzung in das Internet.

Die negative Umsatzentwicklung bei den klassischen
A–Z-Nachschlagewerken und auch bei den digitalen Nachschlagewerken wie »Brockhaus multimedial« wird sich weiter verstärken, und bereits im abgelaufenen Jahr sorgt diese Entwicklung für erhebliche Probleme beim Mannheimer Verlag. Zwar steht die Bilanz für das Jahr 2007 noch nicht fest, doch zeichnet sich ein Verlust in der Größenordnung von mehreren Millionen Euro ab. Die Verlagsleitung denkt deshalb über umfassende Kostensenkungsmaßnahmen nach.

Das Presse-Echo war gewaltig.

Ein Beispiel als pars pro toto [1]:

Die Printausgabe der Financial Times Deutschland wird am 13. Februar 2008 mit der Schlagzeile aufgemacht:
Brockhaus kapituliert vor dem Internet.
Und auf der Agenda-Seite 23 gibt es einen ganzseitigen Titel, der wie folgt überschrieben ist:
Wissen war Macht. Der gedruckte Brochhaus ist tot. Das traditionsreiche Nachschlagewerk soll künftig nur noch im Internet existieren. [...] [2]

Da die oben zitierte Formulierung "Brockhaus wird seine Wissensangebote auch künftig für alle Trägermedien – vom Buch bis hin zu mobilen Anwendungen aller Art – anbieten und wird auch weiter die klassischen Buchkunden bedienen. " DEN Brockhaus nicht ausdrücklich namentlich mit einbezog, wurde dieses jetzt nachgeholt. [3]

Bleibt jetzt nur noch zu klären, auf wen die Oberkommunkationsexperten in Mannheim denn da nun reagiert haben: Auf die hier genannten Zeitungsjournalisten - zum Beispiel - oder auf denjenigen Wikipedia-Autor(in), der (oder die) von diesen mit dem Eintrag zum Stichwort Brockhaus Enzyklopädie zitiert wird: "Einstellung der gedruckten Ausgabe und Umstellung auf Onlinelexikon."

Interessant ist nun, dass zum Zeitpunkt, wo dieser Text online geht, dieser hier in der FTD zitierte Texte schon unter dem so oben genannten Stichwort nicht mehr zu finden ist.

Stattdessen heisst es dazu am Abend des 20. Februar 2008:
Ab April 2008 startet ein werbefinanziertes Onlineportal, mit dem der Verlag seinen Geschäftsschwerpunkt ins Internet verlegt. Eine weitere Druckausgabe ist nicht mehr geplant, wird aber auch nicht ausgeschlossen.

Auch werden Links angeboten auf aktuelle Publikationen und Sendungen zu diesem Thema.

 „Brockhaus baut Stellen ab und sein Internet-Angebot aus“ (Welt online, 11. Februar 2008)
 „Brockhaus: ‚Wir werden der Wissensnavigator im Netz sein‘“ (Welt online, 12. Februar 2008)

↑ Interview mit Klaus Holoch (Deutschlandfunk, 12. Februar 2008)

 Viele Wikis sind des Brockhaus Tod - wirklich? Oder: Wie geht es mit der Lexikografie weiter? Von verpassten und neuen Chancen: Aus der Geschichte der mulitmedialen Lexikon-Welt.
Von Rüdiger Dingemann, seines Zeichen in den Jahren 1994 bis 2000 der Chefredakteur der Microsoft Enzyklopädie Encarta. In Buch-pr.de

 Der stille Tod des Brockhaus, von Thomas Knüwer in der Online-Ausgabe des Handeslblatts vom 12. Februar 2008

Aber gerade bei dem Link auf die Sendung von swr wird deutlich, worin sich Wiki und Broc nach wie vor fundamental unterschieden, denn keiner weiss
 wie lange diese Link auf die Sendung überhaupt Bestand haben wird
 wo und wie man dann an die Quelle kommt.

Daher hier zum Test die Sendung als Link und, zur Ergänzung, einige Zeilen aus dem Quellcode vom Fri, 15 Feb 2008 22:00:00 +0100 :
Brockhaus gegen Wikipedia - wer macht das Rennen?
Der.Abend@swr1.de (SWR)
Das gute alte Brockhaus Lexikon ist seit mehr als 200 Jahren wie kein anderes Nachschlagewerk Teil der deutschen Kultur. Jetzt geht es online und eine neue gedruckte Auflage wird es voraussichtlich nicht geben. Es ist der Abschied vom Wälzer, der Abschied vom teuren Wissen für Wenige, aber auch der Abschied vom Blättern und Sich-Festlesen. Die Reaktionen darauf sind durchaus unterschiedlich. Die einen bejammern das Ende des Schmökers, die anderen finden es gut, dass das Angebot im Internet sich erweitert - und künftig mehr Menschen Zugriff auf ein großes Nachschlagewerk haben werden. Wikipedia, das bisher wichtigste Lexikon im Netz bekommt damit Konkurrenz. Eine Generation von Schülern ist damit aufgewachsen und mit der Gewohnheit, fast alles im Netz nachzuschlagen. Im Gespräch bei SWR1 Der Abend: zwei Vertreter der beiden künftig direkten Konkurrenten im Netz, Klaus Holoch vom Brockhaus Verlag und Kurt Janson von Wikipedia. [...]

http://mp3.swr.de/swr1/mantel/der_a...

 Von der Schrankwand ins Netz. Brockhaus geht online.
Die Moderatorin Doris Schäfer-Noske im Gespräch mit Verlagssprecher Klaus Holoch:

http://ondemand-mp3.dradio.de/file/...

Anmerkungen

[1Hier einige weitere Zitate aus den tagesaktuellen Reaktionen in den überregionalen Tageszeitungen:
Jens Jessen in der ZEIT unter: "Wenn Bücher Trauer tragen":
Das Hantieren mit den dicken Bänden war nicht komfortabel, der Preis abschreckend, wissenschaftliche Einträge oft überholt, gewiss - aber es wird gerne übersehen, dass die unbedingte Angewiesenheit auf einen Computer mit Netzzugang auch nicht zu den größten Erleichterungen der Neuzeit gehört.
In der FAZ schreiben Michael Roth und Marcus Theurer unter "Der letzte Brockhaus":
Die große Brockhaus-Enzyklopädie ist in Deutschland eine Ikone des Bildungsbürgertums. Doch in Zeiten von Internetsuchmaschinen und der kostenlosen Online-Wissenssammlung Wikipedia ist der
schwergewichtige große Brockhaus ein zum Aussterben verurteilter Dinosaurier.

Arno Frank in der taz unter: "Abschied vom Bildungsbürgermöbel":
"Relevante und geprüfte Informationen aus allen Wissensgebieten"
möchte der Verlag freilich weiter liefern. Das wird
schiefgehen. Mangels Haptik. Denn war es nicht sein enormer Protzfaktor, der dem Brockhaus seinen Stammplatz im Bücherregal bürgerlicher Haushalte sicherte? Der Brockhaus, das war das Wissen der Welt, meterlang und kiloschwer, enzyklopädisch geordnet, in Leder gebunden und mit goldenen Lettern versehen - und notorisch veraltet.

Bernd Graff schreibt in der SZ unter "Ziegelsteine unter Strom":
Wissensarchäologischen Forschungen sind angesichts der flottierenden, mutmaßlich selbstreinigenden Kräften ausgesetzten Bestände einer fortlaufend aktualisierten Internet-Enzyklopädie perdu, womit diese als historisches Wissens-Reservoir ausfällt. Der Wechselmantel dieser Gegenwart wirft keine Zeitfalte mehr, in die man sich legen könnte.
Mathias Heine in Die Welt unter dem Titel: "Brockhaus und der Fluch der Flüchtigkeit":
Den Brockhaus wird es künftig nur noch digital und online geben. Andere Nachschlagewerke werden folgen. Für künftige Historikergenerationen könnte das Folgen haben, die man schlimmstenfalls einmal mit dem weitgehenden Verschwinden schriftlicher Aufzeichnungen zwischen der Spätantike und dem Hochmittelalter vergleichen wird. Denn Wörterbücher und Lexika der jeweiligen Epoche sind die naheliegendsten und häufig auch zuverlässigsten Quellen der Geschichtswissenschaft.

[2Und auf der FTD.DE-Internet-Seite heisst der Artikel von Lutz Knappmann und Jennifer Lachman, Mitarbeit: Christian Baulig: Brockhaus-Wissen war Macht
http://www.ftd.de/technik/medien_in...

[3Und dieses offensichtlich so nachdrücklich, dass selbst in der Kulturrubrik vom inforadio des rbb am Donnerstagfrüh kurz vor 8 Uhr nach drei Filmkritiken dieses Richtigstellung noch als Meldung untergebracht wurde - werden musste?


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