MT 2011: Recovery

VON Dr. Wolf SiegertZUM Donnerstag Letzte Bearbeitung: 16. Januar 2015 um 16 Uhr 00 Minuten

 

Der erste Bericht von der Eröffnungsveranstaltung der Medientage 2011 in München wurde unter dem Titel: MT 2011: Desaster veröffentlicht.

Der Titel dieses Berichtes vom zweiten Tag lautet MT 2011: Recovery.

Nachdem die sogenannte "Elefantenrunde" in einem sich gegenseitig überbietenden Singen von Klageliedern beschränkte, zeigt der zweite Tag, dass die neuen Entwicklungen nicht nur Gefahren, sondern auch neue Chancen in sich bergen.

Davon soll hier und am Folgetag in Ausschnitten und Schlaglichtern von diesen neuen Möglichkeiten berichtet werden. Und dabei ganz bewusst in einer eher kommentierenden Haltung.

Der Grund dafür sind vor allem die Reaktionen auf die wenigen Kommentarzeilen vom vergangenen ersten Tag, die die meisten und lebhaftesten Reaktionen ausgelöst haben.

Das Internet - ein rechtsfreier Raum

Wir wiederholen also nicht das, was die dpa und viele andere Quellen über diese Veranstaltung im allgemeinen und den Vortrag von Frederick Huntsberry, Chief Operating Officer Paramount Pictures, berichtet haben.

Auch beklagen wir nicht die Abwesenheit der bis zum Zeitpunkt der Veranstaltung - ja selbst noch am Abend danach - angekündigten Podiumsgäste, insbesondere von:
— Dr. Stefan Tweraser, Country Director Germany, Google
und
— Martin Schallbruch [1], IT-Direktor, Bundesministerium des Inneren
Allein der ehrenwerte Kollege, laut Programmheft "Leiter der Wirtschaftsredaktion der Süddeutsche Zeitung" [2], Hans-Jürgen Jakobs [3], hatte wahrlich seine Mühe, noch etwas wirklich Bemerkenswertes den verbliebenen Podiumsgästen entlocken zu können.

So konkret dieses Thema alle und jeden von uns jeden Tag beschäftigt, so wenig konkret waren die Analysen und Handlungsempfehlungen, die von den anwesenden Gästen hätten angeboten werden können.

So legitim es ist, auf die spezifischen Belange der Filmindustrie einmal mehr aufmerksam zu machen, diese Veranstaltung hatte weder einen bedeutenden Mehrwert noch einen interessanten Neuigkeitswert anzubieten.

Das ist umso beklagenswerter, da allüberall DAS INTERNET als die grosse Bedrohung der traditionellen Medien- und Broadcast-Welt beschrieben wird, die Veranstalter es aber offensichtlich nicht vermocht hatten, sich um eine aktive und produktive Auseinandersetzung mit diesem Thema und seinen dafür repräsentativen VertreterInnen zu bemühen. [4] Es gehört schon ein gerüttelt Mass an - ja was eigentlich? - dazu, ein in unserem alltäglichen Leben so wichtiges Thema auf diesem Wege aufs Abstellgleis zu schieben.

Klassiker reloaded

Umso erfreulicher, was danach auf der nachfolgenden - bislang Printgipfel genannten - Veranstaltung zu hören war.

Bei der Erörterung der "Ansprüche und Aufgaben in digitalen Welten" machten sich auf Einladung des Bundesverbandes deutscher Zeitungsverleger (BDZV) und des Verbands Bayerischer Zeitungsverleger (VBZV) die folgenden Herren öffentlich Gedanken.
— Ulrich Reitz [5], Chefredakteur Westdeutsche Allgemeine Zeitung, Essen
— Philipp Welte, Vorstand Verlage, Vermarktung, Vertrieb, Hubert Burda Media, München
— Helmut Heinen, Präsident des BDZV, Herausgeber Kölnische Rundschau, Berlin
— Dr. Peter Hogenkamp, Leiter digitale Medien NZZ Gruppe, Zürich
— Stefan Plöchinger, Chefredakteur sueddeutsche.de, München
— Michael Ebert, Chefredakteur NEON und NIDO, München

Auch über diese Runde kann an anderer Stelle von offiziell autorisierter Seite über das Gesagte ausführlich nachgelesen werden.

Hier sei vielmehr mit Lob und Tadel auf die Beiträge reagiert, wobei das grösste Lob dem Moderator gilt.

Um es ganz klar und ungeschminkt zu sagen: So wie Frank Thomsen, Chefredakteur von stern.de, auf diesem Podium einmal mehr zu erleben war, wäre er der ideale Kandidat für die Moderation der Elefantenrunde gewesen - oder könnte es für das Jahr 2012 und folgende sein.

Thomsen ist nicht nur gut vorbereitet, er war sensibel genug, um sich nicht allein auf sein Wissen zu verlassen, sondern aus dem Zugehörten neue Fragen abzuleiten. Er hatte ein eigenes Konzept, das seine Fragen wie eine Perlenkette aufscheinen liess. Und doch war er immer bereit, auf die Aussagen seiner Gesprächspartner einzugehen, ohne sich von ihnen einwickeln zu lassen. Nicht von ihrem Charme und auch nicht von ihrer Kritik.

Erstaunlich auch, dass Dr. Marcel Huber, Staatsminister für Medien und Leiter der Bayerischen Staatskanzlei, sich plötzlich aufmachte und sein Grusswort fast zu einem Grundsatzreferat auszudehnen begann.

Es ist voll des Lobes: ob der neuen Überschrift - "Aha, jetzt haben sie reagiert“. Das sei ein Zeichen, dass sich die Zeiten verändert haben. Und er findet auch den Titel: „Klassiker reloaded“, einfach "klasse".

Er macht auf seine eigenen Nutzungsgewohnheiten aufmerksam: „Ich will auf diese Dinge wie ein Buch oder eine Zeitung gar nicht verzichten.“ Allein das Olfaktorische, das Riechen eines alten Buches habe schon einen Wert an sich.

Und er macht sich all die Gemeinplätze zu eigen, die nun wahrlich keinen Neuigkeitswert mehr haben, in dem er von den Mühen der Literaturrechte und der Bibliotheksarbeit spricht und davon, dass diesen Anstrengungen nunmehr das Desaster einer zunehmenden Überflutung von all den Informationen gegenüberstünde.

All das von ihm Gesagte ist heute schon fast "classic stuff": Das Bedürfnis der Menschen nach Informationen, die sich einordnen lassen können, die tief und glaubwürdig seien, würde bleiben - ja die unübersehbare Informationsfülle steigere dieses Bedürfnis noch.

Er macht sich den Satz von Norbert Lammert vom Zeitungskongress in Essen aus dem Jahr 2010 zu eigen, auf dem er von der Systemrelevanz der Zeitungen in einer digitalen Welt gesprochen habe. [6]

Andreas Scherer spricht in seinen Eröffnungsworten den Minister sodann auch direkt auf dessen Ausführungen an und sagt: „Sie sind so tief in den Themen drin. Sie sind Medienminister aus Leidenschaft.“

Gewiss: Dr. Huber hatte sich in seinen weiteren Ausführungen vom Medienführerschein in Bayern bis zum Thema des Urheberrechtsschutzes geäussert und versucht, so vieles von dem wett zu machen, was er sich als Vorschussbonus zur Eröffnung der Medientage verspielt hatte.

Allein, letztendlich wird deutlich, dass auch sein hier zum Vortrag gebrachter Gestaltungswille an den Grenzen der Ökonomie und der Globalisierung zu zerbersten droht. Denn seiner Meinung nach sei es müssig, über die anstehenden Veränderungen noch länger zu philosophieren. "Die Dinge sind so, wie sie sind“, so Huber: Wenn heute ein Produkt einer Firma auf der Welt seinen Platz eingenommen habe – "ich will hier keinen Namen nennen"– dann sei es dann eben so auf dieser Welt...

Als nach all diesen Vorreden endlich die zu moderierende Runde verkabelt ist und die Teilnehmer auf ihren Sitzen Platz genommen haben, wird vom Moderator verkündet: "die Zeit ist fortgeschritten. Das Ziel ist die ’Vermessung der Landschaft’“.

 Helmut Heinen vom BDZV bringt sogleich auf den Punkt, was ihn an dieser Umbruchsituation motiviere weiterzumachen:

— im Gegensatz zu den Zeitschriften werde es in der Zeitungslandschaft kaum Neugründungen geben

— die Zeitung werde nur dann in Zukunft überleben, wenn sie auch im digitalen Kontext das anzubieten vermag, wodurch sie sich in der Print-Welt ausgezeichnet habe: eine "Wundertüte" zu sein.

Und ausgerechnet Stefan Plöchinger, einst CVD bei Spiegel online und heute für die Online-Seite der Süddeutschen zuständig, legt noch einiges oben drauf, als er sagt:

— Schon jetzt würde seine Abteilung mit ihren Online-Diensten schwarze Zahlen schreiben. Und das auch unter der Annahme, dass es kaum möglich sein werde, über diese Seiten einen substanziellen Pay-Beitrag einspielen zu können.

— Auch würde er sich um qualifizierten jungen Nachwuchs keine Sorgen machen: nach seinem Besuch in der Journalistenschule in München sei seine Beobachtung: "Wir haben ein sehr spannendes Berufsfeld. Die Lust auf diesen Beruf wächst noch. Da es immer mehr Kanäle gibt sich auszudrücken." Und: "Wir haben uns zu sehr daran gewöhnt, mehr die Risiken zu sehen, aber wir haben auch die Möglichkeit, mehr die Chancen wahrzunehmen."

 Philipp Welte ist ebenfalls dabei, aus seiner Warte gut Wetter zu machen:

Sein Haus habe die Chance, immer wieder neue Zeitschriftentitel auf den Markt zu bringen und damit auch immer wieder Erfolg zu haben. „Die Menschen“ so Welte, „lieben Zeitschriften!“ Es gäbe kaum eine Branche, die ihr Geschäft so schlecht reden würde, wie die seine. Heute, wo alle Informationen nur einen Klick entfernt seien, gingen die Menschen dennoch an den Kiosk und kaufen.

Und das sei auch gut so, denn der Wunsch, den Online-Leser für den „content zu chargen“ sei heute über weite Strecken eine Illusion. Heute, so Welte, sei „die Zahnpasta nicht mehr in die Tube zu bekommen". Innovation sei daher eine der wichtigsten strategischen Aufgaben. Dass dem so sei, habe er zuvor mit BILD.de bei Springer bewiesen.

Anstatt das Lied des Jammers zu singen, bringt er die noch bevorstehende Herausforderung wie folgt auf den Punkt: Wir würden uns in dieser Branche wie die Gallier in ihrem Gallischen Dorf verhalten. Nur dass – anders als im Comic – draussen vor den Toren keine dummen Römer stünden, sondern "King Kong und Mozilla". [7]

 Michael Ebert lässt uns ein wenig durch das Schlüsselloch seiner Herausgebertür schauen. Er spricht deutlich von dem Risiko, aber auch den Chancen, die er habe wahrnehmen können. Und diese Chance sei es gewesen, eben die Lebensbereiche der jungen Leute anzusprechen, von denen so gerne behauptet wird, sie seien als Zeitschriftenleser längst für den Markt verloren.

Der Auftrag von der Hamburger Verlagsmutter: „Macht irgendwas, was sich am Kiosk verkauft.“ Man habe ein halbes Jahr Entwicklungszeit gehabt und nur zweimal Besuch aus Hamburg erhalten. In dieser Zeit sei die Entscheidung gereift, nicht nur ein Print-Produkt zu entwickeln, sondern eine Marke. Und ein Forum, das den Lesern die Chance eröffnen würde, sich zu engagieren. Und damit nicht nur Online, sondern auch "mit tollen Texten" im Heft selber zu Wort zu kommen.

Heute würden nach mehr als 100 Ausgaben von jener Zielgruppe, die angeblich nicht mehr zu erreichen sei, regelmässig mehr als eine Million junger Menschen angesprochen: dass solle den Journalisten doch Mut machen.

„Die Möglichkeiten, die sich uns bieten, sind ein Grund zu jubeln.“

 Ulrich Reitz von der WAZ hat es aus seiner Position heraus derzeit schwer, so offen argumentieren zu können. Bei ihm steht neben all den journalistischen und editorischen Herausforderungen das Angebot im Vordergrund, dass der Mehrheitsanteil "seiner" Zeitung an Springer verkauft werden könnte.

Er berichtet von den Reaktionen, die ein solches Angebot bei der Leserschaft ausgelöst habe: Nein, man wolle nicht, dass diese, ihre Zeitung in die Hände eines Verlages gingen, die auch eine Zeitung wie die BILD-Zeitung verlegen würde. Und viele hätten schon vorsorglich mit Kündigung gedroht, falls es doch zum Deal kommen würde.

Er schätze Matthias Döpfner, sei mit ihm seit langem per Du, aber darum gehe es hier nicht... Kurzum: Er glaube es nicht, dass es letztendlich zu einem solchen Verkauf kommen werde.

Sobald ihn der Moderator aus dieser schwierigen Situation eines Eklärungsnotstandes entlassen hat, kann sich Ulrich Reitz seinen hauseigenen Themen widmen: Man sei derzeit dabei, einen Relaunch über nicht weniger als vier Titel vorzubereiten. Sie alle sollen - in Begleitung durch Lukas Kircher [8] – neu gestaltet werden, ohne dass sie dadurch Gefahr laufen würden, alle gleich auszusehen.

Und auch er spricht über neue Projekte, wohlwissend, dass in einem so alten Geschäft wie dem seinen der Innovationsanteil zwar ebenso hoch sei wie bei dem von ihm geschätzten Herrn Welte, aber dass man in seinem Hause mit den Zeitungen nicht so schnell sein könne wie jener.

Da wäre das Modell der in der Schweiz so erfolgreichen Pendlerzeitung zu nennen, das durchaus Chancen habe, auch in Deutschland erfolgreich zu sein, wenn auch unter anderen Voraussetzungen.

Und da wäre das Modell des Internetauftritts von „Der Westen“ mit mehr als 10 Millionen Visits. Dennoch würde auch hier weitergearbeitet und an eine Runderneuerung gedacht werden, bei dem vor allem die Themen Fussball und Städte in den Mittelpunkt gestellt werden sollen.

Zwei Aussagen liessen hier besonders aufhorchen:
— Erstens: es würde wesentlich länger dauern, ein Online-Produkt zu ändern als ein Print-Produkt. Mit dem Letzteren sei man „in ein paar Wochen“ durch, da es einfacher sei, eine Zeitungsseite neu zu gestalten als die EDV neu zu konfigurieren.
— Zweitens sei es notwendig, eine einheitliche Markenstrategie zu fahren: Im Klartext: „Der Westen“ sei trotz aller Anstrengungen als Eingangstor zu den Verlagsangeboten nicht wirklich erfolgreich gewesen. 2012 werde die Seite daher unter der URL www.waz.de "relaunched" werden. Aber die Entwicklung und Gestaltung von www.DerWesten.de sei eine notwendige Voraussetzung gewesen: „Was wir im ‚Westen’ gelernt haben, können wir jetzt nutzen.

 Dr. Peter Hogenkamp fällt völlig aus dem Rahmen – und macht eben dadurch dem geneigten Publikum klar, wie weit die aktuelle Verlags-Szene noch von der Online-Szene entfernt ist.

Er spricht von seinem Online-Engagement wie von einem „internen Startup“, in dem gerade mal drei Mitarbeiter ihre Zeit nicht fortwährend damit verbringen sollen, in irgendwelchen Sitzungen zu sitzen: So wie er es gerne auch für sich selbst gewünscht und nicht erreicht habe. [9]

Das ständige Mit-Sich-Selbst-Beschäftigt-Sein der Branche und in der Branche würde zur Folge haben, dass man gar nicht mehr dazu komme „wirklich nachzudenken“.

Nach all dem, was er als der Leiter Digitale Medien bisher von dieser Veranstaltung mitbekommen habe, sei es in den meisten Fällen vor allem darum gegangen, Hilfestellungen zur Erfüllung des Wunsches zu geben, der da lautet „Wir helfen Euch, dass alles noch so bleibt, wie es ist“

Dabei sei es dringend an der Zeit, nicht nur über diese neuen Dinge zu sprechen, sondern endlich mehr zu tun, als nur das Motto einer Tagung vor sich herzutragen. Es gälte vielmehr, heute schon Ersatzangebote zu schaffen für das, was einst eine Tageszeitung gewesen sein mag. Denn die Zeit gewinnbringender Monopolrenten – regional oder von der Zielgruppe her - die man einst in der Branche habe abschöpfen können, die sei vorbei.

Hogenkamp: „Jetzt bin ich 14 Monate dabei. Aber was wir machen, das ist alles Technologie. Das Mediennutzungsverhalten wird sich ändern. Und die Auflagen werden sinken. Wir brauchen eine neue Form von Zeitung, die ständig in Bewegung ist. Das muss eine Art Livepaper sein. Und das nicht nur auf einem iPad, denn die Leute verrennen sich teilweise, was die Bedeutung des iPAD betrifft, sondern das muss auf allen Kanälen präsentiert werden. Wir müssen 18 Stunden pro Tag die News in Zeitungsqualität ausliefern. Auch Online.“

Dabei sei klar, dass es nach wie vor verschiedene Typen von Nutzern geben werde: Jene, die nach einer fortwährenden Belieferung durch „push alerts“ fragen und jene, denen eine Art gelegentlicher Lagebericht – auch aus einer grösseren zeitlichen Distanz heraus – lieber sei. Und es werde nach wie vor jene geben, die lieber eine Zeitung lesen - bis sie sterben.

Summa Summarum: Dass aus dieser Gesprächsrunde vielleicht eher die ermutigenden Punkte herausgestellt wurden, mag auch der Meinung des Autors geschuldet sein.

Ein besonderes Phänomen soll hier noch festgehalten werden: durch die enge zeitliche Disposition des zuletzt zitierten Gesprächspartners hat sich der Moderator bemüht, ihm in einem längeren Dialog die Möglichkeit einzuräumen, sich ausführlicher zu dem von ihm zur Sprache gebrachten Themenzusammenhang zu äussern. Und dieses den Umständen geschuldete Vorgehen hatte eine durchaus gute Wirkung. Denn gerade die hier am radikalsten von allen vertretenen Positionen zur Zukunft dessen, was später einmal Zeitung genannt werden würde, konnte so in besonderer Weise entfaltet, begründet und damit sogleich ihres zunächst spektakulär wirkenden Gehabes entkleidet werden.

Lokal – Sozial – Mobil

Dass der eh’ schon zu lange Text an dieser Stelle immer noch weitergeführt wird, ist der Tatsache zu verdanken, dass sich in einer an den sogenannten „Gipfel“ anschliessenden Veranstaltung eine Reihe von Herren – wieder einmal nur Herren – zusammengefunden hatten, um über die „Mühen der Ebenen“ im Zeitungsgeschäft zu reden: Und an praktischen Beispielen vorzustellen, dass es wirklich gelingen kann, die „Zeitung von morgen“ schon heute ein Stück weit Wirklichkeit werden zu lassen.

Wenn es noch einer Empfehlung für eine Veranstaltung bedurft hätte, dann hätte diese auf jeden Fall einen Push auf den „I like it“-Button verdient.

Denn hier machten Leute wie der Chefredakteur der Rheinzeitung in Koblenz klar, wie nachhaltig sich das Wechselverhältnis zwischen den Zeitungsmachern und den Leserinnen und Lesern verändert hat, welche Dynamik diese Beziehung gewonnen hat, ja, wie not-wendig es war, dass es überhaupt zunächst einmal zu dieser Art von Beziehungen gekommen ist.

In diesem Zusammenhang geben selbst die zur Begründung angeführten Zahlen einen wichtigen und dennoch nicht ausreichenden Einblick darin, wie deutlich und nachhaltig sich das Geschäft in diesem sogenannten sublokalen Raum verändert hat: 12.000 Apps nur für die Region von Montabaur.

Christian Lindner: „Wir sind uns mit einem Mal bewusst geworden, dass wir einen Schatz haben, den sonst keiner hat und den sonst keiner heben kann. Für so ein Internet-Portal wie wir es jetzt machen, bräuchte ich nicht einmal die dpa mehr…“

Und Martin Wunnike, Verlagsleiter des Mittelbayerischen Verlags aus Regensburg pflichtet ihm bei: „Wir machen jetzt Zeitung von unten nach oben. Nur so sieht die Redaktion, was für Themen für die Leute von Interesse sind. Selbst wenn es um Themen geht, die wir nicht selber gesetzt haben, wie zum Beispiel ganz aktuell die vorgeschlagene Helmpflicht für Radfahrer. Allein zu diesem Thema haben wir aus der Stadt und der Region mehr als dreitausend Rückmeldungen bekommen. Wir hatten sogar zeitweise überlegt, ob wir daraus noch eine eigene Beilage machen sollten, in der wir die Leute nochmals in einer gedruckten Variante zu Wort kommen lassen würden.“

Und er schliesst seine Ausführungen ab mit dem Satz: „Schneller und schöner geht es nicht. Die deutschen Zeitungen haben 13% der Reichweite gewonnen. Sie sind damit total erfolgreich.“

Christian Hoffmeister von Bulletproof Media aus Hamburg hängt das Leit-Thema „Zeitungen und Social Media“ noch höher auf und beantwortet die Frage nach dem „involvement“ in die „social-media-scene“ so: Social Media, das sei ein Synonym für Change Management, bei dem es noch viel Luft nach oben gäbe.

Christian Lindner macht es dann konkret: die Bewältigung des social-media-Phänomens in den Redaktionen und Verlagen sei ein Gradmesser für die Qualität in diesen Häusern. Überleben würden nur jene, die inzwischen gelernt haben zuzuhören. Man müsse an die „digitale Theke“, auch wenn sich damit noch nicht das Produkt geändert habe. Dieses würde erst geschehen, wenn man auch das Personal verändern würde und seine Gewohnheiten: „Der Lokalredakteur ist heute nicht mehr in seinem Büro anzutreffen, sondern auch im Starbucks“.

Heute würden in seinem Haus auch Leute eingestellt, „die vor 5 Jahren noch nie einen Artikel geschrieben haben“ und die heute als Spezialisten in die Redaktionen integriert worden seien. Es gäbe bei ihnen social-media-Redakteure, die dem Volk wahrlich aufs Maul zu schauen verstünden. Und die aus dieser Kenntnis heraus eine klare Ansage machen würden, welche Themen auf der Agenda zu stehen hätten und welche nicht.

Wenn also alle Beteiligten im Rahmen einer Gesprächsrunde wie dieser nicht nur über die Chancen von Veränderungen nachdenken, sondern auch darüber, was das für ihre Arbeit und ihr Selbstverständnis in Zukunft zu bedeuten habe, so ist das mehr als legitim und alles andere als Jammerei.

Da wird die Bedeutung der US-amerikanischen Beispiele wie www.patch.com diskutiert und in Frage gestellt, ob dieses mit viel Wagemut von AOL gestartete Projekt letztendlich nicht doch wegen seiner Börsennotierung werde scheitern müssen.

Da wird gefragt, ob und inwieweit dieses aktive sublokale Publizieren zu einer Strategie ausgebaut werden könne.

Da wird darauf aufmerksam gemacht, wie wichtig nach wie vor ein Gemeindeblatt auch heute noch sein könne.

Es wird gefragt, ob es wirklich notwendig und richtig sei, den sogenannten Bürgerjournalismus überhaupt noch „veredeln“ zu müssen, bevor Beiträge dieser Art ins Blatt genommen werden.

Und die Frage kulminiert in dem Satz: „Welchen journalistischen Anspruch haben wir noch in der Berichterstattung vor Ort?“

Damit geht es an den Kern des Berufsstandes: Es wird die Frage gestellt, ob man mit dieser Arbeit als Aggregator von Meinungen und Beiträgen die eigentliche Aufgabe einer lokaljournalistischen Arbeit nicht dabei sei aufzugeben.

Da scheint es dann geradezu tröstlich zu sein zu erfahren, dass von allen Seiten übereinstimmend berichtet wird, dass auch heute noch das Gedruckte als Beleg geliebt und auch als Ausweis dafür verlangt wird, an etwas beteiligt gewesen zu sein.

Selbst wenn das Twittern nicht zu mehr geführt habe, als das eigene Halbwissen zu verdreifachen: Sobald die Tweets gedruckt werden, rufen die Leute an und fragen nach der Zeitung, in der sie stehen.

PS.

Natürlich müssen bei einer solchen Bestandsaufnahme viele Fragen offen bleiben, aber es ist von grossem Nutzen, sie an einem Ort und aus einem Anlass wie diesen überhaupt stellen zu können:

  Wie können Streams einerseits und eine abgeschlossene Publikation auf der anderen Seite miteinander korrespondieren?
  Wie kann es gelingen, trotz dieser grossen Vielfalt der Formen und Möglichkeiten den Markenkern des „Blattes“ aufrecht zu erhalten?
  Wie fortschrittlich kann man eigentlich sein, solange die IVW-Vorgaben immer noch nur das der Auflagenhöhe der Papier- und allenfalls noch der ePaper-Version abfragen?
  Was könne man tun, wenn die Anforderungen der Werbung die Nutzung so vieler neuer Möglichkeiten eher ausbremsen als befördern?
  Kann man es sich noch leisten, Themen nicht ernst zu nehmen, ja links liegen zu lassen, die die Menschen einer bestimmten Zielgruppe interessieren?
  Warum haben solche alternative Publikationen wie ein Occupy Wall Street Jjournal einen so grossen Erfolg. Und wird der anhalten?
  Was kann, darf oder muss in diesem Zusammenhang als kostenloses Produkt vertrieben werden?
  Was passiert, wenn man selber aus der Redaktion heraus beginnt, die Leute online vor sich herzutreiben?
  Ist es nicht ein Fehler, die Journalisten nur noch hinter den PC zu zwängen und von ihm eine perfekte Blattgestaltung zu verlangen?
  Würde es nicht Sinn machen, wieder stärker die Profile von Producern einerseits und Journalisten andereseits herauszuarbeiten, um so dem Journalisten als Berichterstatter wieder neue Möglichkeiten und Freiheiten einzuräumen?
  Was ist, wenn von den letzten 10 Neueinstellungen nur noch vier davon im klassischen Sinne „Journalisten“ waren?
  Wie verhält es sich mit den Rechten bei den auf Facebook eingestellten Texten? [10]
  Wie wird sich das Leseverhalten ändern, wenn die Menschen immer mehr von einem Interessensschwerpunkt zum nächsten springen, wenn sie immer mehr zu Hypertextreadern werden, denen dadurch die Kapazität der kontinuierlichen Lektüre mehr und mehr abgeht?
  Wie werden jene Zeitungsexemplare angenommen werden, die ab nächstem Jahr auch in der bundesdeutschen Presselandschaft so funktionieren werden, wie sie bislang nur in den Harry Potter Romanen als multimediale Multiple beschrieben worden waren?
  Warum wird so viel Video in den elektronischen Zeitungsausgaben gemacht, ohne dass dadurch wirklich Mehrwerte geschaffen noch finanzierbar gemacht werden würden?

Fragen von existenzieller Bedeutung, die im Rahmen dieser Veranstaltung zumindest zur Sprache gebracht werden konnten: Und die in die Zukunft weisen!

Anmerkungen

[1Eine der ganz wenigen Personen, über die auch im gut sortierten Online-Verzeichnis der Referenten kein Eintrag vorzufinden ist.

[2In den eigenen Unterlagen befindet sich noch eine Pressemeldung des Hauses vom 11.12.2006, die da lautet:
Hans-Jürgen Jakobs wird Chefredakteur von sueddeutsche.de
Das Internet-Portal der Süddeutschen Zeitung bekommt einen neuen Chefredakteur: Hans-Jürgen Jakobs, 50, übernimmt diese Aufgabe mit sofortiger Wirkung. Der Diplom-Volkswirt kommt aus der Redaktion der Süddeutschen Zeitung, wo er seit 2001 das Medien-Ressort geleitet hat. Zuvor war Jakobs Redakteur beim Nachrichtenmagazin Spiegel und Leiter der Wirtschaftsredaktion der Münchner Abendzeitung. Noch im Dezember wird die Website optisch erneuert, um den Inhalt noch übersichtlicher zu präsentieren. Im Laufe des kommenden Jahres wird das Angebot von sueddeutsche.de an vielen Stellen erweitert. Für diesen Zweck wird die Online-Redaktion in den nächsten Wochen personell deutlich verstärkt.

Auch in den Kress-Köpfen ist noch die Rede vom "Chefredakteur Sueddeutsche.de",
Der Versuch, auf der Online-Seite des Süddeutschen Verlages fündig zu werden, ist gar nicht so einfach umzusetzen. In dem Eintrag über die Süddeutsche Zeitung findet sich ein Verweis-Link auf das Ressort Wirtschaft, der mit der Auskunft daherkommt: Liebe Leserin, lieber Leser,
die von Ihnen gewählte URL/Adresse ist derzeit nicht verfügbar.

— Im Textteil, der die "hunderte fest angestellte Redakteure" aufzählt, ist kein Link gesetzt.
— Wird der Name "Hans-Jürgen Jakobs" auf dem "Suche"-Textfeld eingetragen, erscheinen zwölf Fundstellen: Aus den Jahren 2003 bis 2007. C’est tout.
— Auch auf der Sitemap findet sich kein Eintrag, in dem auf Personen zugegriffen werden könnte, die nicht zum Management gehören.
Also greifen wir zurück auf das "klassische" Impressum und finden dort für das Ressort Wirtschaft den Eintrag: Dr. M. Beise, H.-J. Jakobs sowie danach den Zusatz:
Die für das jeweilige Ressort an erster Stelle Genannten sind verantwortliche Redakteure im Sinne des Gesetzes über die Presse vom 3. Oktober 1949.

[3da er im elektronischen Verzeichnis aller "Referenten und Diskussionsteilnehmer" überhaupt nicht aufgeführt ist, hier der Link, so wie er über den Kress-Mediendienst zu finden ist.

[4Ganz abgesehen davon, dass es in diesem Veranstaltungssaal weder eine Stromversorgung für mobile Geräte noch einen kostenfreien Internetzugang gibt - nicht einmal für die Zeit des Verlaufs dieser Session. Umso mehr an dieser Stelle einen Dank an die Techniker, die es zumindest gestattet haben, sich ein wenig Strom in der Umgebung ihrer Beschallungsregie abzugreifen. Ein Entgegenkommen, dass alles andere als selbstverständlich ist.

[5Über ihn liegen keine weiteren Daten auf der Seite des Veranstalters vor, wohl aber bei der WAZ, wo er prominent gleich auf der Homepage mit einem Foto vertreten ist.
In einer Meldung des Mediendienstes kress vom 12. September 2011 heisst es, Ulrich Reitz sei zum 15.9. als "Wirtschaftschef" an den Sender n-tv berufen worden, während er auch bei den Kressköpfen nach wie vor als WAZ-Chefredakteur firmiert.

[6"Zeitungen sind systemrelevant für die Demokratie."

[7Wobei hier wohl ein Versprecher der besonderen Art vorliegt, da er wahrscheinlich nicht den Webbrowser Mozilla, sondern das japanische Ungeheuer Godzilla gemeint hat. WS.

[8Siehe dazu den Link auf die Medienagentur KircherBurkhardt.

[9Ja, er laufe sogar heute noch immer wieder Gefahr, diese Leute ebenfalls in diesen Teufelskreis mit einbeziehen zu wollen.

[10Siehe dazu auch: Timeline? Secum esse!.


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