NAB 05
Digital Cinema Summit (D,E)

VON Dr. Wolf SiegertZUM Montag Letzte Bearbeitung: 30. Mai 2005 um 12 Uhr 47 Minuten

 

Too much ado about digital? - Digitalisierung als Überlebensstrategie.

"Never change a running system" Diese Binsenweisheit jeglicher binären Datenverarbeitung wird derzeit von der Filmindustrie in ihre Schranken verwiesen. Während sich die Computerindustrie schneller als erwartet von ihrem 2YK-Schock erholt hat, bereiten sich die entscheidenden Player der Filmbranche auf einen noch weitaus massiveren Schock vor: den der Ablösung der 35 mm Rolle durch eine enorme Ansammlung von Bits und Bytes. Der Filmträger der Zukunft ist schon heute die Festplatte. Das ist es, was die die Consumer Electronics Show CES zu Beginn des Jahre vorgeführt und die Show West hier in Las Vegas erst vor kurzem für die Filmindustrie auf den Punkt gebracht hat.

Auf dem diesjährigen Digital Cinema Summit im Vorfeld der NAB 2005 in Las Vegas wurde deutlich, dass heute dieser Weg im Verbund mit allen Industrievertretern kontinuierliche und konsequent weiter beschritten werden wird. Die so genannten "technical specs" solle noch bis zum Ende dieses Jahres veröffentlicht werden und jeder geht davon aus, dass es noch vor Ende dieses Jahrzehnts zu einem auch ökonomisch positiven Ergebnis als Folge dieser Entwicklungen kommen wird.

Zum Abschluss der Veranstaltung wurde in der allerletzten Frage aus dem Publikums genau dieses Thema angesprochen - und von dem Moderator nicht mehr an das Auditorium weitergegeben. Der entscheidende Punkt für diese nunmehr nicht zurück zu schraubende Entwicklung sei doch die Ökonomie, so die Frage. Das die Antwort an dieser Stelle ausblieb, war denn auch der Vorteil und Nachteile dieser Veranstaltung zugleich.

Nur ein einziges Mal, als es um die Preise der Projektionssysteme ging, unternahm die Moderatorin den, wenngleich auch wenig erfolgreichen Versuch sich nach den Marktpreisen der jetzt entwickelten Systeme zu erkundigen. "Seien sie mutig, meine Herrn", rief sie in die Runde und gab schließlich sichtlich genervt und doch in vornehmer ihrer Rolle gemäßer Zurückhaltung selbst einen Preis als Richtwert vor 65.000 $ bekannt.

Positiv aber andererseits, dass sich in Ermangelung des Drucks durch diese Thematik zwei Tage lang alle Industrievertretern der jeweils beteiligten Branchenprodukte zwar nicht an den gleichen Tisch aber immernin doch zumindest im gleichen Saal versammelt hatten - und miteinander in intensiven Dialog pflegten. Das dieses auch notwendig ist, zeigten zwei entscheidende Themen dieser Tage
 erstens die Entwicklung und Verwendung eines Meta-Data-Referenzmodells und
 zweitens die Organisation und Gewährleistung eines kontinuierlichen "workflow" zwischen allen beteiligten Systeme: von der Kamera bis zum Projekten.

In den Vorträgen wurde allerseits viel Zeit und Sorgfalt darauf verwendet, den jeweils anderen Mitgliedern in diesem Produktionsprozess die besonderen Aufgaben und Schwierigkeiten zu vermitteln, die bei dem zukünftigen Einsatz digitaler Technologie in der eigenen Abteilung gemeistert werden müssen. Von der Kamera über die Postprod, den Servereinsatz und die Projektion.

Dabei gab es wohl keinen Satz, der öfters wiederholt wurde, als der, wie enorme Komplex diese Zusammenhänge sei. Und gleichzeitig wurde immer häufiger auf die Notwendigkeit hingewiesen, dass es gerade wegen dieser hohen Interdependenz der Technologien umso wichtiger sei, dass letztendlich die Nutzung dieser Systeme möglichst "userfriendly" gestaltet werden müsse.

Auf dem Hintergrund dieser Diskussion zeigte sich noch eine weitere Herausforderung, die allerdings nicht erst mit der allerletzten Frage zu Tage kam: die Herausforderung nämlich dass die diejenigen Personen, die im Produktionsprozess des Filmes ihr Produkt generieren, sehen, bearbeiten und schließlich für gut erklären, dass diese Personen in keiner Weise eine Kontrolle darüber haben, dass das von ihnen fertiggestellte Material auch in der von Ihnen gewünschten Form und Qualität dem Publikum letztendlich auch nahe gebracht werden wird.

Nun wissen wir aus alltäglicher Erfahrung, dass dieses heute in vielen Fällen auch schon bei der Projektion von 35 mm Filmen gewährleistet ist, als dieses allgemein behauptet bzw. angenommen wird. Andererseits ist es natürlich gerade eine der spannenden Herausforderungen dieses Paradigmenwechsel, in Zukunft dafür Sorge zu tragen, dass hier die im Studio gefertigten Güte letztendlich möglichst Eins zu Eins an das Publikum weiter vermittelt werden kann.

Und dann die zweite Frage die zum Abschluss der Diskussion und Präsentationen dieser zwei Tage gestellt wurde, sie stellte eine weitere Herausforderung an die illustren Gäste auf dem Podium dar: Im Gegensatz zu vielen anderen Entwicklungen, die letztendlich zu einer digitalen Technologie und deren Einsatz führen, habe die Film- Industrie ein ganz besonderes Problem. Während nämlich überall sonst die Veränderungen und Adaptionen der Medien in die Neuzeit verbunden sind mit dem Einsatz und der erkennbaren Nutzung neuer Gerätschaften, so findet Vergleichbares im Kino nicht statt. Dort muss man sich weder eine neue Kamera kaufen oder einen mp3-player, sondern nach wie vor immer wieder das Gleichen: eine Kinokarte.

Das Ziel aller versammelten Vertreter aus den unterschiedlichen Industriebereichen sei es vielmehr, im Rahmen der digitalen Projektion im Kino mindestens so gut zu sein, wie man es zuvor mit dem 35 mm Film war. Man findet in dieser Rolle also seine Erfüllung erst dann, wenn der Zuschauer von dieser Veränderung bestenfalls nichts bemerkt hat - oder aber im allerbesten Fall in Zukunft eine Verbesserung des audiovisuellen Gesamteindrucks.

Die Antwort, die auf diese Frage-Stellung vom Podium kam, war eben so eindeutig - wie lapidar: Letztendlich sei die Qualität entscheidend: der Produktion wie die der Projektion. Oder aber, so eine weitere Stimme, man machen sich an den Ausbau neuer Wahrnehmungsfelder: etwa durch die Einführung von 3D-Projektionen.

Die Qualität dieser Digital Cinema Summit - Veranstaltung beruhte darauf, dass es zumindest den Insidern möglich war zwischen den Zeilen und Tönen neue Erkenntnisse vermittelt zu bekommen, die offiziell noch nicht zur Veröffentlichung bestimmt waren. Gleichzeitig wurden damit aber auch die Grenzen einer solchen Diskussion deutlich. "The state of the art" ist hier ein Ziel des erst dann erreicht wird, wenn man sozusagen über das Ziel hinausgeschossen ist.

Dieser Sachverhalt macht Perplex. Und es zeigte sich, dass der "wahre Dramaturg" dieser Diskussionen dann doch nicht mit auf dem Podium zur Sprache kann.

Wir müssen uns also unseren eigenen Reim machen und immer wieder aufs Neue das informelle Gespräch suchen, um besser zu verstehen zu können und verständlich zu machen. Das Misstrauen, dass die Abwesenheit des "wahren Dramaturgen" mit sich bringt, führt in vielen Fällen dazu, dass die engagierten Teilnehmern den Prozess ihrer Arbeit in die sie verwickelt sind, nicht oder nicht ausreichend gewürdigt bekommen.

Viele von Anwesenden arbeiten mit großem Engagement und deutlichem Eifer an dieser Jahrhundertaufgabe. Und es bedarf sicherlich Veranstaltungen wie dieser, um sich auch an diesem Punkten gegenseitig zu vergewissern, dass man trotz aller noch bevorstehenden Mühen der Ebenen ein gemeinsames Ziel vor Augen hat.

Die Befürchtungen das dieses gemeinsame Ziel von mancher Seite missverstanden wird als Ausdruck einer globalen mediale Okkupation kann man allerdings nicht dadurch entkräften, in dem man es auszublenden versucht.

Der entscheidende zukünftigen Erfolg dieser Veranstaltung wird darin liegen, dass bei der zunehmenden Verfertigung dieser komplexen Technologien auch öffentlich darüber nachgedacht und berichtet werden kann, wie der Einsatz in Zukunft aus der Sicht derer gedeutet wird, die nicht unmittelbar an ihrer Entwicklung beteiligt waren und die für sich auch noch nicht wirklich einen Nutzen erkannt haben.

Noch treffen sich die Kino-Betreiber und der EDV-Fachmann in einem noch für beide Seiten neuen Rollenspiel auf der gleichen Seite. Ihr gemeinsames Credo lautet: "never change a running system". Und doch werden Beide aus ihrer eigenen Erfahrung wissen, dass auch für sie solcher Stillstand auf Dauer den Tod bedeutet. Das gilt nicht nur für sie, sondern für die gesamte Industrie.

Dieses eingedenk wird man im Gespräch bleiben - müssen.

WS.


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