„KI vs. GOTT“ von Wolf Siegert
Es scheint so, als wenn wir an diesen zwei Tagen die Einzigen sind, bei deren Stellungnahmen und Aussagen DAS DIGITALE überhaupt zur Sprache kommt. Und dann auch nur im Rahmen eines Talks vorkommt, also "in der Sprache", die körperlos ist.
Dabei ist die Erfahrung unserer Körperlichkeit die Voraussetzung, ja, die Bedingung dafür, sie überwinden zu können. In immer wieder neuen Momenten, so wie hier im Verlauf dieser Tage vor Ort zu erleben.
Wir kommen hierher und gehen wieder von hier weg, um Momente zu erleben, in denen wit die Gnade erfahren können, mit und durch den Körper Zustände zu erfahren, die davon mehr oder weniger losgelöst erscheinen - und die sich bestenfalls als eine ganz eigene Form von „Wirklichkeit“ vor, mit und durch uns entfalten.
Wenn wir uns der Sprache bedienen, dann mit dem Ziel, letztendlich in einem unendlichen Schweigen erfassen und erfahren zu können, was die Sprache (allein) nicht (mehr) zu vermitteln vermag.
Es ist der Klang der Musik - welcher Art sie auch immer sein mag - der uns als Transmissions’riemen’ auf diesem Weg in das - wie es so schön heißt - in das "unsagbare Glück" führt.
Darüber also überhaupt reden zu sollen, ist daher schon per se eine immense Herausforderung an sich: Nichts ist schlimmer, als von jemandem oder durch etwas "todgequatscht" zu werden.
Dennoch, oder gerade deswegen, bitte ich dennoch um einen Moment Geduld, ja um die Gnade ihrer/eurer aller Aufmerksamkeit, den Weg des hier aufgegriffenen Gedankens noch ein Stück weiter mitzugehen.
Denn es sind diese gedanklichen Umwege, die uns zum Ziel führen können. Mit dem ebenso einfachen, wie in seiner Bedeutung brutalen Satz, der da lautet: "Am Anfang war das Wort" .
Ist es wirklich das, was uns zur Menschwerdung bestimmt hat? Die Auflösung des Göttlichen und seine Verwandlung in ein unendliches Meer von Sprache - später von Sprachen - in dem wir uns alle zu bewegen verurteilt sind?
Ich bin erst nach dem Beginn einer Berufstätigkeit an die Universität gegangen, um dort unter anderem auch Germanistik zu studieren. Eine der ersten Aufgaben war es dort, Goethe-Gedichte nach der Häufigkeit bestimmter Sätze, Begriffe und Worte zu analysieren. Das war mir zu blöd, ich ging für drei Monate einen Freund in Tübingen besuchen, der dort Mathematik studierte. Dort lernte ich programmieren.
Und war danach unter Anwendung eines Programms mit dem Namen Fortran in der Lage, die als Übung vorgelegten Gedichte schneller und besser zu analysieren, obwohl ich fast ein ganzes Semester an der Universität gefehlt hatte.
Diese Gerätschaften - damals noch riesige Schreibmaschinen, Lochkarten und die ersten Bildschirme - sind uns bis heute, bei aller Formwandlung, erhalten geblieben. In Kenntnis dieser Entwicklungen war ich für sieben Jahre zuständig für die strategische Ausrichtung und Weiterentwicklung einer Computermesse in Hannover mit dem Namen CeBIT. Aber als ich dort den Vorständen zu erklären versuchte, dass es in Zukunft nicht mehr darum gehen werde, neue Hallen zu bauen, in denen diese Maschinen besichtigt werden können, wurden meine Vorschläge nicht angenommen; ich verließ zusammen mit dem leitenden Vorstand dieses Bereichs die Messe, und wenige Jahre später waren die Gerätschaften viel kleiner geworden und in den neu gebauten Hallen keine Menschen mehr zu finden.
Was sich hier nur andeutet, ist ein Prozess, der noch lange nicht abgeschlossen ist. Auch wenn wir heute schon anstatt der Riesenkisten nur noch kleine mobile Endgeräte mit uns herumtragen. Aber eines Tages werden auch diese obsolet sein.
Und es wird sich die Frage stellen, welcher Art der Verkörperung es noch bedarf, um über, mit und durch die Welt des digitalen kommunizieren zu können.
Wir erleben hier an diesen zwei Tagen, immer wieder neu und immer wieder anders, wie es möglich ist, auch jenseits all dieser Gerätschaften miteinander im Dialog zu sein. Mehr noch, wir schaffen uns Möglichkeiten, um immer wieder neu über diesen Dialog uns selbst zu erleben und anderen von diesem Erlebnis Kenntnis zu geben. Diese Erfahrung des Mentalen, Emotionalen, ja Spirituellen bedarf dafür auch unserer eigenen Körperlichkeit - und weist zugleich über diese hinaus.
Wenn wir heute diese Frage "KI versus Gott" stellen, dann weisen wir zunächst nur auf die Tatsache hin, dass es seit Neuestem möglich ist, einen Dialog zu führen mit einer uns bis dato unbekannten Instanz und ohne Inanspruchnahme jeglicher körperlichen Verbindlichkeit: Diese Herausforderung macht uns groß und artig zugleich. Sie macht uns groß in dem Glauben, in die Lage versetzt zu werden, all das zum Ausdruck bringen zu können, was wir immer schon gerne gesagt hätten. Und es macht uns artig, weil das Erreichen dieses Zieles uns einer Reihe von Regeln unterwirft, die wir dabei zu akzeptieren und bestenfalls zu unserem produktiven Vorteil auszunutzen haben.
Und jetzt wird es spannend: war es bisher möglich, uns im gegenseitigen Miteinander. von Askese bis Ekstase. die Grenzen und Möglichkeiten der eigenen Existenz zu erkunden, werden wir jetzt mit einem Mal mit einer unendlichen Menge an Vorschlägen konfrontiert, und bestenfalls damit vertraut gemacht, die es uns ermöglichen, all das umsetzen zu können, was wir bisher nur zu träumen gewagt hätten. Und das, ohne allzu große Mühe und mit Ergebnissen, die uns aus dem Staunen nicht herauskommen lassen.
Wie lange hat es bisher gedauert, um im gemeinschaftlichen Gegenüber und Miteinander Momente zu finden, zu erfinden und auch wieder zu verwerfen, in denen wir dieses Staunen auch nur ansatzweise haben erleben können. Welch ein Aufwand hat es bedeutet, sich all diesen Herausforderungen zu stellen, um zu diesem Punkt der Wahrnehmung, der Kenntnis, ja, er Freude darüber zu gelangen. Und dann tauchen im Gegensatz dazu, scheinbar aus dem Nichts, Versprechungen auf, die uns jenseits all dieser Mühen eine fast gleichwertige Qualität von Antworten anbieten: Noch werden uns diese Antworten am Bildschirm oder über einen Lautsprecher präsentiert, aber viele von uns befürchten, dass dieses nicht das Ende einer Entwicklung sein wird, in der erneut die Technik immer weiter in den Hintergrund tritt und nur noch ihr Erlebnis mit einer geradezu perfiden Dominanz unser Leben bestimmen wird.
Auf den Satz "Am Anfang war das Wort" erfolgt nun die Setzung, die da lautet: „Am Anfang war die Antwort“.
Und wir, die wir das Suchen zu einem wesentlichen Teil unseres Lebens gemacht haben, erfahren, dass nicht nur dieses Suchen immer mehr von der manuellen Welt in die digitale abdriftet, sondern zunehmend die Gewissheit, eine Antwort zu finden, dazu führt, das Suchen gar nicht mehr als eine eigene Qualität zu begreifen.
Der weltweit größte Konzern, der einst mit diesen Suchangeboten das Motto verknüpft hatte “don’t be evil“, hat dieses Leitmotiv – ein Wort, das es ja auch im Englischen gibt – gestrichen, abgeschafft, eliminiert. Der Wertekanon wurde durch eine Verwertungskanonade ersetzt. Wir, die wir inzwischen ständig unter Beschuss stehen, würden uns diesem am liebsten vollständig entziehen wollen, ja, viele von uns träumen inzwischen vom "Digital Detox" und doch wissen wir im nächsten Moment, dass nach dem Verlassen dieses Raumes der All-Tag die Umsetzung eines solchen Traumes zunehmend unmöglich macht.
Das Interessante ist, dass uns diese Verwendung der zunehmend digitalen Dienste nicht wirklich als eine Befreiung vorkommt, sondern als eine Vergewaltigung. Dass wir nicht den Eindruck haben, damit bisher menschlich nicht erreichbare Ziele haben umsetzen können, sondern dass wir uns überfordert fühlen von ebendiesen doch so wirkmächtigen Möglichkeiten. Diese Überforderung führt auf der einen Seite dazu, zu erfahren, wie sich unser Leben durch diese Möglichkeiten bereichert und zwingt uns zugleich dazu, die Frage nach ebendiesem Leben neu zu stellen.
In der Sendung Breitband des Deutschlandfunks Kultur vom 24. August diskutierten eine Reihe junger Menschen über die Möglichkeiten, die es schon heute gibt, Verstorbene als Avatare wieder auferstehen zu lassen. In der ebenfalls an diesem Wochenende zu Ende gegangenen „gamescom“-Messe wurden in den dort erprobten Spielen so viele Tode inszeniert, die in ihrer Anzahl in der Wirklichkeit die Auslöschung der gesamten Weltbevölkerung bedeutet hätte.
Wenn wir uns als Mit-Menschen begegnen, wissen wir immer um die Schönheit und Endlichkeit dieses Moments. Im Krieg dagegen wird es zur Aufgabe, diese Endlichkeit als Ziel zu definieren, bevor sie einen selbst zur Strecke bringt.
In der digitalen Welt stattdessen sind Leben und Tod identisch; oder man könnte auch sagen, sie sind beide auf keine Weise mehr existent. Und es ist eben diese undefinierbare Existenzfähigkeit, eine Form von Wirklichkeit, die uns verunsichert, mit jenen Wahrheiten umzugehen, die wir auch über die Erkenntnis digitaler Mittel erfahren könnten.
Im sogenannten realen Leben können wir, wie oben dargestellt, uns beispielsweise der Musik bedienen, um eine solche Transmission in eine andere Form der Wirklichkeit zu vereinfachen oder sogar erst zu ermöglichen. In der digitalen Welt bedarf es dafür einer ausreichend aufgeladenen Batterie oder einer spannungsgeladenen Steckdose, um das gesamte System wirkmächtig entfalten zu können. Diese Entfaltung vollzieht sich vollkommen unabhängig von uns und macht uns doch zugleich abhängig. Denn eigentlich wissen wir nicht, wie wir mit dieser Situation umzugehen haben, auch wenn wir uns scheinbar mehr oder weniger sorglos oder auch mühevoll damit abgefunden haben.
Die eingangs gestellte Frage / oder auch These "KI versus Gott" ist mit diesen bisherigen Ausführungen nur scheinbar in den Hintergrund gerückt. Tatsächlich aber waren es diese bislang angesprochenen Umwege, die es uns jetzt ermöglichen zu sagen, dass die Suche nach Gott ein weitaus ambitioniertes Unterfangen ist, als die Suche nach einer guten KI. Allein bei dieser Suche geht es nicht nur darum, die Technik neu zu definieren, sondern uns selbst darüber Rechenschaft abzulegen, was wir denn mit „gut" meinen.
Blicken wir also nicht auf jene Menschen herab, die inzwischen dazu übergegangen sind, der künstlichen Intelligenz gottgleiche Fähigkeiten angedeihen zu lassen. Denn damit tun sie nichts weiter, als uns zu zeigen, welches Verständnis sie von einer wie auch immer gearteten Form von Wirklichkeit haben. Auch wenn wir dieses Verständnis unsererseits als Unverständnis diskreditieren mögen, wird es einen Teil der gelebten Toleranz sein, zu akzeptieren, dass für diese Menschen dieser Teil der Wahrheit die Grundlage ihrer Existenz bedeuten mag.
Was bleibt: Nur noch die Frage, ob Agnostiker die besseren Programmierer seien? Und, ob die Antwort auf alle Fragen wirklich die Zahl "42" sei, so wie es in „Per Anhalter durch die Galaxis“ des englischen Autors Douglas Adams heißt.
Lasst uns miteinander reden!
Dietmar Peikert am 18. August 2024 in der Sendung Fazit, des Senders Deutschlandfunks Kultur:
"Gegen den Strich – Die Generation Z in der Kunst: Das ‚klassische‘ Selbstporträt als ‚Alternative‘ zum Selfie."
Auf der Basis von so vielen digitalen Video- und Bild-Aufzeichnungen im Vorfeld werden dann die meisten der künstlerischen Arbeiten "in haptischen Formen" umgesetzt. "Wir haben fast keine Vertreter gefunden, die mit digitaler Kunst unterwegs sind."
... und zwei der ersten Leserbriefe aus der eigenen Peer-Review:
... und der Verweis auf die Sendung den DeutschlandfunkKultur vom 08. September 2024, 13:10 Uhr, von Stephanie Rohde im Gespräch mit Gordon Gillespie: Mathematik. Wie man mit Zahlen denken kann.