Berlinale.05 Kertész/Koltai - Kripo/Kicker

VON Dr. Wolf SiegertZUM Dienstag Letzte Bearbeitung: 1. März 2006 um 18 Uhr 51 Minuten

 

Hatte nicht gerade eben noch ein Sprecher des Berlinale-Hauptsponsors Volkswagen bemängelt, dass zu wenig Stars [1] auf diesem Festival anwesend seien? Warum eigentlich: verhindert der Umsatzeinbruch den Blick auf die eignen Erfolge? Geht das Konzept denn wirklich nicht auf?

Zwei Beispiel vom 15. Februar dieses Jahres:

I. Es kommen grosse Stars nach Berlin, die eigentlich lieber Cannes oder Venedig vorgezogen hätten. Die Premiere des Films «Fateless» nach dem «Roman eines Schicksallosen» von Imre Kertész im Berlinale-Wettbewerb ist ein solcher Erfolg.

II: Als Talent wird der junge Max Riemelt ("Napola") aus Berlin für den "Shooting Stars 2005" nominiert.
Er gewinnt. Und wird an diesem Abend gefeiert von einer Gruppe von über 40 weiteren Filmemachern auf dem
Talent Campus die erste öffentliche Aufführung ihrer Filme, die für das "Shoot Goals - Shoot Cinema"-Projekt ausgesucht worden sind.


I.

Zum Abschluss der Pressekonferenz kam es zu einer persönlichen Begegnung mit Imre Kertész. Und nach vielen - wohl moderierten - Fragen und Antworten blieb eigentlich nur noch Dank zu sagen, dafür dass das Team mit diesem Film auch und zunächst nach Deutschland, nach Berlin gekommen ist.

Eigentlich war dem ungarischen Regisseur Lájos Koltai die Berlinale zu wenig repräsentativ, doch nun läuft sein Film "Fateless" doch noch im Wettbewerb des Berliner Filmfestivals. Die Verfilmung des Buches "Roman eines Schicksallosen" von Nobelpreisträger Imre Kertész wurde in letzter Minute nachnominiert.

So hiess es in SPIEGEL ONLINE am 09. Februar 2005 ab 12:11 Uhr: [2]

"Fateless" ist die Verfilmung des Bestsellers "Roman eines Schicksallosen" von Literaturnobelpreisträger Imre Kertész. Das Buch schildert den Holocaust aus der Sicht eines heranwachsenden Jungen. Kertész ist auch für das Drehbuch der ungarisch-deutsch-britischen Koproduktion verantwortlich. Der Film ist das Regiedebüt des ungarischen Kameramannes Lájos Koltai (Oscarnominierung für "Malena"). Zu den Hauptdarstellern gehören Marcell Nagy, Aron Dimény und András M. Kecskés. Die Filmmusik hat Ennio Morricone komponiert.

Die Einladung zum Berlinale-Wettbewerb habe erst nach dem offiziellen Programmschluss erfolgen können, erklärte die Festivalleitung in einer Pressemitteilung. "Glücklicherweise ist es uns gelungen, nun doch noch einen Programmplatz für den Film zu haben", sagte Festivalchef Dieter Kosslick. Die Vorführung am 15. Februar im Berlinale-Palast sei die internationale Premiere des Films.

Offenbar musste Kosslick zuvor einige Überzeugungsarbeit leisten, um den Film zu bekommen. Noch im Januar hatte der ungarische Regisseur Istvan Szabo ("Mephisto") die ursprüngliche Entscheidung Koltais begrüßt, den Film nicht zur Berlinale zu schicken. Eine internationale Premiere in Cannes oder in Venedig sei "geeigneter". "Man darf diesem Film nicht durch eine einzige Projektion die Chance nehmen, auf anderen erstklassigen Festivals gezeigt zu werden", meinte Szabo. Koltai ist Szabos langjähriger Kameramann. [3]

Lájos Koltai ist der langjährige Kameramann des ungarische Regisseurs István Szabó [der selbst nach Berlin gekommen war, als Manfred Durniok zu Grabe getragen wurde]. Er hatte mit seinem Film "Mephisto" zu Beginn der 80er Jahre Furore gemacht. Die Produktion des Mafilm-Objektiv Studios in Budapest wurde damals in Zusammenarbeit mit dem Hessischen Rundfunk und der Manfred Durniok-Produktion vorbereitet [und Manfred Durniok dafür 1982 der OSCAR für den besten, nicht englischsprachigen Film überreicht].

All das war Anlass genug, um dem Team an diesem Abend für seine Anwesenheit in Berlin Dank zu sagen.

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PS.

Dass es aus dem Umfeld dieser Begegnung überhaupt noch ein Bild gibt, ist einem alten PALM IIIxe-Handheld samt Kodak-Kamera-Aufsatz zu verdanken, dem vielleicht ersten rein softwarebasierten mobilen Festbild-Aufnahmegerät überhaupt.

Der noch am Vormittag im Einsatz befindliche Sony-Camcorder DCRTRV60E wurde an diesem Tag auf einer vorangegangenen Pressekonferenz im Haus der Kulturen der Welt gegen 13:30 Uhr gestohlen [4]
. Mit Vorsatz und von Profis. Denn da gehört schon was dazu: Schliesslich waren neben den Herren Beckenbauer und Heller und den Damen Dorn und Limbach auch der Innenminster Schily höchstpersönlich zugegen.

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Als aber der Minister mit seinen Schutz-Mannschaften abgezogen war, dauerte es fast zwei weitere Stunden, bis sich nun erneut und schliesslich mehrmals um Hilfe gerufenen Polizisten einfanden, um den Schaden auzunehmen.

Im Shuttle-Bus zurück zum Postdamer Platz sitzt mir ein "Talent" aus Polen gegenüber und meint trocken: na hoffentlich wird die Kamera jetzt von jemandem in Ansprech genommen werden, der es versteht, damit gute neue Filme zu machen [sic!].



II.

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Am Abend werden alle von Thomas Struck und dem Team ausgesuchten Filme in grosser Runde vorgeführt. 45 Regisseure, junge Frauen wie Männer, präsentieren gemeinsam erstmals öffentlich ihre Filme auf einer für diesen Zweck hergestellten Kompilation: auf Teil 1 auf Beta und Teil 2 auf DVD.

Angsichts der aktuellen Rangelei der Industrie-Firmen um die besten Plätze beim Fussball-WM-Sponsoring wäre gerade dieser Abend ein guter Anlass und Ort gewesen, auch von sich Reden zu machen: auch für den Volkswagen-Konzern. [5]

Hierzu unter dem Titel "Die Kuh als Fußballtor" abschliessend die gelungene Zusammenfassung von Arno Orzessek aus der allabendlichen Sendung "Fazit" im DeutschlandRadio Berlin vom 15. Februar 2005.
 [6]

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Da die eigenen Fotos hier nicht mehr gezeigt werden können (s.o.) hier ersatzhalber das "offizielle" AP-Bild mit Unterzeilentext:
"Jutta Limbach, Otto Schily, Franz Beckenbauer, Andre Heller, und Dieter Kosslick, mittlere Reihe von links nach rechts, mit den Gewinnern des offiziellen Kurzfilmwettbewerbs der Berlinale zur Fußball-WM 2006"

611 Filmemachern aus 75 Ländern hatten Beiträge zum Kurzfilmwettbewerb "Shoot goals! Shoot movies!" eingesandt, der zum kulturellen Rahmenprogramm der WM 2006 gehört. 45 Kurzfilme aus 29 Ländern wurden ausgewählt und im Rahmen der Berlinale vorgestellt. Die Filme sollen in den zwölf Stadien während der WM gezeigt werden.

André Heller steht nicht im Verdacht, allzu ernste, schwierige oder gar verstörende Kunstwerke zu bevorzugen - und deshalb hat er als Chef des WM-Kulturprogramms die richtige Funktion gefunden. Zum globalen Ballspielwettbewerb passt leicht konsumierbare Kost fraglos am besten.

Gleichwohl hatte Heller im vergangenen Herbst versprochen, für stets gute Qualität, an der richtigen Stelle für große Namen und vor allem für Internationalismus fernab deutscher Folklore, Rumtata und Alpenjodlern zu sorgen. Er nimmt es mit dem Motto "Die Welt zu Gast bei Freunden" recht genau.

Der Kurzfilm-Wettbewerb nun, dessen Sieger heute im Haus der Kulturen der Welt im Rahmen der Berlinale vorgestellt wurden, hat die Erwartungen, die man realistischer Weise haben konnte, erfüllt - wenn nicht sogar übertroffen.

Es gab 611 Einsendungen - darunter allein 76 aus dem Fußballnirwana Indien -, und aus den fünfundvierzig besten hat Thomas Struck die Kompilation "Shoot goals! Shoot movies!" zusammengeschnitten.

Es sind kleine Komödien darunter, wie das Treffen von zwei Kindern im Film von Magnus Holmgren. Sie haben sich auf einer Wiese zum Fußballspielen verabredet und tun dann ausschließlich das, was sie von den Profis im Fernsehen gelernt haben: Foul spielen, Nachtreten, Trikotzupfen, Elfmeterschinden, ins Gesicht spucken. Dann gehen sie beschwingt nach Hause.

Es überwiegen jedoch die anrührenden, manchmal melancholischen Filme. José Aguillón hat die Blinden-Fußballmannschaften in Mexiko City beobachtet. Sie spielen mit leicht abgewandelten Regeln und vor allem mit einem Spielball, der Geräusche macht, weil er mit Kügelchen gefüllt ist. Wenn die Blinden gefragt werden, dann sagen sie, was alle Fußballer immer sagen: Ein Tor zu schießen, das sei einer der besten Momente im Leben.

Es gibt viele kleine Parabeln, die von den menschlichen und Menschen verbindenden Qualitäten des Fußballs erzählen, etwa die Geschichte jenes kleinen Jungen, der mit Tränen in den Augen, aber ohne Geld in der Tasche um das brodelnde Stadion herumschleicht, sich immer wieder vergeblich einzuschmuggeln versucht und schließlich mit dem Kassenwärter sein eigenes Match austrägt.

Nein, es ist nicht die blendende Fassade der Mediensportart Fußball, für die sich die Filmemacher interessiert haben. Natürlich ist ihre Grundhaltung eher affirmativ, als fußballkritisch - alles andere wäre wohl auch sinnwidrig in diesem Zusammenhang. Gezeigt wird praktisch das Wurzelgeflecht des Fußballs, das elementare Spiel an der Basis der Gesellschaft und vor allem und immer wieder in den Tiefen der Kindheit: Fußball als Sehnsuchtsbeschleuniger, Fußball als Traum des Lebens.

Das kaum eine Minute lange Werk des Inders Sainath Choudhury, das letzte im Reigen, bringt dann Kino und Kicken am nächsten zusammen.

Da steht ein ärmlich bekleideter Junge barfuß im Schlamm, legt sich den Ball wie zum Elfmeter zurecht, hält inne, scheint zu beten, legt den Ball noch einmal in eine andere Pfütze...

... und dann, dann schießt er natürlich.

Es ist ein eindringliches Vorspiel, ein bei aller Inszenierung ungekünstelter Moment, in dem die Kamera Erwartung und Spannung, Konzentration und Ungewissheit gleichermaßen einfängt. Die Überraschung kommt mit dem Umschnitt: Es ist eine Kuh, eine heilige indische Kuh, auf die der Junge gezielt hat. Nun trägt sie den Abdruck des Balls wie ein Brandzeichen in der Seite und senkt erbost ihre Hörner gegen den flüchtenden Schützen.

Fußball ist einer der größten, vielleicht sogar schönsten Bedeutungsgeneratoren der Welt: Das mag die Botschaft von "Shoot goals! Shoot movies!" sein. Sollte es jemanden geben, der das immer noch nicht glaubt - er hätte heute Morgen im Haus der Kulturen der Welt sein sollen.

Da traten neben André Heller Bundesinnenminister Otto Schily, Berlinale-Chef Dieter Kosslick und die Präsidentin des Goethe-Instituts, Jutta Limbach, auf. Aber einer, man sah es in den Augen der Preisträger, stellte sie in den Schatten, so sehr er sich auch um Bescheidenheit bemühte. Es war Franz Beckenbauer, der Kaiser.

Anmerkungen

[1Siehe den Beitrag vom 25. Januar 2005: "Hollywood ist nicht Amerika..."

[3Es wird weitere Aufführungen des Films geben am:
Mittwoch, den 16.02 um 18:30 in der Urania
Freitag, den 20.02 um 23.30 in der Urania

[4Hier nochmal die wichtigsten Daten für den "Steckbrief":

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[6Wobei aus persönlicher Sicht die Anmerkung gestattet sei, das der in diesem Text beschriebene Torschuss eigentlich "daneben" geht: nämlich nicht zwischen den Vorder- und Hinter-Beinen der Kuh hindurch, sondern auf sie drauf. Der laute Aufschrei des jungen Schützen und seiner jungen Zuschauer ist vielleicht nicht nur als Tor-Schrei zu verstehen, sondern zugleich dahingehend, dass in diesem Film auf wahrlich ironische Weise eine "heilige Kuh geschlachtet" wird... WS.


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