In der Online - Ausgabe "Neues aus Japan" der japanischen Botschaft in Berlin vom Oktober des Jahres 2010 ist bis heute Folgendes über den "Kanji des Monats" zu lesen:
死 ぬ SHI, shi(nu) – Tod, sterben
Unser diesmonatiges kanji ist ein trauriges, da gibt es nichts drum rum zu reden. Vielleicht können wir es aber so einbetten, dass es etwas erträglicher wird:
„Nokan – die Kunst des Ausklangs“ heißt der Film auf Deutsch, der im letzten Jahr den Oscar für den besten nicht-englischsprachigen Film bekommen hatte.
In dem Film bewirbt sich ein junger Mann auf eine etwas vage formulierte Stellenanzeige, hinter der er eine Reiseagentur vermutet. Tatsächlich handelt es sich aber um ein Bestattungsinstitut (nokan), das Verstorbene im Kreise der Angehörigen in einem ganz achtsamen, geradezu zärtlichen Ritual für die Einsargung also die „letzte Reise“ vorbereitet.Zurück aber zu unserem Zeichen: eigentlich soll es die Knochen eines Toten darstellen, dieses Bild und dessen Bedeutung bringt schon allein der linke Teil (inklusive oberen Strich), den Sie als Radikal (Sie erinnern sich?) auch in ein paar anderen Kombinationen um die Bedeutung „Tod“ finden können. Aber ich habe Ihnen ja eine sanftere Version versprochen:
Wenn Sie mit den kanji auch noch Mühe haben, so haben Sie sich vielleicht aber schon die jeweils 46 hiragana- und katakana-Silbenzeichen bereits eingeprägt. Dann erkennen Sie vielleicht unter dem kanji für eins 一 „ichi“ auch links das katakana-„ta“ und rechts das katakana-„hi“, welches wiederum mit Doppelstrich oder Kringel zu „bi“ ( び ) oder „pi“ ( ぴ ) werden kann. Ta + hi … „tabi“ – „die Reise“ lese ich jetzt einfach mal daraus, die Reise (tabi) hat natürlich eigentlich ein eigenes anderes kanji, zu dem wir eventuell ein anderes Mal kommen werden. Aber trotzdem können Sie sich so vielleicht merken, dass das Sterben hier, unser 死 shi, die eine letzte Reise (in der Waagerechten) bezeichnet.
Und wenn auch nicht, so habe ich doch die Gelegenheit nutzen können, Ihnen diesen wundervollen, lebensfrohen Film ans Herz zu legen, bei dem nicht nur die Hauptperson einiges über die Komplexität von Gefühlen und Familienstrukturen, das Gehen und das Ziehen lassen von Angehörigen lernt.
So wie auch in Deutschland jeweils das Wort des Jahres bestimmt wird [1], geschieht dies auch in Japan - per ’Volksabstimmung’.
Im Jahr 2021 stand in Japan nicht die Corona-Pandemie im Zentrum der Entscheidung, sondern die - zumal als der Sicht der japanischen Athleten sehr erfolgreichen Olympischen Spielen. Diese waren auf dem Jahr 2020 in das Nachfolgejahr verschoben worden und endeten mit 27 Goldmedaillen für Japan, – so viele wie noch nie [2]
Also war 2021 das Kanji 金 („kin“), das Kanji des Jahres. Das seit diesem Jahr, nach dem Ende der Renovierungsarbeiten, wieder auf der Bühne des Kiyomizudera-Tempel in Kyoto vom Oberpriester mit einem grossen Kaligrafiepinsel aus "Washi"-Papier aufgetragen und damit verkündet wird:
An diesem Tag, dem 12. Dezember 2022, macht the japantimes mit diesem Bild und dieser Schlagzeile auf:
’War’ selected as kanji of the year amid international conflicts
Japan chose the kanji “sen” (戦), meaning war, battle or match, on Monday as the symbol for 2022 after a year marked by Russia’s invasion of Ukraine and the assassination of former leader Shinzo Abe.
Diese, von der Kanji Aptitude Foundation moderierte öffentliche Abstimmungs-Entscheidung, obsiegte mit 10.804 Stimmen. Es folgte, knapp dahinter mit 10.616 Stimmen, das Kanji 安 (an / yasui). das u.a. auch für die Begriffe "Frieden" und "Stabilität" Verwendung findet.
Welches damit auch für die Bewältigung der Geschichte Japans auch heute immer noch virulentes Wort ausgewählt wurde, dafür hier als pars pro toto dieser Aufsatz von Bernd Martin, der als Sonderdruck aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg frei einsehbar ist: