SORRY, GENOSSE

VON Dr. Wolf Siegert, Gabriele LeidloffZUM Montag Letzte Bearbeitung: 4. November 2022 um 00 Uhr 44 Minutenzum Post-Scriptum

 

Sorry, Genosse
Gabriele Leidloff und Max-Peter Heyne berichten von der Berlinale Perspektive Deutsches Kino

Nachgezeichnet wird das einfühlsame Porträt eines sehnsuchtsvollen Liebespaares zwischen Ost- und Westdeutschland. Parallel vermittelt die Regisseurin Vera Brückner eine Zeit, in der nicht nur die beiden deutschen Staaten im Umbruch waren.
Sommer 1969: Karl-Heinz denkt über seine Zukunft nach, erschütterbar, mit Blick auf die globale Entwicklung, insbesondere des Vietnamkriegs. Hedi versucht mit einem Pharmaziestudium ihrem Leben einen Sinn zu verleihen. Erstmals getroffen haben sich die beiden in einem Städtchen in Thüringen. Es war ‚Liebe auf den ersten Blick‘, ist zu hören, und darauf folgte ein reger und intensiver, die jeweiligen Lebensentwürfe reflektierender Briefwechsel. Beide versuchten, zueinander zu finden. In derselben Region aufgewachsen, trieb sie die Mauer auseinander und in einer fast poetischen Konzentration verdichtet sich – im wahrsten Sinne spiegelbildlich – ihre Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft mit vergleichbaren Schicksalen in jener Zeit.
Über diese energiegeladene Erfahrung reift sukzessive der Entschluss, dass Karl-Heinz in die DDR übersiedelt. Doch desillusioniert findet er sich in einem charmanten Haifischbecken der Stasi wieder, dem er nicht entkommen kann. Subtil will man den jungen Studenten überreden, im Westen zu spionieren. Somit greift für die Liebe in Freiheit nur ein Ausweg mit konkretem, aberwitzigem Plan: Karl-Heinz aktiviert seine Freunde Lothar und Gitti, die zusammen mit ihm und Hedi 1971 nach Rumänien reisen. Dort soll die Gitti ähnlich sehende Hedi den Behörden vorgaukeln, ihr westdeutscher Reisepass sei ihr in Bukarest gestohlen worden. Der Identitätstausch, der eine Ausreise Hedis Richtung Westen ermöglicht hat, gestaltet sich jedoch schwieriger und heikler als gedacht.
Der bis dahin stringent gestaltete Film droht in der zweiten Hälfte zu zerfasern, denn die von den Helden der Wirklichkeit erinnerte und erzählte Fluchtgeschichte wird so detailreich und komplex, dass der bzw. die Zuschauer*in nicht mehr ganz genau folgen kann oder mag. Als hilfreich erweist sich dabei das ausgeprägte Stilbewusstsein der Regisseurin, die zusammen mit ihrem Kameramann Felix Pflieger und ihrer Schnittmeisterin Sophie Oldenbourg ein gestalterisches Konzept umsetzt, dass die Originalschauplätze in den einzelnen Bildern meist nur im Anschnitt zeigt und die Interviewten darin so platziert, dass sich eine innere Spannung aufbaut, die Neugier und Interesse wachhalten.
Charmant wirkt der Film durch seine entspannten und sympathischen Protagonisten, die den Eindruck vermitteln, als hätten sie mit der gewagten Fluchtaktion ihrem damaligen Leben Inspiration und Sinn verliehen, die bis heute nachwirken. Die Regisseurin vermeidet geschickt eine direkte Konfrontation zwischen dem Paar. Sie überlässt sogar dem Betrachter bis zum Ende des Films, das Verhältnis zwischen den beiden zu interpretieren.
(3 Sterne)

P.S.

Die Leiterin der Sektion Perspektive Deutsches Kino, Linda Söffker, spricht mit der Regisseurin Vera Brückner und dem Produzenten Fabian Halbig:


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