KUNSTUNDKRIEG

VON Dr. Wolf SiegertZUM Donnerstag Letzte Bearbeitung: 21. Mai 2022 um 14 Uhr 42 Minutenzum Post-Scriptum

 

ANLÄSSLICH DER ERÖFFNUNG DER GRADUIERTENAKADEMIE DER FILMUNIVERSITÄT BABELSBERG

27. TRANSDISZIPLINÄRES KOLLOQUIUM des INSTITUTS FÜR KÜNSTLERISCHE FORSCHUNG
PROF. DR. H. C. BAZON BROCK
KUNST UND KRIEG

19. Mai 2022
18:00–20:00
KINO 1104

Begrüßung
Prof. Frank Geßner
Theorie und Praxis der Bildkunst

KUNST UND KRIEG
„Der dritte Weltkrieg ist bisher ausgeblieben – er wäre wohl auch der letzte. Gleichwohl brennt die Welt an allen Ecken: radikale Erhebungen nationaler und kultureller Minoritäten fundamentalistische Ausschreitungen der vermeintlich Rechtgläubigen gegen die Verblendeten lassen jede globale Ordnung aus den Fugen geraten. Mehr denn je scheint Heraklits Satz zu gelten, daß der Krieg der Vater aller Dinge sei; mehr denn je Carl von Clausewitz’ Einschätzung, er sei selbst ein Mittel der Politik. Krieg ist ursprünglicher als Frieden, dem wir angeblich unsere Kultur verdanken. Kultur aber wird, wie nicht zuletzt die jüngsten Diskussionen und Debatten erwiesen haben, selber kriegerisch. Von der Fernsehunterhaltung bis zum Historiengemälde, von der Architektur bis zum Design der Vernichtung, vom Computerspiel bis zu den unmenschlichen, weil ohne Menschen betriebenen Waffengängen – überall orientiert sich die ‚Kulturmenschheit‘ am barbarischen Ernstfall des Krieges.“ Diese Sätze stammen aus der Präsentation des Bandes „Krieg und Kunst“ aus dem Jahr 2002. Am 24. Februar 2022 ist der Ernstfall mit dem Kriegsausbruch in der Ukraine wieder eingetreten. Deshalb ist es notwendig, das Thema „Kunst und Krieg“ neu zu diskutieren.

KURZBIOGRAPHIE: PROF. DR. H. C. BAZON BROCK
Bazon Brock, Denker im Dienst und Künstler ohne Werk, ist emeritierter Professor am Lehrstuhl für Ästhetik und Kulturvermittlung an der Bergischen Universität Wuppertal. Weitere Professuren an der Hochschule für bildende Künste Hamburg (1965–1976) und der Universität für angewandte Kunst, Wien (1977–1980). 1992 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Eidgenössisch Technischen Hochschule, Zürich und 2012 die Ehrendoktorwürde der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe. 2014 bekam er die Honorarprofessur für Prophetie an der HBKsaar, Saarbrücken und 2016 wurde ihm der Von der Heydt-Preis der Stadt Wuppertal verliehen. 2017 erhielt er das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse. Er entwickelte die Methode des „Action Teaching“, bei dem der Seminarraum zur Bühne für Selbst- und Fremdinszenierungen wird. Von 1968 bis 1992 führte er in Kassel die von ihm begründeten documenta-Besucherschulen durch. Von 2010 bis 2013 leitete er das Studienangebot „Der professionalisierte Bürger“ an der HfG Karlsruhe. Rund 3000 Veranstaltungen und Aktionslehrstücke; zuletzt „Lustmarsch durchs Theoriegelände“ (2006, in elf Museen). Er repräsentiert das „Institut für theoretische Kunst, Universalpoesie und Prognostik“, und ist Gründer der Denkerei / Amt für Arbeit an unlösbaren Problemen und Maßnahmen der hohen Hand mit Sitz in Berlin.

DENKEREI: www.denkerei-berlin.de

IKF: https://www.filmuniversitaet.de/filmuni/institute/institut-fuer-kuenstlerische-forschung

Wir erlauben uns zu Beginn dieser kurzen nachfolgenden Ausführungen den zuvor im Zitat genannten Link wie folgt mit den direkten Hinweisen auf diese Veranstaltung zu ergänzen:
 https://www.filmuniversitaet.de/filmuni/institute/institut-fuer-kuenstlerische-forschung/aktuelles/artikel/detail/27-tdk-bazon-brock-kunst-und-krieg
 https://bazonbrock.de/werke/detail/?id=3989

Anstatt hier kursorisch über diesen grossartigen Vortrag zu berichten, sei an dieser Stelle zunächst nur auf dieses Video verwiesen, das im Anschluss in voller Länge gezeigt wurde, mit Bazon Brock als Autor, Darsteller - und an diesem Abend zugleich als aufmerksamer Rezipient seines eigenen Werkes:

Im Gegenzug zur Würdigung des Vortrages durch den Gastgeber würdigt der Gast dieses Abends sein - wenn auch nicht gerade zahlreich erschienenes - Publikum [1] Nicht nur er habe sich den Mühen dieses Vortrages unterzogen, sondern auch wir, die gekommen sind, ebenso. Also werden auch wir zu guter Letzt mit Werken aus seiner Produktion belohnt. Im eigenen Fall mit dem 2. Band der 2020 bei DISTANZ veröffentlichten "Kritik der kabarettistischen Vernunft": "Noch ist Europa nicht verloren", die er mit diesem Satz aus seinem Vortrag gewidmet hat: "Auch Krücken lassen sich freudig schwingen:

Von den vielen weiteren Aufzeichnungen, die bereits zur Veröffentlichung freigegeben sind - und diese Veranstaltung wird hoffentlich alsbald dazugehören - sei auf diesen Vortrag vom 22(?). März 2019 im ZKM Karlsruhe, im Institut für audiovisuelle Medien im Rahmen der Konferenz »Digitalität und Verantwortung« in - eingangs - englischer Sprache, verwiesen. Ein Vortrag, der sogleich mit eben diesem Fremd-Sprachen-Thema, der Nutzung des Englischen als missglückter lingua franca beginnt, im Gegensatz zum Lateinischen im Mittelalter.

Hieraus nur dieses eine Zitat (ab: 40:41):

Die Aufklärer in Europa haben das gewusst. Denn es wird uns ein falsches Bild von Aufklärung gegeben: Aufklärung heisst nicht "Rationalität", "Faktizität" und "Kalkül", sondern Rationalität im Hinblick auf die Setzung der Grenzen unserer Aussagen. Das ist rational, wenn ich weiss, bis wohin die Geltung meines axiomatischen Ansatzes gegeben ist. Und dann nach dem Jenseits der Grenze zu fragen. Das heisst: Wer rational denkt, kann nur schliessen, dass rational nur der begründete Bezug auf das Irrationale ist, sonst keiner. Das Faktische ist auch das Kontrafaktische. Alle Kulturen sind kontrafaktisch organisiert und nicht durch die Macht der Fakten.

Ein Beispiel für das, was hier vor sich geht: Wir handeln alle wie eine alte Frau, die aus Angst vor bösen Geistern ihre Fenster vernagelt, damit sie nicht in ihr Haus kommen können. Die vernagelten Fenster sind die Realität, von der wir ausgehen, obwohl wir alle wissen, dass es keine Geister gibt. Das 1927 als zentrales Argument entwickelte sozio-psychologische Grundgesetz heisst: "What eveer people believe to be real, is real in its consequences." Was immer wir für Theorien entwickeln, was immer wir glauben, was immer wir sagen, die Konsequenz des Dafürhaltens, DAS ist die Realität und nicht die Konsequenzen der naturgesetzlichen Äusserungen.

Nota: Ohne Besserwisserei sei hier hinzugefügt, dass es bei diesem Datum und dieser Setzung um das sogenannte Thomas Theorem geht: “if men define situations as real, they are real in their consequences” (Thomas and Thomas, The child in America, Knopf, Oxford, 1928, p. 572).

Nota bene: Siehe und höre am gleichen Ort Markus Gabriel zum Thema Digitalität und Verantwortung in Kulturinstitutionen, der mit der steilen These aufmacht [2]:

"Menschen sind diejenigen Lebewesen - deshalb heissen wir ’homo sagpiens’ - die nicht schon wissen, wer sie sind." [...] "Es gibt keinen Expertenrat. Sie können niemanden an-rufen. Es gibt keinen Telefon-Joker in der Frage, wer oder was der Mensch ist - das müssen Sie irgendwie selbst leisten. Und zwar im Konzert mit anderen, die sich in derselben Lage befinden..."

Umso spannender wäre es, sich nochmals en detail auf den Vortrag dieses Abends einzulassen, denn BB gibt in seinen umfangreichen und nicht immer leicht zu dechiffrierenden Ausführungen die Leitlinien für die zukünftige und eine zukunftsweisende Arbeit dieses Institut für künstlerische Forschung - an dem der Autor dieser Zeilen selbst auch schon seinen Beitrag geleistet hat - bekannt.

WS.

P.S.

Do 06.02.2020 11:07 ‌­Pressemitteilung: documenta archiv erhält Vorlass von Bazon Brock. Hubert Burda finanziert Erschließung.

Das documenta archiv erhält als Schenkung den bedeutenden Vorlass des renommierten Denkers, Kunstvermittlers, Kunstkritikers, Künstlers und Professors Bazon Brock. Bazon Brock hat u.a. die „Besucherschulen“ der documenta begründet und damit die Vermittlung zeitgenössischer Kunst als kritische eigenständige Praxis mit übergeordneten kulturellen Zielen etabliert.

Der nun übergebene umfangreiche Vorlass ist das Zeugnis jahrzehntelanger Arbeit Bazon Brocks in der „Denkerei“ in Berlin und dem Studio in Wuppertal. Er umfasst u.a. Siebdrucke, Korrespondenzen, Dias, Fotos, Lehrmaterialien, Bild- und Tonmaterial, Publikationen, Presseausschnitte, Kunstobjekte, digitale Daten sowie 2.000 Titel seiner Bibliothek mit Anmerkungen und Verweisen, die Einblick in seine Arbeitsweise ermöglichen.

Für das zur documenta und Museum Fridericianum gGmbH gehörende documenta archiv bedeutet die Übernahme des umfassenden Konvoluts einen wertvollen Zugewinn in seinem Kernbestand und in Hinblick auf das entstehende documenta Institut. Zusammen mit dem Nachlass von Arnold Bode bildet der Vorlass auch das Fundament des weiter auszubauenden Kurator*innen Zentrums.

Flankiert wird die Schenkung durch eine großzügige Spende von Dr. Hubert Burda. Sein Engagement ermöglicht die Erschließung des Konvoluts, die die Grundlage für eine öffentliche Nutzung und wissenschaftliche Auseinandersetzung bildet.
Hubert Burda ¬– der dieser Tage seinen 80. Geburtstag feiert – und Bazon Brock verbindet eine jahrzehntelange Freundschaft, die u.a. auf dem gemeinsamen kritischen Denken und einer produktiven Streitkultur fußt. Hubert Burda vor diesem Hintergrund: „Eine meiner größten Leistungen ist es vielleicht, dass ich es über 50 Jahre mit ihm ausgehalten habe.“ Dass sein Archiv und Teile seiner Sammlung an das documenta archiv übergeben und dort entsprechend als „geordneter Vorlass“ aufbereitet werden können, ist für Bazon Brock von großer Wichtigkeit: „Es bedeutet mir viel, einen so passenden Ort für mein Lebenswerk gefunden zu haben, an dem es der Öffentlichkeit zugänglich sein kann.“

Christian Geselle, Oberbürgermeister der Stadt Kassel und Aufsichtsratsvorsitzender der documenta und Museum Fridericianum gGmbH, freut sich über die Schenkung: „Dies ist ein großer Gewinn für die documenta Stadt Kassel. Dass ein so zentraler Vorlass für Kassel gewonnen werden konnte, zeigt, welch riesiges Potenzial das erst vor gut drei Jahren aus der Obhut der Stadt an die documenta und Museum Fridericianum gGmbH übergebene documenta archiv für die Geschichtsschreibung der documenta und auch der Entwicklung der zeitgenössischen Kunst und Kunstvermittlung hat.“

Auch das Land Hessen begrüßt den Zugewinn. Die hessische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Angela Dorn: „Die documenta rückt Hessen regelmäßig in den internationalen Fokus und begeistert alle, die sich für Kunst interessieren. Neben der großen kulturellen Strahlkraft geht es aber auch darum, die Bürgerinnen und Bürger einzubeziehen und ihnen die documenta erlebbar zu machen. Für die Kulturvermittlung hat Bazon Brock entscheidende Arbeit geleistet. Ich freue mich sehr, dass er dem documenta archiv als Gedächtnis der Weltkunstausstellung sein bedeutendes Lebenswerk überlässt. Es in Hessen zu wissen, wird das Land weiter als ein Zentrum dieser Kunstvermittlung stärken.“

Dr. Sabine Schormann, Generaldirektorin der documenta und Museum Fridericianum gGmbH, betont die Bedeutung der Schenkung: „So breit das Wirken Bazon Brocks als Universalpoet, Lehrer der Ästhetik, Autor, Redner und Schöpfer der Besucher- und Bürgerschulen war und ist, so vielfältig, universalistisch und kontrastreich ist der Vorlass, den wir jetzt als Schenkung für das documenta archiv erhalten haben. Dass Hubert Burda sich zudem entschlossen hat, uns eine so großzügige Spende für die Arbeit mit dem Vorlass zukommen zu lassen, ermöglicht erst die adäquate Erschließung. Wir sind Bazon Brock und ihm zu großem Dank verpflichtet. Auch die scheidende Direktorin des documenta archivs, Dr. Birgit Jooss und ihr Team haben mit jahrelangem Einsatz und professioneller Arbeit dafür gesorgt, dass der Vorlass für Kassel gesichert werden konnte.“

Die Übernahme des vollständigen Vorlasses wird nach baulicher Fertigstellung des sich derzeit in Gründung befindenden documenta Instituts erfolgen. Die Erschließungsarbeit beginnt zuvor.

Siehe dazu auch den Beitrag vom Folgetag, den 20. Mai 2022:
 NoShow: DLD "Reality Rules!?"

Bazon Brock
Prof. Dr. Bazon Brock (1936 als Jürgen Johannes Hermann Brock geboren) studierte Germanistik, Philosophie und Politikwissenschaften. Er war Schüler Adornos, Lyriker, Dramaturg, Künstler und Professor für Ästhetik und wird als Vertreter der Fluxus-Bewegung betrachtet. Er ist der Begründer der „Besucherschule“, die zu den documenta Ausstellungen 4, 5, 6 und 7 durchgeführt wurde und auch zur documenta 8 und 9 prägend blieb. Das Konzept trat 1968 für eine neuartige Kunstvermittlung an, die das Publikum visuell alphabetisieren wollte: Ziel sollte es sein, ein in der Breite qualifiziertes, mündiges Kunstpublikum auszubilden. Bekannt wurde das Konzept insbesondere auch mit dem „audiovisuellen Vorwort“ der documenta 5.

Anmerkungen

[1Umso enttäuschender, dass niemand dem zu Beginn des Vortrages vom Redner vorgetragenen Wunsch nachgekommen ist, aus den Weiten der Ränge mehr in Richtung Bühne zusammenzurücken. Dabei trug niemand im Publikum mehr eine Maske. Und doch war offensichtlich niemand bereit, der Autorität des Redners zu folgen oder aber seinem persönlichen Wunsch zu entsprechen. Warum eigentlich nicht?
Habe selbst schon an dieser Stelle vor damals vergleichsweise gut gefüllten Rängen gesprochen - erstmals 2005: Vortrag an der HFF Konrad Wolf, dann 2010: Von Avatar bis Omega. Über das A&O postanaloger Welten. , ff. - und überlege, wie es mir ergangen sein würde, wenn meiner Bitte nicht entsprochen worden wäre. WS

[2... und weiter über die Sprache, die Psychoanalyse, die Medien, das Denken...


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