Es ist Krieg! Und keine(r) geht zum Karneval?

VON Dr. Wolf SiegertZUM Freitag Letzte Bearbeitung: 26. Februar 2022 um 01 Uhr 34 Minutenzum Post-Scriptum

 

Allein diese Bilder vom Donnerstagabend aus den 19 Uhr-"heute"-Nachrichten und "Spezial"-Sendungen des Zweiten Deutschen Fernsehens sprechen für sich selbst:

Doch um darüber bereits an diesem Abend zu schreiben... versagt der Verstand. Die eigene Sprache ist zeitweise ausser Rand und Band geraten, während aus Moskau zu hören ist: "Keine Verständigung mit einer Bande von Neonazis und Drogenabhängigen".

Umso präziser offensichtlich die Kommandos, die für den militärischen Bereich gelten:

Das für uns Nachgeborene bislang Unvorstellbare ist brutalste Wirklichkeit geworden. Ein Krieg, der bereits seit dem Jahr 2014 seinen Ausgangspunkt genommen und bis heute mehr als zehntausend Tote gekostet hat... überzieht nun ein ganzes Land.

Ein Land, dessen in der Verfassung verankerter Wunsch auf einen NATO-Beitritt, vonseiten der Mitgliedsstaaten des - noch in jüngster Vergangenheit von Frankreich als hirntot erklärten - Bündnisses als derzeit nicht auf der Tagesordnung stehend verworfen wurde.

Weitere Gespräche, so wie von der Führung der Ukraine angeboten und vonseiten der Europäer erhofft, sollen, so Moskau, erst wieder möglich sein, wenn sich die Armee der Ukraine ergeben habe. Diese aber... kämpft weiter.

P.S.

Im Gegensatz zur eigenen gestrigen Sprachlosigkeit schrieben die nationalen und internationalen Zeitungen:

 AFTONBLADET aus Stockholm: „Heute Morgen ist die Welt zu einem gefährlicheren Ort für kleine Länder geworden“ [...] „Russlands Hunger wird nicht dadurch gestillt werden, die Ukraine zu schlucken. Jetzt muss die westliche Welt steinhart reagieren. Russland ist ein Schurkenstaat und muss auch als solcher behandelt werden.“

 CANBERRA TIMES:

„Sanktionen gegen Russland ändern nichts an Putins Vorgehen. Putin hat wiederholt bewiesen, dass er ein vollendeter Stratege ist, ein klassischer Schachmeister, der viele Züge vorausdenken kann. Diese Fähigkeiten hat er beim Einmarsch in Georgien 2008 und bei der Annexion der Krim 2014 unter Beweis gestellt. Trotz aller Bemühungen und strenger Sanktionen war die geballte Macht der westlichen Mächte auch damals nicht in der Lage, ihn von seinem Vorhaben abzubringen“

 HANNOVERSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG:

„Dieser Krieg wird die freiheitliche Gesellschaft in Europa auf eine harte Probe stellen“ [...] „Und selbst Deutschland, das daran gewöhnt ist, jedes beliebige Problem mit Geld zu lösen, wird an Grenzen kommen. Nach zwei Jahren Pandemie treffen Kriegsangst, Inflation und eine ausgebremste Wirtschaft auf eine ohnehin dünnhäutig gewordene Gesellschaft. Auf die Gefahren, die Putins Krieg in der Ukraine für Europa bedeuten, ist der Westen nicht gut vorbereitet.“

 FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG:

„Der Kreml attackiert mit seinen Panzern die gesamte staatliche Ordnung in Europa, das Völkerrecht, die Vernunft“ [...] „Die Hauptaufgabe der deutschen wie der westlichen Politik ist es, Putin in seinem Machtrausch klarzumachen, dass die NATO tatsächlich jeden Zentimeter des Bündnisgebiets verteidigen würde – mit allem, was sie dazu hat.“

 LIANHE ZAOBAO aus Singapur:

„Putin will die Ukraine zerstören oder zumindest in zwei Stücke reißen. Er verfälscht historische Tatsachen und spricht der Ukraine schlichtweg ihr Existenzrecht ab. Der russische Präsident hat nur noch sein politisches Vermächtnis im Blick, ohne jede Rücksicht auf Menschenleben und wirtschaftlichen Schaden!“

 MÄRKISCHE ODERZEITUNG aus Frankfurt/Oder:

„Deshalb ist der 24. Februar 2022 ein Tag, der die Welt verändert hat. Der letzte Tag, der dieses schreckliche Attribut trug, war der 11. September 2001, der Tag, an dem islamistische Terroristen Passagierflugzeuge im World Trade Center abstürzen ließen. Doch Putin hat nicht nur den islamistischen Terror aus dem Fokus vertrieben. Er hat den Kalten Krieg zurückgeholt.“

 NEW YORK TIMES:

„Es gibt keine Rechtfertigung für diese dreiste Invasion. Am frühen Morgen wurden Explosionen in ukrainischen Städten gemeldet, nachdem der russische Präsident Putin in einer Rede geschworen hatte, das Nachbarland zu ‚entmilitarisieren‘. Damit hat er jede Hoffnung auf eine friedliche Lösung der Krise zunichtegemacht. Jetzt ist es wichtig, dass US-Präsident Biden und die Führer anderer Nationen entschlossen zusammenstehen und Putin energisch entgegentreten. Es wird deutlich, dass es ihm nicht in erster Linie um die Nato oder die Sicherheit Russlands geht. Es geht um seine fremdenfeindliche, imperiale und fehlgeleitete Auffassung, die Ukraine sei von Natur aus ein Anhängsel Russlands, ihre Unabhängigkeit ein historischer Zufall und ihre Machthaber seien Usurpatoren“

 NIHON KEIZAI SHIMBUN aus Tokio:

„In Europa fehlte eine klare Vorstellung, wie man mit Russland umgehen sollte – mit einem traumatisierten Land, das zwar im Zweiten Weltkrieg siegte, aber den Kalten Krieg verlor. Unklar blieben lange auch die Beziehungen der EU zur Ukraine. Nach der Annexion der Krim hatte Österreich die Idee, die Ukraine in die EU aufzunehmen, aber dafür nicht in die Nato, damit diese sicherheitspolitisch unabhängig bleibt. Aber Deutschland und Frankreich wollten darauf nicht weiter eingehen, weil man zu sehr mit der Finanzkrise zu tun hatte. So haben die Europäer die Ukraine links liegen gelassen. Ein Hindernis war auch die Einschätzung, dass die Ukraine kulturell Russland näherstehe als Westeuropa. Das alles bot Russland genügend Angriffsfläche“

 DIE PRESSE aus Wien:

„Die aktuelle Situation zeigt wieder einmal eindrücklich die Schwächen der wirtschaftlichen Großmacht Europa, wenn es um politische Konflikte geht. Anders als die USA ist man auf dem alten Kontinent nicht nur militärisch nicht vorbereitet, sondern hat auch in Bereichen wie der Energiepolitik zu große Abhängigkeiten. Zum Teil ist das erklärbar, weil es anders als in Nordamerika weniger Öl- oder Gasvorkommen gibt. Allerdings hat man viel zu lang auf das Klumpenrisiko Russland gesetzt und die wichtige Diversifizierung der potenziellen Lieferanten versäumt“.

 LA RAZON aus Mexiko-Stadt:

„Putin nutzt für seine Konfrontation mit dem Westen auch den historisch bedingten Antiamerikanismus. Der russische Präsident ist keineswegs Kommunist. Trotzdem genießt er unter Marxisten Sympathie, auch in Lateinamerika. Dabei ist Russland keine Demokratie und verstößt mit seinem Auftreten gegenüber der Ukraine gegen internationales Recht. Ideologisch steht Putin der lateinamerikanischen Linken somit überhaupt nicht nah. Trotzdem stößt er dort auf Verständnis, und marxistische Influencer reden von Neonazis in der Ukraine, die von der Nato unterstützt werden. Aber weder sind die Ukrainer Neonazis, noch ist Putin ein Befreier“

 RHEINISCHE POST aus Düsseldorf:

„Es herrscht Krieg in Europa mit unabsehbaren Folgen. Der bange deutsche Blick gilt auch dem Baltikum. Sollte Russland die baltischen Nato-Staaten angreifen, tritt der Bündnisfall ein und auch Deutschland befindet sich im Krieg.“

 DIE RHEINPFALZ aus Ludwigshafen:

„Dem Westen muss es Warnung sein, dass eine noch mächtigere Autokratie – China – Putin in seinem Angriffskrieg stützt. Was jetzt in der Ukraine passiert, entscheidet wohl darüber, ob China sich demnächst Taiwan einverleibt.“

 RZECZPOSPOLITA aus Warschau:

„Niemand in Berlin zweifelt inzwischen mehr daran, dass die Russlandpolitik der letzten Jahrzehnte naiv war. An scharfer Russlandkritik hat es in Deutschland zwar nie gefehlt. Allerdings gab es auch viele sogenannte ‚Russlandversteher‘ mit der entsprechenden Bereitschaft, um fast jeden Preis mit Moskau zusammenzuarbeiten. Nun hat Deutschland einiges aufzuarbeiten: die Sünden der eigenen Naivität, das bisherige Wunschdenken, die romantischen Vorstellungen von Russland und die eigenen Schuldgefühle.“

 SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG:

„Europa hat diesen Augenblick seit dem Naziterror vor 80 Jahren zu fürchten und zu vermeiden gelernt. Nun ist der Krieg zurück, der Angriffskrieg, ein Überfall, ein Landraub, ein schreiendes, nie zu entschuldigendes Unrecht. Wladimir Putin wird in die Geschichte eingehen, als jener Despot, der Europa zu den Abgründen treibt, die der Kontinent ein für alle Mal hinter sich zu lassen gehofft hatte.“

 DE TELEGRAAF aus Amsterdam:

„Europa hat sich in Bezug auf Öl und Gas stark von Russland abhängig gemacht. Immer wieder war vor allem seitens der USA gewarnt worden, wie gefährlich es ist, sich bei der Versorgung mit essenziellen Energieträgern von dem launenhaften russischen Regime abhängig zu machen. Zudem zeigt sich, dass viele Länder – darunter auch die Niederlande – nicht genügend Vorräte aufgebaut haben. Es war unverantwortlich, die Erdgasförderung in Groningen fast vollständig stillzulegen, ohne Alternativen dafür zu haben“

 TIMES aus London:

„Jetzt muss sich auch die Nato auf Krieg in Europa einstellen. Dabei wird es aber fast unmöglich sein, ein Verteidigungskonzept über Nacht neu auszurichten. Es dauert Jahre, um Ressourcen und Fähigkeiten anzupassen. Eine kurzfristige Umstellung ist strategisch riskant und zudem äußerst kostspielig. Und außerdem ist das Geld dafür einfach nicht da.“

 VERDENS GANG aus Oslo:

„Der Zusammenbruch der Sowjetunion ist für ihn die größte geopolitische Katastrophe des letzten Jahrhunderts. Putin will sich rächen und Russland wieder großmachen – und dabei nimmt die Ukraine eine zentrale Position ein.“

 WESTFÄLISCHEN NACHRICHTEN aus Münster:

„Eine Frage, die sich in der aktuellen Situation neu stellen muss, ist die nach Waffenlieferungen“ [...] „Die USA, Frankreich, Großbritannien, die baltischen Staaten, Polen: Sie alle unterstützen die Ukraine mit militärischem Material. Im Angesicht des laufenden Angriffs muss sich Deutschland hier neu positionieren. Und zwar schnell.“

 XINMIN WANBAO aus Schanghai:

„Das Scheitern des Minsker Abkommens zeigt die Ohnmacht der Europäischen Union“ [...] „Die führenden EU-Nationen Deutschland und Frankreich verfügen weder über die militärischen Mittel noch über den Willen, diese einzusetzen. Diplomatische Überzeugungsarbeit ist aber in einer Situation, in der bereits ein bewaffneter Konflikt stattfindet, von geringem Nutzen. Mit ihren diplomatischen Verurteilungen und der Verhängung von Wirtschaftssanktionen gegen Russland haben die Europäer ihr ganzes Pulver jetzt schon verschossen. Alles andere übersteigt ihre Möglichkeiten“

Aus dem persönlichen Umfeld der Verweis auf diese Beiträge, die inzwischen öffentlich gemacht wurden:

 The paradoxes we live by. Belief in Fairytales: SNG’s Metalogue vom 25.02.2022

When President Biden was asked why he didn’t implement the swift ban, he was coy and diplomatic. His candid answer should have been “the constraints put on me by German Chancellor Olaf Scholz prevented it”.

 Russland greift Ukraine an – Wie gehen die Medien damit um?: BR-MedienMagazin vom 27.02.2022

• Medien in Russland: Zwischen Desinformation und Marginalisierung (Interview mit Tamina Kutscher, Chefredakteurin von Dekoder.org)
• Wie Russland Krieg im Netz führt und die Ukraine dagegen hält (Gespräch mit Gregor Schmalzried, BR-Netzwelt)
• Ungewohnte Einigkeit: Wie die US-Medien über die russische Invasion in der Ukraine berichten (Gespräch mit Katrin Brand, ARD-Korrespondentin in Washington)