Drei Männer in einem sinkenden Boot? [1] Ob die Volontärin dieses retten und die Herrschaften an Land ziehen kann? Hören und lesen Sie selber:
Die deutsche Wiedervereinigung wurde zur Geburtsstunde des Deutschlandradio. Nach dem Vorbild der BBC entstanden die ersten beiden bundesweiten Radioprogramme Deutschlands. Inzwischen sind es drei Sender, die eng mit den gesellschaftlichen Umbrüchen des Landes verknüpft sind. Drei Intendanten und eine Volontärin diskutieren.
Ernst Elitz, Stefan Raue, Willi Steul und Anh Tran im Gespräch mit Bettina Schmieding
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Der Riss, der sich mit der Berliner Mauer durch Deutschland zog, war anfänglich auch in den Funkhäusern des Deutschlandradio spürbar. Schließlich mussten auf einen Schlag Kolleginnen und Kollegen zusammen Programm machen, die sich zuvor bisweilen noch als Gegner gegenüber gestanden hatten. Diese Gräben seien mittlerweile aber längst überwunden, glaubt der ehemalige Intendant des Deutschlandradio Willi Steul: „Das Ganze ist vorbei.“ Der Arbeitsdruck, gemeinsam neue Programme entwickeln zu müssen, habe Kolleginnen und Kollegen zusammen geschweißt, ergänzt Ernst Elitz. Es gebe jedoch durchaus noch unterschiedliche Lebensgefühle im Land, betont Deutschlandradio-Intendant Stefan Raue. „Man darf nicht unterschätzen, welche langfristigen Folgen getrennte Identitäten, getrennte Geschichte haben“, so Raue, damit müsse man sich immer wieder auseinandersetzen. Das zeige sich nicht zuletzt auch an den Diskussionen über den hohen Zuspruch für populistische Parteien und Bewegungen in Ost- und Mitteldeutschland.
Senden gegen die Mauer in den Köpfen
Gegen die Mauer in den Köpfen ansenden, Integration, auch innerdeutsch, fördern: gerade das gehört zum Kernsendeauftrag von Deutschlandradio. Für die Deutschlandradio Volontärin Anh Tran ist die gedankliche Teilung zwischen Ost und West persönlich kein Thema mehr. Sie wünscht sich, dass dies auch verstärkt in der gesamtgesellschaftlichen und medialen Debatte ankommt: „Ich bin es leid“, dass „immer noch von Wessis und Ossis die Rede ist“, so Tran.
Mehr Diversität und KreativitätLängst überfällig sei auch eine größere Diversität in den Programmen und im Personal des Deutschlandradio. Anh Tran betont, dass es heute selbstverständlich sein müsse, als Frau, Person aus dem Osten, oder Angehörige einer Minderheit Teil des Senders zu sein. Gut gelänge dies mittlerweile bei Deutschlandfunk Nova, dem Jüngsten der drei Sender. „Es ist ein Programm, das uns hilft, den Anschluss nicht zu verlieren“, so Tran. Ein bunteres Programm, mehr Diversität und Kreativität, „das erzwingt auch der sogenannte Medienmarkt“, bestätigt Intendant Stefan Raue. Daran zu arbeiten „verspreche ich Ihnen.“
Digitale Herausforderung
Auch die digitale Herausforderung stünde nun nicht mehr vor der Tür, „sondern sie ist da“, betont der derzeitige Intendant. „Und wenn wir uns darauf nicht einlassen, wenn wir nicht neue Formen, Überraschendes entwickeln, andere Arten Radio, dann sind wir irgendwann Dinosaurier, und das wollen wir ja alle nicht.“
Im Folgenden finden Sie ein vollständiges Transkript der Diskussion:
Bettina Schmieding: Herzlich willkommen zur Sendung „mediasres extra“, die an diesem Karfreitag ein bisschen anders ist als Sie es vielleicht gewohnt sind. Wir haben eine ganze Stunde Zeit und wollen auch etwas selbstbezogener sein als sonst. Ich erkläre Ihnen gleich warum. Zunächst darf ich Ihnen meine Gäste im Schnelldurchlauf einmal vorstellen. Hoher Besuch im Studio heute: Stefan Raue ist Intendant des Deutschlandradio, Ernst Elitz und Willi Steul waren Deutschlandradio-Intendanten. Ernst Elitz begrüße ich in Berlin, und Herr Steul ist uns aus Südfrankreich zugeschaltet. Guten Tag! Meine Kollegin Anh Tran, die komplettiert die Runde heute. Sie ist Volontärin und wird genau wie Deutschlandradio in diesem Jahr 25 Jahre alt. Wir zwei sitzen zusammen mit Herrn Raue hier in Köln im Studio. Ich sage noch einmal herzlich Willkommen und guten Tag in die Runde! 2019 ist ein besonderes Jahr für das Deutschlandradio, zu dem der Deutschlandfunk gehört. Wir feiern Silberhochzeit zu dritt – das kann man vielleicht so sagen. Vor 25 Jahren wurde aus den Sendern RIAS, DS Kultur und Deutschlandfunk eine Senderfamilie, das Deutschlandradio. Es war eine arrangierte Beziehung, so kann man es vielleicht ausdrücken, aber sie hält, und diese Ehe hatte eine spannende Vorgeschichte. Ich würde sogar von dramatischen Umständen sprechen, die man im Programm des RIAS am 9. November 1989 mitverfolgen konnte.
Geschichte von Deutschlandradio begann mit dem Fall der Berliner Mauer
9.November 1989, Berlin:
„Circa eine Stunde ungefähr sind die Grenzen offen und im wahrsten Sinne des Wortes gestürmt worden.“
„Vorhin haben sie noch einzeln durchgelassen und dann haben sie das Tor aufgemacht. Und jetzt konnten wir alle, so wie wir waren, gehen. Ohne jede Kontrolle. Gar nichts. Ich habe nicht einmal einen Ausweis dabei.“
„Wir hatten gerade noch unsere Protestresolution fertig gemacht, unterschrieben gegen das Reisegesetz. Die wollten wir gerade noch fertig machen zum Abschicken. Und dann sage ich, los, jetzt fahren wir zur Bornholmer. Gucken, ob es stimmt. Und jetzt will ich auf den Kudamm.“
„Jetzt wollen Sie auf den Kudamm?“
„Ja, den will ich sehen. Einmal. Und dann gehen wir wieder zurück. Dann gehen wir wieder arbeiten und übermorgen kommen wir wieder.“
„Es ist ein so toller Tag für uns alle. Wir freuen uns so sehr. Es ist ein großer Tag für die Berlinerinnen und Berliner. Und es ist einfach ein großer Tag für die Deutschen.“
„So ein Tag, so wunderschön wie heute…“
Die Unterzeichnung der Staatsverträge für die Gründung von Deutschlandradio. Im Hintergrund sind Fahnen verschiedener Bundesländer zu sehen. (Deutschlandradio)Die Unterzeichnung der Staatsverträge für die Gründung von Deutschlandradio (Deutschlandradio)
Schmieding: Wer dabei war, der vergisst diese Momente nie, aber auch wer nicht in Berlin sein konnte, als die Mauer fiel, hat diesen Tag auch nach vielen Jahren noch parat. Das gilt bestimmt für drei meiner vier Gäste, denke ich. Stefan Rauer ist Intendant von Deutschlandradio, hat als Zeitungsjournalist angefangen, war unter anderem beim WDR, beim RIAS, bei der Deutschen Welle, beim ZDF und zuletzt beim MDR. Wie war Ihr 9. November 1989?
Stefan Raue: Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich nicht genau weiß, was ich an diesem Abend und an diesem Tag gemacht habe. Ich weiß, mit was ich beschäftigt war. Ich war beim Westdeutschen Rundfunk in der Landespolitik und habe ein Feature geschnitten über die Republikaner, die damals kurz vor dem Landtag standen. Also da standen Landtagswahlen an, das waren ähnliche Diskussionen im Übrigen wie über die AfD heute, waren auch ein ähnliches Personal im Übrigen von Seiten der Republikaner, und da war ich im Schneideraum und habe meinen Beitrag gemacht. Damals war in Düsseldorf in Nordrhein-Westfalen das Thema nicht Fall der Mauer oder mögliche deutsche Einheit, sondern wie sehen die nächsten Landtagswahlen aus. Aber ich hatte in der Tasche oder zu Hause auf dem Schreibtisch ein Bewerbungsschreiben von mir Richtung RIAS und hatte auch eine Zusage von RIAS, doch möglichst rasch nach Berlin zu kommen und zwar für RIAS TV, die damals in Wedding im alten AEG-Gelände ihr Studio hatten, ein Fernsehprogramm, ein tägliches, machten. Mit diesem Hintergedanken habe ich natürlich die nächsten Tage ganz anders beobachtet und habe mich natürlich riesig gefreut, in dieses Berlin hineinzukommen, in dem so vieles passierte. Man muss der Ehrlichkeit halber auch sagen, mein Vater ist und war Berliner, und ich hatte immer eine enge Bindung auch an die Stadt und habe das natürlich mit großem Atemklopfen verfolgt.
Schmieding: Und dann tauchte wahrscheinlich auch ganz schnell die Frage auf, was wird aus dem RIAS. Der Fall der Mauer war nämlich ein tiefer Einschnitt und auch für die Medien. In Ostdeutschland wurden neue Zeitungen gedruckt, Westverlage gründeten Blätter im Osten, mit dem Mitteldeutschen Rundfunk entstand die erste ostdeutsche öffentlich-rechtliche Landesrundfunkanstalt, in Ostberlin wurde aus dem Radio DDR2 und Deutschlandsender das junge Programm Deutschlandsender Kultur, kurz DS Kultur, gemacht. Die Frage war nun, was passiert mit diesem RIAS, was passiert mit dem Deutschlandfunk. Beide hatten ja Informationen für die Menschen auf der anderen Seite der Mauer im Aufgabenheft stehen, und nun war die Mauer weg. Der Sendeauftrag war also erledigt. Ernst Elitz, Sie waren nicht nur beim ZDF und beim Süddeutschen Rundfunk, bevor Sie 1994 Deutschlandradio-Intendant wurden. Genau wie Stefan Raue waren Sie auch mal beim RIAS. War das ausgemachte Sache, dass es nach ‚89 für RIAS und Deutschlandfunk eine Zukunft geben sollte?
Menschen zusammenführen: Senden gegen die Mauer in den Köpfen
Ernst Elitz: Das war eben keine ausgemachte Sache, sondern es gab unter den Politikern in den Ländern und vor allen Dingen bei der ARD fast klare Festlegungen, dass man den Deutschlandfunk und den RIAS nicht mehr brauche, denn der Auftrag war erfüllt. Beide Sender hatten ja die Aufgabe, mit Kultur, mit Informationen in die DDR hineinzuwirken und den Gedanken der Wiedervereinigung zu fördern, und nun war die Wiedervereinigung da, von den Menschen in der DDR selber erkämpft, und nun, meinte man, braucht man eigentlich gar nicht mehr. Aber auf der anderen Seite war, man muss sagen glücklicherweise, auch noch der Bund, die Bundesregierung an diesen beiden Sendern beteiligt. Die wurden ja nicht aus Rundfunkgebühren finanziert, sondern aus Steuermitteln, weil das als eine nationale Aufgabe angesehen wurde, diese Information in den Osten hinein. So ist der Bund ein starker Förderer der Tatsache gewesen, diese Sender nicht abzuwickeln, sondern ihnen eine neue Aufgabe zu geben und dann als eine nationale Rundfunkanstalt für alle Teile Deutschlands mit dem Ziel, die Menschen – die Mauer war weg, aber es gab noch eine Mauer in den Köpfen – als Medium zusammenzuführen.
Schmieding: Zur Disposition stand ja damals auch ein ganz neues, ganz junges Radioprojekt, kann ich vielleicht so sagen, dreieinhalb Jahre hat das nur gedauert. Ein herrliches Machtvakuum sagt man heute. Also die, die damals dabei waren, sagen, das war ein wunderbares journalistisches Machtvakuum, in dem man da senden konnte. DS Kultur, also Deutschlandsender Kultur, ein Projekt des runden Tisches. Können Sie uns etwas darüber erzählen, Herr Elitz, was war das für ein Programm?
Elitz: Es waren die Mitarbeiter des ehemaligen Kulturprogramms der DDR, des Rundfunks der DDR, die dort zusammengeführt wurden, und für die war das natürlich ein ganz neues Erlebnis. Sie konnten jetzt Journalisten sein, wie Journalisten in einer Demokratie arbeiten können. Das war für die natürlich auch eine Umstellung. Man musste sich nichts mehr absegnen lassen. Man konnte senden, was man wollte. Da war man manchmal auch noch etwas scheu, aber man entdeckte jetzt auf einmal den Journalismus, und man sprach mit den DDR-Bürgern auf den Straßen und holte sie ins Studio und ließ sie auch ihre Erwartungen an diesen demokratischen Staat Deutschland, der beide Teile vereinte, dort vorzutragen. Man diskutierte mit ihnen, und man diskutierte auch mit den Kollegen aus dem Westen, natürlich auch mit den Kollegen aus dem RIAS, sodass es schon erste zarte Bande gab, bevor dann die Länder einen Gründungsausschuss für das Deutschlandradio gründeten und dann diese drei Sender zusammenführten.
Aus DS Kultur und RIAS wurde schließlich Deutschlandfunk Kultur
Schmieding: Jetzt würde ich Ihnen gerne ganz kurz erklären, meine Damen und Herren, was dann da eigentlich zusammengelegt werden sollte. Es wird ein bisschen kompliziert. Seien Sie geduldig. Das kann ich Ihnen aber nicht ersparen, da müssen wir einmal alle durch. Aus den drei Programme – DS Kultur, RIAS und Deutschlandfunk – wurden also zwei Programme. Oben drüber steht die Körperschaft Deutschlandradio, ein Programm durfte bleiben wie es war – das war der Deutschlandfunk –, DS Kultur und RIAS wurden zu Deutschlandradio Berlin. Um die Verwirrung jetzt noch zu komplettieren: Aus Deutschlandradio Berlin wurde später Deutschlandradio Kultur und dann Deutschlandfunk Kultur. Keine Sorge, ich frage niemanden ab nachher, das können Sie eigentlich auch alles vergessen, merken Sie sich nur Deutschlandfunk Kultur. Will Steul, Sie sind seit 1994 vom Südwestfunk gekommen und Chefredakteur von Deutschlandradio Berlin, vormals DS Kultur und RIAS, geworden. Der Deutschlandfunk heißt bis heute so, wie er schon bei seiner Gründung 1962 hieß, also Deutschlandfunk. War das symptomatisch? Bedeutet das jetzt so im Rückblick, dass sich alle ändern mussten, nur der Deutschlandfunk nicht?
Willi Steul: Also Deutschlandfunk war natürlich die stärkste Marke – reden wir doch mal in diesen Begriffen auch. In der ehemaligen DDR wurde Deutschlandfunk sehr viel gehört. Deutschlandfunk war ein Begriff, und Deutschlandfunk Kultur oder, nein, damals Deutschlandradio Berlin, und DS Kultur mussten zusammengeführt werden zu einem Programm, und es musste ein neues Programm sein. In der Anfangszeit, das war die Gerda Hollunder, die Direktorin und ich, und mit den Kollegen zusammen, wir mussten ein ganz neues Programm machen, und zwar mit der Handschrift Kultur. Ich weiß noch, und ich stand absolut zu dieser Entscheidung, dass wir keine eigenen gesonderten Nachrichten mehr machen, sondern O-Ton-Nachrichten, dass wir uns nicht an dem Deutschlandfunk orientieren. Man muss sich nämlich unterscheiden, man muss sein eigenes Profil entwickeln, und das war nicht ganz einfach über die Jahre. Der letzte Schritt, wenn Sie so wollen, das war der logische Schritt, das habe ich als Intendant entschieden und dann auch etwas mühsam den Rundfunkrat und dem Verwaltungsrat beigebracht, dass wir jetzt – es kam ja ein neues Programm dann hinzu mit dem Start 2010, das war Deutschlandfunk Nova –, dass alle drei Programme unter der Marke Deutschlandfunk laufen. Hätte man ganz am Anfang, aber das war politisch nicht machbar. Herr Elitz, dem wir alle sehr dankbar sein müssen, dass er dieses Haus auch mit den Programmen so im Bewusstsein der Öffentlichkeit und der relevanten Politik verankert hat, gleich von Anfang an, wie es sinnvoll, richtig gewesen wäre, aber das war nicht möglich, die drei Programme Deutschlandfunk zu nennen. Das musste erst in einem späteren Schritt kommen, und das ist jetzt vollzogen, und ich bin … Herr Raue, Kompliment, wenn Sie sich ansehen, was die letzten Zahlen waren der MAA, also wie man uns beachtet, Deutschland, die drei Programme von Deutschlandradio haben heute zusammengerechnet etwa zweieinhalb Millionen Hörer täglich. Als ich begonnen habe meine Zeit als Intendant, waren wir bei 1,6, glaube ich.
Deutschlandfunk, Deutschlandfunk Kultur und Deutschlandfunk Nova bilden gemeinsam das Deutschlandradio
Schmieding: Herr Steul, jetzt sind Sie mir diplomatisch ein bisschen ausgewichen. Es gab ja den Vorwurf, der Westen hat sich übergestülpt, und das stand eigentlich so ein bisschen hinter meiner Frage. Stimmt der auch beim nationalen Hörfunk, saß der Osten am Katzentisch? Sollte alles so werden wie der Deutschlandfunk?
Steul: Nein, natürlich im Gegenteil: sollte nicht so werden wie der Deutschlandfunk. Das habe ich doch gerade gesagt. Man muss ein anderes Programmprofil machen. Es gab vor allen Dingen unter den politischen Journalisten, dem damaligen Deutschlandradio Berlin, gab es den neidvollen Blick auf Köln. Warum können wir so etwas nicht machen. Die orientierten sich schon an dem Deutschlandfunk, aber in der Programmprofilierung musste man dagegenhalten. Dies ist ein Kulturprogramm, was auch politische Informationen haben muss, und der Deutschlandfunk ist ein im Grunde genommen politische, gesellschaftliche Information, das auch Musik hat.
Schmieding: Im Berliner Programm arbeiteten von einem Tag also auf den anderen Journalisten zusammen, die sich viele Jahre als RIAS und Radio der DDR gegenübergestanden hatten, also sowas wie Klassenfeinde vielleicht auch waren. Astrid Kuhlmey – in Leipzig ausgebildet und nach der Wende zunächst Redakteurin bei DS Kultur – erinnert sich an ihre ersten Arbeitstage im ehemaligen RIAS-Gebäude so:
Mit der Wiedervereinigung wurden aus Gegnern Kolleginnen und Kollegen
„Wir hatten erste Sitzungen, und da haben einige Kollegen gesagt, ja, wir treffen uns meinetwegen im Raum 217. Jetzt hat dieses Haus hier zweimal den Raum 217, und wir kleinen dummen Ossis sind rumgerannt und haben das nie gefunden. Wieso ward ihr denn nicht bei der Sitzung, wir haben uns über das neue Programm Gedanken gemacht. Aber ich finde das alles vielleicht im Abstand normal. Damals war es traurig, und ich muss auch gestehen, ich habe in dem ersten Jahr manches Mal geheult und habe gedacht, mein Weg geht zum Arbeitsamt.“
Schmieding: Wir dürfen nicht vergessen, im Kalten Krieg waren die Waffen der Wahl nicht selten die Worte. RIAS und DDR-Programme sendeten gegeneinander. Herr Elitz, und die sollten auf einmal zusammenarbeiten. Wie war das, wie funktionierte das?
Elitz: Na ja, es gibt natürlich auch andere Beispiele. Nicht dass man in getrennten Räume über das Programm diskutierten sollte, sondern es gab ja auch viele Kollegen aus dem ehemaligen RIAS, die die Kollegen, die dort aus Ostberlin kamen, empfingen, mit ihnen das Zimmer teilten und mit ihnen auf eine ganz normale freundschaftliche und kollegiale Art zusammengearbeitet haben. Sonst hätte das ja nicht geklappt. Aber wir hatten ja jetzt die zentrale Aufgabe, zwei Programme wirklich beiseite zu schieben und uns Gedanken über ein neues Programm in Berlin zu machen, über das Deutschlandradio in Berlin. Da hatten wir auch einen Druck, das möglichst schnell zu tun, denn als ich das Haus hier übernommen habe, da hatte man sich das ganz einfach gemacht. Es gab ja noch keinen Intendanten, der eine Richtung vorgeben konnte. Da hatte man sich das ganz einfach gemacht und hat am Vormittag den RIAS gesendet und am Nachmittag das DS Kultur. Das war natürlich ein unhaltbarer Zustand.
Schmieding: Die Hörer fanden das nicht toll, oder?
Elitz: Enormer Druck ein gemeinsames Programm zu machen.
Elitz: Na ja, es gab ja damals … Die alten RIAS-Hörer waren natürlich schwer enttäuscht und empört und schrieben auch zum Teil, die Ossis müssen da weg. Die DDR-Bürger, die dieses DS Kultur liebgewonnen hatten, weil es aus der DDR heraus eine ganz neue Form des Journalismus betrieben hatte, waren natürlich auch nicht so zufrieden, aber deshalb bestand der enorme Druck, ein gemeinsames Programm zu machen. Dieser Arbeitsdruck schweißt natürlich auch Menschen zusammen. Wenn Sie neue Programme zu entwickeln haben und neue Sendungen, eine neue Struktur, dann bleibt da nicht viel Zeit für Schwermut und für Intrigantentum gegeneinander – liegt natürlich auch an der Führung. Dann geht es darum, jetzt muss schnell etwas Neues auf den Tisch gebracht werden.
Schmieding: Ich habe uns noch eine junge Kollegin ins Studio geladen. Anh Tran ist in Dresden geboren und feiert wie das Deutschlandradio in diesem Jahr ihren 25. Geburtstag und ist seit drei Monaten Volontärin hier bei uns im Haus. Frau Tran, Sie sind in Dresden zur Schule gegangen und haben in Jena studiert. Wann tauchte denn dieser nationale Hörfunk, von dem wir jetzt die ganze Zeit gesprochen haben, zum ersten Mal an Ihrem Horizont auf?
Anh Tran: Tatsächlich relativ spät, wenn ich ganz ehrlich bin, denn meine Eltern haben eine Kneipe in Dresden, die liebe ich auch sehr. Ich war früher Imbisskind, dann bin ich Kneipenkind geworden, und dann bin ich zur Uni gegangen, und da spielte das Deutschlandradio nicht so eine große Rolle.
Schmieding: Welche Medien haben denn Ihre Eltern verfolgt?
Tran: Meine Eltern, die haben morgens für die Kunden, für die Gäste immer schön „Bild“ und „Morgenpost“ gekauft, wenn ich ganz, ganz ehrlich bin, und im Radio lief das, was eben gerade lieft, wo gerade Wolle Petry gespielt wurde, was ihnen eben gerade am besten gefallen hat.
Schmieding: Trotzdem hat Ihr Weg Sie jetzt in der ersten richtig ernstzunehmenden beruflichen Station zum Deutschlandradio geführt. Warum?
Tran: Warum – das frage ich mich auch manchmal noch. Ich habe da auch drüber nachgedacht, bevor ich hierhergekommen bin, und ich glaube, es fängt an mit dem Zuhören. Ich habe, glaube ich, schon supergerne zugehört. Ich weiß nicht, ob es die Herren, die heute hier sind, auch noch kennen, die Kassette, den Kassettenrekorder. Ich war großer Benjamin-Blümchen-Fan und habe da immer supergerne zugehört. Meine Oma hat mir immer vorgelesen, da habe ich supergerne zugehört, und auch irgendwann im Radio habe ich gerne zugehört, was die Leute zu sprechen hatten, was sie mir erzählt haben, welche Geschichten da offenbar wurden. Mein Weg ins Radio kam dann durch das Campus-Radio in Jena. Bestes Campus-Radio für mich natürlich persönlich. Da habe ich auch gelernt, dass mir es immer noch Spaß macht, den Menschen zuzuhören, und zwar dann auf der Straße, in der Uni, dem Uni-Präsidenten, was der eigentlich so einer 20-jährigen Studentin zu erzählen hat, aber auch Bands. Ich mag zuhören einfach unglaublich gerne am Radio.
Schmieding: Ganz besonders multimedial aufgestellt ist Stefan Raue, der Intendant von Deutschlandradio. Ich habe es eben schon mal angedeutet, also Station bei der Zeitung, beim Fernsehen, und am Schluss trimedialer Chefredakteur beim MRD gewesen, in Wuppertal geboren. Sie sind seit anderthalb Jahren Intendant hier bei uns im Haus. Wie haben Sie das Miteinander von Ost- und Westkollegen hier in diesen anderthalb Jahren wahrgenommen? Wie empfinden Sie die Zusammensetzung unseres Kollegiums?
Raue: „Dieser Auftrag deutsche Einheit, ist viel vielschichtiger, aufwendiger und komplexer als wir alle gedacht haben.“
Raue: Ja, das Ost-West-Thema ist mir aus meiner RIAS-Zeit schon nicht ganz unbekannt. Ernst Elitz hat es ja eben angesprochen, man darf ja nicht vergessen, bei RIAS saßen ja nicht nur Westberliner, sondern bei RIAS waren viele, die aus der DDR weggegangen waren, geflohen waren, mit sehr viel Herzblut in die DDR hineingesendet haben. Da gab es auch noch mal ganz andere Konstellationen als wir uns das heute vielleicht vorstellen können, ganz andere Traditionen auch und ganz andere … haben die Kollegen auch ganz andere Aufträge noch für ihr mediales Tun gespürt. Das Ost-West-Thema, also ehrlich gesagt, muss ich sagen, als dann das, RIAS TV, RIAS geht zu Ende, RIAS TV geht zur Deutschen Welle, RIAS Hörfunk, erst 2, also das junge Programm wird privatisiert, RIAS 1 geht dann zum Deutschlandradio. Wir haben als RIAS-Kollegen das damals schon sehr melancholisch gesehen. Das war jetzt nicht nur, weil wir so einen schönen Job hatten und so interessante Sachen gemacht haben, sondern weil wir schon damals gesagt haben, jetzt kommt die deutsche Einheit, jetzt ist die da, nach dem 3. Oktober 1990, aber glaubt doch nicht, dass das morgen zu Ende ist, dass das morgen geschafft ist. Dieses Zusammenwachsen von DDR und Bundesrepublik, West und Ost, das wird über Jahrzehnte … das sind Generationenaufträge, und da ist doch ein Sender wie RIAS oder Deutschlandfunk oder DS Kultur, ist da doch wie geschaffen, um diese Integration von Ost und West über einen längeren Zeitraum auch hinzubekommen. Insofern haben wir eigentlich gesagt, ausgerechnet jetzt, wo wir so dringend gebraucht würden, wird das jetzt in einen neuen Laden hineingebracht und so weiter. Also große Begeisterung war da eigentlich damals nicht so zu spüren. Jetzt nach so vielen Jahren muss man sagen, damit hatten wir recht. Dieser Auftrag deutsche Einheit, der ist viel, viel vielschichtiger und viel aufwendiger und viel komplexer als wir alle gedacht haben, ob wirtschaftlich, kulturell, von unseren Mentalitäten her, von unseren politischen Einschätzungen her, und ich denke, das ist auch ein ganz, ganz zentraler und wichtiger Auftrag für das Deutschlandradio von heute, für Deutschlandfunk, Deutschlandfunk Kultur und auch Deutschlandfunk Nova, auf integrative Art, auf offene Art, in einer Art von offenem Diskurs auch am Zusammenwachsen unserer Region da beizutragen und dabei auch zu helfen.
Steul: Ich gebe Herrn Raue völlig recht, dass dieses Zusammenwachsen noch lange nicht abgeschlossen ist, aber ich widerspreche eben, dass das besser gewesen wäre, wenn der RIAS sozusagen sein Ding weitergemacht hätte in einer anderen Konstellation. Ich glaube, dass die Konstruktion Deutschlandradio mit dem Dazu-Nehmen von DS Kultur genau die richtige Entscheidung war.
Schmieding: Herr Elitz bitte.
Vor Deutschlandradio gab es nur regionalen Hörfunk in DeutschlandElitz: Es ging dem Ministerpräsidenten ja auch um mehr, und das war ein anderer wichtiger Grund, das Deutschlandradio aufzustellen. Es gab ja in Deutschland nur die Landesrundfunkanstalten. Es gab in dem Sinne nur regionale Sender in Deutschland. Es gab nicht das, was es in jedem anderen europäischen Land gibt, ein nationales Radio, einen nationalen Hörfunk. Wir haben immer gesagt, das ist die deutsche BBC, und das ist es ja dann tatsächlich auch gewesen und auch von den Qualitätsansprüchen geworden. Es war nicht nur die Integration, sondern die Integration wird natürlich schon dadurch gefördert, wenn alle Leute, in welchem Bundesland sie auch immer leben, ein Programm hören können, das die Probleme des ganzen Deutschlands, auch aus den unterschiedlichen Regionen, darbietet und das starke internationale Kontakte hat, das ist der andere Grund für die Gründung des Deutschlandradios gewesen. Also nicht immer nur die Integrationsfahne schwenken und den Leuten sagen, jetzt wollen wir euch mal integrieren, sondern es ist auch die Aufgabe gewesen, einen nationalen Sender wie die BBC in Deutschland aufzubauen, und das ist uns auch gelungen.
Elitz: „Wir haben immer gesagt, das ist die deutsche BBC.“
Schmieding: Haben wir das denn wirklich ausreichend geschafft? Jetzt in den letzten Jahren hört man ja immer wieder, immer dann, wenn es sowas gibt wie Chemnitz zum Beispiel, dass gerade die Medien irgendwo auch einen gewissen blinden Fleck haben und oft auch durch die Westbrille gucken und Ostthemen einfach vernachlässigen, Herr Steul?
Steul: Also ich hatte damals den Auftrag nach der Gründung
94 ganz schnell von Herrn Elitz, schaff mir in jedem Bundesland Korrespondenten. Ich bin dann sehr viel in den neuen Bundesländern herumgefahren und habe Studios gesucht und Büros und so weiter, und so weiter und vor allen Dingen Menschen, die das machen können. Wir haben dann tatsächlich relativ schnell im ganzen mittleren Deutschland überall unsere regionalen Korrespondenten gehabt, und wir haben auch ein Programm und Programmplätze geschaffen, und zwar nicht nur in dem neuen Deutschlandradio Berlin, wie es damals hieß, sondern auch im Deutschlandfunk, um Programmplätze zu haben, um das Leben in den hinzugekommenen Bundesländern zu spiegeln. Das halte ich für etwas ganz Relevantes, und was Herr Elitz sagte, dass wir das eigentlich einzige Programm, das einzige Haus sind mit seinen Programmen, das flächendeckend für die ganze Bundesrepublik ein Geschehen abbildet, dass wir – und jetzt komme ich zu diesem Punkt, dass Sie sagen, die Medien, wenn da etwas passiert, dass das immer noch nicht gelungen ist –, wir sind im Rundfunk, ich glaube, weiter als die gesamte Gesellschaft, aber wir sind insgesamt in Deutschland natürlich noch nicht miteinander so wie es sein müsste. Elitz: Wir haben ja dann diese Studios in den einzigen Bundesländern ja nicht nur auf den Osten bezogen, sondern wir haben in allen Ländern eigene Korrespondenten gehabt, denn auch diese Länder, das war auch ein Auftrag der Politik, den wir bekommen hatten, dass auch diese Länder mit ihren Problemen in dem Radio wiedergespiegelt werden, und wir konnten da wenig auf die Landesrundfunkanstalten zugehen. Die hatten einen ganz anderen Zuschnitt, und die hatten eine ganze andere Sicht auf das, was in ihrem Bundesland passiert. Uns ging es ja darum, das Entscheidende, das Wichtige herauszuarbeiten. Dann haben wir uns unsere kleinen Studios gesucht, das waren ein oder zwei Zimmer. Ich erinnere mich noch daran, wie wir in Niedersachsen, in Hannover dann ein Studio eingerichtet haben. Da haben wir dann immer den Ministerpräsidenten eingeladen, die sind dann da auch immer ganz gerne gekommen, und nachdem wir unten mit den Sektgläsern angestoßen hatten, sagt dann der Ministerpräsident Schröder, und nun zeigen Sie mir doch mal, wo ist denn jetzt hier Ihr Büro. Na ja, dann sind wir da erst mal drei Treppen hochgegangen, und in irgendeinem Dachzimmerchen hatte uns das Funkhaus Hannover des NDR dann zwei Räumchen zugewiesen. Das führte natürlich dann dazu, dass Schröder dann sagte, was, ihr könnt das hier mit einer und anderthalb Personen und mit zwei Zimmern, warum haben die dann hier so ein großes Studio. Schmieding: Es ist ja nicht ganz von der Hand zu weisen, dass die Landesrundfunkanstalten nicht so besonders glücklich waren, dass wir in ihren Berichtsgebieten herumrecherchierten. Elitz: „Die ARD wollte ja dieses Deutschlandradio nicht.“ Elitz: Die wollten das ja ursprünglich, die ARD wollte ja dieses Deutschlandradio nicht. Das ZDF wollte sich damals das Deutschlandradio unter den Nagel reißen als ein Hörfunkstandbein – war ja auch nachvollziehbar. Die ARD hatte beides und hat immer noch beides, Radio und Fernsehen. Für die Landesrundfunkanstalten der ARD war das eine Konkurrenz, die man ausschließen wollte, und deswegen haben dann in diesem Gründungsausschuss die Politiker, die Landespolitiker und auch der Bund die Regie übernommen und haben den Grundstein für das gelegt, was wir heute im Deutschlandradio haben. Schmieding: Anh Tran meldet sich zu Wort. Tran: „Ich bin es leid“, dass „immer noch von Wessis und Ossis die Rede ist.“ Tran: Ich wollte auch gar nicht reinstören, aber ich habe das gerade ganz gespannt mit zugehört, wie Sie sich damals bemüht haben,
94, mein Geburtsjahr, und, wie gesagt, wir sind ja auch ganz viele neue Nachwendekinder, die jetzt heranwachsen, aber mir kommt es so vor, als würde diese Generation immer noch daran arbeiten und die dann so mitbekommen als Gepäck, dass wir die mitkämpfen müssen oder dass wir sie immer noch nicht los sind und immer noch weiterdenken müssen, mitdenken müssen, und das nervt, glaube ich, auch total oder mich nervt das total, wenn ich mit Gleichaltrigen dann darüber spreche und dann immer noch von Wessis und Ossis die Rede ist. Ich denke mir, ich bin das einfach leid, ich bin das satt. Warum reden wir darüber noch so?Schmieding: Herr Raue, warum reden wir darüber?
Elitz: Für die Zukunft muss man immer die Gegenwart und die Vergangenheit kennen.
Schmieding: Herr Raue.
Raue: Na ja, also es gibt so etwas auch wie Lebensgefühle, die in ganz anderen Generationen auch noch wurzeln, auch bei Jüngeren im Übrigen. Ich lebe ja in Leipzig, mein Sohn ist beispielsweise der einzige in seiner Klasse, der aus dem Westen stammt. Natürlich haben die ein anderes Verhältnis zu diesem Deutschland und zu Ost und West, aber tatsächlich werden noch Denktraditionen, kulturelle Traditionen, Überzeugungen aus Zeiten vor
89,
90 von Menschen vertreten, die sie selbst gar nicht erlebt haben. Ich sage mal ein Beispiel: Die Jugendweihe ist von riesig großer Popularität in Ost- und Mitteldeutschland. Warum es eine Jugendweihe gibt, gegen welche Einrichtungen und welche Überlegungen und Überzeugungen der christlichen Konfessionen, vor allem die Jugendweihe sehr stark popularisiert wurde in der DDR-Zeit, das ist den Jugendlichen heute gar nicht ein Begriff, aber diese Jugendweihe ist sehr, sehr wichtig vielen jungen Menschen. Damit muss man sich auseinandersetzen, das wirkt für jemanden, der aus dem Westen stammt, der im Westen lebt, sehr fremd, der denkt, was passiert da eigentlich, und so gibt es viele Beispiele. Ich persönlich glaube, man darf nicht unterschätzen, wie lange Folgen getrennte Identitäten, getrennte Geschichte auch haben, und mit denen muss man sich immer wieder auseinandersetzen. In den ganzen Diskussionen über die Wahlergebnisse in Landtagen, in Ost- und Mitteldeutschland, über das Hochkommen der AfD, über Pegida und so weiter kann man trefflich abstrakt und hochpolitisch diskutieren. Man darf auch nicht vergessen, dass solche Denkströmungen, solche Bewegungen auch immer Wurzeln in Zeiten haben, die man selbst gar nicht mehr miterlebt hat oder erinnert.Schmieding: Haben wir denn die Wiedervereinigung hier bei uns im Deutschlandradio geschafft, also im Kleinen sozusagen, im Inneren Was meinen Sie, Herr Steul oder Herr Elitz?
Elitz: Herr Steul.
Steul: „Diese Problematisierung von Ost und West in dem einen Haus ist überzogen.“Steul: Diese Diskussion, diese Problematisierung von Ost und West in dem einen Haus wird immer wieder in Zeitungsartikeln erwähnt. Ich erinnere mich, vor fünf Jahren, als wir 20. gefeiert haben und so weiter, und so weiter. Das ist überzogen. Es gibt, und Herr Raue hat es auf den Punkt gebracht, es gibt unterschiedliche Sichtweisen auf das Leben und die Welt, die Wurzeln in vorhergegangenen Generationen und historischen Erfahrungen. Das ist auch interessant, das ist nicht nur negativ. Das kann bereichernd sein. Es gibt keine wesentlichen Konflikte im Deutschlandradio aus dieser Problematik heraus. Das Ganze ist vorbei. Man kämpft und streitet sich auch jeden Tag ums Programm und was wer wie macht, aber dieses Problem existiert innerhalb des Deutschlandradios nicht mehr. Eine interessante Beobachtung, eine private: Unser jüngster Sohn studiert im achten Semester in Dresden Medizin, und dem habe ich – der hat die französische und die deutsche Staatsangehörigkeit, der ist in Frankreich zur Schule gegangen, hat ein französisches Abitur –, dem habe ich gesagt, als er nach Dresden ging – ich habe mich darüber gefreut –, habe ich ihm gesagt, trag dich ein als Franzose. Sagt er, warum denn. Ja, ich sage, dann bist du irgendwie draußen. Du bist dann nicht der Wessi, und genau so ist es.
Schmieding: Ann, wie haben Sie das erlebt in Dresden, auch in Jena in Ihrem Studium? Zieht sich das auch durch die junge Generation, das, was wir hier besprechen? Sie haben ja eben gesagt, dass Sie da eigentlich einen Widerstand spüren und denken, ich will mich darüber eigentlich gar nicht mehr identifizieren, über dieses Ost-West-Dings.
Tran: Mich nervt das. Also ich bin in Dresden zu Hause, das ist meine Heimat. Wenn ich das mitbekomme …
Steul: Glückwunsch!
Tran: „Ich arbeite jetzt daran, dass wir bald anders denken oder dass wir uns mehr zusammendenken.“
Tran: Super, nee? Aber ich kam auch hier, als ich beim Bewerbungsgespräch war, habe ich in einer WG übernachtet, und da war der 30-jährige Mitbewohner, der hörte dann, ich komme aus Dresden und meinte so, du bist ja ein Zoni. Ich dachte mir, was ist denn bei dir los. Also 30, und ich bin nachweislich nach der Wende geboren … Entspann dich mal. Das finde ich ganz, ganz oft, und auch sofort ist das, wenn man irgendwo in ein anderes Verhältnis kommt, ich habe in Hamburg studiert, dann ist erst mal so dieses Interesse und dieses Abtasten, und wir brauchen uns, glaube ich, gar nicht mehr abtasten, wir müssen einfach offen füreinander sein, und auch hier ist es mir schon begegnet, dass es dann ankam, dass Leute versucht haben, Sächsisch zu reden, was ich immer sehr belachen muss, weil es sehr komisch klingt, wenn Leute, die nicht aus Sachsen … oder Ostdeutsch – ich finde, da sind die Nuancen auch nicht so groß im Übrigen – versuchen zu sprechen, dass ich das komisch finde und dass ich gefragt habe, warum macht ihr das denn, warum versucht ihr denn so Sächsisch zu reden, das ist ja auch so ein bisschen Lustigmachen. Für mich ist das Reden mit meiner Omi, für mich ist das Reden mit meinem Papi, für mich ist das an Kindergarten oder sowas denken, aber nicht dieses Lustigmachen. Warum passiert das denn noch? Als ich dann gesagt habe, ich komme aus Dresden, okay, dann können wir das jetzt nicht mehr weiter erzählen. Doch, erzähl das ruhig weiter, wenn ihr das denkt. Dann arbeite ich jetzt da dran, dass wir bald anders denken oder dass wir uns mehr zusammendenken.
Elitz: Frau Anh Tran, Sie sind natürlich in einer privilegierten Situation, in einer privilegierten Generation, denn diejenigen, die so am Ende der Schulzeit waren und auf das Abitur zugingen, für die stand die Welt jetzt offen, die hatten noch keine Bindungen an irgendein Unternehmen, an irgendein Betrieb, der dann möglicherweise aufgelöst wurde. Dann standen sie arbeitslos auf der Straße. Vor Ihrer Generation war die Welt offen. Sie konnten auch in den Westen gehen und studieren, Sie konnten sich, wie Sie es getan haben, nach Köln bewegen, ohne dass da irgendeiner eine Frage gestellt hat und sortiert hat. Diese neue Generation hat ja auch beim Deutschlandradio Schritt für Schritt die Arbeit aufgenommen, und deshalb hat auch das Deutschlandradio-Programm ja nicht mehr diese Integrationsaufgabe im klassischen Sinne, dass man mal hören muss, was sagen die Ossis, was sagen die Wessis. Das ist vielleicht in den ersten zehn Jahren auf meiner Amtszeit so gewesen. Dann war es immer wichtig, wir sind ein Radio für ganz Deutschland, und alle, die ein gewisses Qualitätsradio haben wollen, Kultur und Informationen, hören dieses Programm und sind auf dem gleichen Wissensstand und können sich ihre Meinung bilden, egal welchen Dialekt sie nun sprechen. Über Dialekte macht man sich immer lustig, über den ostfriesischen genauso wie über den Berliner Dialekt. Nur die Sachsen nehmen wir jetzt mal aus.
Schmieding: Sie haben es angesprochen, Herr Elitz, Integration steht bei uns im Sendeauftrag. Das ist jetzt erledigt. Wir sind ja einer Meinung, dass wir uns eigentlich ganz gut miteinander vertragen, auch wenn wir immer noch in Klischees gerne denken und auch Klischees leben. Also Sendeauftrag erledigt. Wozu braucht es eigentlich dann den nationalen Hörfunk noch, Herr Raue?
Raue: „Eine Gesellschaft, die miteinander redet, ist die Gewähr dafür, dass es auch demokratisch weitergehen kann.“Raue: Ich bin auch anderer Meinung. Das will ich schon markieren. Ernst Elitz hat mich ja eben … hat sich ja schon lustig gemacht über meine Fahne, die ich schwenke. Nein, natürlich nicht mehr die Integration von DDR und Bundesrepublik, das ist klar, aber schauen wir mal uns um in Europa, und schauen wir uns auch im eigenen Land um. Wir erleben doch ganz viele eigene Kulturen, eigene Regionen, die auseinanderfallen, viele Menschen, die nicht mehr miteinander reden, nicht mehr miteinander diskutieren, ignorieren, was der eine oder andere denkt. Wir haben völlig unterschiedliche Wahlverhalten in vielen Regionen, auf dem Land, in der Stadt, wir haben unterschiedliche Regionen, was Konfessionalität angeht, was große Überzeugungen, was kulturelle Prägung angeht. Diese Vielfalt ist toll, aber diese Vielfalt ist dann gut für unser Land, wenn diese Vielfalt nicht auseinanderfällt gewissermaßen, sondern wir auf irgendeine Weise noch ein gemeinsames Fundament finden, wenn wir eine gemeinsame Ebene finden, wo wir auch uns noch zuhören und noch miteinander reden. Da sehe ich genau unsere Aufgabe als nationalen Hörfunk, jenseits aller journalistischen Aufgaben, die wir haben. Da sind wir ja einer Meinung. Aber ich persönlich glaube, was machen wir anders als die Landesrundfunkanstalt mit ihren Hörfunkangeboten oder die Fernsehanstalt mit ihren Angeboten – wir versuchen, die unterschiedlichen Strömungen, die unterschiedlichen Einschätzungen, die unterschiedlichen Lebenserfahrungen aus Städten, aus dem Land, aus Nord, Süd, Ost und West zueinander zu bringen. Wir bieten diese Ländermagazine, in denen wir ja nicht aus dem Land für das Land, aus dem Rheinland für das Rheinland senden, sondern wir nehmen uns dort Themen vor aus dem Rheinland beispielsweise, von dem wir glauben, dass jemand in Kiel oder in München oder in Dresden sie auch interessiert. Das ist dieser integrative Ansatz, der mir sehr wichtig ist, den ich auch eigentlich zwischen den Zeilen oder auch explizit im Bundesverfassungsgerichtsurteil zuletzt gelesen habe: Eine Gesellschaft, die miteinander redet, ist die Gewähr dafür, dass es auch demokratisch weitergehen kann, und eine Gesellschaft, die sich separiert, die ist für totalitäre Herausforderungen und Versuchungen sehr gefährdet.
Raue: „Eine Gesellschaft, die sich separiert, die ist für totalitäre Herausforderungen und Versuchungen sehr gefährdet.“Elitz: Aber das ist ja jetzt kein besonderes Spezifikum des Deutschlandradios, denn auch das Fernsehen, das erste und das zweite Fernsehen, die überregionalen Zeitungen, die müssen auch aus den einzelnen Ländern das auswählen, was sie dann berichten. Also dieses Alleinstellungsmerkmal, was in der ersten Zeit vielleicht der Fall gewesen ist, jetzt können in diesem Sender die Ossis und die Wessis mal miteinander reden und etwas erfahren, was sie bisher noch nicht wussten. Das ist ja jetzt bei allen überregionalen Medien in der Bundesrepublik die gleiche Aufgabe.
Schmieding: Und was können wir dann noch leisten als Deutschlandradio genau?
Steul: Aber der moderne …
Elitz: Na ja, ich bin da …
Schmieding: Das Problem, meine Damen und Herren ist, dass die beiden Herren sich nicht sehen können. Wir können uns aber gegenseitig nicht …
Steul: Herr Elitz, Sie sind der Ältere.
Elitz: Und dass Sie uns aufgefordert haben, immer sofort einzugreifen.
Schmieding: Das ist nicht das Problem, ich wollte nur erklären, warum es manchmal passieren kann, dass wir uns hier gegenseitig ins Wort fallen, weil nur wir drei in Köln uns hier sehen können und die beiden Herren Herr Elitz und Herr Steul jeweils in verschiedenen Studios sitzen. Ich glaube, Sie wollten jetzt das Wort ergreifen.
Steul: Herr Elitz, Sie sind der Ältere, Sie waren mal mein Chef. Nein, Herr Elitz ist der Ältere, und er war mal mein Chef. Bitte schön, Herr Elitz!
Elitz: Danke schön, Herr Steul! Ich glaube, das prägt jetzt das Deutschlandradio, auch dass es ein Radio ist, was für ganz Deutschland ist, ein nationales Radio ist, was auch sehr viele Sendungen hat und sehr viele Interviews hat, die von anderen Medien wieder aufgenommen werden und die zitiert werden und dass es sich im stärksten Maße auch an Multiplikatoren wendet. Wir haben damals, weil wir immer wissen wollten, wer sind unsere Hörer, mal eine Multiplikatoren-, also eine Elitenumfrage in Auftrag gegeben, und da stellte sich heraus, dass beim Deutschlandradio versammelt sind, unter diesen zwei Millionen Hörern versammelt sind überdurchschnittlich viele Leute mit Hochschulabschluss, Politiker, Unternehmensführer, also Menschen, die in den unterschiedlichen Bereichen des Lebens als Multiplikatoren tätig sind.
Schmieding: Aber dann frage ich mich natürlich, wie der Auftrag, den Herr Raue sieht bei uns, wie der eigentlich erfüllt werden soll, wenn wir Programme für Multiplikatoren machen.
Elitz: Nein, die sind da drunter. Die zwei Millionen sind ja nicht diejenigen, die diese Zahl ausmachen von den zwei Millionen, sondern überproportional sind in den zwei Millionen diejenigen vertreten, die eine solche Multiplikatoren-Aufgabe wahrnehmen.
Schmieding: Lassen Sie uns noch mal kurz über die Widerstände sprechen. Wir haben eben gehört, welche Widerstände es gab vor 25 Jahren, dass es haarscharf war, und dann hätte eventuell der nationale Hörfunk nicht auf Sendung gehen können. Herr Steul, wo sehen Sie die Widerstände heute, denn die gibt es ja? Jetzt nicht nur spezifisch gegen uns, sondern allgemein gegen öffentlich-rechtliche Radiosender. Aus welchen Ecken wird da geschossen?
Steul: Es wird aus den Ecken geschossen von den Privatveranstaltern, es wird aus den Ecken geschossen von denen, die mit ihren Programmen Geld verdienen müssen, und es wird uns ja immer wieder vorgeworfen, na ja, ihr habt es gut, ihr kriegt das automatisch von den Gebührenzahlern. Da müssen wir uns schon verteidigen, aber verteidigen können wir uns schon. Wir machen ein Angebot nicht für die Eliten, nicht für die Multiplikatoren. Wir haben nur viele Multiplikatoren. Das sichert uns auch in der öffentlichen und politischen Diskussion. Wenn ich mich geärgert habe, dann war das immer – und zwar nur im Einzelnen, nicht im Gesamten, im Detail –, dann war das immer, wenn ich den Eindruck hatte, wir reden über den normalen Menschen vorbei. Jeder, der guten Willens ist und ein Interesse hat unter eine normale Intelligenz, muss uns verstehen können, und wenn es zu hochnäsig war, wenn es zu elitär war, dann hat mich das immer geärgert, aber dieser Integrationsauftrag, von dem Herr Raue sprach – und das halte ich für einen Kern auch überhaupt unseres gesellschaftlichen Problems, zu dem wir aber besonders beitragen können –, ist ein Angebot zu machen, was sehr wortlastig ist, was sehr viel die Hintergründe erläutert, was die Zusammenhänge erläutert, was nicht in der höchsten Geschwindigkeit der Erste sein will, um irgendeine News raus zu blasen, sondern was die Zusammenhänge erklärt und das, was für unsere Gesellschaft in der weiteren Entwicklung auch wichtig ist, und das muss sich an alle richten und deshalb auch bundesweit und für jeden hörbar.
Schmieding: Die Öffentlich-Rechtlichen neigen ja dazu, sehr alt zu werden. Sie sammeln Frequenzen, sie sammeln Mitarbeiter, sie sammeln Programme an. Medien müssen aber eigentlich ganz dynamisch sein. Es gibt Gegenwehr gegen den Rundfunkbeitrag, es gibt immer wieder Vorwürfe, wir seien Staatsfunk, wir als Öffentlich-Rechtliche, wir seien viel zu groß, viel zu behäbig, also diese Widerstände, von denen jetzt eben die Rede war. Anh, wenn du dir das alles anhörst oder wenn Sie … Eigentlich duzen wir uns ja. Vielleicht machen wir es jetzt einfach auch. Welche Argumente sprechen für uns, welche Argumente sprechen für die öffentlich-rechtlichen Sender, als junger Mensch, gerade mit den ersten Schritten hier bei uns im Programm?
Tran: Diversität ist im Deutschlandradio nicht selbstverständlich
Tran: Also ich wollte eigentlich noch auf was anderes hinauskommen, und zwar brennt mir das die ganze Zeit hier unter den Fingern, aber ich bin natürlich höflich. Du hast gesagt, da sind wir ja mit Integration fertig. Sind wir nicht. Herr Elitz hat vorhin gesagt, ich befinde mich in einer privilegierten Position. Ich befinde mich in einer privilegierten Situation, aber ich habe mich auch oft genug in meinem Leben nicht in einer privilegierten Situation befunden, und es gibt auch immer noch genügend Menschen, denen der Zugang schwierig ist. Wir hatten auch mal ein Gespräch, uns wurden dann alle Großen im Deutschlandradio sozusagen vorgestellt, und dann durften wir Volos auch diskutieren, und ich habe jetzt auch noch mal ein paar andere junge Menschen hier im Radio befragt, denn ich bin ja nicht die junge Stimme für alle, sondern es gibt da noch ein paar mehr.
Schmieding: Dann leg mal los. Was hast du da auf dem Zettel?
Tran: Was uns denn noch alles so fehlt. Integration ist ein Teil. Ich arbeite seit ein paar Jahren daran, so unauffällig wie möglich zu sein, unauffällig sichtbar zu werden oder unsichtbar sichtbar zu werden, irgendwie sowas, nämlich, dass ich nicht immer die Beispielserstakademikerin aus dem Osten, Frau, welche Minderheit bediene ich eigentlich nicht … Ich möchte einfach nur dazugehören, und ich möchte gar nicht, dass das thematisiert wird, sondern dass es einfach selbstverständlich ist, dass ich hier mitsitzen darf und dass es normal ist, weil mir das oft im Leben genug gesagt wurde, das ist vielleicht nicht normal oder du hast es vielleicht auch gerade nicht verdient oder dass ich daran gezweifelt habe, dass ich hier sitzen darf.
Schmieding: Was können wir Medien tun, was kann ein Medium tun?
Tran: Wir haben damals, Herr Raue, wenn Sie sich noch dran erinnern können, über die Sprache gesprochen und dass man ein bestimmtes Niveau halten kann, und ich finde, da wird ganz schnell was verwechselt, nämlich dass Hochsprache sofort was mit Niveau zu tun beziehungsweise niederschwelliger Zugang und Niveau sich irgendwie widersprechen. Das glaube ich nämlich nicht, sondern dass wir bei Themenwahl aufpassen müssen, was wir da suchen und dass wir dann Themen einfach irgendwie versuchen zu erklären. Ich muss sie wieder an Land ziehen, denn ich liebe sie so sehr, da muss ich meine Omi wieder betonen. Die hört jetzt, weil ich da bin und weil sie sich natürlich freut, zum ersten Mal wahrscheinlich in ihrem Leben bewusst Deutschlandradio, und mit dem Wissen im Kopf denke ich mir, ich möchte das so erzählen, dass Omi das auch versteht, so wie ich es damals verstanden habe, als Omi mir meine Märchen vorgelesen hat.
Schmieding: Herr Raue, sind wir da gut genug?
Raue: Es gibt hier in Köln wie in Berlin ganz, ganz viele engagierte Kolleginnen und Kollegen, die mit offenem Visier auch diskutieren, Kritik an ihren eigenen Sendungen üben, sagen, da waren wir vielleicht ein bisschen sehr abgehoben, da waren wir vielleicht ein bisschen sehr abstrakt. Es ist nicht so, dass da alle auf den Intendanten warten, der jeden Tag sagt, das ist die Sprachregelung und das ist die Sprachregelung oder eine Chefredakteurin oder wie auch immer. Nein, es gibt eine hohe Sensibilität für die Sprache. Dieses Wissen ist beim Hörfunk viel stärker ausgebildet als bei anderen Medien, das kann ich schon sagen. Nein, da, glaube ich, sind wir auf dem richtigen Weg, aber an die Omi zu denken oder, wie Wolf von Lojewski mal gesagt hat, an Tante Kätchen, die zu Hause im Sofa sitzt und sein „heute-journal“ gesehen hat, jemanden sich vor Augen zu führen, mit dem man spricht, für den man spricht, den man auch versucht zu bereichern mit dem, was man sagt, das ist unser Handwerk als Journalist. Wir arbeiten nicht für uns selbst, und wir arbeiten auch nicht für diejenigen, die wir vielleicht am Abend oder beim Mittagessen beruflich bedingt treffen, sondern wir arbeiten für ein großes Publikum. Auch Deutschlandradio ist ein Massenmedium mit über zwei Millionen Hörerinnen und Hörern, und daran müssen wir auch denken, aber das läuft nicht so, dass man bewusst seine Sprache verhunzt, weil man meint, sie wäre viel schlichter viel besser, und man sollte auch aufpassen, dass man der Fachsprache, der Politik, der Wissenschaft nicht auf den Leim geht. Seitdem es die neue digitale Welt gibt, können wir ja zum ersten Mal als Hörfunk genau auswerten, was von unseren Angeboten überhaupt richtig genutzt wird, über die Audiothek. Wenn wir uns anschauen, was wird in unserer Audiothek vor allen Dingen also auf Abruf nachträglich nonlinear genutzt, das sind vor allem Hintergrund-Angebote. Das heißt, die Menschen hören etwas, lesen etwas und fragen dann über unsere Audiothek Beiträge dazu ab, Sendungen dazu ab und vertiefen ihr wissen. Was gibt es für einen tolleren Auftrag für Journalisten als so etwas zu bieten. Ich glaube, da sind wir ganz nahe beim Kern, bei der Identität von Deutschlandradio mit seinem Programm.
Schmieding: Zur Senderfamilie gehört ja seit neun Jahren auch ein junges Programm, das inzwischen Deutschlandfunk Nova heißt und, obwohl es nicht per UKW zu hören ist, jedes Jahr mehr Hörerinnen und Hörer gewinnt. Was machen die richtig? Ist es das, was Sie sagen?
Raue über Deutschlandfunk Nova: Respekt und Neugier statt Klamauk
Raue: Nova macht etwas, die haben sehr genau drauf geschaut, wie sehen die jungen Angebote der privaten, der öffentlich-rechtlichen Konkurrenz aus, und, mit Verlaub, sie versuchen anders zu sein, einen andere Musikfarbe, eine andere Ansprechhaltung. Da ist kein Klamauk, wobei ich jetzt nicht sagen will, dass alle Angebote der öffentlich-rechtlichen Konkurrenz und der privaten Konkurrenz Klamauk sind, aber es wird ganz bewusst auf Klamauk verzichtet. Es findet auch nicht so eine typische Duzerei statt, sondern es ist eine, die respektiert und die neugierig ist auf denjenigen, mit dem man spricht. Sie sind sehr ideenreich, sie versuchen vieles mal, und wenn es nicht so funktioniert, wird es eingestellt und wieder was Neues gemacht. Es ist ein sehr lebendiges Programm, das immer wieder einen überrascht, das ich sehr gerne auch höre, und es ist insofern denjenigen zu gratulieren, die es erfunden haben, und die sind ja hier auch telefonisch zugeschaltet.
Tran: „Es ist auch ein Programm, das uns hilft, den Anschluss nicht zu verlieren.“
Tran: Und ich glaube, es ist auch ein Programm, das uns hilft, den Anschluss nicht zu verlieren, denn da gab es auch Stimmen, die ich gesammelt habe, die gesagt haben ganz klar, wir Angst, dass wir als Deutschlandradio irgendwann den Anschluss verlieren, wenn wir nicht gucken zum Beispiel auf Podcasts, eine Stunde History – darüber habe ich mich auch schon bei WG-Castings drüber unterhalten, weil die Leute kennen das. Deswegen finde ich, dass ein Programm wie Nova superwichtig ist, um solche Anreize zu schaffen und die dann auch einfach umzusetzen, weil manchmal, man weiß es, beim Öffentlich-Rechtlichen dauert der nächste Schritt vielleicht ein bisschen länger als der andere – und das ist wichtig. Und ich finde auch, was Nova auch richtig macht, ist, verschiedene Perspektiven reinzubekommen, woran wir nämlich auch arbeiten müssen. Ich möchte irgendwann nicht mehr die Revolution sein, ich möchte irgendwann normal sein als Redakteurin, die aber ihren anderen Blick reinbekommt, die vielleicht auch einen weiblichen Blick raufbekommt. Auch das macht Nova schon hervorragend meiner Meinung nach. Das macht auch Deutschlandradio Kultur schon, Deutschlandfunk Kultur, oh, wie konnte mir das passieren. Aber auch eben, das, was ich mitbringen kann, ist vielleicht auch meine Rassismuserfahrung aus Dresden, das kann vielleicht jemand nicht, der mit mir in eine Klasse gegangen ist, aber eben eine helle Hautfarbe hat. So, und daran müssen wir arbeiten, dass wir diese Perspektiven auch in diese Häuser bekommen.
Schmieding: Anh Trans Familie hat vietnamesische Wurzeln. Wie nehmen Sie die Hörfunklandschaft wahr, Herr Steul? Ist reines Radio überhaupt überlebensfähig? Kann man ohne bewegtes Bild noch durchkommen?
Steul: Ach, natürlich. Also ich kenne diese Leier, mit dem Radio ist es bald zu Ende, das Fernsehen wird uns alle tot machen. Nein, das ist es nicht. Wir sehen an den Statistiken, wie die Menschen Radio hören, und dass sie tatsächlich immer mit leichter Steigung mehr Radio hören. Radio ist ein Medium, das braucht, wenn es richtig gemacht ist, kein Bild, dass man mit offenem Kopf sich immer wieder die Frage stellt: Was kann ich noch ein bisschen besser machen, was kann ich Neues machen, wie können wir auch fantasieren, wie können wir spielen mit neuen Formen? Und das fehlt natürlich ein bisschen beim Deutschlandfunk zum Beispiel, aber der darf auch keine großen Experimente machen, der ist in seinem Alleinstellungsmerkmal nämlich schon sehr gesund.
Elitz: Also es ist ja jetzt mehrfach vom Alleinstellungsmerkmal des Deutschlandradios die Rede gewesen, und das stimmt natürlich, und das ist auch eine Absicherung, denn ich habe noch nie einen Politiker gehört, der sagte, mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und dass der uns nicht passt und der macht nicht das Richtige meint er den Deutschlandfunk oder das Deutschlandradio Kultur – das ist nicht der Fall. Ich kenne ja nun viele Zeitungsredaktionen, in vielen Zeitungsredaktionen ist das Hören zumindest des Deutschlandfunks Pflicht. Und wenn man die Leute fragt und sich damals wie heute Post anschaut oder mit Leuten spricht und sagt, die Rundfunkgebühr, dann sagen die, ja, für das Deutschlandradio, für den Deutschlandfunk, da zahle ich meine Gebühren gerne. Und deswegen, natürlich, aus Kollegialität machen wir das, wir machen uns auch Gedanken über die Zukunft des Öffentlich-Rechtlichen insgesamt, aber wir wissen, dass wir mit der Art, wie wir – ich darf da noch mal wir sagen – Radio machen, müssen wir uns nicht Gedanken machen, dass irgendeiner sagt, dem streichen wir die Gebühren, dem erhöhen wir sie möglicherweise noch.
Schmieding: Nicht, dass wir da mal irgendwann einen Kollateralschaden werden. In den 90ern, Herr Elitz, als Sie Intendant des „Deutschlandradio“ wurden, da gab es ja noch so was wie eine aktive Medienpolitik. Die war irgendwie für viele Landespolitiker damals Ehrensache. Heute, wenn ich mir überlege, wie lange die Ministerpräsidenten schon brauchen, um eine neue Finanzierungsmöglichkeit für das öffentlich-rechtliche Rundfunkwesen sich auszudenken, da kriegt man ja das Gefühl, dass sich keiner mehr so richtig an der Medienpolitik, kein Politiker mehr die Finger verbrennen möchte. Was ist da los, Herr Raue?
Relevanz und Zurückhaltung – zwei Wirklichkeiten der Medienpolitik
Raue: Ja, es gibt zwei Wirklichkeiten. Wenn man mit den Chefinnen und Chefs der Staatskanzlei, mit der Ministerpräsidentin und dem Ministerpräsidenten redet – das ist für die gar nicht so fern, die Medienwelt. Die nutzen Medien, die setzen sich damit auseinander, die wissen ganz genau, wie wichtig das ist, wie wichtig Medien sind, in denen noch Landespolitik überhaupt ein Thema ist, in denen überregionale Themen noch eine Rolle spielen, in denen auch über abstrakte Themen noch überhaupt, sagen wir, sehr viel gesprochen und informiert wird. Die kennen den Wert des öffentlich-rechtlichen Systems genau. Das Problem ist, dass Rundfunkbeitrag wie Steuern, wie Abwasserabgaben unpopulär sind, unangenehm sind. Wer zahlt schon gerne etwas? Wir haben in den Medien weit verbreitet eine Gratiskultur, da leiden ja auch die Verlage darunter, dass die Menschen glauben, dass im Internet man alles eben kostenlos bekommen kann und warum soll man dafür etwas bezahlen? Die journalistische Arbeit, die inhaltliche Arbeit, die künstlerische Arbeit wird unterschätzt, das haben wir ja gerade auch in der Diskussion über die neue EU-Richtlinie gehört und gelesen und gesehen. Also es gibt einen öffentlichen Druck, warum sollen wir für die zahlen? Der zweite Punkt: Es gibt sehr unterschiedliche Interessen bei den Ländern. Sie müssen sehen, dass ein Land wie Bremen oder das Saarland für ihre kleinen Sender natürlich kämpfen. Ein Ministerpräsident des Saarlands, der inzwischen Bundesverfassungsrichter ist, der hat mal im kleinen Kreis gesagt, wenn der saarländische Rundfunk stirbt, dann stirbt auch das Land Saarland. Das heißt, die Identifikation mit dem Sender ist in diesen kleinen Ländern sehr groß, da werden noch mal ganz andere Überlebenskämpfe gefochten auch vonseiten der Landespolitik. Und ein großes Land wie Nordrhein-Westfalen, das ein ganz hervorragender Gastgeber auch für uns hier in Köln ist und die sind auch wirklich am Ball und wir sind für die auch sehr wichtig, aber trotzdem haben die auch den Arbeitgeber RTL hier im Land Nordrhein-Westfalen und die Deutsche Welle und die großen Verlage und Lokalfunk und haben deren Interessen natürlich auch wahrzunehmen. Insofern sieht die Sache, wenn man hinter die Kulissen guckt, schon sehr viel differenzierter aus. Wir können uns da nicht beklagen als Deutschlandradio, aber Medienpolitik ist nun mal nichts, womit man, sagen wir mal, sehr viel ernten, Positives ernten kann.
Schmieding: Anh, ein Wunsch, was wäre dein Wunsch für das Programm, wenn du dir eine neue Sendung ausdenken könntest? Worum müsste es da gehen?
Wünsche für die Zukunft: Bunter, verspielter, mehr DiversitätTran: Ich möchte, dass es verspielter und bunter wird. Das sind auch Themen, die an mich herangezogen wird, aber das sind auch tiefe Wünsche. Ich bin hier reingegangen und habe gesagt, ich möchte das Thema Diversität auf die Agenda stecken, weil das ist mir einfach super-, super-wichtig, und ich fand, es wurde jetzt ganz viel darüber erzählt, wie gut und wie toll das Deutschlandradio ist und das ist ja auch so, sonst hätte ich mich hier nicht beworben. Aber wir können uns nicht auf diesem Gut-Sein ausruhen. Und jetzt auch noch mal ein bisschen Jena-Referenz: Da steht groß, wenn man am Paradiesbahnhof ist, Jena Paradies, von Friedrich Schiller, der Namensgeber für ungefähr alles in Jena: „Nur, was sich ändert, bleibt bestehen“, und darauf würde ich doch gerne den Fokus setzen, lieber Herren, dass Sie mir das auch mal bestätigen, dass Sie mir Mut geben als junge Arbeitnehmerin, dass es auch bunt, bunter wird. Ich möchte nicht sagen, dass es bunt bleibt, weil – so bunt ist es noch nicht – meiner Meinung nach. Können Sie mir das irgendwie versprechen?
Raue: „Ich verspreche Ihnen das, da arbeiten wir alle dran.“Raue: Freiwillig, ohne, dass Sie mich strafend angucken, verspreche ich Ihnen das, da arbeiten wir alle dran und das erzwingen nicht nur Sie, sondern das erzwingt auch der sogenannte Medienmarkt, der zwingt zur Originalität, zur Weiterentwicklung. Die digitale Herausforderung, die steht vor uns, noch nicht mal vor der Tür, sondern die ist da. Und wenn wir uns da nicht drauf einlassen, wenn wir nicht neue Formen, überraschende Formen entwickeln, andere Arten Radio, dann sind wir irgendwann Dinosaurier, und das wollen wir ja alle nicht. Und insofern sind wir zur Veränderung gezwungen.
Steul: Ich will da noch einen Rat geben der jungen Kollegin: Machen Sie es selber! Arbeiten Sie in der Redaktion daran. Ein Intendant gibt Ihnen nicht vor, was Sie da zu machen haben. Arbeiten Sie, diskutieren Sie in der Redaktion, rütteln Sie die Kolleginnen und Kollegen auf.
Tran: „Demnächst drei Intendantinnen als Nachfolge. Vielleicht wäre das auch schon mal was.“
Tran: Ja, wir haben auch den Wunsch geäußert bei den Volos: einfach demnächst drei Intendantinnen als Nachfolge. Vielleicht wäre das auch schon mal was.
Schmieding: Genau, das kannst du dann moderieren in 25 Jahren. Senden fürs ganze Land, 25 Jahre Deutschlandradio, unsere kleine Silberhochzeits-Sendung geht zu Ende. Ich darf mich bedanken bei meinen Gästen, der Volontärin Anh Tran, den beiden ehemaligen Intendanten des Deutschlandradio Ernst Elitz und Willi Steul und bei unserem heutigen Chef, Stefan Raue. Zum Nachhören gibt es diese Sendung, die wir ausnahmsweise aufgezeichnet haben, wie immer unter deutschlandfunk.de/mediasres, und natürlich haben wir auch einen Podcast, einfach „mediasres“ in einem Rutsch in den einschlägigen Podcast-Portalen eingeben und abonnieren. Die nächste reguläre Ausgabe von „mediasres“ gibt es am Dienstag nach Ostern um 15.35 Uhr, dann komplett intendantenfrei, versprochen. Danke fürs Zuhören, ich bin Bettina Schmieding und wünsche schöne Ostertage!