Dieser Textentwurf
ist der Folgebeitrag zu Signierstunde mit "Flix" und trägt den Arbeitstitel:
AC / DC – Analoges Denken / Digitale Comics
(von Wolf Siegert, u.v.a.)
Im Gegensatz zu all jenen Epochen der sogenannten „Industriellen Revolution“ stehen jene Entwicklungen, die einst mit dem Wort vom „Zeitalter der Digitalisierung“ umschrieben sein werden.
Der entscheidenden Unterschied in diesem neuen – von uns gerade erlebten, vielleicht auch selbst mit gestaltetem – Zeitalter besteht darin, dass wir die neuen Gegenstände, die diese Entwicklung repräsentieren, kaum noch zu sehen bekommen.
Das ebenso Schizophrene wie Entscheidende dieses neuen Zeitalters ist, dass die Gegenstände, die diese Entwicklung vergegenständlichen, sich immer mehr aus dieser Welt des Gegenständlichen verabschieden, scheinbar unsichtbar werden: die Computer.Hier nur ein Beispiel als pars pro toto: Die CeBIT, eine der weltweit bekanntesten Messemarken, wurde nach ihrer Ausgründung aus der Hannover Messe im Jahr 1986 im Jahr 2018 beendet: Weil die Gegenstände, die diesen Wandel in den ersten Jahren noch repräsentierten, keine Flächen mehr beanspruchten, auf denen man sie hätte zur Ausstellung bringen sollen.
Das bedeutet, dass die wirkliche Bedeutung diese neuen Zeitenwechsels darin liegt, dass wir sie nicht mehr an einem spezifischen Gegenstand – wie einem mechanischen Webstuhl oder einer Dampfmaschine – festmachen können.
Kommt nach der Erfindung des Stroms die der Avatare, der virtuellen Realität, der künstlichen Intelligenz? Robert Macfarlane schreibt in “Landmarks” [1] darüber, dass man nicht darüber reden könne, was man nicht gesehen habe. „We cannot say what we cannot see“ [2] Und darüber schreiben?
Harald Schmidt in einem Corsogespräch des Deutschlandfunks mit Bernd Lechler: „Aber der große Irrtum ist, meiner Meinung nach, zu glauben: Wenn ich einen Text, wie ich ihn bisher geschrieben habe, online stelle, dann wäre das Internet. Das wird uns noch – um das Wort jetzt zu bringen – disruptiv werden, dass uns die Weihnachtsglocken klingen.“ [3]
Wie also soll(t)en wir zur Darstellung bringen, was wir nun schon immer weniger zu Gesicht kriegen, wenn uns dafür die herkömmlichen Vermittlungsinstrumente wie das Schreiben und das Sprechen dafür nur noch bedingt zur Verfügung stehen?
Mit Bildern. Sätze wie „A look is worth a 1000 words” oder “The picture is worth then thousand words” tauchen in den Jahren 1914 bzw. 1921 in Anzeigen der New York Times oder der Washington Post auf – und beziehen sich gerne auf behauptete Ursprünge in Japan bzw. China. Während sich zu Beginn des Jahres 2019 im Haus der Kulturen der Welt in Berlin die Kuratoren über „Das Neue Alphabet“ [4] Gedanken machen.Jetzt wird es spannend. Und auch ein bisschen kompliziert. Denn zum einen geht es um das eingangs beschriebene Problem, dass wir für die neuen prägenden Elemente dieses noch in der Entwicklung befindlichen digitalen Zeitalters keine handhabbaren Begrifflichkeiten (im doppelten Sinne des Wortes) haben. Und das wir andererseits einen alten Gegensatz zwischen den Schrift-Sprachen eines Alphabets, eines Katakana oder Hiragana und eines Kanji (im Japanischen) oder Hànzì (im Chinesischen) haben. In Letzteren – um es mit ganz vielleicht übertrieben einfachen Worten zu sagen, in letzten stecken die Bilder bereits in der Sprach-Zeichen. Und damit setzt diese Sprache selber auch Bild-Zeichen, die zu einem (ganz) anderen Verständnis von der Welt und sich selber führen.
Wir leben in Europa zwischen den Traditionen eine Manga Ikonografie , die in Japan zumindest bis in die Edo-Zeit zurückreicht und den US-Comics, die auf die Zeit um 1900 eines Pulitzer und eines Hearst zurückgehen. Und in dem Irrtum, dass die eigene Rezeptionsgeschichte sich vor allem auf die US-amerikanischen Vor-Bilder bezieht. An dieser Stelle nur der Hinweis auf den Zeichner und Erzähler Rodophe Toepffer [5] , der schon Johann Wolfgang Goethe zu seinen Fans zählen konnte.
Der Sinn dieses kurzen Exkurses liegt in der Suche nach einer möglichen Antwort, welchen spezifische Beitrag aus Europa, und hier insbesondere aus Deutschland geleistet werden kann, um verständlich, ja verstehbar zu machen, welche Bedeutung das Thema der Digitalisierung – und deren Folgen – für uns haben wird.
Im Gegensatz – und zugleich in Ergänzung – zu Goethes Faust geht es nicht mehr um die Bewältigung der Frage, was die Welt im Innersten zusammenhält. Es geht heute um die Bewältigung der Frage, was geschieht, wenn die Welt in Folge der Digitalisierung in ihrem Innersten auseinanderzubrechen droht. In Nullen und Einsen zu zersplittern. Sich damit als Entität gar aufzulösen?!
Wir haben in Deutschland Erfahrungen mit dieser Art der Problemstellung. An dieser Stelle als pars pro toto der Verweis auf einen der „Väter des Unendlichen“ [6] Gottfried Wilhelm Leibniz. Er war es, der erstmals auf die Möglichkeit verwies, mit Dualzahlen rechnen zu können. Die Eins stand für ihn für das Göttliche, die Null für dessen Fehlen. Und beiden Identitäten haben für ihn einen identischen Wert gehabt. Ganz im Sinn des Faust: Ohne das „Böse“ sei es nicht möglich, das „Gute“ zu schaffen.
Kommen wir damit wieder zurück zu den unmittelbar vor uns liegenden Aufgaben: Für Leibniz war es noch undenkbar, dass es Maschinen geben könne, die „im menschlichen Sinne intelligent“ sein könnten. Noch weiter zugespitzt: Denken: Ja, aber Nachdenken: Nein.
Wir aber haben diese Möglichkeit, dieses Nach-Denken konkret werden zu lassen, in dem wir mit allen Mitteln der Kunst diesem Gottes-Grundsatz „Du sollst dir kein Bildnis machen“ widersprechen.
Bereits Max Frisch hat diese Herausforderung angenommen und gesagt: „Ausgenommen, wenn wir lieben“ [7]Und wir fügen hinzu: „Ausgenommen, wenn wir uns etwas aus-malen“.