Sonntags nie?!

VON Dr. Wolf SiegertZUM Sonntag Letzte Bearbeitung: 18. Februar 2017 um 22h37min

 

Der erste Tag des neuen Bundespräsidenten als Bundespräsident ist ein Sonntag.

Dieser Termin ist u.a. nachzulesen auf der Webseite der Bundesregierung vom Sonntag, den 12. Februar 2017, über die Wahl von Frank-Walter Steinmeier zum Nachfolger des bis zum 18. März noch amtierenden Bundespräsidenten Joachim Gauck.

Auf eben dieser Seite wird nicht nur verlinkt auf die Rede des Frischgewählten [1], sondern auch die Rede des Bundestagspräsidenten Prof. Dr. Norbert Lammert, der sich nicht für dieses Amt hat nominieren lassen. Und der mit dieser seiner Rede unter Beweis stellte, warum auch er geeignet gewesen wäre, dieses hohe Amt zu bekleiden.

Am Ende dieser oben zitierten Seite das Angebot, den Inhalt dieser Rede weiter zu verbreiten: auf twitter, auf facebook, auf google+, auf WhatsApp und per Mail. Und wir werden dieses Angebot annehmen und sie als akustisches Dokument über den Tag hinaus hier bereitstellen:

Aus den vielen Äusserungen, Zitaten und Interviews des ab heute amtierenden Bundespräsidenten hier der Verweis auf den Wortlaut in der Wochenzeitung "Das Parlament" in der (Online-)Ausgabe vom 17. Februar 2017.


— Herr Steinmeier, in vier Wochen sind Sie das Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland. Wie weit ist derzeit mental das Schloss Bellevue vom Auswärtigen Amt entfernt?

 Ich bin froh, dass zwischen dem Abschied vom Auswärtigen Amt und der Aufnahme der neuen Verantwortung im Bellevue Zeit ist, um vom Alltag der Außenpolitik etwas Abstand zu gewinnen. Das gibt Gelegenheit, sich nicht nur mit den Aufgaben des Bundespräsidenten zu beschäftigen, sondern mir auch die Gelegenheit, mich mit den hohen, manchmal auch zu hohen Erwartungen auseinanderzusetzen, wie sie in vielen freundlichen Zuschriften geäußert werden.

— Warum sind die zu hoch?

 Wir spüren, dass Verunsicherungen an den deutschen Grenzen nicht Halt machen. Um uns herum sind Krisen, und aus anderen Regionen spüren wir die Fernwirkungen von Konflikten mindestens über die Migration, die uns erreicht. Daraus erwachsen steigende Erwartungen an die Politik, vielleicht besonders dann, wenn die Verantwortung im höchsten Staatsamt in andere Hände übergeht. Der Bundespräsident kann die Welt nicht verbessern, er kann sie erklären, einordnen und Mut machen. Mir ist völlig klar: Der Bundespräsident lebt von der Autorität seines Amtes, von der Glaubwürdigkeit seiner Person und von der Möglichkeit, zum richtigen Zeitpunkt zu den richtigen Themen das Wort zu ergreifen. Ich hoffe, das gelingt auch mir.

— Bei Ihrer Rede in der Bundesversammlung haben Sie die Deutschen aufgerufen, sich den gegenwärtigen Herausforderungen, „guten Mutes“ zu stellen. Heißt „mutig sein“ auch „zuversichtlich sein“? Oder wollen Sie als mutiger Bundespräsident in die Geschichte eingehen?

 Ich habe gesagt: Wer, wenn nicht wir, soll guten Mutes sein. Acht Jahre in der Außenpolitik haben mir die Möglichkeit zum Vergleich gegeben. Und diese Begegnungen in vielen Ländern haben mir gezeigt, dass über Deutschland mindestens mit Respekt, manchmal auch mit Bewunderung gesprochen wird. Vielen gilt Deutschland als Modell für politische Stabilität, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und sozialen Zusammenhalt. Ich weiß natürlich, dass das nicht die ganze Wahrheit ist; auch bei uns sind nicht alle Fragen gelöst, auch bei uns steht die Politik vor großen Herausforderungen. Aber ich weiß ebenso: Nirgendwo auf der Welt sind die Chancen für die Menschen und die Voraussetzungen für die Politik, diese offenen Fragen zu lösen, besser als in Deutschland.

— Wo sehen Sie denn das größte Gefährdungspotenzial für unsere demokratische Gesellschaft?

 Es geht inzwischen wieder um die Demokratie selbst. In vielen Ländern gibt es einen steigenden Bedarf an einfachen Antworten auf gesellschaftliche Fragen. Und leider auch politische Kräfte, die vorgeben, diese zu haben. Ich sage: Wenn die Probleme immer komplexer werden, dann können die Antworten nicht gleichzeitig immer einfacher werden. Ich werde in meiner zukünftigen Arbeit viel Zeit darauf verwenden, gerade jungen Menschen zu erklären, warum wir die Politik und warum wir Menschen brauchen, die bereit sind, Verantwortung zu tragen. Wenn die Wertschätzung für das gemeinsame demokratische Fundament gesichert ist, dann kann auf Grundlage dieses Fundaments herzhaft über Richtung und Optionen zukünftiger Politik gestritten werden.

— Im vergangenen Jahr sind manche als unerschütterliche Wahrheiten geltende Fakten in sich zusammengebrochen. Beispiel Brexit, Beispiel US-Präsidentenwahl. Nochmal konkret: Müssen wir in Deutschland Sorge um die Demokratie haben?

 Wir leben nicht auf einer Insel, und vor Gefährdungen, die wir anderswo sehen, sind wir nicht durchweg gefeit. Gleichwohl sind wir nach meiner Meinung sehr viel stabiler als viele andere Nationalstaaten, auch solche in der europäischen Nachbarschaft. Das ist nicht nur eine Folge einer klugen Verfassung, der Fähigkeiten des politischen Personals oder der Machtbalance im gelebten Föderalismus. Dass diese Demokratie eine stabile Macht ist, hat auch damit zu tun, dass Millionen Menschen außerhalb der politischen Institutionen Verantwortung übernehmen und sich ehrenamtlich um mehr kümmern als nur um sich selbst. Das festigt jeden Tag das Fundament unseres Gemeinwesens. Deshalb bin ich wirklich zuversichtlich, dass unsere Demokratie trotz aller Herausforderungen stabil bleibt.

— Als „postfaktisch“ wird heute die Haltung beklagt, die sich nicht mehr an Realitäten orientiert. Schließt das auch ein, dass zwar um Errungenschaften wie Frieden, Freiheit und Wohlstand gefürchtet, nicht aber mehr das Fundament solcher Errungenschaften wie der europäische Einigungsprozess, Menschenrechte oder Rechtsstaatlichkeit geschätzt wird?

 Man kann einer jüngeren Generation, die den Krieg und die Nachkriegszeit sowie die Periode vor der europäischen Einigung nicht erlebt hat, nicht vorwerfen, dass ihnen diese Erinnerung fehlt. Daher ist es Aufgabe der Politik, der jüngeren Generationen zu erklären, wie anders die Realitäten in Europa aussehen würden, wenn wir die Entwicklung der vergangenen 70 friedlichen Jahre nicht genommen hätten.

— Der Bundespräsident wirkt durch die Kraft des Wortes. Die Gesellschaft tauscht sich heute indes über sogenannte soziale Netzwerke aus, deren Sprache oft „keine vernünftige Kommunikation“ mehr zulasse, wie Sie jüngst beklagten. Wie wollen Sie da Gehör finden?

 Wir müssen die Gesellschaft wieder stärker zu sich selbst bringen. Die Gefahr bei der Kommunikation über soziale Netzwerke ist doch, dass die Menschen sich zunehmend in Echokammern aufhalten, in denen nur noch nach Bestätigung und Verstärkung der eigenen Meinung gesucht wird. Hinzu kommt, dass Anonymität zu Maßlosigkeit in der Sprache und des Vorwurfes führt. Dem müssen wir entgegenwirken. Das wird nicht einfach, denn wir brauchen neue und direkte Zugangswege gerade zur jüngeren, zunehmend digitaleren Generation, damit die den Blick vom Smartphone hebt und die wirkliche Welt wahrnimmt.

— Wie könnte das konkret geschehen?

 Ich werde nach Begegnungsformen insbesondere mit der Jugend und über soziale Grenzen hinweg suchen. Schulen und Universitäten sind dafür sicherlich geeignete Räume. Andere müssen wir uns erschließen.

— Von Ihnen stammt das Bild, dass die Welt aus den Fugen geraten sei. Wie müsste der Kitt beschaffen sein, um diese Fugen zu schließen?

 Der Mauerfall war ein Glücksfall für uns Deutsche. Er markiert das Ende des Kalten Krieges und das Ende der Block-Konfrontation. Es hat uns die deutsche Wiedervereinigung ermöglicht und war Voraussetzung dafür, dass auch Europa wieder zusammenkam. Aber es war auch das Ende einer Ordnung, die durch die Zweiteilung der Welt gekennzeichnet war, in der sich der eine Teil nach Washington und der andere Teil nach Moskau orientierte. Diese Ordnung besteht nicht mehr - zu unserem Glück! Aber: Anstelle der alten Ordnung ist keine neue getreten. Wir befinden uns in einer Phase, in der die Welt auf der Suche nach Ordnung ist. Das ist kein friedlicher Seminarprozess, sondern ein Ringen um Dominanz, das durchaus gewaltsam stattfindet. Immer seltener übrigens sind das klassische Auseinandersetzungen zwischen Staaten, sondern häufig genug Konflikte zwischen staatlicher Gewalt und ethnischen oder religiösen Einflusskräften, exemplarisch zu betrachten im Mittleren Osten. Diese neue Ordnung wird nicht über Nacht entstehen. Wir müssen auch in anderen Regionen der Welt einüben, wozu wir in Europa Jahrzehnte oder Jahrhunderte gebraucht haben: Die Einsicht, dass trotz unterschiedlicher und widerstreitender Interessen das Zusammenleben von Ethnien und Religionen möglich gemacht werden muss.

— Wie mutig kann, wie mutig sollte man Staatslenkern wie Trump oder Erdoğan entgegentreten?

 Wir müssen da nichts neu erfinden. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich bewiesen, dass der offene, ehrliche und nicht von übertriebenem Selbstbewusstsein begleitete Umgang mit schwierigen Staaten der Welt der richtige ist.

— Sie waren mehrere Legislaturperioden Abgeordneter des Deutschen Bundestages, waren Fraktionschef. Was wird der künftige Bundespräsident vermissen an der Arbeit als Parlamentarier?

 Mir wird die lebendige Debatte nicht nur im Plenum, sondern vor allem auch in den Ausschüssen des Bundestages fehlen. Entgegen manchem Eindruck in der Öffentlichkeit verlaufen doch viele Debatten sehr viel sachlicher und nachdenklicher, als es gelegentlich den Anschein hat. Zuspitzung und Profilierung braucht die Politik. Demokratie lebt vom Streit um Inhalte und Lösungsoptionen. Manchmal täte es allerdings gut, wenn wir auch die Einigkeit über das demokratische Fundament ebenso deutlich zeigten.

Es ist zu hoffen, dass dieser Bundespräsident nicht nur erkennt, sondern auch Stellung bezieht zu den Phänomenen und Folgen, die die Digitalisierung und permanete Verfügbarkeit der Kommunikation mit sich bringt. Mit diesem (Ab-)Satz:

Die Gefahr bei der Kommunikation über soziale Netzwerke ist doch, dass die Menschen sich zunehmend in Echokammern aufhalten, in denen nur noch nach Bestätigung und Verstärkung der eigenen Meinung gesucht wird. Hinzu kommt, dass Anonymität zu Maßlosigkeit in der Sprache und des Vorwurfes führt. Dem müssen wir entgegenwirken. Das wird nicht einfach, denn wir brauchen neue und direkte Zugangswege gerade zur jüngeren, zunehmend digitaleren Generation, damit die den Blick vom Smartphone hebt und die wirkliche Welt wahrnimmt.

ist ein erster Schritt gemacht. Und eine Aufgabe formuliert, ganz im Sinne des eigenen Anspruchs, als Bundespräsident auch diese neue Welt erklären zu wollen, das Neue einzuordnen und Mut zu machen.

Bei den Recherchen rund um diesen Beitrag fielen nicht nur die Bilder von der eigenen Wahlkreis-Seite als Dokumente der Volksnähe auf,

sondern auch der Beitrag der hochgeschätzten Kollegin Melinda Crane von der Deutschen Welle,

die in ihrem Beitrag verlauten liess, Steinmeier habe keinen twitter-account (sic!) - was dann auf eben diesem von Anja Köhler am 12. Februar 2017 als Zitat eingespielt wurde:

https://twitter.com/An_Koehler/status/830709841396129792

Nein, es geht hier nicht darum, Ratschläge erteilen zu wollen, auf welchen Wegen, wie und womit der (ehemalige?) Genosse Steinmeier seine neue Rolle zur Geltung bringen sollte. Sondern darum, dass es über diese kommunikations-politischen Anwendungsfragen hinaus wichtig wäre, darauf zu achten, dass und wie sich "die Politik" diesen neuen Herausforderungen stellt.

Nicht nur, in dem sie mitmacht, schlimmstenfalls auch nur nachmacht, was ihnen "andere" schon vorgemacht haben, nicht nur, dass auch sie sich jener Plattformen bedienen, die sich längst ihrem Zugriff als auch ihrer Deutungshoheit entzogen haben - nein, sondern auch dadurch, dass gerade von dieser Position aus Zeichen gesetzt werden: Bestenfalls mit einer Art Leuchtturm-Funktion, mit der gleichen Nachdenklichkeit und Nachhaltigkeit, wie dies einst mit der sogenannten "Ruck-Rede" des verstorbenen Bundespräsidenten Roman Herzog geschehen war. Seine Rede vom 26. April 1997 trug den Titel: "Aufbruch ins 21. Jahrhundert" [2].

Wie wäre es - auch wenn das vielleicht zu früh sein wird - wenn er sich als Redner aus Anlass des 20. Kongresses "Effizienter Staat" einladen lässt, der in der Zeit vom 9. bis 10. Mai 2017 erstmals unter dem neuen Titel "Digitaler Staat" in Berlin veranstaltet werden wird.

"Deutschland", so der Behörden Spiegel in seinem Intro:

"Deutschland steht bei der Digitalisierung der staatlichen Aufgaben erst am Anfang. In den letzten Jahren erscheint E-Government in großen Teilen als Elektronifizierung des Verwaltungshandelns. Digitalisierung jedoch steht auch für vollkommen neue Möglichkeiten der Leistungserbringung, von Automatisierung, über föderale Vernetzung bis hin zu Partizipation. Der 1. Fachkongress Digitaler Staat soll nun noch stärker als vorher diese neuen Möglichkeiten einer „smarten Verwaltung“ in den Blick nehmen.

Die Krux solcher hochwohllöblich formulierten Sätze ist, dass sie bei aller Bereitschaft, auf die aktuellen Herausforderungen zu reagieren, viel zu kurz greifen.

Nicht die Verwandlung eines Papierformulars in ein PDF-File ist die Herausforderung, ja, nicht einmal die oft genug immer noch nicht umgesetzte Möglichkeit, diese auch online bereitzustellen, online ausfüllen und auf einem gesicherten Wege online dem Empfänger wieder übermitteln zu können.

Die Herausforderung besteht weit darüber hinaus darin, dass wir mit dieser nicht mehr rückkehrbaren Form der beabsichtigten Effizienzsteigerung mit den Folgen des digital divide schon jetzt eine neue Art einer Zweiklassengesellschaft geschaffen haben.

Und während "die Politik" noch mit hohem Einsatz daran arbeitet, eben diese Folgen wieder zu vermindern, läuft sie Gefahr, den Blick für das "Grosse und Ganze" zu verlieren, darauf, was sich hinter all diesen Entwicklungen und elektronischen Gewerken verbirgt: Die immer weiter wachsenden Vor-Herrschaft von privatwirtschaftlich organisierten Institutionen, die mit ihren Oligopolen immer mehr und immer wieder das staatliche Monopol in Frage stellen.

Mehr zu diesem Thema? Gerne: Auf Anfrage!

WS.

Anmerkungen

[1... die auch auf dieser Seite seines Wahlkreises mit der Überschrift "Lasst uns mutig sein!" zu finden ist.

[2Hier die ersten - wenn vielleicht noch nicht besten Vorschläge - die im Nachgang zur Publikation dieses Textes gemacht wurden:
— "Was hülfe es Deutschland. so es den Wettlauf um die Digitalisierung gewänne und doch Schaden nähme an seiner Seele"?
— Was kommt nach der Digitalisierung? Wir des überhaupt noch eine spezifisch deutsche digitale Leitkultur geben?
— Wird der Gewinn der Einheit Deutschland erneut bedroht, durch die dessen digitale Franktalisierung?
— [...] .


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