"Wer sich die Zukunft künstlerischer Bildung fürs Theater zur Aufgabe macht, muss mit dem Paradox zurechtkommen, der er für ein Theater bildet, das es noch nicht gibt." Das schreibt der neue Präsident [1] der Bayerischen Theaterakademie August Everding, Prof. Hans-Jürgen Drescher, zur Einleitung des Jahrbuchs für die Spielzeit 2014/2015.
Und er implementiert in diesem Satz sowohl die Frage, wie die Ausbildung für die Zukunft des Theaters auszusehen habe, als auch die Frage, ob das Theater überhaupt noch eine Zukunft hat.
Wenn aber am heutigen Tag der offenen Akademie zu erfahren ist, dass selbst in diesem nachfrageschwächeren Jahr immer noch mehr als 300 Bewerbungen für gerade mal 10 Ausbildungsplätze eingegangen sind, könnte man der Meinung sein, dass nicht die Zukunft des Theaters in Frage stünde, sondern die im Vordergrung steht, wie das Theater in Zukunft aussehen werde.
Das beruhigt - zumal wenn an diesem Tag live und leibhaftig zu erleben ist, was alles heute noch geht und wie gut DAS geht - allemal. Aber der betörende Moment des Augenblicks, die Dramaturgie der Inszenierung, die Kraft und Qualität des jungen Personals lassen einen schnell vergessen, dass die Frage nach der Zukunft auch durch Augenblicke und Lichtblicke dieses Tages nicht auf Dauer an die Wand gespielt werden kann.
Dennoch bleibt die Unruhe gross: angesichts der "Ökonomisierung aller Lebensverhältnisse" und der "digitalen Revolution", wie Prof. Drescher schreibt. Da hilft auch die Aufrüstung der Theater-Theorie nicht wirklich weiter. Ihr Versuch, neue Ordnungsrahmen zu bestimmen und zu erörtern allein wird nicht ausreichen, um die Frage nach der Zukunft des Theaters beantworten zu können. Denn diese wird nicht von Büchern beantwortet, sondern auf der Bühne. Und mit dem Publikum - wenn es denn kommt.
Wenn auch noch so viele junge Leute ans Theater wollen, wer von den jungen Leuten geht denn heute noch ins Theater?
Dass diejenigen, die als Fernsehpublikum zu hause geblieben sind, auch schon - statistisch gesehen - in ihrem Altersschnitt jenseits der fünfziger Grenze liegen, ist wahrlich kein Grund dafür, sich für diese Klientel bessere Chancen zu versprechen.
Und dass das Theater immer mehr die Mittel der mutimedialen Darstellungsmöglichkeiten in Anspruch nimmt, ist allein auch noch nicht DAS Rezept zur Bewältigung dieser Herausforderung.
Gleiches gilt auch für Vorschläge wie jenen von Tim Renner, nach dem Absetzen des ZDFtheaterkanals die Aufführungen nun als Streamingangebote "im Netz" zu verbreiten [2].
Aber wenn sich wirklich im Verlauf dieses Jahres ein Master-Studiengang für das nächste Studienjahr etablieren will - und wenn die neuen Herausforderungen des Theaters auch in Formaten bearbeitet werden sollen, die über die nationalen Grenzen hinausreichen, dann wird es not-wendig sein, nach Positionen zu suchen, die "eingedenk ihrer politischen und utopischen Dimensionen die Macht des Faktischen erschüttern können" - so nochmals Prof. Drescher am Schluss seines Vorwortes.
Merke: Diese "Macht des Faktischen" wird aber heute schon immer mehr von Elementen geprägt, die nicht mehr in jenen Zusammenhängen entstehen, die früher die "reale Welt" genannt wurden. Schon jetzt kommt es in Folge des Einsatzes der digitalen Medien zu einer so nachhaltigen Vermischung des "Realen" und des "Virtuellen", zu einer Amalgamisierung der Existenz vermittels Netz und Screen, dass in deren Folge eine immer grössere Sehnsucht nach einer neuen Form von Bezüglichkeit, von Verbindlichkeit, von Handhabbarkeit, von Vertraulichkeit, von Authentizität, von Verortung in Zeit und Raum besteht, so dass sich gerade für die vergegenständlichenden Kultur-Träger-Medien wie die der Bühne neue Chancen ergeben. [3]
Diese gilt es zu entdecken, zu erproben und immer wieder neu zur Anwendung zu bringen. Eine ebenso reizvolle wie gesellschaftlich not-wendige Aufgabe.
Die Zukunft des Theaters
liegt
in der Wiederentdeckung
realer Persönlichkeiten
an einem realen Ort
auf einer realen Plattform:
der Bühne.
— lupusdigit (@carpecarmen) 1. Februar 2015
Dieser Text ist dem ab diesem Wochende in San Francisco verstorbenen (auch) Autor Carl Djerassi gewidmet, der in der Folgewoche am 3. Februar nochmals im Deutschlandfunk in dem Interview mit Denis Scheck zu hören ist (und den Karin Steinberger in ihrem Nachruf am 2. Februar in der Süddeutschen einen "männlichen Feministen" genannt hat). Hier ein kurzer Auszug aus dem Interview, in dem er darauf eingeht, dass er erst im Rentenalter mit dem Schreiben begonnen habe: