Wie aus Anlass der CeBIT 2012 angekündigt [1]:
Heute am Abend spielt Pigor & Eichhorn mit Band in Berlin.
Wir werden versuchen, dabei zu sein und darüber berichten - und darüber hinaus den ganzen Tag unter das Motto des zur CeBIT vorgestellten Songs zu stellen:
Was wird in Zukunft aus der Vergangenheit,
Aus den persönlichen Archiven
Angesichts der grassierenden Geschichtslosigkeit
Der Digitalen Naiven?
Allein, schon der Versuch einer Vorberichterstattung ist mit einer Reihe von unerwarteten Haken und Ösen versehen.
Der Lauftext zu dieser Veranstaltung wurde bei der Vorbereitung dieses Beitrages als Erstes auf einer Seite gesichtet, auf der die Eintrittskarten zu wesentlich günstigeren Konditionen angeboten werden [2].
Zitiert wird er aber hier von der offiziellen Seite des Veranstalters:
www.wuehlmaeuse.de/#spielplan/details/4515:
Pigor & Eichhorn, die anerkannten Erneuerer des deutschen Chansons, präsentieren sich in einer neuen Formation: Mit Bass, Gitarre und Schlagzeug rocken, swingen und rappen sie sich an die wunden Stellen der zeitgenössischen Befindlichkeiten heran. Dabei wird den Kevins dieser Welt ebenso genüsslich einer eingeschenkt wie maulenden Rentnern, unfähigen IT-Entwicklern so virtuos auf die Finger gehauen wie bedienungsunwilligen Wurstverkäuferinnen. Die Zuhörerin wird von Pigors gedrechselten Bösartigkeiten nie unter ihrem Niveau abgeholt, und wenn sich der Meister des Salon Hip Hop Martin Heidegger vorknöpft, wird sie die erstaunliche Feststellung machen:
Philosophie ist tanzbar.
Die Band
Jo Ambros: Gitarre - Jan Peter Eckelmann: Drums - Björn Werra: Bass Vocals: Pigor - Klavier, Keyboards: Benedikt Eichhorn [3]
Vorgetragen wurden an diesem Abend [4]
– Soundcheck
Ein Super-Aufmacher: Denn hier kann man wirklich noch einmal proben, mit dem Publikum plaudern [5] und doch zugleich schon zeigen, wie nahe man schon dem gesetzten Ziel sei, seinen Text (und sich selbst) gut rüberbringen zu wollen.
– Wurstverkäuferin
Na, das ist ja ein interessanter Einstieg. Es geht um das Warten, bedient zu werden - und das scheint sowohl im direkten als auch im übertragenen Sinne gemeint zu sein.
– Vorteilsnahme und Inkompetenz
Originaltext: "Wir brauchen fähige Staatsanwälte | Unerschrockene Richter | Parlamentarische Kontrollkommissionen | Aufsichtsräte die Ahnung haben | Investigative Journalistinnen | Redakteurinnen mit Rückgrat in den Redaktionen" - gut gebrüllt Löwe!
– "New York - Madrid"
Städte haben Namen. Frauen auch. Und die Frau mit der er im Lied New York durchstreift... erinnert an eine eigene, gemeinsame Fahrt in einem Peugeot Convertible über die Henry Hudson Bridge. [6]
– Dein Freund ist doof
Und jetzt geht’s gleich nochmal um das Gleiche, um Sex - und um sozialkompatible Persönlichkeitsmerkmale.
– Nieder mit IT
DER Klassiker. Und immer noch stehen die Leute im Publikum auf und bekunden die Fehlleistungen ihrer Geräte und der ihnen innewohnenden Software. [7] [8] [9]
— PAUSE
– Rabenmutter
Auch wenn die Kinder da sind, ist die Lust auf Leben nicht geringer geworden. Endlich ein Lied für die Frauen.
– The Language of Shakespeare
"From Brazzaville to Berlin | The winner is Global Pidgin" - Dieses Lied erinnert an ein langes Gespräch mit einem Aussenminister a.D. der davon berichtet wie schwer es sei, selbst auf der Ebene der höchsten Diplomatie einen Dialog zu führen, in dem die Nutzung einer Fremd-Sprache den Zugang zum avisierten Dialogpartner behindere.
– Piloten lügen
Ehrlich gesagt, eines der schwächsten Lieder dieses Abends. Vor allem die Instrumentalisierung hilft nicht, dem schon schwachen Text doch noch eine gute Seite abzugewinnen.
– Der Zoelibat fällt nicht
Stark! Bittersüss. Die Geschichte als Fessel der Emanzipation. [10]
— PAUSE (mit Wodka)
– Sternenhimmel (Volume 2)
Applaus der Stufe 5 über ein Lied über die Unmöglichkeit, selbst auf der Wolke Sieben eine Nummer schieben zu können.
– Parfümverkäuferin
Dieses Lied wurde vor zehn Jahren geschrieben. Eros & no Thanatos: Der Film von Tykwer entstand erst fünf Jahre danach.
– Pubertät
In der gleichen Zeit geschrieben - und heute immer noch für eine Hüfnummer gut genug.
— NATIONALHYMNE (2te Strophe)
– Maulende Rentner
Kaum jemand im Publikum war bislang in China. Aber die Auslands-Nummer mit den Badetüchern als Reservierungsattribute auf noch unbesetzten Liegestühlen, die kannt jeder.
– Heidegger
Hier gilt der hier zitierte Marketingschrieb "Philosophie ist tanzbar".
– Hitler
DIE Alternative zum Parfüm-Song. [11]
– Kevins
Am Schluss werden wir mit dem genialen Bruchpiloten aus dem Pilotenlied doch noch versöhnt. 2017, so prognostiziert der Sänger, werde der nächste Bundeskanzler Kevin heissen. Und dies neue Genration der Kevins sei nicht nur in der Lage, ganz toll mit einem Handy umgehen zu können, sondern auch "die Chinesen | Locker über’n Tisch zu ziehen."
Und so endet das "Konzert" - ja, so steht es auf dem Ticket - nach so mancherlei Untergangsstimmung doch noch mit einer wahrlich massiven Ermutigung - die hoffentlich mehr zu bedeuten haben mag, als das berühmte Pfeifen im Wald...
Dank an diese handvoll Kerle für diesen tollen Abend!
So. Und jetzt zum "Vor-Abend-Programm":
Tagsüber gibt es einen ebenso interessanten Moment um
— Neues zu entdecken,
— Altes wiederzufinden,
— Bestehendes zu hinterfragen:
Beim 8. Jugendgeschichtstag ab 11 Uhr [12] im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte [13].
Aus den vielen Begegnungen und Gesprächen - vor allem mit den Kindern und jungen Leuten aus alle Teilen Brandenburgs - wird klar, dass hier in mühevoller aber nicht mühseliger Kleinarbeit die Erwachsenen dabei sind, ihre Geschichte für die ihnen nachfolgende Generation wieder entdeckbar zu machen. Und das ist auch, aber nicht nur, die Zeit der Geschichte der DDR. Dazu zwei Fotos:
Eines aus eigener (htc-)Hand(y) von einem Stand gleich vorne links, in dem es explizit um das Thema Heimat ging. Und um die Werke von - zwischen 4 Generationen von - Sprayern die nun alle Wand für Wand wegsaniert werden.
Und um eine Foto von einem Einblick in eines der Exponate des DDR-Geschichtsmuseum im Dokumentationszentrum Perleberg mit den Namen: "Gaststätte".
Haben Sie den Fehler erkannt? Nein, die Raucherutensilien waren zur damaligen Zeit noch gestattet. Es geht um das Schild. Nein, der dort so aufgeschriebene Text geht auch in Ordnung. Aber - Sie haben es gesehen? - diese Schrifttype, die gab es damals nicht. Und einen Drucker, der so was hätte zuhause ausdrucken können, auch nicht. Und ein zweifarbiges selbstgedrucktes Schild - schon gar nicht.
Wir haben darüber gesprochen: Das Ehepaar, das diesen Ort der Ausstellung und Begegnung, der Dokumentation und den Gedenkens geschaffen haben, weiss davon. Es geht als nicht darum hier etwas zu bemäkeln, sondern darum, zu zeigen, wie ein Westler mit (s)einer Ost-Vergangenheit heute in der Lage ist aufzuzeigen, wie schwierig es ist, mit dem Thema Authentizität umzugehen. Und das es heute - mehr denn je - notwendig ist, sich auszutauschen, um selbstkritisch und menschenfreundlich an einem gemeinsamen Ziel zu arbeiten: dass "so was" nie wieder geschehen und von unseresgleichen unterstützt werden möge.