Die freudlose Beglückung...

VON Dr. Wolf SiegertZUM Samstag Letzte Bearbeitung: 16. Januar 2015 um 13 Uhr 23 Minuten

 

... durch den Fortschritt im Spiegel des Scheiterns der Kunst an der Zukunft

Nur für Insider

In diesem Text wird frei über die Eindrücke der diesjährigen transmediale reflektiert und ohne dass einzelne Werke und Künstler, Protagonisten und Propagandisten eine namentliche Erwähnung finden würden.
Das geschieht nicht aus Missachtung, sondern in dem Bemühen, einmal über den Tellerrand des einzelnen Ereignisses, ja vielleicht sogar des individuellen Erlebens hinaus schauen zu wollen – und vielleicht auch zu können.

Menschen, die die transmediale nicht kennen oder in den letzten Jahren nicht an ihr teilgenommen haben, sollten sich nicht an der Lektüre dieses Textes quälen. Er ist schon so nicht gerade einfach und wird wohl ohne die eigenen Erfahrungen auf einem dieser Festivals wohl kaum verstanden werden können.

Die Suche nach Syntax

Das tolle an der transmediale: es gibt dort Nichts, was es nicht geben könnte. Alles Mögliche wird in Frage gestellt, und all das Unmögliche zur Disposition. Ist man gut disponiert und mit ausreichend Zeit ausgestattet ist es der Besuch der transmediale ein echtes Abenteuer für die Sinne und den Geist.

Nicht, das alles was es dort zu erleben und zu erfahren gibt, sinn- und geistreich wäre, aber der eigene Unverstand gegenüber dem Vorgetragenen und Erlebten bedeutet noch lange nicht, dass der Urheber ohne Sinn und Verstand sein Ding gemacht und zur Darstellung gebracht hat.

Dennoch gibt es immer wieder für die Gäste die Aufforderung, sich einer Herausforderung zu stellen, sich auf etwas Neues einzulassen, jenseits von all den Erfahrungsmustern und eingeübten Ritualen der Wahrnehmung und Selbst-Bestätigung.

Auf der Suche nach der Kraft, die die Welt im Innersten zusammenhält, wird uns am vielfältigen Abglanz des Lebens immer wieder aufs Neue vorgeführt, wie viel schier Unmögliches doch möglich wird. Und bereits dass macht einen grossen Wert vieler der künstlerischen Arbeiten aus: Selbst das schier Undenkbare möglich gemacht zu haben – und ein-sichtig.

Die Suche nach Synonymen

Besonders spannend wird es immer dann, wenn aus alle den diversen Darstellungen und Inszenierungen Zusammenhänge auftauchen, die die Werke und Gewerke untereinander in Beziehung setzen, und sich damit gegenseitig in einem neuen Zusammenhang erlebbar machen. In den besten Fällen grosser Ausstellungen folgt ein solcher Wahrnehmungsprozess einer inneren Dramaturgie, die diskret aber doch direkt wirksam auf die Sinne und den Intellekt angesetzt worden ist. Das von dem Ensemble der transmediale-Veranstaltungen behaupten zu wollen, wäre sicherlich daneben – und ist wohl auch so nicht wirklich intendiert gewesen.

Dazu steht schon das Motto dieser Tage für sich selbst. Es geht um das Thema der Verantwortung, responsability und um die Fähigkeit, antworten zu können, bzw. eine Antwort parat zu haben: response : ability. Dabei sei sicherlich zugestanden, dass es hier um mehr gehen soll als „nur“ ein Wort-Spiel. Aber man sollte die Bogen – und damit auch die Anspruchshaltung – nicht überspannen und versuchen, nun wirklich alles und jedes unter dieser Überschrift subsumieren zu wollen.

Auch wenn die lingua franca all dieser Dialoge das Englische ist, so ist und bleibt es eine Krux, dass nach wie vor eine grosse Kluft gibt zwischen jenen, die diese Sprache als Muttersprache erworben und jenen, die sie sich erarbeitet haben müssen. Wir schwer ist es doch, schon in der „eigenen“ Sprache das richtige Wort, den richtigen Satz für das zur Sprache zu bringen, was man auch wirklich gesagt haben möchte – und dann muss dieser Transaktionsprozess auch noch in eine andere Sprache übertragen werden.

Und so kommt es, wie es kommen muss. Wir alle hören alle reden. In Englisch – und doch bleibt uns vieles unverständlich. Nicht nur von der Sache her, sondern auch von dem spezifischen Umgang mit der Sprache als solcher.

Die Suche nach der Sprache der Sprachen

Es ist beeindruckend mitzuerleben, wie der Leiter des Festivals – in seiner in diesem Jahr letztmalig gehaltenen Eröffnungsrede – zwischen den Sprachen springt, um sicher zu sein, dass er wirklich all jenen gerecht wird, die ihm seine Arbeit – und auch seinen Erfolg – erst ermöglicht gemacht haben.

Und das ist nicht nur eine klammheimliche Beobachtung, sondern er sagt es in einer fast erschreckenden Offenheit coaram publico: es sei mit Absicht geschehen, dass er im Gegensatz zu seinen übrigen Ausführungen all den beteiligten Sponsoren und Partnern auf Deutsch gedankt habe. Denn er habe sicher sein wollen, dass seine Message, seine Botschaft des Dankes auch wirklich ankomme. [1]

Und er geht noch einen Schritt weiter, und nennt – in einer nicht enden wollenden Reihung – die Namen aller, die an der Vorbereitung und Durchführung dieser Veranstaltung zur Seite gestanden haben. Nach den ersten Namen brandet noch kurzer Beifall auf. Am Schluss der schier endlosen Aufzählung versäumt er es, hiernach nochmals einen Schlusspunkt zu setzen, vergisst es, einen nochmaligen Beifall einzufordern. Und konfrontiert das Publikum damit mit einer Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit, die sich in diesem Moment gegen ihn wendet.

„Zuviel des Guten“, denkt man – und ist verstimmt? Obwohl hier jemand aus seinem Herzen keine Mördergrube gemacht hat – sondern vielmehr gerade deswegen? Diese kleine Beispiel wird hier als pars pro toto zur Kenntnis gebracht um zu zeigen, wie schwierig es – gerade bei einem Festival wie diesem – sein kann, aufrichtig zu sein und zugleich professionell. Beides kann – im besten Falle - nicht als Widerspruch sondern als sich gegenseitig beflügelnde Interdependenz wahrgenommen werden.

Wer suchet – der findet?

Die Veranstalter dieses Festivals haben viel unternommen, um die vielfältigen und zeitweise überbordenden Angebote nach Möglichkeiten sowohl in On- als auch im Off-line-Bereich zu erläutern und mit jeweils etwas Hintergrund auszuleuchten. Dennoch ist es schlicht ein Ding der Unmöglichkeit über dieses ganze Konglomerat von Angeboten eine Art Suchmaschine laufen zu lassen, die dabei hilft eine personifizierte und automatisierte Vorauswahl aus dem Programm herauszufiltern – auch wenn eben ein solcher Filter im Online-Auftritt angeboten wird.

Mit den wenigen Stichworten und Bildern können Absichten signalisiert und Zeichen gesetzt werden, aber ob das Angebot nachher für einen selber wirklich stimmig ist, oder sogar „stimmt“, kann auf diesem Wege dann doch nicht vorhergesehen werden. Andererseits ist das Programm soweit und so transparent aufbereitet, dass es nicht nur empfehlenswert, sondern eine echte Not-wendigkeit ist, sich zuvor ausführlich mit dem Programm zu beschäftigen.

Dennoch ist es hier wie bei Google. Entweder man aktiviert die „Google Suche“ oder man sucht – und findet – „Auf gut Glück“. [2] Nicht immer ist das Erste Beste auch das Beste, das man selber als Erstes vorgeschlagen hätte. Aber der vom Veranstalter entwickelte Suchalgorithmus ist so weit aufgearbeitet, dass er es erlaubt, mit Fug und Recht auf die Relevanz des vorgestellten Ergebnisses hinweisen zu können.

Dabei mag offen bleiben, ob man all das gut findet, was einem die transmediale dort ausgesucht hat, aber es gibt kaum einen Vortrag oder eine Installation der / die nicht für sich in Anspruch nehmen könnte, die eigene Relevanz begründen zu können.

Die Suche nach Synthese

Die transmediale ist eine offenes System von Möglichkeiten, bisher so nicht Gesehenes wahrnehmen und bisher so nicht Gedachtes aufnehmen zu können. Als offenes System läuft die Veranstaltung aber auch immer wieder Gefahr, dass Selbstverliebtheit als Stärke und Eigenbrödellei als Herausstellungsmerkmal „verkauft“ werden. Die transmediale lebt von der Vielfalt ihres Angebots ist aber nicht gefeiht vor der Einfältigkeit ihrer Gäste und Kuratoren. Künstlerpech. Und kein Grund, das ganze Unterfangen damit in Abrede zu stellen. Aber zur Rede zu stellen.

Bei den vielen Programmangeboten gehen jene allzu sehr unter, in denen auch jene zu Wort kommen, die für die Auswahl und ausgesprochenen Einladungen zuständig waren. Die Idee, das Publikum bei der Preisvergabe mitreden und mitentscheiden zu lassen, steht dazu nicht im Widerspruch, ist aber auch nicht der Weisheit letzter Schluss.

Vielmehr wird die die Auswahl und Art der Präsentation deutlich, dass es ganz offensichtlich gar keinen Anspruch mehr auf so etwas wie ein gesamtheitliches Konzept gibt. Die Sicht auf die Welt ist disparat. Und so ist man schon gut genug, wenn sich im Verlauf der Veranstaltung zeigt, die richtigen Fragen gestellt zu haben. Antworten, oder gar eine zusammenfassende Synthese, sind Fehlanzeige.

Die Suche nach Sinn

Das erschreckende Ergebnis diese Veranstaltung - wenn man hier doch den Versuch machen darf, das eigentlich unmöglich zu sagenden zu formulieren – ist es dass wir ständig damit konfrontiert werden, wichtige Etappenziele erreicht zu haben ohne darüber auch nur im Ansatz glücklich sein zu können. „The world at the fingertips“ ist heute Wirklichkeit und doch gibt es keine globale Weltsicht – „allways on“ ist heute Realität und doch ist man in Wirklichkeit froh, sich dieser kommunikativen Umklammerung wieder entziehen kann – „media convergence“ ist zum Alltag geworden und macht die Bewältigung des Alltags dennoch nicht einfacher – „you wanna be my friend“ die Suche nach Freunden war nie einfach zu realisieren wie heute und doch ist es damit nicht einfacher geworden Freundschaften zu pflegen und belastungsfähig zu machen.

Vielleicht kann man sogar sagen, es war noch nie so einfach schien, sich und sein Werk zu einem Kunstwerk zu erklären – ohne dass es damit gelingen würde, dieser Binnensicht der Dinge auch eine stimulierenden Sicht auf diese Dinge abgewinnen zu können.

Diese Vermutung richtet sich nicht gegen die Gäste noch gegen die Kuratoren, sondern sie verweist vielmehr auf die bis an die schiere Verzweiflung grenzende Unmöglichkeit, in der Nachfolge der Postmoderne noch Parameter für die Jetztzeit bereithalten zu können. Und diese bittere Erkenntnis verschafft sich wie ein schleichendes Gift immer an Wirkung.

Das Hier und Jetzt ist noch nie so diesseitig gewesen wie es in seiner Aktualität zugleich peripher ist. Jede Neuigkeit, die zum Ereignis aufgeputzt werden kann, wird mit Wucht und Verve durch das globale Dorf getrieben um dann alsbald auch ebenso schnell wieder in der „Versenkung“ zu verschwinden.

Und die Zukunft? Um es mit Karl Valentin zu sagen: Die Zukunft ist auch nicht mehr das, was sie früher mal war.

PS.

Da Bilder angeblich mehr sagen, als viele tausend Worte, hier die Probe aufs Exempel:
http://www.flickr.com/photos/transmediale/5415023211/in/photostream/

Anmerkungen

[1Was für ein Unterschied und was für eine Erleichterung im Vergleich zu jenen Zeiten, als der Autor selber noch in verantwortlicher Position dem Festival zugeordnet war. Und es vor Jahr und Tag noch ein fast aussichtsloses Unterfangen war, „den Anderen“ begreiflich zu machen, von welchem ausserordentlichen Wert die Pflege der Beziehung zu dieser Klientel sei.

[2Mit "Auf gut Glück! (TM)" gelangen Sie automatisch zur ersten Webseite, die für Ihre Suchanfrage angezeigt wird.
Wenn Sie "Auf gut Glück!" suchen, verbringen Sie weniger Zeit mit der Suche nach Webseiten und mehr Zeit damit, sich diese anzusehen
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