Allein – und für Alle

VON Dr. Wolf SiegertZUM Samstag Letzte Bearbeitung: 16. Januar 2015 um 00 Uhr 47 Minuten

 

Lehre: Das könnte schlicht und einfach bedeuten: Rechner auspacken, anschliessen, den Beamer justieren – und den Ton – und los geht’s. [1]. Es gibt vier Abschnitt mit drei Pausen, alles ist gut auf Folien fixiert und alles läuft nach Plan. Der Lehrer redet wie ein Buch, die StudentInnen habe selbst auch Rechner auf dem Tisch – doch der Redner weiss nicht, ob sie sich zu dem Gesagten Notizen machen, oder auf einer ganz anderen Strecke unterwegs sind.

Oder:

Du hast alles vorbereitet, bist extra einen Tag eher gekommen um auch auf das Unvorhergesehene vorbereitet zu sein – und bist so davon frei, Dich an Dein Skript halten zu müssen um die Studenten damit zu fesseln – wobei ja dieses „fesseln“ bekanntlich eine wahrlich doppelte Bedeutung haben kann.

Du fesselst die Anwesenden mit Deinem Vortrag, Deinem Auftreten, vielleicht aber auch gerade durch Deine Bescheidenheit und den klugen Blick nach vorn – oder aber Du bindest die Anwesenden durch Power-Point und Vortragsrituale an Dich, ja, erzwingst ihre Aufmerksamkeit durch die ihnen auferlegt Pflicht, das Ganze in einer Light-Version als Hausarbeit widerzukäuen und zur Benotung vorzulegen.

Was aber,

wenn Du als Frontmann wie ein Anchorman in ein Gespräch mit einer Gruppe hineingehst, von der Du gar nicht weißt, wie sie „so drauf ist“? Über die Dir nichts anderes bekannt ist als das, was Name und Portrait-Fotos so hergeben? Eine Anfrage an die Gruppe führt schnell zu einer klaren Antwort: Nein, das Ritual, sich den ja wechselnden Dozenten wieder und wieder vorstellen zu müssen, müssten sie nicht unbedingt nochmals wiederholen wollen. Und selbst die ach so originelle Idee, dass jeder nicht sich selbst, sondern eine anderes Mitglied der Gruppe vorstellen könne, wurde nicht gerade als so wirklich prickelnd angenommen – und damit verworfen.

Aber, was Du vorbereitet hast, kommt jetzt zur Geltung: mit Name und Arbeitsplatzinfo gab es bereits im Vorfeld dieses Vorlesungsmarathons von 9 bis 18 Uhr genug Indikatoren, um sich über die Personen und ihren Arbeitsplatz soweit zu informieren, dass einem die Anwesenden nicht länger als „anonyme“ Personen gegenüber sitzen müssen.

Was nun?

Der Beginn der Veranstaltung, die ersten Worte und Sätze, die ersten Gesten und Haltungen entscheiden Alles, oder zumindest Vieles von dem, was sich in der Folgezeit der Veranstaltung ergeben wird.

Zumal, wenn wie in diesem Falle, zu Beginn auf die „Zwangs-Interaktion“ einer Vorstellungsrunde verzichtet wird, geht das darum, dennoch das „Setting“ gut definieren modellieren zu können. Du redest und denkst und schaust in die Gesichter derer, die dich ansehen und Dir zuhören. Du bietest Pausen an und schaffst Gelegenheit zu ersten Antworten. Doch Du weist damit dennoch lange Zeit nicht, ob und wann das Eis bricht, ob es mit Deinen Vorgaben gelingen wird, einen Dialog in Ganz zu setzen, ganz ohne Medien und Mediatoren.

Der erste Wider-Spruch…

… zu Deiner Rede war in diesem Fall der Schlüssel zur Lösung dieses Spannungsfeldes. Das muss nicht immer so sein, es gibt auch viele andere Ansätze und Möglichkeiten, einen Dialog in Gang zu setzen. In diesen Fall war das die der Situation und der Disposition der Beteiligten am besten geeignete Art und Weise, aus dem Monolog des Stettings heraus eine Basis für das weitere Miteinander zu schaffen.

Es ist dabei schwer als Betroffener, als in diesem Inszenierungszuammenhang Eingebundener zu sagen, welche Element und Aussagen in diesem Zusammenhang die entscheidende Wendung gebracht haben: es gab zumindest drei Sätze – und Setzungen – die in diesem Zusammenhang vielleicht ihre Wirkung gezeitigt haben.
1. „Sie müssen doch eigentlich schon platzen nach all dem, was Sie bislang gehört haben.“
2. „Wir sitzen hier als Gleiche unter Gleichen, wir sind allesamt Berufstätige - und Neugierige.“
3. „Zu Beginn dieser Veranstaltung wissen wir nicht, was das Ergebnis sein wird, dass Sie es als solch etwas Positives werden erfahren können wird auch von Ihrer Mitarbeit abhängen.“.

Es ist hier nicht der Ort…

… um aus dieser Sicht des Betroffenen in einer dennoch recht abstrakten bzw. abgehobenen Betrachtungsweise über den ganzen weiteren Verlauf zu referieren und zu reflektieren. Es seien allerdings einige der besonderen Herausforderungen benannt, die auch dann noch bestehen bleiben, nachdem noch vor der erste Pause „das Eis gebrochen“ war und wir uns gemeinsam nach neuen Ufern aufgemacht haben, zu Gestaden, die eigentlich schon in uns selber angelegt sind aber an die wir bislang vielleicht noch nie angelegt haben.

  als Zielvorstellung wird danach gefragt, wo wir herkommen und wo wir hinwollen
  als Positionierung der Anwesenden wird eine Verortung vorgenommen zwischen einer Non-liner Welt und ihren Regeln die immer mehr in Frage gestellt werden und einer Onliner-Welt die als Hype referenziert wird und der doch nicht als Referenz für die Zukunft geglaubt wird
  Kommunikation und Werbung, das Ich und das Brand werden als die viel Pole einer für die Verortung von Verbindlichkeiten und Bezüglichkeiten gestellt, in deren Mittelpunkt das „Sich“ steht: als Makler und Mittler, als Mediator und als „Avatar“
  Es wird die Frage nach Identitätsstiftern in den virtuellen Welten gestellt, nach den Bezügen und Bezugsebenen, die sich nicht mehr als den Träger- und Referenzmedien: die Schallplatte oder die CD, die Cassette oder die CVD, im wahrsten Sinne des Wortes festhalten können.

Handicaps

Der Hochschulalltag – in eine wahrlich modernen und menschenfreundlich eingerichteten Umgebung – macht deutlich, wie weit, trotz allem individuellem Bemühen die Grenzen neu gesteckt werden, ja in der digitalen Welt noch intensiver hervortreten als in der analogen.

  Telefone können inzwischen in jeden Seminarraum gelegt werden, aber selbst innerhalb des EDV-Teams ist nicht jeder dazu berechtigt, dieses zu tun
  Ein Dialog von Studierenden und Studienleiter mit Externen ist im Verlauf einer solchen Lehrveranstaltung zunächst nicht vorgesehen, die Idee, das Gäste auch in einen Dialog eingeladen und integriert werden, ohne selber vor Ort sein zu müssen, ist alles andere als selbstverständlich
  Der Einsatz von Diensten wie Skype in solchen Institutionen konnte erst nach drei Jahren problemlos realisiert werden. Im ersten Jahr gar nicht, im zweiten über eine externe UMTS-Karte und erst im dritten Jahr durch die Zuordnung eines eigenen Proxys. Und diese Aussage beinhaltet ein Lob: in den meisten Corporate Companies, mit denen an diesem Tag Dialoge hätte geführt werden sollen, war eine solche Technik vollständige aussen vor, da – vor allem aus sicherheitstechnischen Gründen – nicht zugelassen
  Man muss die Bereitschaft mitbringen, all seine Konzepte und Vorbereitungen, all seine technischen Vorbereitungen und Inszenierungen über den Haufen zu werfen – weil draussen die Sonne scheint. Auch eine Diskussion auf der mit hellen Strahlen durchfluteten Terrasse über die weitere Dramaturgie des Tages ist legitim und/aber die Bereitschaft auf so nachhaltige Veränderungen zu reagieren wie den Wunsch, die Veranstaltung nicht nur jenseits der Medien weiterzuführen, sondern unter freiem Himmel, setzt voraus, so gut in seinem Stoff zu stehen, dass er auch ohne die Hilfe von Power-Point und Co. transportiert und in der Rezeption validiert werden kann.
  Alles, was nicht in der Kern-Arbeitszeit der jeweiligen Mitarbeiter vor Ort hatte realisiert werden können, konnte auch nicht mehr realisiert werden, was dazu führe, dass dem Lehrenden am Abend des ersten Tages nicht einmal die Information zur Verfügung stand, wo zum gemeinsam Essen geladen oder wo ein für ihr reserviertet Hotelplatz zur Verfügung stehen würde.
  Massgebliche und nachhaltige Aus-Wirkungen in der Binnenstruktur der Hochschule werden nicht kommuniziert. Man steht letztendlich den Studierenden nicht als ein Vertreter der Hochschule gegenüber, sondern als die Vertretung der eigenen Autorität. Das kann auch gut gehen – wenn man es denn kann.

PS.

Im Verlauf des Tage wurde auch eine eigene – mit einem Partner 1999 in Berlin realisierte – Arbeit: das Projekt „High Light O“ vorgestellt. In dieser künstlerischen Laser-Licht-Inszenierung ging es um die vielen Hürden, die es bei der Vorbreitung und Durchführung zu überwinden galt. Eines davon hatte mit dem Problem zu tun, dass die Piloten beim Anflug auf den berliner Flughäfen in Schönefeld, Tegel oder Tempelhof von diesen Stahlen geblendet werden könnten.

Auf dem Rückweg von St. Poelten nach Deutschland lag im Zug eine Gratiszeitung mit dem Namen „Heute“ aus. Der Untertitel des Gratis-Blatts: „KEIN MORGEN OHNE HEUTE“. Die Seite Eins wird mit dem Folgenden Titel aufgemacht:
’Laser-Angriff’ auf Bundesheer-Piloten.
– Blend-Atacke trifft Crew eines ‚Hercules’-Transporters beim Landeanflug
- Die Profis verhindern Crash in Linz-Hörsching, die Polizei ermittelt. – S. 8,9

Auf der Seite 9 ist dann von dem Alarmruf der Piloten an den Tower – „‚Wir wurden von einem grünen Laserstrahl geblendet!’“ die Rede - und am Ende der Geschichte ist zu lesen: „Luftfahrtexperte Peter Schmidt weiß: In Deutschland sind derart gefährliche Attacken schon öfters vorgekommen, in Österreich ist das der vierte Vorfall: ‚Immerhin ist das ein Eingriff in die Luftfahrt, also eine Straftat. So etwas ist hochgefährlich!’. Rund um die Flughäfen werden nun die Kontrollen verschärft.“

Anmerkungen

[1Siehe dazu auch das von Wolfgang Coy und Claus Pias herausgegebene Buch: „PowerPoint. Macht und Einfluss eines Präsentationsprogramms.“ Fischer, 2009


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