Notruf aus dem Autoreisezug Nr. 13306

VON Dr. Wolf SiegertZUM Freitag Letzte Bearbeitung: 15. Januar 2015 um 21 Uhr 17 Minuten

 

Notruf aus dem Autoreisezug Nr. 13306 Wagen Nr. 275 Abteil Nr. 5. von Villach (an der Drau) nach Berlin (an der Spree).

Dieses ist die erste Fahrt, die wir je mit einem Autoreisezug unternommen haben. All die im Internet gepriesenen Vorteile haben uns davon überzeugt, diesen Versuch zu unternehmen. Und bis zum „einchecken“ verlief auch alles so, wie man sich das nur wünschen konnte: freundliches Personal, keinen allzu langen Wartezeiten, eine ausreichend komfortable Ausstattung, ein Stromanschluss, der mit Abfahrt des Zuges auch funktionierte – und erlaubt, sogleich jetzt schon aus dem Zug diesen Bericht abzusetzen – und selbst die weiteren Mitnutzer im Abteil machten schnell den Eindruck, dass man mit ihnen gut eine Nacht lang würde klarkommen können.

Doch dann das: beim weit über dreissig Grad im Schatten und einem von der Tagessonne aufgeheizten Wagon lässt sich - auch nach der Abfahrt - die Klimaanlage nicht in Gang setzten. Die Folgen sind schon fast als dramatisch zu kennzeichnen. In allen Abteilen werden die Fenster aufgerissen um auch nur den subjektiven Eindruck von Kühlung herzustellen. Das Bahnpersonal dagegen ficht den aussichtslosen Kampf gegen die Passagiere mit dem Argument, dass die Klimaanlage nur bei geschlossenen Fenstern funktionieren könne. Die Menschen sind erbost. Einer wird deutlich: er habe drei Kinder in seinem Abteil und man könne doch wohl nicht im Ernst von ihm erwarten, dass er diese noch länger mit diesen nicht mehr erträglichen Temperaturen weiter darben lasse (er hat das natürlich nicht in einer so noch nett geschriebenen Sprache zum Ausdruck gebracht – aber da das Personal selber schon von den scheinbar nicht zu verändernden Zuständen mehr als genervt war, muss man ja diese Sätze nicht im Originalton wiederholen).

Als alle Stricke reissen, sucht jeder nach seiner im noch plausibelsten Lösung: sie es, auch weiterhin die Fenster aufzulassen, sei es den Wagon zu verlassen um in einem der anderen Zuflucht zu suchen, die einem geradezu frösteln lassen, wenn man diese aus dem Backofen Nr. 275 betritt, sei es nach einen Umbuchung für einen Schlafwagen nachzufragen – was aber auch abgewiesen wird, da die noch freien Plätze spätestens ab Salzburg auch belegt sein werden. Eine Passagierin erzählt davon, dass sie in einer vergleichbaren Situation schon mal so weit gegangen sei, die Notbremse zu ziehen. Und so wie sie das erzählt, ist klar, dass es ihr wohl ernst damit sein könnte…
Aufgrund des Aufstandes des Familienvaters kommt schliesslich auch der Zugchef vorbei, und mir ihm eine weitere Mitarbeiterin aus dem Buffet-Service, die Tetra-Brik-weise Christinen Mineralwasser verteilt, da es in unseren Abteilen „wohl ein bisschen warm“ sei.

Dann verlöschen alle Lichter im Abteil und der Zugchef geht aufs Ganze und unternimmt einen Neustart des ganzen Kühlsystems. Anstatt ihn mit weiteren Beschimpfungen in die Ecke zu stellen, wird der Fachmann in ihm zur Rede gestellt. Und er erklärt, dass es passiert sein könne, dass das ganze System schon mit Beginn der Abreise durch die hohen Standtemperaturen so sehr in Anspruch genommen worden sei, dass der Verdichter „voll vereist“ sie und damit Gefahr laufe überhaupt nicht mehr arbeitsfähig zu sein. Jetzt habe er es halt mit einem kompletten Neustart versucht – wozu das Begleitpersonal nicht befugt sei – und er wäre guter Hoffnung, dass es auch in diesem Abteil noch bis zum Anbruch der Nacht gelingen könnte, leidlich erträgliche Temperaturen erzielen zu können.

Nach dieser Unterredung sitzt der Verfasser dieser Zeilen mit nacktem Oberkörper und nur noch einer Short bekleidet und schreibt „im Schweisse seines Angesichts“ diese Zeilen –als plötzlich der Zug mit einem unerwartet schnellen Rucken zum Stehen kommt. Draussen, vor dem Zugfenster, ist ein kleines Industriegebiet zu sehen, und darin steht eine grosse Firma, die es mit Heizungs- und Lüftungsanlagen zu tun hat. In diesem Moment steht der Entschluss fest. Für einen kurzen Moment wird auch das Fenster dieses bislang fest verschlossenen Abteils aufgerissen um das hier nachfolgende zitierte Foto mit dem Brandname: ARCTIC CAT zu schiessen.

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Als das Foto gemacht und das Fenster wieder verschlossen ward hat man schon den Eindruck, dass die Klima-Anlage jetzt wirklich zu arbeiten begonnen habe und erste Wirkung zeigt. Vielleicht nähert sich ja jetzt wirklich so ein Gefühl wie Wohlbefinden – auf den Sammetpfoten des unverbesserlichen Glaubens, dass doch alles noch gut enden könnte.

WS.


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