Vielleicht...
- fallen ja die nachfolgenden Zeilen nur deshalb so missgelaunt aus, da am gestrigen Abend alle Einladungen, Empfänge, Loungedates und Parties ausfallen mussten, da es unaufschiebbare Gründe gab, im Büro zu bleiben, statt an der Berlinale teilzunehmen,
- ist es ja auch in Ermangelung des Live-Feelings im Saal, dieses "Man-ist-dabei-gewesen"-Syndrom, das auch ein noch so guter Kanal wie der von 3sat in seiner Live-Berichterstattung eben letztendlich doch nicht über die Mattscheibe zu vermitteln vermag, [1]
- vielleicht darf man aber eben eine abendliche Filmgala doch nicht mit einer Bühnenschau vergleichen - oder sie gar daran messen
... vielleicht, vielleicht, vielleicht:
Der Umstand, dass sich am Folgetag keine Aufzeichnung der Live-Berichterstattung von der Eröffnung des Berlinale-Festivals in der ZDF- oder der 3sat-Mediathek hat auffinden lassen, hat sicherlich auch ihr Gutes. Denn so hat keiner mehr die Möglichkeit, sich noch einmal diese Ansammlung von Eitelkeiten und Peinlichkeiten anzusehen, mit der an diesem Abend die Zeit bis zum Auftritt der "Götter des Rock" und des "Altmeisters des Films" überbrückt werden mussten.
Ist es doch immer wieder das gleiche Theater: wie sie sich gleichen, diese dunkel gekleideten Honoratioren aus Politik und Verwaltung in Männergestalt. Sie lassen sich und ihre Funktion und ihre Gewerke hoch leben ohne nach links oder rechts zu schauen, sie verteilen Danksagungen, ohne dass die Erwähnten die Chance hätten, sich selber dem Publikum zu zeigen und sie schwärmen von der besonderen Bedeutung des jeweiligen Ortes, zu dem man wieder einmal gerade noch rechtzeitig zur Eröffnung eingeflogen ist.
Da scheint es vordergründig eine wirklich gelungene Abwechslung zu sein, wenn plötzlich jemand als von der Politik eingesetzter Chef des Ganzen aus der Seitengasse auf die Bühne kommt, der so viel zu sagen und so viel Humor im Hirn hat, dass es ihm so recht nicht gelingen will, seine Keynotes auch so "richtig" über die Rampe zu bringen.
Das macht die Sache zunächst einmal sympathisch frisch - und könnte doch eines Tages Gefahr laufen, zu einem gefährlichen Rohrkrepierer werden. Denn je länger die neue Crew in Amt ist und je länger sie versucht, die Würde und Wirkung ihres Chefs auf ihn selbst beruhen zu lassen, desto schwieriger wird es eben für ihn werden.
Denn was da auf der Bühne abgeliefert wird, soll vielleicht locker und improvisiert wirken, spontan und frech. Selbst Unverschämtheiten können gut ankommen, wenn sie gekonnt und schlagfertig serviert werden. Aber jenes Gehabe, mit dem man sich durchaus überzeugend auf der Bühne der Welt zu bewegen vermag, ist nicht jener Gestus, mit dem es gelingen könnte, sich auch auf der Welt der Bühne überzeugend zu positionieren.
Wo ist der Abendregisseur, dem es gelänge, wie es dem Altmeister des Films gelungen ist, mit ebenso extravaganten wie durchaus auch schwierigen Persönlichkeiten umzugehen? Es ist an der Zeit, dass endlich mal eine Abendregie in der Lage und mutig genug ist, sich die dort auftretenden Herren zur Brust zu nehmen. Und mehr zu machen, als die eine oder andere Stellprobe. Martin Scorsese hatte in seinem Film immer noch die Möglichkeit, sich als Dramaturg und Regisseur nach der Aufzeichnung des Auftritts aus der Perspektive von bis zu 16 Kameras seine Heroen am Schneidetisch richtig in Szene zu setzen.
Aber an einem solchen Abend ist das Ganze noch komplizierter: Hier geht es darum, im Vorherein und so nachdrücklich die Spielregeln bestimmt und festgelegt zu haben, dass bestenfalls der Zuschauer - und vor hier vor allem der Gast - davon so wenig als möglich zu spüren bekommt. [2]
Auch wenn der ganze Abend auf nichts anderes aufgebaut war, als auf das Ziel, an den Hauptfilm heranzuführen: Gerade dann muss das "nitty gritty" auf der Bühne so gut vorbereitet sein, dass es mit dem Haupt-Akt mithalten kann.
Haben denn diese Herren von Würden- und Funktionsträgern immer noch so wenig von ihren Vorbildern beim Film mitbekommen, dass sie immer noch nicht verinnerlicht haben, wie sehr es der harten Arbeit und Selbstdisziplin - oder zumindest Selbst-Kenntnis - bedarf, um das so locker Gewollte auch als solches ankommen zu lassen [3]?
Dass ein DK trotz neuer Brille seinen Viewfinder nicht finden kann, weil es niemandem gelingt, diesen zur rechten Zeit auf die Bühne zu bringen [4], dass er aus seiner alten Ledertasche nicht einmal in der Lage ist, genug Bären herauszuholen, damit diese für jeden der vier "Stones" ausreichen, das ist schon mehr als nur peinlich. [5] Aber was solls: schliesslich gab es ja genug gestandene Künstler auf der Bühne, die den ganzen Schabernack mehr schlecht als recht über sich haben ergehen lassen.
Und eigentlich war es auch schon fast egal, als die Ansage kam, dass jetzt BN’s Filmförderungsfond als der "Neumann-Fond" über das Jahr 2009 hinaus Bestand haben solle. Denn - at last but by no means least - waren ja die vier Rolling Stones da und verhielten sich genauso salopp und burschikos, wie es ihnen zuvor der Berlinale-Chef vorgemacht hatte. Aber die, lieber Dieter, die haben daran lange gearbeitet.: Die dürfen’s, weil sie es können. [6]
Nachtrag:
Die ersten Reaktionen auf diesen Text sind derart "positiv", genauer gesagt: zustimmend, dass einem fast schon Angst und Bange werden können. Wenn das auch viele Andere so oder ähnlich erlebt haben, warum wird darüber dann nicht auch offen gesprochen?
Jetzt, diesen Text vor Augen, wird sogleich von weiteren Patzern und "don’t do’s" berichtet, die in dieser Darstellung schon der Diskretion halber ausgelassen wurden, aber offensichtlich auch anderen Lesern und Gesprächspartnern aufgefallen waren.
Die aus der Vielzahl der Rückmeldungen vielleicht symptomatischsten Reaktionen waren im Verlauf dieses Tages - bislang - die folgenden [7]
– "wenn Du diesen Text so hier stehen lässt, dann musst Du damit rechnen, nicht wieder als Berichterstatter zur Berlinale eingeladen zu werden"
– "erstmals bei so einer Eröffnung dabei gewesen zu sein, hat mich gefreut, diese dann erlebt zu haben, zutiefst erschrocken. Ich bin Katholik und daher weiss ich, wie wichtig die Inszenierung von Zeremonien dieser Art ist. Der Glamour, den gab es wirklich, den Zeremonienmeister dagegen - nicht wirklich..."