GAB

VON Dr. Wolf SiegertZUM Dienstag Letzte Bearbeitung: 12. August 2006 um 16 Uhr 14 Minuten

 

1.

Noch während der Anreise an den Urlaubsort steckt ein Gespräch mit dem Rektor einer Hochschule im Kopf, dass noch kurz vor der Abreise geführt wurde. So sehr, dass mitten auf der Fahr durch die weiten Lettlands auf einer Poststation nach einer Karte gefragt und gesucht wird, die meinem Gesprächspartner zugesandt werden kann.

Wir waren uns nämlich beide darin einig, dass wesentliche Entscheidungen letztendlich bei einem selbst liegen und es dafür gut war, nochmals vor Urlaubsbeginn um das Gespräch nachgesucht zu haben.

Mögliche Ergebnisse, so die Antwort, gäbe es erst, wenn mein Gesprächspartner sich nochmals im Hause umgehört und eine zweiwöchigen Wanderung hinter sich gebracht habe.

2.

Aber welch eine Erfahrung, nun ohne Rechner und Internet und Kenntnis der fremden Sprache eine Nachricht absetzen zu wollen.
Als Postkarten waren auf dieser Poststation nur Schmuckkarten zu finden. Und die "diskreteste" unter diesen war die Abbildung einer Sonnenblume, deren strahlend gelbes Leuchten noch durch allerlei Goldstaub herausgeputzt wurde.
Als die Karte in einem benachbarten Bistro geschrieben und zurückgebracht worden war, wurde am Schalter die Annahme verweigert: Nein, diese Karte können nur als Brief versandt werden. Also wird die Adresse von der Karte nochmals auf einen gegen Bares erworbenen neutralen Umschlag kopiert, die Karte dort hineingegeben und dann für die Frankierung, Abstempelung und den Versand überreicht.
Warum diese Regel hier zur Geltung gebracht wurde - und nur hier in diesem Falle, wie die Erfahrung bei dem Versand weiterer Karten später lehrte - ist ein Geheimnis.
Aber vielleicht war es auch nur die kluge Vorsehung, die einem auf diesem Wege wissen liess, dass Nachrichten dieser Art immer nur so zu versenden sind, dass sie auschliesslich vom Empfänger gelesen werden können und nicht auch von all jenen Augen, die auf dem Weg zu ihm davon Kenntnis nehmen könnten.

3.

Im Verlauf dieser Urlaubstage wird die Lektüre von Schriften des Dichters Heinrich von Kleist im Mittelpunkt stehen [1]. Dabei wird seine kurze Arbeit "Über das allmähliche Verfertigen der Gedanken beim Reden" [2]
gleich mehrmals gelesen und überlegt, ihn in einen un-möglichen "Pflichtlesekanon" eines Semesters einzubeziehen.
ZITAT: "Vielleicht gibt es überhaupt keine schlechtere Gelegenheit, sich von einer vorteilhaften Seite zu zeigen, als grade ein öffentliches Examen."

4.

In diesem Zusammenhang zum "guten Schluss" ein Zitat auf einem Gespräch von Bazon Brock mit Florian Rötzer [3]

Die Künstler wissen alle, daß es keine Möglichkeit gibt, ein Gedankenkonstrukt, eine Utopie oder andere geistige Vorstellungen zu entwickeln und dafür die genaue Entsprechung etwa in der Malerei zu finden. Das Verhältnis von Inhalt und Form sieht ganz anders aus. Die abstrakte, gar die absolute Malerei, die die äußerste Radikalisierung dieses Standpunktes ist, macht klar: »der Inhalt dessen«, was beispielsweise als das Quadrat von Malewitsch auftritt, steckt nicht im Werk selber, sondern das Bild verweist nur auf ein gedankliches Konstrukt als etwas im Werk prinzipiell nicht Einholbares und nicht identisch Abbildbares, dem man in keiner Form entsprechen kann. Das Bild holt sich seinen Bezugspunkt aus dem Postulat einer gedanklichen Konstruktion, die immer diesseits der Möglichkeiten bleibt, adäquat sprachlich ausgedrückt zu werden. Es gibt also kein Ausdrucksverhalten mehr, es ist kein Nach-außen-Bringen des inhaltlich schon Vorhandenen, ein bloßes Gestaltwerden dessen, was vorher schon amorph vorhanden war. Ich begründe prinzipiell die ästhetische Dimension aus unserem durch naturevolutionäre Prozesse entstandenen Weltbildapparat, der nur aufgrund der prinzipiellen Uneinholbarkeit des Gedankens in der Sprache, des Bezeichneten im Zeichen und des Begriffs in der Anschauung seine großartigen Leistungen erbringt. Die ästhetische Dimension entsteht zwangsläufig in jedem kommunikativen Akt aus der Tatsache, daß einem Gedanken unendlich viele sprachliche Ausdruckstormen zugeordnet werden können, egal ob das Gesten, Malereien oder wortsprachliche Ausdrucksformen sind. Diese Erfahrung macht auch jeder Alltagsmensch. Umgekehrt macht auch jeder die Erfahrung, daß, wenn man die sprachlichen Vergegenständlichungsprozesse automatisch ablaufen läßt, Gedanken erzeugt werden, die man vorher gar nicht hatte. Das nannte Kleist das allmähliche Verfertigen der Gedanken beim Sprechen, mit dem jeder Künstler operiert.

PS.

Auf der Webseite meinprof.de gibt es unter den berliner Professoren, bei denen die Arbeit am meisten Spass bereitet, auch einen Herrn Dr. Siegert. Er unterrichtet Mathematik an der FHTW und sein Vornahme ist Joachim ;-)

Anmerkungen

[1Später, am 9. August 2006, beim Besuch des historischen Museums im 1250 gegründeten Memel, seit 1945 Klaipeda [mit einem Punkt über dem "e"],taucht er wieder auf im Theaterspielplan des Jahre 1941 mit dem "Kätchen von Heilbronn".

[2Kleist, H. von: Über das allmähliche Verfertigen der Gedanken beim Reden. In: Ders.: Sämtliche Anekdoten und andere Prosa. Stuttgart 1984, S. 93-99


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