Es hat in den letzten Tagen wohl keine Mediensendung landauf landab gegeben, in der nicht der Entwurf des sogenannten 12. Rundfunk-Änderungs-Staatsvertrag – heisst der wirklich so? Ja, dieses Papier heisst wirklich so – Gegenstand eines Berichtes, eines Interviews oder eines Kommentars gewesen wäre.
Von Breitband bis ZAPP. Alle haben sie mitdiskutiert. Und das ist auch gut so. Ausser, dass in der gesamten Liste der bekannten Sendungen und Sender keine(r) darunter ist, die (der) nicht aus dem Umfeld der öffentlich-rechtlichen "Anstalten" kommt. [1]
Und dennoch - so zuletzt ein Kommentar beim Bayerischen Rundfunk - sei es der Allianz aus privatem Rundfunk- und Printbetrieben gelungen, einen so nachhaltigen Einfluss auf die Politik auszuüben, dass ARD und ZDF in absehbarer Zukunft ihre Internet-Aktivitäten deutlich werden einschränken müssen. Nach sieben Tagen, so die Aussage, müssten selbst die bis dahin noch zu tolerierenden sendungsbezogenen und –begleitenden Inhalte „wieder de-publiziert werden“. [2] [3]
Da ist es wieder, dieses Unwort von jener besonderen Güte, das den Charme jener westlichen sprachlichen Neuschöpfung einer „Entsorgung“ mit den inzwischen im Osten „abgewickelten“ Begrifflichkeiten wie jener von einer „Sättigungsbeilage“ auf Schrecklichste vereint.
Um es in aller Kürze und Schärfe zu sagen: während man mit dem „e-publishing“ den Versuch unternommen hat, die Zukunft des Publizierens auf digitalen Plattformen und Trägermedien irgendwie sprachlich dingfest zu machen, wird nunmehr mit dem Begriff des „de-publishing“ versucht, die Folgen dieser Entwicklung wieder unter Kontrolle zu bringen.
In dem Bericht über die Media-Night der CDU in Berlin vergangener Woche [4] war schon die Rede davon, wie sich einer der ARD-Intendanten aus diesem Thema dadurch herauszureden versuchte, in dem er seine Sender als technologieagnostische Anstalten zu qualifizieren versuchte, die vielmehr durch das Grundgesetz niemand anderem verpflichtet seien als den Hörern. Und hat dies als Verteidigungsposition formuliert. Anstatt darüber nachzudenken, was denn in Zukunft die Aufgabe der Öffentlich-Rechtlichen sein könnte - und müsste - wenn das Thema der Digitalisierung nicht mehr im Mittelpunkt der medienpolitischen Tagesdiskussion stehen wird.
Und alles was vom Medienforum in Nordrhein-Westfalen zu hören war, war, dass der Ton zwar nochmals schärfer geworden sei, von der Sache her aber keine wirklich neuen Positionen oder Argumente mehr auf den Tisch gekommen wären. Vielmehr auch dort wieder das gleiche Lied: nachdem es dem öffentlich rechtlichen Rundfunk gelungen sei, seine klassiche Kompetenz auch auf dem Sektor des „e-publishing“ zu entwickeln und unter Beweis zu stellen – und das ganz ohne Werbung und Sponsoring [5] - sei es nun eine verdammte Pflicht und Schuldigkeit, dass man nunmehr sein „Expansionswahn“ nachhaltig durch eine neu zu verkündende "de-publizierungs"-Strategie einzugrenzen habe.
Dieses kleine „d“ vor dem „e-publishing“ hat es in sich. Es klingt wie „De-Eskalation“ und tut gerade so, als ob von der Bevölkerung eine potenzielle Gefahr abgewendet werden solle. Aber nicht nur das, mit dem hier durchgesetzten Anliegen gewissermassen „der Bock zum Gärtner“ gemacht werden soll. Es geht um den – ganz und gar nicht unbegründeten – Vorwurf an die gebührenfinanzierten Sender, sich allzu viel von den Privaten nicht nur abgeguckt zu haben, sondern Gefahr zu laufen, allzu sehr das nachmachen zu wollen, womit eben diese sich erfolgreich auf dem Markt behaupten können.
Und jetzt also sollen jene neue erstellten Beiträge, die sich rund um das Thema, Bildung und Information handeln – über der Bereich der Unterhaltung wird ja derzeit noch trefflich gestritten, da hier die Regeln noch schärfer sein könnten
[6]
– nach einer Woche abgeschaltet werden?
Damit diese mediale grundversorgende Sättigungsbeilage des gebührenfinanzierten Rundfunks nicht länger zum Sorgenkind der privaten Print- und Broadcast-Industrie aufgebauscht werden muss, sollen alle diese so geschaffenen Werte von journalistischer Güte auch alsbald wieder „entsorgt“ werden?
Der Begriff des "de-publishing" kommt noch aus der Zeit der eigenen Blogg-Lektüre und Diskussion, bevor "DaybyDay" entstanden ist: Am 10. Juli 2003, also ziemlich genau für fünf Jahren, ist in dem Blog TEN REASONS WHY über The Ethics of De-Publishing zu lesen:
"De-publishing is a mechanism only available to online writers who control their own publication medium (e.g. bloggers). In print, radio, or TV, once you’ve made your content public, you can’t pull it back."
In Deutschland wird auf diesen Begriff 2004 im Dr. Web-Lexikon aufmerksam gemacht [7] und gefragt:
Kennen Sie den Ausdruck "depublizieren"? Man könnte auch "unveröffentlichen" sagen, aber das klingt wenig elegant. Gemeint ist, dass Berichte, News oder Artikel, die offensichtlich falsch, gelogen oder erfunden waren, nicht durch eine Berichtigung ergänzt werden, wie man das in einer Zeitung täte, sie verschwinden einfach, werden gelöscht und aus dem Web getilgt. Die Peinlichkeit ist damit zwar aus der Welt, doch nachvollziehbar und recherchierbar ist sie damit nicht mehr. [...]
Die besondere Herausforderung ist allerdings, dass es sich bei dem von ARD und ZDF online gestellten Material eben nicht um Falsches, Erlogenes oder Erfundenes handelt, sondern um Informationen aller Art, die von der Privatwirtschaft als nicht vertretbare Konkurrenz zu ihrer eigenen Werschöpfungstätigkeit in diesem Bereich disqualifiziert wird. Das Problem ist nicht die darhinterstehenden Position und Disposition, das Problem ist eben die hier oben zitierte Konnotation, die dieser Begriff auslöst.