Im Gegensatz zum Totensonntag geht es an diesem Tage nicht um den Tod der Anderen, sondern um den Tod des Einen der angeblich für uns alle gestorben sei - und damit in letzter Konsequenz auch um das eigene Sterben.
Der Name Karfreitag kommt aus dem althochdeutschen "Kara", und das heisst "Trauer". Aber ganz anders als der "Volkstrauertag" ist das kollektive Element dieses Tages nicht einem politischen, sondern einem religiösen Geist geschuldet.
In vielen Ritualen wird den Stationen eines Leidensweges nachgegangen: als Prozession verdinglicht, was auch den eigenen Weg der Leiden repräsentieren könnte.
So ist der Freitag ein Tag befreit von der Arbeit, um die Wahrnehmung von der Endlichkeit des eigenen Lebens als eine überlebensgrosse Aufgabe an sich herankommen zu lassen.
Besinnlichkeit, Besinnung, Beseelung, Bussgang: in dieser immer höheren Potenz entwickelt sich die gedankliche Verdichtung der Bewältigung einer Aufgabe, die das Unvorstellbare zum Gegenstand der Lebenswirklichkeit machen soll.
Wird es gelingen, diese Kraft zu entwickln, über dem Tod zu stehen, indem man den Tod anzunehmen bereit ist?
Dieses hier zu schreiben ist nichts anderes als eine Fingerübung - im wahrsten Sinne des Wortes - deren Wert nicht von der Hand zu weisen ist.
Worin dieser Wert besteht? In sehr praktischen Selbstverpflichtungen:
– endlich eine Patientenverfügung verfassen und prüfen lassen, die noch fällige Vorsorgeunterschung nicht länger auf die lange Bank schieben,
– die persönlichen Verhältnisse so zu gestalten, dass sie von einem / einer anderen Person im Falle eines plötzlichen Versagens der Kräfte oder der Entsagung vom Leben ohne grösseren Aufwand geregelt werden können,
– Verabredungen zu treffen, was über den Tod hinaus als noch zu Verbleiben wichtig eingeschätzt wird
– und die Entscheidung zu treffen, dass auch dieses tägliche Journal "DaybyDay" über einen solchen Tag hinaus noch eine Zeit lang hier im Netz für den öffentlichen Zugriff stehen bleiben kann.
PS. Im Nachgang zu diesem Text geschehen an diesem Tag, wie an dem nachvollgenden Sonnabend, der ebenfalls noch im Büro verbracht werden wird, seltsame Dinge: Die Entdeckung
– dass sich ein Rechner wegen eines technischen Defektes "verabschiedet" hat und auch nicht mehr durch den Einsatz von neuen Ersatzteilen wieder zum Laufen gebracht werden kann
– dass einer der guten alten Röhrenverstärker, vermittels dessen im Büro ausserhalb der Kernarbeitszeit auch mal richtig gute Musik zum Klingen gebracht werden kann, auf einem der beiden Kanäle ausfällt
– dass der Mehrnormenvideorecorder zwar noch alle Bilder, aber keine Töne mehr abspielt
– dass die IBM Kugelkopfmaschine (mit Korrekturband und der Vorrichtung für die Einstellung von zwei Schriftweiten) - vielleicht auch einfach nur wegen der lange Zeit ihrer Vernachlässigung durch Nichtnutzung - nicht mehr zum Einsatz gebracht werden kann.
Eigentlich sollte man sich daran gewöhnen, dass all dieses Zeug nicht von jener Welt ist, die und noch nach dem Ableben gegenwärtig sein wird und insofern schon heute auf keinen Gegenstand einer empathievollen "Besetzung" sein sollte. Und dann stellt sich doch die Frage: ob man wirklich seine gut Schreibmaschine, auf der mehrere Bücher und viele anderen Texte verfasst worden sind, so "einfach" wegschmeissen "darf"?
Zumindest wird sie vor der "Entsorgung" nochmals fotografiert.
Mit den Tasten in der Nahaufnahme
und als Gesamtansicht in der Aura des Jenseitigen: In Erinnerung an die Qualen vieler tausend Textseiten - und einiger göttlichen Zeilen - die mit ihr entstanden sind.
WS.