Ante-Book-Fair-Blues

VON Dr. Wolf SiegertZUM Dienstag Letzte Bearbeitung: 11. Oktober 2024 um 15 Uhr 03 Minutenzum Post-Scriptum

 

Mit dem heutigen Tag steht fest, dass eine Teilnahme an der diesjährigen Buchmesse in Frankfurt am Main nicht erfolgen wird. Neben anderen Gründen ist dies der Tatsache geschuldet, dass bis zu diesem Zeitpunkt ein abschließendes Skript für das in Arbeit befindliche Buch noch nicht vorgelegt werden konnte.

Dennoch kann nicht gesagt werden, dass damit ein wesentliches selbst gestecktes Ziel nicht erreicht wurde, da in dem vergangenen Jahr der Vorbereitung sich außerordentlich viele Veränderungen eingestellt haben, die zu einer deutlichen Veränderung des ursprünglichen Konzeptes führten.

Dazu gehört vorrangig die Erfahrung, dass bei der zwischenzeitlich erfolgten Herstellung anderer Texte immer mehr darauf zu achten war, dass diese in möglichst kleinen Schritten und leicht verständlichen Abschnitten verfasst wurden. Die alltägliche Praxis beim Verfassen der Einträge auf diesem Onlineportal hat ebenfalls mit dazu beigetragen. Selbst hier war zu erfahren, dass selbst in diesem Format allzu lange Texte einen deutlichen Aufmerksamkeitsschwund zu verzeichnen hatten.

Nun haben wir es als Journalisten gelernt, Texte im Format "1:30", d.h. von 1 Minute 30 Sekunden aufzusagen. Und bei der Ankündigung der letzten eigenen Veranstaltung ging es sogar darum, Texte von maximal 20 oder 40 Sekunden zu präsentieren, die dann auf Facebook oder Instagram veröffentlicht wurden.

Im Verlauf der Veranstaltung selbst, war dann zwar möglich, auch längere Gesprächsformate erfolgreich zu inszenieren und nach guter Vorbereitung daraus auch den einen oder anderen Erkenntnisgewinn ableiten zu können. Aber auch hier spielten neben der Präsenz einzelner Protagonisten die der audiovisuellen Medien eine große Rolle.

Das vergangene Jahr war also gar nicht so sehr von Hemmnissen geprägt, die die inhaltliche Bewältigung des Stoffes hätten signalisieren können, es ging vielmehr darum herauszufinden, wie es gelingen kann, solche Themen von großer Tragweite in einem Format unterzubringen, das zwar in einer langen Tradition wissenschaftlich qualifizierter Texte steht, aber auf der anderen Seite neuen Nutzergewohnheiten gegenübersteht, die das Thema der Lesemotivation neu bestimmen.

In dieser Zeit wurden eine Reihe von verschiedenen Versuchen gestartet, um diesen Herausforderungen auf einem produktiven Weg entsprechen zu können. Nicht nur auf dieser Online-Plattform, sondern auch mit anderen kürzeren Publikationen, aber auch mit eigenen Video und Radiobeiträgen. Die dabei gemachten Erfahrungen waren ermutigend und haben unter Beweis gestellt, wie wichtig und bedeutsam das hier zu behandelnde Thema ist. Zugleich aber wurde auch deutlich, dass es sehr viel leichter ist, unter Verwendung von audiovisuellen Mitteln und einer inspirierenden interpersonellen Kommunikation diese Themen auch wirkmächtig entfalten zu können.

Und so klafften in der nun vergangenen Zeit die mit hohem wissenschaftlichem Anspruch erstellten Texte immer mehr auseinander mit diesen anderen zwischenzeitlich gewählten Ausdrucksformen.

Was also tun?

Folgendes zeichnet sich ab:
 Ein Buch ist und bleibt ein Buch und die durch seine Produktion und Rezeption gegebenen Gesetzmäßigkeiten können nicht einfach per se aufgrund der aktuellen Herausforderungen aufgehoben werden.
 Da die audiovisuellen Möglichkeiten heute noch ungleich wichtiger geworden sind, sind sie auch in diesem Kontext nicht wegzudenken und bedürfen einer eigenen zusätzlichen Plattform, die in dem Buch selbst nicht zu realisieren ist.
 Das ist deshalb von besonderer Bedeutung, da die Grundlage dieser Arbeit eine Sammlung von mehr als 100 Interviews ist, in dem die Beteiligten immer wieder aufs Neue danach befragt wurden, was für sie die möglicherweise größte Herausforderung nach der Digitalisierung sein könnten.
 Die Funktion des Buches ist ja, aus diesen vielen einzelnen Aussagen ein kohärentes Kompendium zu entwickeln, indem auf die mehr als ein Jahrzehnt andauernden Interviews zurückgeblickt werden kann und zugleich gewagt wird, auf zumindest zehn weitere Jahre vorauszublicken.
 Wir werden also dokumentieren, wie auch von anderer Seite solche Ausblicke gewagt wurden und es wird sogleich von Interesse sein zu sehen, wie Ausblicke aus früheren Jahrzehnten in der Auseinandersetzung mit der aktuellen Wirklichkeit Bestand gehabt hatten oder nicht.
 Daraus lassen sich Konsequenzen ableiten, die da bedeuten, dass frühe Scheib-Versuche keine Gültigkeit mehr haben können, in denen etwa versucht wurde, in "zehn Geboten" die wichtigsten Herausforderungen für die zukünftigen Jahrzehnte zu formulieren oder gar vorherzusagen.
 Andererseits wurde klar, dass der Verweis auf die Verantwortung eines jeden einzelnen von uns nicht bedeutet, dass es auch kollektive Herausforderungen gibt, die es zu bewältigen gilt. Daher wurde die Entscheidung getroffen und inzwischen auch erprobt, dieses gesamte Spektrum der für die Zukunft wichtigen Werte in Form eines Alphabets aufzuführen, in dem von A bis Z die für die Zukunft wichtigsten Begriffe zusammengeführt und erläutert werden.

Darüber hinaus gibt es zwei grundsätzliche Positionen, die einen wesentlichen Einfluss auf die immer noch anstehenden Arbeiten hatten. Erstens: um der Versuchung einer zu hohen Verwissenschaftlichung zu entkommen, wurde mehr und mehr die Arbeit an der Tastatur durch den Einsatz der Stimme und eines Mikrofons sowie einer entsprechend qualifizierten Software ersetzt. Zweitens: nach sehr intensiven Versuchen im Umgang mit den neuen Möglichkeiten von generischen Large Language Models wird bei der Genese dieser Texte fast vollständig auf diese Möglichkeiten verzichtet werden.

Zu beiden Punkten jeweils kurze, weitere Hinweise.

Erstens: oftmals wird hier die Möglichkeit, einen Text diktieren zu können als eine Arbeitserleichterung beschrieben. Das mag auch hier insoweit gelten, da die langjährige Tätigkeit mit Mikrofon (und Kamera) eine gewisse Fertigkeit des Sprechens mit sich gebracht hat. Viel entscheidender ist aber, dass mit diesem Mittel versucht wird, sich nicht allzu sehr in Details und einer Überzahl von Anmerkungen und ergänzenden Hinweisen zu verlieren. Von dieser in Fleisch und Blut übergegangenen Praxis Abschied zu nehmen, oder sich zumindest davon diktierend zu distanzieren, hat lange Zeit in Anspruch genommen und bedarf immer noch der weiteren Übung.

Zweitens: im Verlauf dieses Jahres wurden – sowohl kollektiv als auch individuell – eine Reihe von Sendungen zu dem Thema der künstlichen Intelligenz vorbereitet und produziert, es wurden dazu weitere Texte geschrieben und Vorträge gehalten. Am Ende dieser Entwicklung stand die These, dass wir jetzt in einem Zeitalter leben, in dem es darum geht, nach dem Mechanical Turk mit einem neuen Phänomen fertig zu werden, das aus meiner Sicht erstmals als Digital Turk benannt und erläutert wurde. Darüber zu schreiben wird nicht Schwerpunkt dieses Buches werden, wenngleich auch der aktuelle Diskussionsstand danach zu rufen scheint. Aber es war wichtig, spätestens im Verlauf dieses Jahres hier eine eigene Position entwickelt und bezogen zu haben, die auch über die nächsten schnelllebigen Veränderungen hinaus Bestand haben könnte.

In Zeiten, in denen einer meiner früheren Verlage, Suhrkamp, nunmehr von einem Industriellen aufgekauft wurde [1], in dem mein jetziger Verlag, die Springer Nature AG & Co. KGaA, sich am 4. Oktober in eine Aktiengesellschaft ’verwandelt’ hat [2], ist es wichtiger denn je, eine eigene Position gefunden zu haben, die nicht nur auf der inhaltlichen Seite einen Erkenntnisgewinn verspricht, sondern die auch auf der formalen Seite die Chance in sich trägt, sich über den Tag hinaus vermitteln und bemerkbar machen zu können.

In diesem Sinne obliegt es der Arbeit in den noch verbleibenden Monaten, diese sogenannten produktiven Umwege nunmehr zu einem ebenso überzeugenden wie auch gut kommensurablen Ergebnis zu führen.

Danke für das Interesse!

WS

P.S.

Interessant: Hier ein zuvor verloren geglaubter und spät wiedergefundener erster Diktierversuch, der hier ohne jegliche Korrekturen eingespielt wird. Interessant ist es nicht nur, nachzuvollziehen, wie sich dieser von der zweiten oben veröffentlichten Version unterscheidet. Die noch grössere Herausforderung war der Versuch, einen identischen Text neu zu entwerfen, der ’scheitern’ musste. Die grösste Herausforderung aber bestand darin, die "Wut über den verlorenen ..." Text zu überwinden und von Neuem mit dem Diktieren zu beginnen...

Seit heute steht fest, dass eine Teilnahme an der Buchmesse in Frankfurt in diesem Jahr nicht erfolgen wird. So schwer diese Entscheidung auch gefallen ist, so wichtig war sie doch um zugleich innezuhalten und darüber Rechenschaft abzulegen, warum bis zu diesem Zeitpunkt das Skript an dem neuen Buch noch nicht fertiggestellt worden ist.

Dabei geht es hier nicht so sehr um Selbstkritik, sondern die Erfahrung, dass das Schreiben von Büchern in dieser Zeit von ganz anderen Parametern geprägt ist, als den eigenen Qualitäten und Kenntnissen, die es darzustellen und niederzulegen gilt.

Es zeigt sich in der Alltagspraxis der Rezeption solcher Texte, auch der eigenen, immer mehr, wie gering nur noch die Aufmerksamkeitsspanne bei der Lektüre derselben ist. Und das ist unabhängig davon, ob diese Texte jetzt als gedruckte Vorlage existieren, oder von einem Bildschirm abgelesen werden.

Andererseits stellt sich die Frage ob dieses Diktum von einer als ’snackable’ ausgewiesenen Darreichungsform zum Maßstab einer neuen Kommunikations Strategie werden darf, soll, oder sogar muss.

Wir haben es als Journalisten seit langer Zeit gelernt, unsere Texte auf die Länge von eins 30 zu sprechen, bei der Ankündigung der letzten eigenen Veranstaltung galt es sogar auf dem Instagram Account Ansagen von 20 bis maximal 40 Sekunden zu fixieren.

Im Verlauf der so angekündigten Veranstaltung wurde dann aber doch deutlich, dass es durchaus möglich ist, auch längere Zusammenhänge zur Darstellung zu bringen und gedanklich vor dem Publikum zu entfalten. Dies alles aber geschah mündlich und unter Einbeziehung von Videotechnik, mit der auch in andere Länder der Welt geschaltet werden konnte.

All diese Elemente liegen beim Buchschreiben zunächst einmal nicht auf der Hand. Lange Zeit wurde darüber nachgedacht, ob und wie weit es sinnvoll ist, diese dennoch in die Buchproduktion mit einzubinden oder parallel dazu an anderer Stelle anzubieten. Es steht jetzt fest, dass es solche zusätzlichen audiovisuellen Vermittlungen und Illustrationsstrecken geben wird, dass diese aber nicht direkt in dem Buch eingebunden sein werden.

Das betrifft sowohl die mehr als 100 Interviews, die eine der wesentlichen Grundlagen für diese Ausarbeitungen waren. Das betrifft auch die Reihe anderer begleitender und erkenntnisstiftender audiovisueller Elemente, die dem Publikum zur Verfügung gestellt werden sollten.

Aus ebendiesem Grunde wurden seit dem vergangenen November eine Reihe solcher neuen Möglichkeiten erprobt, sei es in Form von neuen audiovisuellen Plattformen, aber auch von Radiosendungen und Vorträgen. Daraus haben sich eine Reihe von Elementen entwickelt, die über den Moment der aktuellen Wahrnehmung hinaus von Bedeutung bleiben werden, dies zu fixieren gilt.

Dabei entsprechen vielleicht diese Aussagen sogar einer Reihe von Positionen, die über den Moment hinaus Bedeutung oder vielleicht sogar Gültigkeit haben werden. Dieser vielleicht als vermessen geltende Anspruch ist aber ein weiterer Grund gewesen, solange an der Vorbereitung mit immer wieder neuen Fragestellungen und Herausforderungen beschäftigt zu sein.

Anmerkungen

[1Suhrkamp-Verkauf. Verlagschef: Verlegerische Unabhängigkeit bleibt gewahrt, Beitrag von Maike Albath vom 7. Oktober 2024, 16:25 Uhr, in der Reihe "Büchermarkt" des Deutschlandfunks:

Umbruch bei Suhrkamp - Gespräche mit Jonathan Landgrebe und mit Helmut Böttiger

Suhrkamp-Verlagschef Landgrebe hat Befürchtungen zurückgewiesen, der Unternehmer und neue Verlagseigentümer Möhrle könnte sich in die Verlagsarbeit einmischen. Es sei immer glasklar gewesen, dass die Unabhängigkeit gewahrt bleibe, so Landgrebe.

[2Springer Nature. Warum ein Fachverlag an die Börse geht, von Alina Leimbach von der ARD-Finanzredaktion,
04.10.2024 15:48 Uhr

Ob "Nature" oder die "Ärztezeitung" - Springer Nature gehört mit seinen Publikationen zu den größten Wissenschaftsfachverlagen der Welt. Nun ist das Unternehmen an der Börse. Was will es dort?

> Börsengang von Springer Nature "Wir öffnen Türen für Entdeckungen", Tagesschau-Interview mit Frau Alexandra Dambeck vom 04.10.2024 15:48 Uhr:

Der Wissenschaftsverlag Springer Nature hat ein erfolgreiches Börsendedebüt hingelegt. Es war der drittgrößte Börsengang in Deutschland in diesem Jahr. Finanzchefin Alexandra Dambeck spricht von einem "großartigen Tag".

Es war ein Highlight für die Frankfurter Börse. Mit einer Marktkapitalisierung von rund 4,5 Milliarden Euro war der heutige Börsengang des Wissenschaftsverlags Springer Nature der dritte größere Börsengang in Deutschland in diesem Jahr. Zu Jahresbeginn hatten der Panzergetriebehersteller Renk und die Parfümeriekette Douglas den Sprung an den Aktienmarkt geschafft. Die Emission spülte 600 Millionen Euro in die Kassen des Verlags, 400 Millionen davon gehen an den Finanzinvestor BC Partners, der seine Beteiligung von 47 auf 36 Prozent abschmelzen lässt.

Deutschlands größter Verlag aus Berlin ist in mehr als 30 Ländern aktiv, veröffentlich[t WS.] wissenschaftliche Zeitschriften und Bücher. Das Unternehmen steckt zum Beispiel hinter der weltweit bekanntesten Fachzeitung für Naturwissenschaften "Nature" und zahlreichen anderen Titeln.

tagesschau.de: Herzlichen Glückwunsch zum Börsengang, Frau Dambeck. Der erste Preis steht mit 24 Euro über dem Ausgabepreis von 22,5 Euro. Wie zufrieden sind Sie?

Alexandra Dambeck: Vielen Dank. Es ist ein großartiger Tag. Wir haben gerade die Glocke geläutet. Es ist ein toller Tag für Springer Nature, und ich muss sagen, ich bin unglaublich stolz, was wir hier als Team erreicht haben.

tagesschau.de: So ein Börsengang ist ja immer begleitet von sehr viel Vorarbeit. Was ist das für ein Gefühl, jetzt hier zu stehen und das Ganze feiern zu können?

Dambeck: Es ist ein unglaublicher Moment. Das ist eine sehr intensive Zeit in der Vorbereitung. Ein erfolgreicher Börsengang ist jetzt einfach eine schöne Anerkennung für das, was wir die letzten Monate und auch was das Unternehmen, insbesondere die letzten Jahre, geleistet hat.
Schuldenabbau als Grund für Börsengang

tagesschau.de: Sie haben ja eine ziemlich hohe Schuldenlast. Ein gewisser teil des eingenommenen Kapitals wird in den Schuldenabbau gesteckt. Was heißt das jetzt für zukünftige Investitionen?

Dambeck: Mit dem Börsengang haben wir einen kleinen Teil als Kapitalerhöhung, den wir nutzen, um unseren Schuldenstand zu reduzieren. Was man aber klar sehen muss: Wir hatten in den letzten Jahren eine unglaubliche Erfolgsstory darin, unseren Schuldenstand zu reduzieren. Und das ist jetzt noch mal ein weiterer Beitrag.

tagesschau.de: Wissenschaft spielt gesellschaftlich und medial eine immer größere Rolle. Spätestens seit Corona merken wir das. Wie gefragt ist das Thema Wissenschaft bei Publikationen. Merken Sie da eine Veränderung in den vergangenen Jahren?

Dambeck: Robust überprüfte Wissenschaft ist natürlich wirklich im Fokus von ganz vielen, das merkt man natürlich auch seit Corona. Der Markt, in dem wir operieren, ist etwas, wo wir wirklich über die letzten 20 Jahre ein kontinuierliches Wachstum gesehen haben. Man sieht immer höhere Ausgaben in Forschung und Entwicklung. Das heißt natürlich auch für uns, dass es mehr Wissenschaftler in den Bereichen geben wird. Es gibt mehr Artikel, aber natürlich ist auch das Interesse daran ungebrochen und wird, wie sie sagen, immer größer.


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