Diesen Text veröffentlichte der MDR am 04. Januar 2016 in seiner Online-Rubrik "Geschichte" unter der Überschrift: Literarische Verarbeitung. Bertolt Brecht und der Volksaufstand vom 17. Juni 1953
Bertolt Brecht schrieb nach dem Volksaufstand 1953 ein bitterböses Gedicht über die Haltung der DDR-Führung – blieb dem Regime gegenüber aber grundsätzlich weiter treu.
Der Schriftsteller Bertolt Brecht unterstützte auch nach dem 17. Juni 1953 die SED, aber es kam zu einer deutlichen Distanzierung. Noch am Tag des Volksaufstandes hatte er an Walter Ulbricht geschrieben. In einem bitterbösen Gedicht verarbeitete er die Ereignisse auch literarisch.
In diesem Brief bekundete er seine Verbundenheit mit der SED: "Die große Aussprache mit den Massen über das Tempo des sozialistischen Aufbaus wird zu einer Sichtung und zu einer Sicherung der sozialistischen Errungenschaften führen. Es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen in diesem Augenblick meine Verbundenheit mit der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands auszudrücken."
Kurt Barthel beschimpft die Arbeiter
Am 20. Juni erschien im "Neuen Deutschland" eine Abrechnung des Sekretärs des Schriftstellerverbandes Kurt Barthel (KUBA) mit den Bauarbeitern der Stalinallee:
"Schämt ihr euch auch so, wie ich mich schäme? Da werdet ihr sehr viel und sehr gut mauern und künftig sehr klug handeln müssen, ehe euch diese Schmach vergessen wird." Weiter schrieb Barthel: "Zerstörte Häuser reparieren, das ist leicht. Zerstörtes Vertrauen wieder aufrichten ist sehr, sehr schwer."
Brechts Reaktion auf die Bauarbeiter-Schelte
Als Brecht das gelesen hatte, veranlasste es ihn zu dem berühmten bitterbösen Gedicht "Die Lösung":
Nach dem Aufstand des 17. JuniLieß der Sekretär des SchriftstellerverbandsIn der Stalinallee Flugblätter verteilenAuf denen zu lesen war, daß das VolkDas Vertrauen der Regierung verscherzt habeUnd es nur durch verdoppelte ArbeitZurückerobern könne. Wäre es daNicht doch einfacher, die RegierungLöste das Volk auf undWählte ein anderes?[1]
Am 16. Juni 2023 schreibt Christopher Wimmer aus Anlass des 70. Jahrestag des Aufstandes zu Beginn seines Textes: Bertolt Brecht zum 17. Juni: Der Ja- und Neinsager
Bertolt Brecht unterstützte auch nach dem 17. Juni 1953 die SED, aber es kam zu einer deutlichen Distanzierung
Ulbricht, Pieck und Grotewohl, dass euch drei der Teufel hol», skandierten Arbeiter*innen der DDR am 17. Juni 1953. Es wurde gekämpft und geschossen. Am Mittag rollten sowjetische Panzer auf der damaligen Stalinallee in Ost-Berlin und schlugen den Arbeiteraufstand nieder. Währenddessen spielte das DDR-Radio Schnulzen wie «Puppchen, du bist mein Augenstern» und «Immer nur lächeln».
Als der Schriftsteller Bertolt Brecht dies im Rundfunk hörte, wird er wütend, so der Brecht-Forscher Erdmut Wizisla. Brecht war mit seinen Mitarbeiter*innen bereits am Nachmittag des 16. Juni, nachdem er vom beginnenden Aufstand erfahren hatte, eilig aus seinem Haus in Buckow nach Berlin gekommen. Am 17. Juni beobachtet er Unter den Linden die Demonstrationen und erörterte danach die Lage mit seiner Theatertruppe im Berliner Ensemble. Er hatte es besonders auf den Rundfunk abgesehen. Anstelle des Radiogedudels sollte sich das Programm mit dem Aufstand beschäftigen, so Brecht. Er schickte seine Mitarbeiter*innen Elisabeth Hauptmann und Manfred Wekwerth mit dem Angebot zum Rundfunk, Mitglieder des Berliner Ensembles im Programm auftreten zu lassen. Dies wurde ignoriert. Unbeirrt spielte das wichtigste Massenorgan weiter Unterhaltungsmusik – als ob nichts geschehen sei.
An dieser Anekdote verdeutlicht sich das kritisch-solidarische Verhältnis des Dichters Brecht zu «seiner» DDR. Brecht war nach dem Zweiten Weltkrieg bewusst in den Arbeiter- und Bauernstaat gezogen, um dort sein Theater aufzubauen. Nur dort schien ihm das möglich zu sein. Gleichzeitig blieb er auch auf Distanz. Brecht nahm nie die DDR-Staatsbürgerschaft an und wurde nie Mitglied der SED.