Gipfeltreffen 2023: Paulskirche 1848

VON Dr. Wolf SiegertZUM Freitag Letzte Bearbeitung: 19. Mai 2023 um 11 Uhr 13 Minutenzum Post-Scriptum

 

I.

In den Nachrichten dieses Tages stehen gleich mehrere Gipfeltreffen im Vordergrund:

> Der G7-Gipfel in Hiroschima in Japan im Beisein von Joe Biden, Fumio Kishida, Ursula von der Leyen, Emmanuel Macron, Charles Michel, Giorgia Meloni, Justin Trudeau, Olaf Scholz, in den auch gleich mehrere Nachbarländer als Gäste und potenzielle Partner mit eingeladen worden waren, darunter Äthiopien und Brasilien, Indien und Indonesien, was darin aber nicht vermeldet wurde:
 G7-Gipfel gedenkt der Opfer des Atombombenabwurfs in Hiroshima [1]

> Der Ausbau der Einflusssphäre Chinas nicht nur in ganz Afrika, sondern auch im Umfeld der ehemaligen Sowjetrepubliken Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan [2]:
 Xi Jinping wirbt für Ausbau der Zusammenarbeit mit zentralasiatischen Staaten

> Nach mehr als zehn Jahren: Die Wiederaufnahme Syriens in den Club der Arabischen Liga:
 Gipfeltreffen der Arabischen Liga im Zeichen der Rückkehr Syriens [3].

II.

In der Presseschau des Deutschlandfunks werden diese drei Rückblicke auf das "Gipfeltreffen" am 18. Mai von vor 175 Jahre in der Paulskirche - weil es sonst keinen vergleichbar grossen Versammlungsraum gegeben hätte - zitiert:

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG geht ein auf den Festakt zum 175. Jahrestag der ersten deutschen Nationalversammlung in der Paulskirche in Frankfurt am Main: „Seine Geschichte kann man sich nicht aussuchen. Seine Traditionen aber schon. Wie wohltuend ist es deshalb, dass in einem Land, das immer noch voller Bismarck-Gymnasien, Rommel-Kasernen und Kolonialverbrecher-Reiterstatuen steht, allmählich auch andere Akteure der deutschen Geschichte in ein prominenteres Licht gerückt werden. So wie jene Demokraten und Liberalen, die schon während der Revolution 1848 die Knechtschaft unter Adel und Militär überwinden wollten, am 18. Mai vor 175 Jahren dann zur ersten Deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche zusammenkamen, aber schon im folgenden Jahr auseinandergejagt wurden. Wie jetzt der Bundespräsident den politisch Gescheiterten von damals seine Hochachtung ausgesprochen hat, das ist Vergangenheitspolitik von der wertvollen Sorte“, urteilt die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG.

Die BADISCHE ZEITUNG aus Freiburg bemerkt: „Für viele jüngere Deutsche ist Demokratie eine Art natürlicher Aggregatzustand der Gesellschaft – sie war immer schon da, wie die Luft zum Atmen. Auch im Osten wuchs seit dem Ende der DDR-Diktatur schon eine Generation in Freiheit auf. Da ist es gut, dass der Bundespräsident 175 Jahre nach dem Beginn der ersten deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche an die Ursprünge der deutschen Demokratie erinnert hat, an den langen und oft vergeblichen Kampf um sie und daran, dass dieser Kampf nie zu Ende ist. Klingt anstrengend, aber Demokratie ist eben nicht selbstverständlich“, hebt die BADISCHE ZEITUNG hervor.

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU erläutert: „Die erste demokratische Bewegung in Deutschland hatte sich mit idealistischem Feuer auf den Weg gemacht – um nur kurze Zeit später blutig niedergeschlagen zu werden. Die Revolution scheiterte, die Freiheitsversprechen wurden brutal unterdrückt. Die Restauration siegte, das gesamtdeutsche Parlament, der Liberalismus, die Demokratie hatten verloren. Tatsächlich? Wer sich den Zustand der liberalen Demokratie heutzutage und hierzulande anschaut, wird zweierlei feststellen. Der freiheitliche Rechtsstaat, dem deutschen Volk nach 1945 zwangsverordnet, hat sich nachhaltig behauptet. So weit die Erfolgsgeschichte. Doch die parlamentarische Demokratie gerät zunehmend in Bedrängnis, gut die Hälfte der Bevölkerung ist aktuell nicht mit ihr zufrieden, in Ostdeutschland sind es sogar zwei Drittel“, gibt die FRANKFURTER RUNDSCHAUzu bedenken.

III.

Hier eine Grafik aus dem Bundesarchiv: ZSG S-118: "Zug des deutschen Parlaments nach der Paulskirche in Frankfurt am Main"

Biographisches Handbuch der Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung 1848/49

Heinrich Best / Wilhelm Weege:

Eine Sammlung von Biographien ist immer ein Lehrstück über das Verhältnis von Individualität und Gleichförmigkeit. Es belehrt uns über die Vielfalt der Einzelschicksale und zugleich über die Normen und Strukturbedingungen, die das individuelle Handeln in
Kollektiven bestimmen.

Steinmeier: 175 Jahre Deutsche Nationalversammlung

P.S.

IV.

Hier eine Grafik aus dem Bestand der Österreichischen Nationalbibliothek über die Eröffnung des Reichstages in der Winterreitschule der Wiener Hofburg am 22. Juli 1848:

Anmerkungen

[1

Die G7-Staaten haben im japanischen Hiroshima an die verheerenden Folgen eines Einsatzes von Atomwaffen erinnert. Zu Beginn ihres Gipfeltreffens ehrten sie die Toten mit Kranzniederlegungen am Mahnmal in der Stadt, die bei dem US-Angriff im Zweiten Weltkrieg fast vollständig zerstört wurde. Bundeskanzler Scholz hatte nach seiner Ankunft in Japan gesagt, Hiroshima sei ein Mahnmal, dass es eine Verantwortung für Frieden und Sicherheit in der Welt gebe.
Japans Ministerpräsident Kishida wählte Hiroshima als Tagungsort auch mit Blick auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine aus. Der russische Präsident Putin hat seit Beginn der Invasion wiederholt mit dem Atomwaffenarsenal seines Landes gedroht.
Der Krieg in der Ukraine ist ein zentrales Thema der Beratungen, die bis Sonntag dauern. Außerdem soll es um die Beziehungen zu China, die Lage der Weltwirtschaft und Fragen des Klimaschutzes gehen

.

[2

Dazu stellte Präsident Xi Jinping auf dem China-Zentralasien-Gipfel im chinesischen Xian einen Entwicklungsplan vor. Seinen Angaben zufolge geht es um den Aufbau von Infrastrukturnetzen sowie um eine engere Kooperation im Energie- und Industriebereich. Zugleich sei man auch zum Austausch in Sicherheitsfragen bereit, sagte Xi.
Der Handel zwischen China und den zentralasiatischen Staaten hatte im vergangenen Jahr ein Volumen von umgerechnet 70 Milliarden Dollar. Wichtigster Partner Pekings ist Kasachstan mit 31 Milliarden Dollar.

[3

Das Gipfeltreffen der Arabischen Liga im saudi-arabischen Dschidda steht heute ganz im Zeichen der Rückkehr Syriens.
Die Organisation hatte die Mitgliedschaft Syriens 2011 ausgesetzt, nachdem der Machthaber Assad Proteste gegen seine Regierung brutal niederschlagen ließ. Im anschließenden Bürgerkrieg gingen Militär und Polizei mit äußerster Härte gegen die eigene Bevölkerung vor. 14 Millionen Menschen wurden vertrieben, mehr als 350.000 kamen ums Leben oder wurden getötet. Weite Teile Syriens sind zerstört.
Assad traf bereits gestern in Dschidda ein. Jahrelang hatte er sich nur selten in der Öffentlichkeit gezeigt und war vor allem ins verbündete Russland und in den Iran gereist.
Die EU und die USA haben gegen Syrien umfassende Sanktionen verhängt.


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