B (2.Bericht)

VON Dr. Wolf SiegertZUM Samstag Letzte Bearbeitung: 1. Dezember 2022 um 23 Uhr 04 Minuten

 

Hier findet sich die Fortsetzung des Beitrages vom vorangegangenen Samstag: B (1.Bericht):

INTRO

Zu dem Zeitpunkt, an dem dieser zweite Bericht begonnen wird, werden gerade in einem anderen Teil des Ressorts Kokosnüsse geerntet.

© SIP

Als der Mensch, der diese Arbeit verrichtet hat, wieder heruntersteigt, spenden die Gäste, die sich unten im gebührenden Abstand um die Palme versammelt hatten, Applaus.

© SIP

All das wird hier nur vom Hörensagen berichtet, denn zurzeit ist das Aufschreiben, das Zug um Zug im Verlauf dieser Woche geschah, noch wichtiger als die Teilnahme an solchen Ereignissen. Selbst die Sonne, die erstmalig nach vielen heftigen Gewitter-Güssen wieder am Himmel erscheint – und zum Ende der Woche dann den ganzen Tag zu sehen sein wird – ist kein Grund, diese Tätigkeit aufzugeben.

Arbeit, Beschäftigung, Passion…, was auch immer: Es macht einfach Freude, festhalten zu können, was um einen herum passiert; selbst wenn man an all diesen Touri-Events, den kleinen wie den grossen, nicht teilnimmt. Denn es stellt sich im Verlauf dieser zweiten Woche heraus, dass es noch interessanter und zielführender sein kann, in dieser Zeit sich selbst noch besser kennenzulernen als Land und Leute.

Dabei sei das weder an diesen Tagen noch während des gesamten Aufenthalts ganz ausgeschlossen. Aber es gibt selbst hier vor Ort so viele kleine Ereignisse, die vielleicht stellvertretend für all jene stehen mögen, die hier – unter aus unserer Sicht immer noch prekären, aus ihrer Sicht vielleicht aber schon privilegierten Verhältnissen – arbeiten.

HELEN

Hier als pars pro toto das Bild von Helen, die im Garten und im Ayurveda-Restaurant tätig ist. In dem Bericht von der Vorwoche findet sich ein Portrait der Tagesköchinnen, samt ihrer Tochter. Als wir dieses Bild am Abend Helen zeigten, war sie tief betrübt, dass sie nicht mit auf diesem Foto zu sehen sei. Deshalb an dieser Stelle ein während eines weiteren heftigen Gewitters aufgenommenes Einzelportrait von ihr.

Helen ist das, was man in Deutschland wohl eine ‚gute Seele‘ nennen würde. Beseelt von einer liebevollen Aufmerksamkeit, verfolgt sie all dein Verhalten am Essenstisch. Sie ist immer präsent. Und nicht erst dann, wenn es gilt, die geleerten Teller und Gläser abzuräumen. Bisweilen kommt sie bis an die Tischkante heran und ihre Hände fahren an die silberne Wasserkanne. Mir der einen diese haltend, mit der anderen diese umfassend, um herauszufinden, ob noch genügend heißes Wasser darin sei.

EXKURS: FOTOS

Wie schon gesagt, wurden bis dato (fast) keine Aufnahmen gemacht. Und das Ankommen wurde durch diese Art ‚Digital Detox‘ deutlich erleichtert. Auf der anderen Seite gibt es seit Mitte der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts aus Hongkong und aus breiten Landstrichen der VR China jene Erfahrungen, wie wichtig das Portrait von Familienmitgliedern und Freunden ist, mit denen man eine gemeinsame Zeit verbracht hat.

Dennoch gab es zunächst eine deutliche Scheu, überhaupt von ‚fremden‘ Menschen Aufnahmen zu machen, und bis zum Ende werden wohl sogenannte ‚Selfies‘ mit den Gästen wie auch den Angestellten ausgeschlossen bleiben. Andererseits wurde alsbald erkennbar, dass solchen Portrait- und/oder Gruppenfotos auch ein Zeichen der Anerkennung sind.

Also wurde für die verbleibende Zeit entschieden, Fotos dann zu machen, wenn jeweils alle abgebildeten und namentlich bekannten Personen vorab um ihr Einverständnis im Rahmen dieser Veröffentlichung ersucht wurden. Die Namen dieser Personen werden aber nicht als ‚Bauchbinde‘ oder Legende mit hinzugefügt.

DETOX

Nachdem wir über die Themen ‚digital Detox‘ und Küche schon gesprochen haben, lautet das sich darauf beziehende weitere Motto zumindest nach dem Ende der ersten Woche: Detox. Damit ist die Entgiftung des Körpers gemeint, die in den ersten Tagen durch die Verschreibung und Vergabe leichter Abführmittel eingeleitet wird und dann ihren Höhepunkt – für manche auch ihren Tiefpunkt – in einer kompletten Darmentleerung findet.

Der Beginn der zweiten Woche war auch im eigenen Fall durch dieses ‚Ereignis‘ geprägt, aber anders, als die beiden ÄrztInnen vorgeschlagen hatten. Als im Verlauf der im ersten Bericht präsentierten Kochrunde klar wurde, dass sich die für uns Europäer zubereitete Kost deutlich von der hiesigen unterscheidet, wurden mir ab diesem Tage auf eigenen Wunsch hin immer noch ein oder zwei der Gerichte so zubereitet und serviert, wie sie hier vor Ort üblich wären. Und so gesellte sich zu den vielen Kokusmilchvarianten nun vor allem Speisen, die mit Chili angereichert worden waren…, was dann auch seine Wirkung nicht verfehlte, und das, ganz ohne externe weitere Medikation.

Nachdem sich die Wirkung eingestellt hatte und auch der erste Fastentag danach ohne grössere Mühen und Beschwerden verbracht werden konnte, stellte sich die Frage: Weitermachen – und das wären mindestens fünf Tage gewesen – oder sogleich abbrechen und wieder, beginnend mit einer Reissuppe, in den Speiseraum zurückkehren?

Die Entscheidung fiel schwer. Der letztlich entscheidende Grund für die zweite Variante war, dass es ausserhalb dieser drei Wochen sobald nicht wieder eine so ausgiebige Gelegenheit geben würde, die ayurvedische Küche in all ihren zumeist wohlschmeckenden Varianten kennenzulernen.

KURLAUB

Man muss diesen Aufenthalt hier schon ganz bewusst als eine Herausforderung annehmen. Wer gerne Fleisch isst, gerne abends an die Bar geht, nachdem sie oder er sich tagsüber im SPA mit einer ‚Streichel-Massage‘ hat verwöhnen lassen, die oder der ist hier wohl eher fehl am Platze.

Einer der Therapeuten hat mich einmal konkret den Unterschied einer solchen Behandlung am eigenen Körper erleben lassen. Dabei es ist sicher so, dass der eine etwas andere Qualitäten und Vorgehensweisen hat als der andere. Aber allen ist gemein, dass sich jeder von ihnen immer wieder auf die besonderen Bedürfnisse und jeweiligen Beschwerden der PatientInnen – denn das sind wir in diesem Fall – einstellt.

Das beginnt mit schieren Kleinigkeiten wie die im eigenen Fall erwünschte höhere Kopflage, um den Nacken zu entlasten. Sobald dieser Wunsch bekannt war, war jeder bereit, darauf einzugehen. Auch als einer der Therapeuten bemerkte, dass auf der bereitgestellten Akkupunkturliege eine solche Nackenstütze fehlte, brachte der diese bei, bevor auch nur ein Wunsch in diese Richtung hätte geäussert werden können.

Was diese Angebote im Einzelnen betrifft, die all-täglich für den jeweiligen persönlichen Bedarf angepasst und verordnet werden, so wäre jetzt ein langer weiterer Abschnitt fällig – der gegebenenfalls später auf Wunsch noch hinzugefügt werden kann. Hier folgt stattdessen eine Sammlung der bislang an die Therapeuten gerichteten Verschreibungen.[FOTO folgt später].

Stattdessen hier ein Gruppenbild mit all jenen Therapeuten, die in den ersten beiden Wochen Hand angelegt hatten:

WAS BRINGT’S?

Aus den bisherigen Einlassungen ist vielleicht schon deutlich geworden, dass viele der Angebote ausprobiert, die meisten von ihnen auch wiederholt genutzt wurden. Das betrifft vorwiegend all jene, die mit einer äusserlichen Anwendung/Einwirkung zu tun hatten, also alle Arten von Massagen, Bädern, Akupunktur, Ernährung. Zurückhaltung dagegen war angesagt bei all jenen Angeboten, die in Richtung Medikation gingen. Meinem Physiotherapeuten werde ich nach der Rückkehr bis ins Detail berichten können, was wer mit mir angestellt und wie es gewirkt hat. Bei meinem nächsten Aufenthalt in der Charité dagegen würde ich mit leeren Händen und ohne jegliche weitere Dokumentation dastehen. Und das wäre sowohl gegenüber den dort betreuenden ÄrztInnen unangemessen als letztlich auch mir selbst. Und so einigen wir uns darauf, dass mir eine Kopie des in Tamil gefertigten Dossiers quasi als ’Arztbrief’ zur Verfügung gestellt wird.

Massstab für das eigene Handeln und Entscheiden war immer die Frage, was ich von den hier erworbenen Kenntnissen und Erfahrungen nach der Rückkehr nach Europa weiterhin wirklich und wirkmächtig würde umsetzen können – und wollen: Schon der simple Umstand, dass eines der Mitbringsel von der Insel eine Flasche weissen Calypso-Rums sein wird, zeigt, dass auch nach dieser Zeit hier gewisse Vorlieben nicht aufgegeben werden sollen.

Soviel dazu. Aber es gibt auch Erfahrungen im Zusammenhang mit der hier erlebten Therapie, die von deutlicher Nachhaltigkeit sein würden, als das bislang vorhersehbar gewesen wäre. Nein, auch nach der Rückkehr wird es keinerlei Ambitionen geben, sich als Abonnent bei der Zeitschrift „happinez“ anzumelden. Aber mir wurde in dieser Woche aus beredtem westlichem Munde nahegelegt, meine hier vor Ort in eigener Praxis unter Beweis gestellten Fähigkeiten als Therapeut und Heiler nicht nur auszubauen, sondern in praktisches und gewinnbringendes Tun umzusetzen. Das würde doch vor allem mir noch sehr viel mehr Erfüllung und Freude an dem Erfolg des eigenen Tuns einbringen als das jetzt von einem renommierten Verlag – zumindest als Absichtserklärung – zugesagte neue Buchprojekt.

ZWISCHENBILANZ

> Jetzt sind zwei Wochen vergangen und noch keinen einzigen Fuss wurde vor die Eingangspforte dieses Ressorts gesetzt (mit einer einzigen kurzen Ausnahme als Begleiter beim Besuch eines Schmuckgeschäftes, das vielleicht 10 Schritte von dieser Pforte entfernt liegt). Und doch beginnen sich neue Horizonte zu erschliessen, die so zuvor nicht absehbar waren.

> Der Ort, an dem eine solch positive Erfahrung in Deutschland hätte gemacht werden können, der muss einem erst einmal gezeigt werden. Der Reiseveranstalter bietet solche Kuren auch zum Beispiel auf Rügen an. Dort wird dann am Mittagstisch vom Kellner unter einer silbernen Tellerglocke eine ganze Karotte hervorgezaubert, und die aus Polen angeheuerten MasseurInnen machen nichts weiter als ihren ’Dienst nach Vorschrift’... wie aus zuverlässiger Quelle berichtet wurde.

> Es mag sein, dass die ständige Zufuhr von Unmengen heissen Wassers für manche als Herausforderung gilt, aber selbst für diese Menschen war die am Morgen, am Mittag und am Abend gereichte ayurvedische Küche in Vielfalt und Geschmack ein echter Gewinn.

> Ein Mindestaufenthalt von drei Wochen ist dringend zu empfehlen. Wäre jetzt schon Schluss gewesen - jetzt, wo die Lebensgeister wieder erweckt wurden und die Regenzeit sich endgültig verabschiedet hat -, wäre das Ganze nichts gewesen.

> Das Vor-Urteil von einem Urlaubsort mit überwiegend Deutschen als ’no-go-area’... musste gründlich abgeräumt werden. Es gab ein offenes, rücksichtsvolles und fröhliches Miteinander, wie dieses exemplarische Gruppenfoto zeigt (zu dessen Veröffentlichung, wie oben angesprochen, alle abgebildeten Personen ihre Zustimmung erteilt hatten):


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