"Scholz, übernehmen Sie..."

VON Dr. Wolf SiegertZUM Montag Letzte Bearbeitung: 23. Juni 2022 um 12 Uhr 01 Minutenzum Post-Scriptum

 

Hier vorab diese ARD-Berichte aus Paris von Stefanie Markert und Frederike Hofmann und Sabine Rau:

 Macron-Lager büßt absolute Mehrheit ein

Nicht ohne Grund wurden beim Sonntags-Foto-Termin die Bilder von Macron und Scholz im Zug nach Kiew eingeblendet.

Die Frage ist - und bleibt - ob im Verlauf dieser Gespräche auch die zukünftige Ausgestaltung der Rollen Frankreichs und Deutschlands beim Ringen um die Zukunft Europas ein Thema war. Und - wenn ja - was in diesem Kontext der schon abzusehenden Ergebnisse vereinbart wurde...

Die BERLINER MORGENPOST schreibt:

„Der Zeitpunkt des Besuchs kurz vor der entscheidenden Runde der Parlamentswahlen war nicht nur ein Zeichen der Solidarität mit der Ukraine. Er war auch eine Botschaft an die Franzosen, ihn – den Staatsmann in wichtiger Mission – mit einer klaren Mehrheit im Parlament zu unterstützen. Die Franzosen erhörten ihn nicht. Die Enttäuschung über den Präsidenten und seine fünf Jahre im Amt waren mit einer Ukraine-Reise nicht wegzuwischen. Der Absturz seines Bündnisses ist eine schmerzhafte Ohrfeige für Macron“

Hier einige der im Deutschlandradio vorgestellten Pressestimmen:

DERNIERES NOUVELLES D’ALSACE, Straßburg

: „Wenn die Politik in Frankreich immer noch ein Kampfsport ist, bei dem Zerstören wichtiger ist als Aufbauen, werden die nächsten fünf Jahre einen totalen Stillstand bewirken. Es werden keine Reformen umgesetzt, die Regierung wird in Krisensituationen hilflos sein und die traurige Komödie wird in einer nationalen Tragödie enden. Wenn sich Macrons Bündnis, das Links-Bündnis sowie die extreme Rechte gemeinsam für die Allgemeinheit nützlich machen wollen, müssen sie lernen, einander zuzuhören. Sie müssen lernen, ihr Ego in den Hintergrund zu stellen und einige alte ideologische Denkweisen über Bord zu werfen. Der Deutsche Bundestag oder das Europäische Parlament haben bewiesen, dass dies möglich ist. Doch wenn man gestern Abend Jean-Luc Mélenchon, Marine Le Pen oder einigen anderen Regierungsmitgliedern zugehört hat, ist es noch ein weiter Weg bis dahin“

LE FIGARO, Paris:

„Frankreich macht einen Sprung in das politisch Ungewisse. Die Nationalversammlung wird sich in ein Schlachtfeld verwandeln: Laute und streitsüchtige Bataillone werden sich auf beiden Seiten des Plenarsaals niederlassen und ihn in einen brodelnden Kessel verwandeln. Dies wird die gesamte demokratische Debatte tiefgreifend verändern. Wie kann man das Unregierbare regieren? Dies ist die – entscheidende und vielleicht unlösbare – Herausforderung, der sich Präsident Macron nun stellen muss.“

GAZETA WYBORCZA, Warschau:

„Die Bedeutung der Republikaner wächst erheblich, da sie Macrons Lager am nächsten stehen. Sie werden sicherlich diejenigen sein, an die sich Macrons Parteienbündnis im Falle von Schwierigkeiten bei der Verabschiedung des einen oder anderen Gesetzes am ehesten wenden wird. Damit könnten die Republikaner künftig zum Zünglein an der Waage werden. Sie könnten eine Rolle einnehmen, in der sie viel größeren politischen Einfluss haben, als die trockenen Wahlergebnisse vermuten lassen.“

DIE KLEINE ZEITUNG, Graz:

„Ein K.o. sieht anders aus. Ein Sieg jedoch auch. Die absolute Mehrheit in der französischen Nationalversammlung ist quasi ein Pflichtsieg für einen Präsidenten, weil sie als Bestätigung der vorangegangenen Wahlen gesehen wird. In der Pflicht hat das Macron-Lager nun versagt, die Kür wird nun umso schwieriger. Nun muss sich der Präsident auf die Suche nach Mehrheiten machen. Je nach Vorhaben wird er sich auf Mitte-Links oder Mitte-Rechts-Kräfte zu stützen versuchen. Das schürt in Frankreich Ängste. Politischer Stillstand wird befürchtet. Denn viele Experten bezweifeln, dass es Macron leicht haben wird, Partner zu finden“

LIBERATION, Paris:

„Die französischen Wählerinnen und Wähler haben Präsident Macron eine Ohrfeige verpasst. Der Verlust der absoluten Mehrheit in der Nationalversammlung ist ein herber Rückschlag für ihn. Er sieht sich nicht nur mit einer starken linken Opposition konfrontiert, sondern auch mit der extrem rechten Bewegung ‚Rassemblement Nationale‘, die viel mehr Stimmen als erwartet erhielt. Die nun beginnende fünfjährige Amtszeit ist für Macron eine Terra incognita: Er muss diskutieren und verhandeln. Es wäre eine Untertreibung zu sagen, dass der Präsident sich in dieser Hinsicht nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat. Für diesen Fehler wurde er jetzt bestraft. Der Staatschef hat keine andere Wahl mehr. Aber ist er dazu bereit? Macron hatte bislang einen sehr vertikalen Regierungsstil, dieser entspricht auch dem Präsidialsystem in Frankreich. Hinzu kommt, dass Macron seine eigene Partei missachtet hat. Angesichts der Mehrheitsverhältnisse in der Nationalversammlung ist dies ein großes Handicap“

OUEST FRANCE, Rennes:

„Durch den Pyrrhussieg wird Macron gezwungen sein, Wort zu halten. Das Land ist nach diesen Ergebnissen nicht unregierbar. Die Macht muss neu verteilt werden. Das haben die Wähler entschieden, die Macron strenge Demut verordnet haben. Macron muss nun seine Regierung neu zusammenstellen und dabei das veränderte Machtgefüge in der Nationalversammlung berücksichtigen. Macron bleibt nichts anderes übrig, als sich bei der Ausarbeitung von Gesetzen auf die Opposition zu stützen. Macrons Bündnis muss lernen, Kompromisse zu schließen. Es wird ein neues Kapitel in der Geschichte aufgeschlagen.“

THE TIMES, London:

„Für den 44-jährigen Präsidenten ist das Ergebnis ein Rückschlag, besonders nachdem er letzte Woche die Lage stark dramatisiert hatte. Seine Gegner hatte er als gefährliche Extremisten bezeichnet und das Land aufgefordert, ihm zu Beginn seiner zweiten Amtszeit eine solide Mehrheit zu geben, denn nichts wäre schlimmer, so Macron, als eine französische Unordnung zur globalen Unordnung hinzuzufügen.“

DE TIJD, Brüssel:

„In der Entourage des Präsidenten wird bereits eine drastische Option erwogen: die Auflösung der neu gewählten Nationalversammlung. Dieses Szenario ist jedoch frühestens in einem Jahr denkbar. Die Verfassung verbietet die schnellere Ausrufung von Neuwahlen. Zudem ist fraglich, ob eine solche neue Parlamentswahl die Machtverhältnisse grundlegend verändern würde. Schließlich hat der Wahlkampf 2022 einmal mehr bewiesen, dass sich Frankreich fünf Jahre nach Macrons Machtübernahme in ein politisches Dreistromland verwandelt hat. Das politische Zentrum des Präsidenten liegt in der Mitte zwischen der extremen Rechten und der radikalen Linken. Die politische Ungewissheit in Frankreich könnte kaum zu einem schlechteren Zeitpunkt kommen. Auf dem europäischen Kontinent tobt schließlich immer noch ein bewaffneter Konflikt“

P.S.

Eine erste öffentliche Stellungnahme des Präsidenten wird es erst am 22. Juni 2022 ab 20 Uhr geben. Dazu ein kurzer Auszug aus LES ECHOS:

Emmanuel Macron a prononcé une allocution à l’Elysée. Un gouvernement d’union nationale n’est, selon lui, « pas justifié à ce jour ». En revanche, « il revient aux groupes politiques de dire en toute transparence jusqu’où ils sont prêts à aller ». Les oppositions ont vivement critiqué l’allocution du chef de l’Etat.

Le chef de l’Etat s’est exprimé après le revers de la majorité aux élections législatives.

Trouver la parade et gouverner malgré tout. Alors qu’Emmanuel Macron et son gouvernement ont perdu la majorité absolue à l’Assemblée nationale, l’exécutif cherche une porte de sortie. Après une première série de consultations de chefs de parti hier, le président va poursuivre aujourd’hui.
Selon le communiste Fabien Roussel, qu’il a vu hier, Emmanuel Macron a évoqué la possibilité de mettre en place un gouvernement d’« union nationale », une solution défendue par François Bayrou. De son côté, l’ex-Premier ministre Edouard Philippe a plaidé pour « une grande coalition » avec la majorité, Les Républicains et la gauche modérée.


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