Es ist ein beeindruckend guter Film, den wir gleich sehen werden – und ein schwer zu ertragender, ein verstörender Film. Was mit Unbehagen beginnt, wird zum Entsetzen, so jedenfalls erging es mir; ein Entsetzen, das noch anhält, wenn der Abspann lange vorbei und der Bildschirm schwarz geworden ist.
Wer dann – wie wir heute – aus dem Kino auf die Straße tritt oder im Fernsehen die Nachrichtensendung im Anschluss ansieht, der bemerkt: Für einen irritierend langen Augenblick kommt einem die eigene, vertraute Sprache unvertraut vor. Man misstraut ihr. Es beunruhigt, dass das Verwaltungsdeutsch, das im Film gesprochen wird, sich derselben Worte bedient, die man auch im Hier und Jetzt, auf der Straße oder im Fernsehen hört.
Woher rührt dieses Unbehagen, woher das Misstrauen? Der Film zeigt die Arbeitsbesprechung hoher Polizei- und Verwaltungsbeamter des NS-Staates, die später als ""Wannseekonferenz"" zu einem Teil deutscher Geschichte werden wird. Er zeigt sie, wie sie stattgefunden haben könnte, denn was und wie tatsächlich jedes einzelne Wort gesprochen wurde, wissen wir nicht.
Heydrich hatte im Auftrag von Göring zu einer ""Besprechung mit anschließendem Frühstück"" geladen. Es wurde vom Töten, Eliminieren, Vernichten gesprochen und dazu Cognac gereicht, so Adolf Eichmann in seiner späteren Vernehmung in Jerusalem. Matti Geschonnecks Film ist eine in vielen Passagen wortgetreue, vielleicht die genaueste Adaption des Protokolls der Wannseekonferenz.
Was wir sehen und erleben, ist eine reibungslos funktionierende Verwaltungsmaschinerie, Ressortabstimmungen, Vorlagen und Abläufe, die sich – abgesehen vom Inhalt der Besprechung – in nichts von denen unterscheiden, die es auch heute noch in Ministerien und Behörden gibt.
Es ist eben das Gewöhnliche, das Vertraute, das uns anspringt, entsetzt und verunsichert. Was Geschonneck gelingt, ist eine Inszenierung der Banalität des Bösen.
Die Wannseekonferenz ist eine historische Momentaufnahme, sie zeigt den administrativen Hintergrund des Holocaust. Der Rechtshistoriker und Jurist Hans-Christian Jasch versteht sie als Warnung auch an unsere modernen arbeitsteiligen Gesellschaften, deren bürokratische und politische Strukturen nur so lange gegen ihren Missbrauch gefeit sind, solange eine stabile demokratische Verfassung zwischen einer ebenso stabilen Regierung und Verwaltung einerseits und dem ideologischen Abgrund andererseits steht.
Wo sich diese Abgründe auftaten, ist im Protokoll der Wannseekonferenz vor allem an der Sprache abzulesen. Sprache ist ein Mittel der Identifikation ebenso wie der Distanzierung. Man kann sich durch Worte mit einer Sache gemein machen oder von ihr abrücken. Im Protokoll der Wannseekonferenz geschieht das in anderer Weise, vielleicht noch radikaler. Hier leugnet jedes Wort seine eigentliche Funktion. Es will nichts benennen oder bezeichnen. Es will Tatbestände verschleiern und Verantwortung in homöopathische Dosen auflösen.
So wird aus der Besprechung, wie sie das Protokoll wiedergibt, eine seltsame, eine mitunter sogar groteske Spiegelfechterei. Wer sich hier zu Wort meldet, will sich hervortun. Er will seinen Wert, seine Bedeutung und die seiner Behörde für den nationalsozialistischen Staat mit eigenen Ideen und Vorstellungen geltend machen und voranbringen – und hält sich doch gleichzeitig mit Worten vom Leibe, worüber er spricht und woran er sich da beteiligt.
Die Teilnehmer der Wannseekonferenz wussten ebenso gut wie wir es heute wissen, was sie damals nicht aussprechen wollten: dass der Gegenstand ihrer Beratungen die ""restlose Ausschaltung der europäischen Juden"" war, wie Joseph Goebbels nach der Lektüre des Protokolls in seinem Tagebuch damals notierte, die bis ins Detail geplante Ermordung von elf Millionen Menschen; sie hatten dieses Vorhaben damals lange schon begonnen und zum Zeitpunkt der Wannseekonferenz – vor allem nach dem Beginn des Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion im Juni 1941 – bereits hunderttausendfach ins Werk gesetzt.
Wer ein modernes Staatswesen und seine Verwaltung als regulierende und ausgleichende Instanz für einen zivilisatorischen Fortschritt hält, der muss feststellen, dass die fünfzehn Seiten des ""Ergebnisprotokolls"" den in wohlgesetzte Worte gekleideten Rückfall eines Staates in die Barbarei belegen.
Es zeigt, wie Sprache selbst zu einem Mordwerkzeug wird. Sie dient gleichermaßen der Abstrahierung wie der Verschleierung des eigentlichen Vorhabens, damit der Völkermord ""administrativ kommunizierbar"" wird, schreibt Hans-Christian Jasch, und damit auf diese Weise ""für die Verwaltung handhabbar wird"". Sie ermöglichte es den vielen Namenlosen – vom Verwaltungsbeamten über Mitarbeiter in Reichskanzlei und Auswärtigem Amt, über den Polizisten bis zum Lokführer –, an der Deportation und Ermordung von Millionen Juden mitzutun, und entlastete zugleich ihre Gewissen. Sie machte aber auch Millionen Deutsche zu schweigenden Mitwissern.
Das Protokoll der Wannseekonferenz ist eine Tatwaffe. Die Schmauchspuren, die sie hinterließ, sind bis heute nachweisbar.
Matti Geschonneck lässt seine Protagonisten agieren; nicht als Karikaturen von Nazi-Schergen, wie man sie aus manch anderen einschlägigen Filmen kennt, sondern als das, was sie vor 1939 waren und immerhin zwei von ihnen auch nach 1945 blieben: Juristen und Verwaltungsbeamte.
Gerhard Klopfer etwa, Leiter der Abteilung III in der Parteikanzlei, einer der sicher einflussreichsten Beamten des NS-Staates an der Schnittstelle zwischen Partei und Staat. Im Wilhelmstraßen-Prozess behauptete er, auf der Wannseekonferenz sei ausschließlich über die ""Auswanderung der Juden"" gesprochen worden. Auf den Einwand der Anklagevertretung, ""es scheint aber schon so, dass Ihnen damals ganz genau gesagt worden ist, was mit den Juden zu geschehen hat"", antwortete er: ""Ich weiß davon nichts.""
""Ich habe davon nichts gewusst"" – wie oft wurde diese Antwort nach 1945 gegeben.
Wer sich die Frage stellt, was für Menschen die fünfzehn Männer der Wannseekonferenz waren, wird, nach dem Stand der Forschung, zu dem Schluss kommen: Männer, die im Staatsdienst Karriere gemacht hatten, ein repräsentativer Querschnitt der Verwaltungselite. Zehn waren Akademiker, neun der Fünfzehn hatten eine juristische oder staatswissenschaftliche Ausbildung. Acht waren promoviert.
Ihr Selbstverständnis als Juristen vertrug sich problemlos mit dem nationalsozialistischen Rassegedanken, denn Ziel des Rechts und Ideologie des NS-Staates waren eben nicht die Gleichheit aller vor dem Gesetz und der Schutz des Einzelnen. ""Recht ist, was dem Volke nützt"" – das zielte auf Ausgrenzung, das zielte auf eine ""rassische Auslese"".
Die Verwaltungseliten durchliefen nach 1945 die für Beruf und Fortkommen nötige Entnazifizierung oft folgenlos und schützten sich gegenseitig vor Strafverfolgung – das ist ein bedrückendes Kapitel der deutschen Rechts- und Verwaltungsgeschichte. So stehen heute noch einige hochbetagte Handlanger des Holocaust vor Gericht, während nicht wenige ihrer Vorgesetzten zeit ihres Lebens für ihre Taten nie zur Rechenschaft gezogen wurden.
Wie konnte die Mordmaschinerie des Nationalsozialismus so perfekt funktionieren? Und was bedeutet persönliche Verantwortung in einer Diktatur? Das war ein, das war vielleicht das Lebensthema von Hannah Arendt. Sie zeigt, dass totalitäre Systeme nicht allein mit dem absolut Bösen paktieren, nicht allein von Dämonen und Monstern getrieben werden, sondern dass in diesen Systemen so viele kleine Rädchen ineinandergreifen, bis die Verantwortung des Einzelnen unkenntlich geworden ist und kein Unrechtsbewusstsein mehr existiert. Die Banalität des Bösen ist die seelenlose Bürokratie einer Diktatur, die Herrschaft der Niemande, wie Hannah Arendt schreibt.
Dass sich Gleiches nicht wiederholt, das ist die Absicht jeder Erinnerung an die Verbrechen des NS-Staates. In unserem demokratischen Staat trägt jeder Einzelne Verantwortung, auch Beamte und Beamtinnen in einer hierarchisch organisierten Verwaltung. Seien wir keine Niemande. Scheuen wir die Verantwortung nicht. Auch nicht die, Nein zu sagen, wo es Recht und Mitmenschlichkeit gebieten.