Hier der Text der gemeinsamen Einladung von der URANIA und der Berliner Landeszentrale für politische Bildung zum Thema: Medien und Demokratie:
Die Tageszeitung auf dem Frühstückstisch, gefüllt mit journalistischer Recherche, oder das Handy in der Hand und Infos sammeln über soziale Medien? Diese Gegenüberstellung findet sich in vielen Diskussionen, auch zwischen den Generationen. Soziale Medien bieten marginalisierten Gruppen die Chance auf Gehör. Wie kann voneinander gelernt werden, mit dem Ziel, mehr Perspektiven in den Medien zu repräsentieren? Kann das gemeinsame Lernen gegen die rechtspopulistischen und demokratiegefährdenden Fake-News Verbreitenden helfen?
Melina Borčak ist freie Journalistin und Filmemacherin, u.a. für CNN, RBB, Deutsche Welle. Seit fünf Jahren lebt sie in Deutschland und arbeitet u.a. zu den Schwerpunkten (antimuslimischer) Rassismus, Feminismus, Flucht und antirassistische Medienkritik. Am 20.09.21 erscheint ihr Buch "Mekka hoer, Mekka da - Der Leitfaden gegen antimuslimischen Rassismus in der Sprache".
Sissi Pitzer, Medienjournalistin und Moderatorin. Beobachtet und begleitet die deutsche und internationale Medienszene seit über 35 Jahren journalistisch. Veröffentlichungen in allen Medien-Fachdiensten und in überregionalen Tageszeitungen. Seit 20 Jahren v.a. Radioredakteurin, verantwortlich für das MedienMagazin des Bayerischen Rundfunks. Große Erfahrung in der Konzeption und Moderation von Medienfachtagungen. Themenschwerpunkt Entwicklung von Journalismus 3.0. Unter Beobachtung: Frauen in der Gesellschaft, v.a. in den Medien. BJV-Preis für Berichterstattung über Pressefreiheit 2015 Netzwerkerin (Journalistinnenbund, ProQuote, Media Women Connect, BR Female for Future)
Sookee ist Musikerin und queerfeministische Aktivistin. Antifaschismus ist für sie die Basis gesellschaftlichen Miteinanders
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Der Kommentar
Ja, es lohnt sich wirklich, diesen drei Frauen bei ihrem Gespräch beizuwohnen. Und das schon allein deshalb, weil ihre schiere Präsenz all den Vor-Urteilen widerspricht, die sich aus der Vorankündigung vielleicht hätten ergeben können: Melina Borčak ist Muslima, sitzt aber ohne Kopftuch auf der Bühne und lässt ihre blauen Haare im Licht der Scheinwerfer leuchten; Sookee, so ist zu hören, bedient dieses Format als Moderatorin schon das achte Mal und macht nicht die geringsten Anstalten auf der Bühne zu zeigen, dass sie auch Musikerin sei; Sissi Pitzer berichtet davon, dass sie als Volo bei der Zeitung in Nürnberg noch den Bleisatz kennengelernt habe und erweckt dennoch nicht den geringsten Anschein, damit heute schon zu den Altvorderen dieser Branche zu gehören.
So weit, so gut. Und, es kommt noch besser: gerade die Gegenüberstellung der Lebensgeschichten der beiden Journalistinnen macht klar, dass es um sehr viel mehr geht, als um den sogenannten gap zwischen Print und Social Media. Die jeweiligen Einblicke in die Berufspraxis machen deutlich, mit welch unterschiedlichen Herausforderungen diese beiden Frauen zu kämpfen hatten, wo sie gemeinsame Linien entdecken, sich der Vorherrschaft alter weisser Männer zu widersetzen - und ihr eigenes Ding zu machen.
Sei es, wie Sissi Pitzer betont, nicht zu viel zu fragen, sondern lieber einfach mal im Rahmen des Möglichen etwas eher Unerwartetes zu machen, selbst wann man sich dafür danach eine blutige Nase hole oder, wenn es gut war, sich andere dafür rühmen lassen. Sie es, wie Melina Borčak alsbald zu erkennen gibt, dass es nach all den Abweisungen und folgenlosen Lippenbekenntnissen galt, sich auf jene medialen Ausspielwege zu konzentrieren, in denen auch ausserhalb der "Anstalten" Journalismus blühen und gedeihen kann - einen Journalismus zu betreiben, der sich den strengen Netz-Regeln der Fehlerkultur stellt, und sich dadurch im besten Fall sogar als der bessere Qualitätsjournalismus zu behaupten weiss.
Dass zu guter Letzt beide weder DAS Erfolgsrezept benennen noch den Königinnenweg (so richtig gegendert? sic!) in der und durch die Szene skizzieren konnten, kann man ihnen wahrlich nicht zum Vorwurf machen. Ihre Aussprache miteinander wirkte dennoch immer auch als eine Ansprache an das Publikum, das in den - wenn auch wenigen - Fragen durchaus auf die Missstände reagierte: sei es, weil man von Hause aus eher arm sei, oder keine Deutsche.
Insofern eigentlich eine gelungene Veranstaltung, in der auf der Projektionsfläche des persönlichen Erlebens und Schaffens immer auch ’das Systemische" der Problemstellung deutlich wurde. Und doch wuchs in diesen eineinhalb Stunden immer mehr ein innerer Zorn heran. Der vielleicht - um nicht allzu sehr auszuufern - so zusammengefasst werden kann: Als tertiär in den USA sozialisierter Mann die Frage, wieso man sich dieses Gerede von dem sogenannten „Migrationshintergrund“ noch bereit sei, weiter gefallen zu lassen? Warum sind wir nicht bereit, die besonderen Qualifikationen anderer Menschen mit anderen kulturellen und sprachlichen Hintergründen anzuerkennen? Noch eine Generation, und die Mehrheit der in den USA lebenden Menschen wird nicht mehr zur weissen Bevölkerung gehören. Während im neuen Bundestag, der sich gerade konstituiert, die Zahl der Abgeordneten, mit "ausländischen Wurzeln", wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland schreibt, gerade mal die Zehnprozentschwelle überschritten hat.
Ja, ja... ein weites Feld: der Fortschritt sei eine Schnecke, der nur mit guten Argumenten und einer guten Sprache vorangetrieben werden könne. Auch von Journalistinnen, die diese Position als eine Frage der Haltung sehen und bestenfalls in der Lage sind, sich damit bis in jedwede Unterhaltung ihrer LeserInnen einzubringen. Und das dann auch noch mit der not-wendigen Geduld, die man aufbringen müsse, bis dass diese alten weissen Statthalter eines längst überkommenen Denkens endlich "ausgestorben" - sprichwörtlich gemeint - seien.
Wenn man an einem Abend wie diesem erfährt, wie vielen Demütigungen, Zurücksetzungen, Ungleichbehandlungen die Kolleginnen ausgesetzt sind, dann gilt es doch, endlich all diese Taten und Täter beim Namen zu nennen, zu sagen, was (vorgefallen) ist, zu den eigenen Waffen zu greifen, über die beide diese Kolleginnen ganz offensichtlich verfügen.
Will sagen: So sehr die Eloquenz wie die persönliche Aufrichtigkeit die Qualität dieses Abends ausgemacht haben, so sehr verwundert es einen der potenziell auch zu dissenden Typen wie mich, warum nicht mit noch viel grösserer und gezielterer Radikalität diesen Missständen und Missetätern auf den Leib gerückt wird.
Wenn wieder einmal wie an diesem Abend deutlich wird, wie viel systemische Gewalt diesen Vertreterinnen der Vierten Gewalt angetan wird, dann sollte endlich deutlich werden, warum die Fragen nach der Haltung im Journalismus nicht allein dadurch bestimmt werden können, ob man noch für Print oder schon online publiziere. Der gap, die Kluft, die sich auftut, ist eine andere: zwischen dem Freien Wort und der immer noch fortwährenden Bevormundung, zwischen der Neugier und der sich nach wie vor erneuernden Gier nach Neuem, zwischen einer schonungslosen Offenheit und dem Einschlagen auf offene Wunden.
Das mag kryptisch klingen und zielt doch auf eine ganz reale einfach Herausforderung, die doch so schwer umzusetzen ist: Sagen, was ist, damit werden kann, wie es sein sollte.
WS.