O.
Es war keine einfache Entscheidung, wohin gestern der Weg heraus aus dem Büro und hinein in dieses wiederbelebte Berlin führen würde: in die Staatsbibliothek, deren einer der ersten Nutzer der Autor war, um - vielleicht ein letztes Mal - auch mit Wolf Biermann reden zu können [1], oder in das Museum für Kommunikation, um an der Veranstaltung WELLENLÄNGEN. The Art of Radio teilnehmen zu können.
Und es war keine einfache Entscheidung, diesem Termin nochmals einen ganzen Tag und zwar ausgerechnet diesen Tag einzuräumen, zumal der 14. Juli [2] für den Autor ja immer noch fast so etwas wie ein zweiter nationaler Feiertag ist...
1.
Aber nachdem es ja am Montag eine einladende Ankündigung gegeben und der Veranstalter in einem persönlichen Anschreiben auf diesen Termin aufmerksam gemacht hatte, war die Entscheidung klar.
Zumal es keinerlei Verpflichtungen gibt oder gab, über diese Veranstaltung nun umfassend und nach den klassischen Massstäben des Rundfunkjournalismus berichten zu müssen. Und damit die Chance da war - und ist -, eine etwas andere Reportage zu schreiben.
2.
Die umfangreiche und intensive Beschäftigung mit der Arbeit der bauhaus-Universität Weimar im Allgemeinen und dem ’Sender’ von Bauhaus.fm im Besonderen [3], macht es möglich und ermutigt zu versuchen, die Protagonisten auch persönlich kennenzulernen und sprechen zu können.
Was zumindest in zwei Fällen auch gelungen ist. Und das, obgleich das Programm sehr eng getaktet war. Unmittelbar nach dem letzten Programmpunkt hatte die Hauslautsprecheransage allen Gästen unmissverständlich klargemacht, dass es nun Zeit sei, das Gebäude baldmöglichst wieder zu verlassen.
3.
Das ist vielleicht gleich zu Beginn einer der eindrücklichen Widersprüche, die diesen Abend geprägt haben: die hohe formale Verdichtung von Zeit und Rahmen, von Planung und Kontrolle auf der einen Seite und eine bemerkenswerte Freiheit und Offenheit sowohl des Programms als auch der Protagonisten bei der Präsentation eben dieses auf der anderen.
Vielleicht bedingt ja sogar das Eine das Andere?! Auf jeden Fall haben die Einhaltung der formalen Rahmenbestimmungen, von den Hygienevorschriften bis zur dramaturgischen Umsetzung, dazu geführt, dass daraus eine insgesamt gelungene Veranstaltung wurde: Mit vielen Angeboten, die inneren Freiräume im Spiegel der vorgestellten Arbeiten neu auszuloten.
4.
Da dieser Text gleich am Abend nach der Veranstaltung entsteht, muss es zunächst bei der Vorankündigung bleiben, dass der erste Teil der per Kurzwelle europaweit und im Internet weltweit ausgesendeten Veranstaltung demnächst auch online wird nachzuhören sein.
Im zweiten Teil hatten die Gäste vor Ort Gelegenheit, sich nochmals im Haus umzusehen, die kulinarischen Angebote zu nutzen oder die kuratorisch aufbereiteten Exponate zum Thema 100 Jahre Radio zu betrachten. Und sie hatten - alternativ oder zusätzlich - die Möglichkeit, auf ihren Kopfhörern weitere Programmangebote aus den Studios in Weimar anzuhören oder den weiteren Gesprächen vor Ort in der Rotunde zu lauschen [4].
5.
Also galt es, die Gunst der Stunde zu nutzen und Andreas von Stosch [5] direkt anzusprechen, nachdem es ihm gelungen war, einen der Zuschauer mit der Frage zum Reden darüber anzuregen, welche Bedeutung für ihn das Radio (noch) haben würde.
Kaum ist dieses Gespräch beendet, wendet sich der Autor mit laufendem Mikro dem "Artist" zu, ohne sich diesem zuvor vorgestellt zu haben - woraus sich dieses Gespräch entwickelt:
6.
Parallel dazu hatte Fabian Kühlein (hier im Bild) [6] sowohl sein Funkerberg-Interview als auch sein Gespräch mit dem wissenschaftlichen Mitarbeiter und Kurator der Ausstellung Florian Schütz, abgeschlossen, sodass sich kurzfristig die Gelegenheit ergab, auch mit ihm ein Gespräch zu beginnen, das sodann in einer so nicht erwarteten Gegenstimme (s)einen Widerpart fand. Und... vom Reporter genutzt wurde - sicher für alle unerwartet - selber in das Geschehen einzusteigen:
7.
Welch eine Herausforderung - und was für eine Chance! Inmitten des voller Regeln - und vielleicht sogar Ritualen - geprägten Hauses die Möglichkeit zu nutzen, aus ebendiesen ausbrechen zu können. Unerhört, fast unglaublich und dennoch wahr: Aus dem Reporter wird ein interaktiver Gegenpol, der damit - wenn auch nur zeitweise und spielerisch - selber in das Geschehen eingreift. Aus dem Zuhörer wird ein aktiver Teilnehmer, so wie es schon in den frühen Jahren das Radios immer wieder gewünscht, gefordert und auch damals schon gelegentlich umgesetzt wurde (hier sei nicht nur auf Brechts Radiotheorie verwiesen, sondern auch auf das Haus des Rundfunks von Berlin, das vor einhundert Jahren, zum Zeitpunkt seiner Fertigstellung, eigentlich nach dem Wunsch des Architekten "Haus der Rundfunkhörers" hätte heissen sollen - sic!) [7]
8.
Also war es dringend geboten, sich dem "Artist" Tommy Neuwirth [8] nach dessen zweiter Performance zu stellen. Und auch mit ihm ein Gespräch zu führen:
9.
Und damit war die Zeit schon mehr als nur abgelaufen. Auch wenn es ein dringender Wunsch gewesen wäre, auch mit Johanna Ledermann [9] ein Gespräch zu führen, zumal der von ihr ausgesuchte Ort des Friedhofs in der eigenen Erlebniswelt des Autor an diesem Tage eine besondere Rolle spielte, unter anderem, da dieser Tag den 25. Todestag der in Berlin geborenen und in Bremen verstorbenen und dort beerdigten Mutter markiert [10] Hier zumindest dieser kurze Auszug aus dem Interview in der Rotunde:
Aber die Zeit war längst abgelaufen, die Gerätschaften grösstenteils schon verpackt - erstaunlich, mit wie wenig Masse und Gewicht heute ganze Sendestationen und Playouts zum Einsatz gebracht werden können - und der am Eingang ausgehändigte Kopfhörer hing immer noch um den eigenen Nacken, bis eine freundliche Mitarbeiterin darauf aufmerksam machen und um die Rückgabe bitten musste [11] ...
10.
Schluss, Aus und Vorbei. Du stehst inzwischen fast allein auf der weiten Flur der Rotunde, wirfst noch einen letzten Blick auf die beiden Statuen am Deckengewölbe [12] und bist immer noch ganz gefangen von all den Eindrücken, Erlebnissen, Erfahrungen.
Wie schön wäre es jetzt, noch gemeinsam mit Anderen ein wenig ’abzuhängen’ und all das Erlebte nachklingen zu lassen, zu reflektieren und zu fragen, was dieser Abend ganz konkret für Dich gebracht hat. Da dieses mit einer Gruppe von real existierenden Menschen so nicht möglich ist, die Entscheidung, nochmals zurück ins Büro zu fahren und bis in die späte Nacht all dieses hier aufzuschreiben [13]. Allerdings nicht ohne den Kollegen mit seinem Bericht über Pamelas und Wolfs erneuten Besuch in Berlin in diesen Text einzubeziehen [14]
Und all das, nachdem erst noch eine telefonische Voranmeldung bei einem spanischen Restaurant hier in Charlottenburg versucht worden war, dessen Leitspruch man im Nachhinein auch über diesen Abend hätte hängen könnte: "Du kommst als Gast und gehst als Freund."