Was kommt nach der Digitalisierung?

VON Dr. Wolf SiegertZUM Montag Letzte Bearbeitung: 19. März 2020 um 00h46minzum Post-Scriptum

 

Es geht um das neu erschienene Buch von Anders Indset

Quantenwirtschaft
Was kommt nach der Digitalisierung?

Econ Verlag, Berlin 2019, ISBN 9783430202725, Gebunden, 336 Seiten, 22,00 EUR

Die rasante Entwicklung von künstlicher Intelligenz, die ersten Quantencomputer und die Automatisierung von immer weiteren Lebens- und Arbeitsbereichen wird massive Auswirkungen auf unsere Zukunft und unser Wirtschaftsmodell haben. Algorithmen werden zu Autoritäten und diese werden unvermeidlich im Wettbewerb gegeneinander antreten. Aber Technologie allein kann und wird nicht die Antwort auf alle unsere Herausforderungen sein. Noch sind wir Menschen die Treiber und Bindeglieder, die unsere Umwelt, Gesellschaft, Wirtschaft und Realität steuern können.
Anders Indset entwickelt drei Szenarien für die nächsten 10 bis 20 Jahre in denen unsere Zukunft unumkehrbar entschieden wird.

Hier ein Interview mit dem Autor von Sarah Beha, publiziert am 18. April 2019 von der Online-Redakteurin für New Management bei der Haufe Group, basierend auf der Frage: „Wohin transformieren wir uns?“

Hier ein Interview mit und eine Rezension von Ernst Rommeney in der Sendung LESART auf Deutschlandfunk Kultur vom 4. Mai 2019: Anders Indset: „Quantopia“Künstliche Intelligenz stellt die Machtfrage [1]

Buchkritik - "Quantenwirtschaft" von Anders Indset

P.S.

Weitere Meinungen und Stellungnahmen des Autors können in seinen Handelsblatt-Kolumnen nachgelesen werden: Sein Beitrag zu der Frage: Was kommt nach der Digitalisierung? stammt schon vom vom 3. Dezember 2018 und blickt auf das neue Jahr mit der These:

Schon mehrfach wurde er angekündigt, doch 2019 werden wir tatsächlich einen ersten Durchbruch bei den Quantencomputern sehen. Die Folge wird eine radikale Entwicklung sein, die alles in den Schatten stellt, was wir in den letzten Jahrzehnten erlebt haben. Komplexität und Tempo werden explosionsartig zunehmen – vor allem aber wird der Druck, zu automatisieren und die Algorithmen zu optimieren, durch die ökonomische Stagnation drastisch steigen.

Eine Wissensgesellschaft, in der alles durch Maschinen validiert wird, ist etwas ganz anderes als eine Gesellschaft des Verstandes. Wir brauchen eine Renaissance der Denker und des interdisziplinären Arbeitens. Wir müssen jetzt umdenken und umsteuern, damit wir nicht zu bloßen Reaktionswesen werden, von einer maschinellen Superintelligenz wie Marionetten manipuliert.

Anmerkungen

[1

Wer wird den Planeten beherrschen: Mensch oder Roboter? Um diesen Wettstreit zu gewinnen, brauche die Menschheit eine neue Philosophie und ein neues Wirtschaftssystem, schreibt Anders Indset in „Quantopia“.

Physiker haben immer wieder über ihre Disziplin hinaus gedacht. So beschäftigte sich Carl Friedrich von Weizsäcker mit dem Weltfrieden und Hans-Peter Dürr mit den Grenzen des Wachstums. Dafür sind sie ausgezeichnet worden. Doch stellten sie verwundert fest, wie wenig sich Politik und Gesellschaft umgekehrt durch moderne Physik beeindrucken ließen.

Gemessen an diesen leisen Tönen schlägt Anders Indset in „Quantopia“ regelrecht Alarm. Der norwegisch-deutsche Wirtschaftsphilosoph lässt sich ja auch gern von gutbetuchtem Publikum als „Rock’n’Roll Plato“ feiern. Es brauche nichts Geringeres als eine radikal neue Aufklärung, die Fakten von Lügen zu trennen wisse, also weg von fataler Information hin zu prüfbarem Wissen und wertorientiertem Verstand führe.
Quantenphysik und Spiritualität vereinen

Dazu müssten Geisteswissenschaftler und Naturforscher besser kooperieren, scheinbar unvereinbare Disziplinen sich annähern, beispielsweise Quantenphysik auf Spiritualität, Phänomenologie auf Neurowissenschaften und Psychoanalyse treffen. Sie würden Neues im Widerstreit vermeintlich unüberbrückbarer Gegensätze erfahren. Denn Historie lasse sich rational erklären, Zukunft allerdings nur improvisieren.

Für die wohl wichtigste Aufgabe hält es Anders Indset, neue Regeln und Strukturen zu schaffen, die exponentiell raumgreifenden Technologien – wie Bio- und Nanotechnologien sowie künstlicher Intelligenz – gewachsen sind. Bei allem müsse sich der Mensch vor fremdbestimmter Manipulation schützen, stets Herr im eigenen Hause bleiben. Seine Einzigartigkeit stehe in Frage. Die Neurobiologie erforsche menschliche Eigenschaften, insbesondere das Bewusstsein. Und die Ingenieurwissenschaften versuchten diese in superschnellen Rechenmaschinen, in Robotern nachzubauen. Noch ist das Ende ungewiss.

Die Quantenphysik lehre, dass alles mit allem zusammenhänge. Jede Materie sei zugleich Energie ebenso wie umgekehrt. Noch nicht verstanden, so Anders Indset, werde die Leere zwischen der physikalischen Materie. Er vermutet ein Wechselspiel von Materiellem und Immateriellem, das er seinen „quantopisch“-philosophischen Ansatz zugrunde legt.
Auch Wirtschaftskonzepte werden recycelt

Wo Ressourcen endlich sind, sich also nicht beliebig von selbst umwandeln oder erneuern, müssen sie unendlich nutzbar oder wiederverwendbar hergestellt sein. Quantenwirtschaft versteht er folglich als konsequente Kreislaufwirtschaft, kombiniert mit Share Economy.

Bleibe der Hersteller Eigentümer seiner Produkte, werde er sie mengenmäßig begrenzt, verschleißfrei und recycelbar produzieren. Anders ließe sich das Versprechen nicht erfüllen, jeder Erdenbürger habe den gleichen Anspruch auf Wohlstand. Im Gegenteil, der Wirtschaftsphilosoph erwartet von der Konsumgesellschaft obendrein Verzicht. Schließlich seien materielle Bedürfnisse nur die unteren Stufen der Maslowschen Pyramide.

Die höheren streben nach immateriellen Gütern, mit denen sich Träume und Talente verwirklichen lassen. Ihre privaten Potenziale dürften die Menschen dringend benötigen, wenn ihnen die Roboter mehr Freizeit als Arbeit lassen. Dafür erhalten sie von Anders Indset ein bedingungsloses Grundeinkommen. Es wird aus Steuern auf Verbrauch und Maschinen finanziert.

Er setzt auf eine werteorientierte Weltanschauung, die Humanismus und Ethik, Selbstbeschränkung und Verteilungsgerechtigkeit, Kooperation und Dialog zu schätzen weiß. Sie agiert dezentral auf kommunaler Ebene, aber vereinbart sich global über den Kopf des Nationalstaates hinweg. Zugleich hält er Demokratie und Parteien – derzeit – für dysfunktional.
Vision „Qantopia“ erklärt keinen philosophischen Quantensprung

Sein Verriss des politischen Systems fällt seltsam oberflächlich aus. Gerade weil er auf übernationale Politik setzt, würde man erwarten, dass er die bekannt zähen Prozesse von Handelsgesprächen und Klimaverhandlungen gedanklich einbezieht. Sein Wirtschaftskonzept, aus allseits bekannten Vorschlägen zusammengesetzt, ignoriert positive wie negative Erfahrungen sozialer Marktwirtschaft.

Er schreibt viel und interessant über den technologischen Fortschritt. Doch in seinem Wissenschaftsdialog scheinen weder die Nationale Akademie Leopoldina noch die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, auch nicht die Forschungsgemeinschaften Max Planck, Helmholtz, Fraunhofer, Leibniz oder Alexander von Humboldt eine Rolle zu spielen.

Anders Indset hat die Vision „Quantopia“. Vage aber bleibt das Neue seines philosophischen Ansatzes, wie das Denken der neueren Physik helfen könnte, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft radikal zu verändern.


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