trans-mediale: back to the roots?!

VON Dr. Wolf SiegertZUM Donnerstag Letzte Bearbeitung: 30. Januar 2020 um 23 Uhr 41 Minuten

 

Am 21. November 2019 [1] traf diese Meldung [2] ein:

** transmediale 2020 präsentiert Film & Video Tag


Während der Festivalausgabe 2020 widmet die transmediale dem Film- und Videoprogramm einen ganzen Tag. Kuratiert von Florian Wüst findet er am 30. Januar 2020 im Haus der Kulturen der Welt statt. Weitere Film- und Videovorführungen werden in Verbindung mit anderen Programmteilen im HKW und der Volksbühne Berlin gezeigt.

Der Film & Video Tag folgt dem Thema der transmediale 2020 End to End (https://2020.transmediale.de/de/festival-2020) mit einem Fokus auf Online-Videokulturen und deren Veränderungen im Laufe der Zeit. Der Tag beginnt mit einem Vortrag von Trine Bjørkman Berry über Videoblogging vor YouTube, gefolgt von einem Programm mit historischen und zeitgenössischen Kurzfilmen, die in einem moderierten Gespräch mit zwei der Filmemacher*innen diskutiert werden. Anschließend präsentieren Jan Gerber and Sebastian Lütgert in dem Vortrag Autonomous Pirate Machinery ihre langjährigen Projekte Pirate Cinema und 0xDB, die sich mit dem Thema Film als Gemeingut im entstehenden Umfeld von maschinellem Lernen und algorithmischen Bildern beschäftigen. Der Film & Video Tag gipfelt in der Berlin-Premiere des abendfüllenden Dokumentarfilms Present.Perfect. von Shengze Zhu, gefolgt von einem Gespräch.

In ihrem Vortrag Videoblogging before YouTube zeichnet Trine Bjørkman Berry die Kulturgeschichte des Online-Videos nach, indem sie sich auf den entscheidenden Moment konzentriert, in dem das Internet sich von einem vorrangig textlichen zu einem multimedialen Medium entwickelt hat.

Unter den Kurzfilmen ist Ismaël Joffroy Chandoutis’ Swatted (FR 2018) – eine filmische Erkundung des sogenannten Swatting-Phänomens, das Gaming-Trolle in den USA beschreibt, die andere Spieler*innen während des Spiels live mit einem SWAT-Team überrumpeln: Nachdem sie den Namen und die Adresse anderer Spieler*innen herausgefunden und deren Anruferkennung gefälscht haben, setzen sie einen vorgetäuschten Notruf ab und beobachten im Livestream, wie das SWAT-Team das betreffende Haus stürmt.
Cana Bilir-Meiers Super-8-Film This Makes Me Want to Predict the Past (DE/AT/TR 2019) porträtiert eine Gruppe Teenager mit Migrationsgeschichte bei ihren täglichen Erkundungen im Olympia-Einkaufszentrum in München, wo 2016 bei einem rassistischen Angriff neun Jugendliche ermordet wurden. Die Teenager im Film drücken ihre Hoffnungen und Träume, aber auch ihre Ängste und Albträume aus, indem sie YouTube-Kommentare wiedergeben, die unsere Denk- und Verhaltensmuster infrage stellen.

Jan Gerber und Sebastian Lütgert betreiben ihr Projekt Pirate Cinema bereits seit 2004. Daraus hervorgegangen ist die Open-Source-Filmdatenbank 0xDB, die neue Vorgehensweisen zur Analyse und Komposition von Bildern ermöglicht. Ausgehend von ihrem Verständnis des Archivs als aktiver Maschine diskutieren sie die Potenziale von maschinellem Lernen in Bezug auf Film und Kino: Was sehen Maschinen, wenn sie Filme betrachten? Kann Künstliche Intelligenz trainiert werden, bewegte Bilder auf neue Art und Weise zu erkennen?

In dem beim diesjährigen Internationalen Filmfestival Rotterdam ausgezeichneten Dokumentarfilm Present.Perfect. (US/HK 2019) untersucht Shengze Zhu die Welt des Live-Streamings in China, in dem sogenannte „Anker“ ihr Leben dokumentieren und mit einem virtuellen Publikum interagieren. Zusammengestellt aus 800 Stunden Live-Material, zeigt sie ein faszinierendes Porträt des zeitgenössischen China, indem sie sich auf die Menschen an den Rändern konzentriert: ein einsamer Street Dancer, ein gelähmtes Mädchen, ein Viehzüchter, ein Transvestit mittleren Alters, ein gelangweilter Kranführer und viele andere, die versuchen, Anschluss an eine Community zu bekommen.

Der Film & Video Tag bringt sowohl künstlerische als auch dokumentarische Perspektiven in den Diskurs um Geschichte und Zukunft digitaler Netzwerke ein, die sich im Wandel der Online-Videokulturen widerspiegeln. Insgesamt folgt das Film- und Videoprogramm zwei thematischen Schwerpunkten: den Schattenseiten mobiler Kommunikation und sozialer Medien, die sich in Form von Einsamkeit und Isolation manifestieren, sowie der Frage, wie in Zukunft künstliche Intelligenz das menschliche Verhalten beeinflussen wird und umgekehrt. Neben den Grenzen von Netzwerken untersucht die Filmauswahl, die auch über die Einreichungsplattform der transmediale eingesandte Filme beinhaltet, das Potenzial demokratisierender Infrastrukturen.

Die transmediale ist ein Projekt von transmediale e.V. und Kulturprojekte Berlin GmbH im Haus der Kulturen der Welt. Die Kulturstiftung des Bundes fördert die transmediale bereits seit 2004 als kulturelle Spitzeneinrichtung.

Dies Entwicklung / Entscheidung ist deshalb bemerkenswert, da der Ursprung dieser einst "Video-Fest" genannten Veranstaltung darin lag, dass es nicht möglich war, in den frühen 80er Jahren Videoarbeiten bei der Berlinale einzureichen. Und daher ein eigenes, alternatives Forum für diese Produktionen und deren Aufführung gefunden werden - und also kreiert werden - musste.

Zur Jahrtausendwede gab es dann Zeiten, in denen Video ganz und gar "out" war, ja als "überholt" galt und in den Programmen fast überhaupt keinen Raum mehr für sich beanspruchen konnte. Das ist jetzt vorbei.

Bleibt im Verlauf dieses Tages zu erkunden, ob sich damit "das Rad der Zeit" zurückgedreht hat oder ob es sich als Übersetzungs- und Vermittlungs-Instrument neu etabliert, um "die Zeichen der Zeit" wieder besser wahr-nehmen zu können.

30. Januar 2020

Zunächst ist zu bemerken, dass die in der oben zitierten Ankündigung gesetzten Links nicht mehr gültig sind. Stattdessen sind alle Infos zum heutigen Tage hier zu finden: Streaming Life – Film & Video Day. [3]

Ab 14 Uhr werden im Zweistundentakt diese Veranstaltungen in der HKW - Lecture Hall angeboten, wobei wir an dieser Stelle nur auf die erste näher eingehen werden:

Videoblogging before YouTube [4]
Trine Bjørkmann Berry, Kristoffer Gansing

Schon diese allein bot eine Reihe von Überraschungen. Trine durfte aus gesundheitlichen Gründen England nicht verlassen und wurde daher per Video zugeschaltet. So war sie vor einer - offensichtlich auch von Frauen als Hintergrund geschätzten - grossen Regalwand mit lauter Büchern zu sehen; ein Blick, der nur an einer Stelle unterbrochen wurde von etwas, was so aussah wie eine 2-Zoll-Video-Spule.

So war sie überlebensgross auf der Leinwand zu sehen und gut zu verstehen, aber der Ton war nicht auf die Splitbox aufgeschaltet. Das hatte zur Folge, dass ihr Vortrag nicht mitgeschnitten werden konnte und auch die übrigen Teile der Aufzeichnungen technisch sehr heftig überarbeitet weden mussten, damit von dieser Veranstaltung an dieser Stelle überhaupt noch etwas nachgehört werden kann.

Daher stattdessen der Hinweis auf die on-demand-Hardcover-Lulu-Buchpublikation oder die PDF-Version, die HIER abgerufen oder hier eingesehen werden kann:

Als Vorwort hat sie sich auf Sätze von Francois Truffaut aus dem Jahr 1957 bezogen, von denen hier diese zitiert werden:

The film of tomorrow appears to me as even more personal than an individual and autobiographical novel, like a confession, or a diary. The young filmmakers will express themselves in the first person and will relate what has happened to them. [...] The film of tomorrow will resemble the person who made it, and the number of spectators will be proportional to the number of friends the director has. The film of tomorrow will be an act of love.

Wir beschränken uns daher notgedrungen auf
 die einleitenden Worte von Florian Wüst [5]:

 die einleitenden Worte von Kristoffer Gansing: [6]:

 das Gespräch mit dem Auditorium:

Telematic New World [7]
Cana Bilir-Meier, Ismaël Joffroy Chandoutis

Autonomous Pirate Machinery [8]
Jan Gerber & Sebastian Lütgert

Present.Perfect. [9]
Joshua Neves, Florian Wüst

Anmerkungen

[1

[2

** transmediale 2020 Presents Film & Video Day


During the 2020 edition of the festival, transmediale will dedicate an entire day to the film and video program. Curated by Florian Wüst, it takes place on January 30, 2020 at Haus der Kulturen der Welt. Additional film and video screenings will be presented in connection with other program components at HKW and Volksbühne Berlin.

The Film & Video Day follows the theme of transmediale 2020 End to End (https://2020.transmediale.de/festival-2020) with a focus on online video cultures and how they have changed over time. It starts with a talk by Trine Bjørkman Berry about Videoblogging before YouTube, followed by a program featuring historical and contemporary short films addressed in a moderated conversation with two of the filmmakers. Subsequently, Jan Gerber and Sebastian Lütgert present their longtime projects Pirate Cinema and 0xDB in their talk Autonomous Pirate Machinery, discussing film as a commons within the emerging setting of machine learning and algorithmic images. The day culminates in the Berlin premiere of the documentary feature film Present.Perfect. by Shengze Zhu, followed by a conversation.

In her lecture Videoblogging before Youtube, Trine Bjørkman Berry offers a cultural history of online video, focusing on the critical moment in which the Internet moved from being a mostly textual medium to a truly multimedia one.

Among the short films is Ismaël Joffroy Chandoutis’s Swatted (FR 2018)—a cinematic exploration of the swatting phenomenon, which describes gaming trolls in the United States who make a sport of getting other players “swatted” live during the game. After finding out someone’s name and address and faking his/her caller ID, they make a bogus emergency call, and watch the SWAT team enter the house on the live stream.
Cana Bilir-Meier’s Super 8 film This Makes Me Want to Predict the Past (DE/AT/TR 2019) portrays a group of migrant teenagers in their everyday explorations at the Olympia Shopping Center in Munich, where nine minority youths were murdered during a racist attack in 2016. The teenagers in the film express their hopes and dreams as well as their fears and nightmares through repeating YouTube comments that challenge our customary patterns of thought and behavior.

Jan Gerber and Sebastian Lütgert have been running their project Pirate Cinema since 2004. From this practice, the open-source film database 0xDB emerged, which transforms films into digital objects and makes them part of a network structure that enables new methods of analysis and composition of moving images. From their understanding of the archive as an active machine, they discuss the potentials of machine learning in terms of film and cinema. What do machines see when they watch movies? Can artificial intelligence be trained to recognize moving images in new ways?

In the feature film Present.Perfect. (US/HK 2019), awarded the top prize at this year’s International Film Festival Rotterdam, Shengze Zhu examines the world of live streaming in China, wherein “anchors” document their lives and interact with a virtual audience. Compiled from 800 hours of live footage, she depicts a fascinating portrait of contemporary China by focusing on people at its margins: a lonely street dancer, a paralyzed girl, a cattle farm worker, a middle-aged transvestite, a bored crane operator, and many others who are all trying to connect to a community.

The Film & Video Day introduces both artistic and documentary perspectives to the discourse on the history and future of digital networks, as mirrored in the transformation of online video cultures. Overall, the film and video program deals with two thematic foci: the downsides of mobile communication and social media that manifest themselves through loneliness and isolation, as well as the question of how AI will influence human behavior, and vice versa, in the future. The selection of films—which includes, works that were sent through transmediale’s submission platform—probes the boundaries of networks as well as the potential of democratizing infrastructures.

transmediale is a project by transmediale e.V. and Kulturprojekte Berlin GmbH at Haus der Kulturen der Welt. The festival has been funded as a cultural institution of excellence by Kulturstiftung des Bundes since 2004.

[3

Streaming Life widmet sich den Online-Videokulturen und wie diese sich im Verlauf der Zeit verändert haben. Das Programm umfasst zwei videobasierte Vorträge, ein Kurzfilmprogramm und die Vorführung des abendfüllenden Dokumentarfilms Present.Perfect. von Shengze Zhu. Die Schattenseiten mobiler Kommunikation und der sozialen Medien wird durch das demokratisierende Potential alltäglicher Videopraxis und die künstlerische Aneignung von Netzwerkstrukturen kontrastiert. Das Film- und Videoprogramm der transmediale 2020 zeigt außerdem ein fortlaufendes Kurzfilmprogramm als Teil der Ausstellung, Geographies of Relation, sowie die Kurzfilmauswahl Self Share und die Deutschlandpremiere von Lawrence Leks AIDOL 爱道 jeweils in Volksbühne.

[4

Als sich das Web zu Beginn der 2000er Jahre unter dem Einfluss von Blogging und Web 2.0 grundlegend wandelte und massenhaftes Veröffentlichen von Texten, Tönen und Videos gestattete, erlebte das Amateurvideo eine kleine Renaissance. In diesem Vortrag beschreiben die Medienwissenschaftlerin Trine Bjørkmann Berry und Kristoffer Gansing anhand seltener, aus längst verwaisten Blogs und anderen Diensten geretteten Clips das Video-Bloggen als eine besondere Form des alltäglichen Filmens. Die ersten Videoausrüstungen waren in ihren technischen Möglichkeiten eng beschränkt. Videos ließen sich kaum verbreiten, weil Kameras und Endgeräte kaum kompatibel waren. Dennoch war das Video-Bloggen mehr als nur eine Vorstufe zu YouTube. Es bildete eine eigene Kultur aus und wurde zur Matrix für Partizipationsformen jenseits der kommerziellen Netze

.

[5

Bei der Präsentation von zwei U-Matic-Kassetten mit der Produktion "Bremer Blockland" anno 1973

[6

Bei der Präsentation von zwei U-Matic-Kassetten mit der Produktion "Bremer Blockland" anno 1973

[7

Time-Sharing war ein erster Ansatz in der Computertechnik, mehrere Terminals mit einem zentralen Computer zu verbinden, um dessen höhere Rechen- und Speicherleistung zu nutzen. Auch wenn die Technologie durch die Einführung des PCs in den 1980er Jahren schnell an Bedeutung verlor, schien in ihr das Potenzial eines geteilten elektronischen Raumes auf. Geleitet von der Idee interaktiver Kommunikation ging aus der Konzeptkunst und der Mail Art der 1960/70er Jahre die sogenannte Telekommunikationskunst hervor. Eine der ersten Fax-Performances realisierten Tom Klinkowstein und Robert Adrian X im August 1981 zwischen Amsterdam und Wien: Mithilfe des Datennetzes der kanadischen Time-Sharing-Firma I. P. Sharp produzierten sie in mehreren Schritten zusammengesetzte Bildcollagen. Die Pioniere der Telekommunikationskunst folgten der Vorstellung eines offenen globalen Informationsaustausches jenseits universitärer und kommerzieller Netzwerke. Die Filmauswahl in Telematic New World knüpft an diese Geschichte an und erzählt sie anhand der künstlerischen Beschäftigung mit dem Internet als Spiegel der Gesellschaft bis in die Gegenwart fort.

Anschließend wird ein Q&A mit Cana Bilir-Meier und Ismaël Joffroy Chandoutis stattfinden, moderiert von Florian Wüst.

[8

In den letzten 15 Jahren haben Jan Gerber und Sebastian Lütgert mehr als 20.000 Filme heruntergeladen. Da sie diese nicht alle anschauen konnten, starteten sie ein Kino und eine Onlinedatenbank, konzipierten ein Medienarchiv und reisten um die Welt. In ihrem Vortrag Autonomous Pirate Machinery sprechen sie über ihre Erfahrung: über die Vorteile autonomer Netzwerke, die Vor- und Nachteile parasitärer Formen der Zusammenarbeit, das Archiv als gescheiterten Erhaltungszustand und die vielen Zukunftsaussichten des Kinos, die das Copyright-Regime nicht zu unterdrücken vermochte. Doch die Liste wäre nicht vollständig ohne ein wenig Generative Adversarial Piracy: ein Vorschlag für eine praktische Kritik der künstlichen Intelligenz mittels eines stetig wachsenden Korpus an heruntergeladenen Filmen.

[9

Seit einigen Jahren boomt das Live-Streaming in China. Obwohl die Zensur längst gegen das Phänomen vorgeht, hat es sich zu einer echten Industrie entwickelt. Die Zuschauer*innen chatten mit den sogenannten Anchors und senden ihnen virtuelle Geschenke, die sich in Geld umtauschen lassen. Für ihren Dokumentarfilm folgte Shengze Zhu zwölf dieser Anchors über zehn Monate und schuf aus mehr als 800 Stunden Material ein kollektives Porträt nicht der Internet-Stars, sondern der einsamen Seelen an den Rändern der Gesellschaft: ein Straßentänzer, ein gelähmtes Mädchen, eine alleinerziehende Mutter, die in einer Textilfabrik arbeitet.

Auf die Vorführung folgt ein von Florian Wüst moderiertes Gespräch mit Joshua Neves, dem Autor von Underglobalization (2020), der die Auswirkungen der Globalisierung auf die chinesische und asiatische Videokultur untersucht.


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