I.
Wir haben das Thema des Europa-Engagements des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron bereits mehrfach angesprochen, vor allem in diesem Beitrag vom 17. April 2018: ILA: "Rosinenbomber" Back to Berlin.
Darin verweisen wir auf
– sein Interview vom 22. Juni 2017 mit dem Figaro, Le Soir, Le Temps, The Guardian, Corriere della Sera, El Pais, der Süddeutsche[n] Zeitung, und Gazeta Wyborcza
– seine Rede vom 26. September 2017 an der Sorbonne in Paris
– seine Neujahrsansprache am 4. Januar 2018 vor dem Diplomatischen Corps
– seine Rede vor dem Europäischen Parlament in Strassburg vom 17. April 2018.
II.
Auf der Webseite des Élysée-Palastes wird seit dem 4. März diesen Jahres auf der "Seite Eins" mit der Forderung des Präsidenten aufgemacht: "Pour une Renaissance européenne" und dazu eingeladen: "Lire la tribüune du Président".
Wer dieser Aufforderung folgt, findet auf der dahinterliegenden Seite seinen Brief an alle "Citoyens d’Europe".
Während sein ins Deutsche übersetzter Beitrag hier nur hinter der Bezahlschranke der Zeitung WELT eingesehen werden kann [1], ist er auf dieser Seite in insgesamt 22 Sprachen nachzulesen:
von Bulgarisch
bis Schwedisch:
III.
Am nachfolgenden Tag wird an gleicher Stelle ein BRIEFING mit dem Titel: Point d’étape de l’initiative de la Sorbonne veröffentlicht.
Darin wird auf die nachfolgenden Gespräche auf Schloss Meseberg verwiesen und erklärt:
Un accord franco-allemand a été trouvé à Meseberg en juin 2018 pour mettre en place une véritable convergence de l’assiette de l’impôt sur les sociétés entre la France et l’Allemagne et défendre une position conjointe sur la proposition de directive présentée par la Commission en vue d’instituer une assiette commune pour l’impôt sur les sociétés qui s’appliquera à tous les pays de l’UE.
IV.
In Deutschland wird am 6. März diese Rede u.a. wie folgt kommentiert:
In den Badischen Neuesten Nachrichten:
Im Blick hat er nicht nur die Konkurrenten im eigenen Land. Der Mann, der Frankreichs politische Landschaft durcheinander wirbelte, will nun auch in Europa die Fronten aufbrechen. Allerdings wirkt seine Rhetorik diesmal weniger überzeugend als noch im Herbst 2017. Damals wurde er nach seiner Rede an der Sorbonne als europäischer Messias gefeiert. Doch anderthalb Jahre später hat der Hoffnungsträger an Glanz verloren. Und so ist sein Brief wohl eher ein Schreiben in eigener Sache als eines, das die EU wirklich weiterbringt.
In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung:
Nicht alles, was Macron vorschlägt, leuchtet ein oder ist dazu angetan, Herz und/oder Verstand der Leute zu erreichen. Seine merkwürdige Vorstellung von Wettbewerb und von Marktwirtschaft irritiert ebenso wie das Heil, das er in vielen neuen Räten und Institutionen zu finden glaubt. Das hatten wir schon mal. Interessant dagegen ist das, was er zu Migration, innerer Sicherheit und der Zukunft des Schengenraums sagt, der auf eine neue Grundlage gestellt werden müsse.
In der Leipziger Volkszeitung:
Wendet sich Macron offiziell an die 500 Millionen EU-Bürger, so geht es ihm doch vor allem um die Gunst der 67 Millionen Franzosen. Bei den EU-Wahlen handelt es sich um den ersten Stimmungstest seit den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Jahr 2017. Seither sind Macrons Umfragewerte eingebrochen, die Protestbewegung der Gelbwesten hat ihm zugesetzt. Er sucht den Weg aus der Krise – auch indem er sich als europäischer Heilsbringer in Szene setzt. Ist er das aber wirklich?
Im Mannheimer Morgen:
In den Mitgliedstaaten der EU herrscht durchaus so etwas wie eine pro-europäische Grundstimmung vor, die aber nichts nützt, wenn nur die Rechten und Nationalisten ihre Anhänger mobilisieren. Dabei könnten die Wähler aus den beiden Beispielen Großbritannien und USA lernen, dass es nicht reicht, nur gegen etwas zu sein. Man muss auch seine Stimme erheben, wenn es darum geht, für etwas einzutreten.
In der Neuen Osnabrücker Zeitung:
Ob die EU zum Beispiel eine Agentur zum Schutz der Demokratie braucht, sei dahingestellt. Besser wäre eine Politik, die sich deutlicher in den Dienst der Menschen stellt. So verzweifelten diese auch nicht so schnell an einer offenen Gesellschaft als vermeintlichem Einfallstor für Beliebigkeit, Sozialabbau und Identitätsschwund. Das Verführungspotenzial von Populisten wäre dann weitaus geringer.
In der Schwäbischen Zeitung:
Der französische Präsident weiß um den Wert von Pathos und Inszenierung [...] Er weiß, dass der Kontinent vor entscheidenden Weichenstellungen steht und sich das Friedensprojekt Europäische Union in großer Gefahr befindet. Macron will deshalb eine tiefgreifende EU-Reform. Es ist an der Zeit, dass Deutschland sich dieser Initiative anschließt, anstatt sich über schlechte Karnevalswitze oder im Detail unsinnige Zeitumstellungspläne zu echauffieren.
In der "Tageszeitung":
Schöner wäre es nur, wenn Macron auch wirklich eine Alternative in petto hätte. Denn in seinem Brief heißt es zwar, er wolle eine ‚Maßnahme gegen Abschottung und Spaltung‘ anbieten. Doch anstelle blockender Nationalstaaten bietet er nur den Block Europa an. Die Abschottung wird dabei in Sachen Migration etwa schlicht und einfach an die EU-Außengrenzen verschoben. Was soll daran neu sein? Schließlich haben sich die Staats- und Regierungschefs der EU längst darauf verständigt, dass die EU-Grenzschutztruppe Frontex mehr Befugnisse haben und ausgebaut werden soll.
In der Zeitung Die Welt:
So freiheitlich er anhebt, am Ende stehen bei Macron fast immer der Staat und seine Machtvollkommenheit an erster Stelle. Macron, der Wichtiges angestoßen hat, braucht ein liberales Gegengewicht, vielleicht auch einen oder besser noch mehrere Gegenspieler. Da Großbritannien für diese Rolle erst einmal ausfällt, müsste Deutschland sie übernehmen. Doch danach sieht es derzeit leider nicht aus
.
V.
Anstatt einer persönlichen Stellungnahme der Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland (wider-)spricht eine Woche später, am 10 März 2019, die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer (AKK) in einem Eigenbeitrag, wiederum in der WELT, unter dem Titel „Europa jetzt richtig machen“. [2] [3]
Worauf heute der Élysée erklären lässt, dass es ja nur drei Punkte gäbe, in denen die CDU-Chefin von der Position des Präsidenten abweiche (sic!), während die Bundeskanzlerin durch ihren Regierungssprecher erklären lässt, dass sie mit der Position von AKK übereinstimme.
VI.
Und das schreiben die Zeitungen heute:
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung:
Die CDU-Vorsitzende hat mit Recht daran erinnert, dass es die Staaten sind, die in Europa demokratische Legitimation und Identifikation stiften. Ein zentralistisches Gebilde, das auch solche Dinge regelt, die besser in den Ländern und Regionen aufgehoben wären und die nicht auf die Bürger zurückzuführen sind, kann auch nach außen nicht überzeugend auftreten. Der beschworene ‚European Way of Life‘ ist jedenfalls ein ziemlich breiter Strom. Seine Grenzen sind die des Rechts. Wer die gemeinsam gesetzten Regeln, die Fundamente der Rechtsstaatlichkeit nicht akzeptieren kann, der hat die Europäische Union nicht verstanden und muss mit Sanktionen rechnen. Im Übrigen wird sich durchsetzen, wer überzeugt. Eine Bewegung, die nur die Europafahne vor sich herträgt, reicht nicht.
Der Mannheimer Morgen:
Kramp-Karrenbauer geht viel weiter als Merkel [...] Zum Beispiel mit der Forderung, das Europäische Parlament nur noch in Brüssel tagen zu lassen, nicht mehr in Straßburg. Der Vorschlag eines gemeinsamen europäischen UNO-Sicherheitsratssitzes – zu Lasten des französischen – ist von ähnlicher Qualität. Das alles wirkt wie eine Retourkutsche gegen einen Präsidenten, dem man seine Hochnäsigkeit verübelt und dem man nun damit droht, ihm seine Spielzeuge zu nehmen. Auf etliche kluge Vorschläge Macrons, wie die Gründung einer europäischen Agentur für Demokratie, geht CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer hingegen gar nicht ein.
Die Nürnberger Nachrichten:
Es ist ein Verstoß gegen die diplomatische Kleiderordnung, wenn sich die deutsche Regierungschefin Merkel über Macrons zunehmend verzweifeltes Werben ausschweigt und sich stattdessen nur die Parteivorsitzende der CDU äußert. Auch inhaltlich war das, was Kramp-Karrenbauer schrieb, eine Zumutung. ‚Europa richtig machen‘ war der Beitrag überschrieben, was im Umkehrschluss ja nichts anderes heißt, als dass es der französische Präsident falsch anpackt.
Das Straubinger Tagblatt:
Es kann nicht nur darum gehen, Macron zu unterstützen, um ihm politisch zu helfen. Im Vordergrund muss stehen, was für die Europäische Union das Beste ist. Und da ist die Frage nach dem Standort des Parlaments von untergeordneter Bedeutung. Kramp-Karrenbauer wollte offenbar eine Botschaft an die Seine senden: Den großen Europäer spielen, aber selbst nichts abgeben wollen, funktioniert nicht.
Die Welt:
Kramp-Karrenbauer stellt mit Blick auf die Europäische Union die richtige Frage. Sie fragt nicht: Wie wollen wir uns fühlen? Sie fragt: Was wollen wir erreichen? Ihre Antwort lautet: Die EU ist kein Wohlfühlprojekt. Sie ist kein Abschottungsvorhaben, kein Urlaubsort von der Weltpolitik. Im Gegenteil. Die EU ist das Instrument, um sich in der Welt aktiv zu behaupten. Dafür braucht es keine neue Nabelschau, keine große Europa-Konferenz, die alles und jedes auf den Prüfstand stellt. Diesen Vorschlag des französischen Präsidenten Macron lehnt sie zu Recht ab. AKK will Europas weltpolitische Handlungsfähigkeit stärken – wirtschaftlich, außenpolitisch, militärisch, kulturell. Tun, was machbar ist, das aber entschlossen.