Herbert back Home

VON Dr. Wolf SiegertZUM Donnerstag Letzte Bearbeitung: 30. Juli 2004 um 10 Uhr 45 Minuten

 

Es gelten die Regeln des Urheberrechts all rights reserved

Was ist heute das Thema des Tages: der Start von Michael Moore’s ’Fahrenheit 9/11’ über den amtierenden US-amerikanischen Präsidenten im Open-Air-Kino auf dem Vorplatz des berliner Schlosses Charlottenburg?

Nein, dieser Film - und seine Bedeutung für Europa - war ein "Thema" zum Zeitpunkt seiner ersten Präsentation auf den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes.

Wir haben es heute in Berlin mit einer wichtigeren Persönlichkeit zu tun, einem Amerikaner wider Willen: Herbert Marcuse. Heute vor 25 Jahren gestorben, ist die Urne mit seiner Asche erst jetzt im Handgepäck seines Sohnes Peter wieder nach Berlin überführt und hier Mitte Juli 2004 beigesetzt worden.

Auf der Herbert Marcuse Hompage wird dieses Ereignis aus der Sicht der Springer-Zeitungen "Welt" und "Morgenpost" bzw. der dpa dokumentiert. Das folgende Zitat stammt aus der Feder von Kai Ritzmann über die "letzte Reise eines grossen Philosophen".

Er war ein Held, für die einen. Er war durch einen Lebenslauf und eine Arbeitsleistung geadelt, die ihn in die unmittelbare Nähe zu Erich Fromm, Max Horkheimer und Theodor W. Adorno rückten. Er war Mitbegründer der "Frankfurter Schule", die vor den Nationalsozialisten in die USA geflüchtet war. Er wurde verehrt, sogar geliebt, sein Buch "Der eindimensionale Mensch" galt als die Bibel der Achtundsechziger. Seine Auftritte, vor allem in Berlin, waren - schon im Augenblick, als sie stattfanden - legendär.

Und er wurde gehasst, von den anderen. Von denen vor allem, die ihn nur hörten und sahen, nicht lasen. Denn auf dem Podium verschwand der Philosoph der Befreiung aus schier auswegloser Unterdrückung hinter dem charismatischen Hohepriester der Revolte, als den ihn die Studenten mit aller Kraft wahrnehmen wollten. Gestern nun kehrte dieser Herbert Marcuse nach Berlin, wo er 1898 geboren wurde, zurück. Sein Sohn Peter brachte die Urne, die zuletzt im Arbeitszimmer seines Hauses in Connecticut geruht hat, als Handgepäck mit in die Hauptstadt. Die Asche soll noch in dieser Woche auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof beigesetzt werden. Der Senat hat ihm dort ein Ehrengrab zuerkannt. Es ist eine Rückkehr zu Hegel und Fichte, Brecht und Hans Mayer - und ins Alte Europa. Es ist eine Eingemeindung in den Hain deutscher Denker. Es ist, 24 Jahre nach seinem Tod, der ihn in Starnberg ereilt hat, das versöhnliche Ende eines langen Weges.
Bei seiner Ankunft auf dem Flughafen Tegel erklärte Peter Marcuse die letzte Reise seines Vaters zu einem Akt der "Gerechtigkeit" und zu einer "politischen Geste". Schließlich sei das große Thema Herbert Marcuses, der Widerstand gegen Entmündigung und Manipulation, noch immer lebendig. Mit der Beisetzung sei "kein Schlussstrich" gezogen. "Der Kampf", so der Nachgeborene, der selbst an der New Yorker Columbia University Stadtplanung lehrt, "geht weiter."

In Tegel wurde die Urne in den lang gestreckten Cadillac der Firma Grieneisen gelegt. Der außergewöhnliche Leichenwagen ist eigentlich schon in den Besitz des Technikmuseums übergegangen (wir berichteten), für diesen Anlass jedoch wurde er noch einmal quasi requiriert. Dies war weniger der Plan der Familie, vielmehr wünschte sich eine TV-Produktionsfirma diesen eher theatralischen Auftritt. Das Fernsehteam arbeitet gerade an der ersten Dokumentation über den Intellektuellen und Professor, der seit den 60er-Jahren an der Universität von San Diego gelehrt hat. Und so nahm die Urne Platz im Cadi. Eingepackt war sie in jene alte Versandschachtel aus Pappe, in der sie schon 1979 von Starnberg per Luftpost nach New Haven expediert worden ist. "Achtung Aschenurne - Pietätvoll behandeln!" steht auf einem Aufkleber. Auch die alte Frachtnummer des Münchner Flughafens (774) ist noch zu sehen. Der kleine Karton hat einmal gute Dienste geleistet, warum denn nicht erneut!
Mit dieser Ladung im Fond fuhr das Grieneisen-Mobil, verfolgt von dem Filmteam, vom Flughafen aus durch die Stadt, vorbei am Charlottenburger Schloss, am Brandenburger Tor, die Friedrich- und endlich die Chausseestraße hinauf bis zum Friedhof. Eine Fahrt noch einmal durch seine Geburtsstadt. Hier ging er, Sohn einer großbürgerlichen jüdischen Familie, aufs Augusta-Gymnasium, hier zur Universität, hier arbeitete er in den 20er-Jahren bei einem Verlag. Berlin hätte seine Stadt werden können, sein geistiger Nährboden. Aber es kam anders. Auch er musste vor Hitler fliehen. Amerika wurde seine Heimat. Nun wird er in Berlin, dem Ort, der ihm entrissen wurde, beerdigt.

Sein Vater, sagte Peter Marcuse, hätte die Sache mit der Beisetzung "nicht so wichtig genommen". Mag sein, er hatte wohl anderes im Kopf. Für das geistige Berlin jedoch ist es ein Ereignis.

Nach Marlene Dietrich und Helmut Neton
(siehe das Notat vom 5. Juli)
findet nun auch Herbert Marcuse seine "letzte Ruhe" in Berlin.

 Wie es dazu gekommen ist, dazu empfiehlt es sich die im Juli 2003 von Harold Marcuse nochmals aktualisierte Geschichte um die
Asche Herbert Marcuses
auf den Monitor zu holen.
Im Verlauf der dort zusammengestellten Dialoge plädiert neben anderen ein Professor von der University of Glasgow, Michael Peters, dafür, dass Marcuses Asche in den USA verbleiben solle, nachdem sich zwei Tage zuvor eine in den USA lebendende Deutsche, Sigrid Van Nimwegen, für deren Rückführung an seine Geburtsstadt Berlin ausgesprochen hatte.

 Zu guter(?) Letzt das Bildzitat aus der Freien Universität Berlin des Jahres 1968 als einen jener - tatsächlich eher als Karrikatur zu wertenden - Versuche, die Aktualität seiner Lehre in die virtuelle Agora der neuen Medien hinüberzuretten.

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Quelle: http://cartoon.iguw.tuwien.ac.at/christian/marcuse/welcome.html


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