Totale digitale Tor-Schluss-Panik?

VON Dr. Wolf SiegertZUM Mittwoch Letzte Bearbeitung: 30. Dezember 2014 um 23 Uhr 32 Minuten

 

I.

Das schickte uns Claudia Paul, Leitung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des Börsenverein des Deutschen Buchhandels e. V. als Sprachrohr der Deutschen Content Allianz, die sich heute, am 20.08.2014 um 12:56, wie folgt positioniert hat:

Die Deutsche Content Allianz (DCA) als Vertretung der gemeinsamen Interessen der Kultur- und Kreativwirtschaft sieht ihr Ziel, neben den Anbietern technologischer Infrastrukturen umfassend in die von der Bundesregierung vorgelegte "Digitale Agenda 2014-2017" eingebunden zu werden, einen wesentlichen Schritt näher gerückt. Die ’Weiterentwicklung’ Deutschlands zu einem ’digitalen Kulturland’ durch die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Inhalteanbieter als eine der künftigen Maßnahmen der Digitalpolitik brauche aus Sicht der DCA kreative, leistungsfähige und wertorientierte Partner, die ihrerseits ihre digitalen Angebote als entscheidende Wachstumstreiber für eine erfolgreiche Zukunft weiter ausbauen werden.

Jürgen Doetz für die DCA: "Wichtige Anliegen wie eine digitale Werteordnung und die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Inhalteanbieter werden in der Digitalen Agenda aufgerufen. Die Ankündigung der Bundesregierung, sich bei Themen wie Netzneutralität und Schutz des geistigen Eigentums mit der Digitalen Agenda für Deutschland auch in den europäischen Gremien aktiv einzubringen, findet unsere Zustimmung. Auch die künftige Ausrichtung eines IT-Gipfels auf die zentralen Herausforderungen der digitalen Transformation bei den Handlungsfeldern der Digitalen Agenda kann besser als bisher ein geeignetes Instrument sein, sie nicht als reine digitale Technikagenda, sondern deutlich breiter gesellschaftlich zu verankern".

Aus Sicht der in der DCA vertretenen Branchen besteht allerdings noch umfassender Konkretisierungsbedarf: "Adäquate wirtschaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen für die Produktion und Verbreitung digitaler Inhalte zu entwickeln und durchzusetzen, wird Schwerpunkt unserer künftigen Arbeit sein. Dafür bietet die Digitale Agenda eine gute Diskussionsgrundlage. ’Digital ist mehr als Technik’ - für eine digitale Gesellschaft sind kreative Inhalte unverzichtbar. Das ist für uns heute die wichtigste Botschaft der Digitalen Agenda!"

II.

Und das war zuvor - ab 11:00 Uhr - schon als Stellungnahme des BDI, des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, veröffentlicht worden:

"Die Digitale Agenda der Bundesregierung ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Sie darf aber keine Absichtserklärung bleiben. Jetzt müssen konkrete Maßnahmen folgen." Das sagte Markus Kerber, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), anlässlich der Vorstellung der Digitalen Agenda der Bundesregierung am Mittwoch in Berlin.

Eine erfolgreiche Digitalisierung könne einen Wachstums- und Modernisierungsschub für die deutsche Wirtschaft auslösen. Dafür seien drei Säulen zentral. "Erstens muss es mehr Tempo im Ausbau von schnellen Internetverbindungen geben. Sie sind die Lebensadern der digitalen Gesellschaft", betonte Kerber. "Zweitens brauchen wir ein hohes Maß an Datenschutz und Datensicherheit, um Vertrauen und Akzeptanz bei den Nutzern zu schaffen." Drittens müsse die Politik einen europäischen digitalen Binnenmarkt schaffen, um einheitliche Rahmenbedingungen zu gewährleisten.

"Die Digitalisierung betrifft alle Bereiche unserer Wirtschaft - von der Industrie 4.0 im Maschinenbau, der Elektroindustrie und der IT-Branche über die Chemie, die industrienahen Dienstleistungen und die Logistikbranche bis hin zur Bauindustrie. Sie ermöglicht Effizienzsteigerungen von bis zu 30 Prozent in den Betrieben und eröffnet zahlreiche neue Geschäftsmodelle", unterstrich Kerber.

III.

Die Präsentation der Pläne der Bundesregierung durch die drei Minister Sigmar Gabriel, Thomas de Maizière und Alexander Dobrindt begann heute parallel ab 11 Uhr, auf Phoenix im echten TV-Format. [1].

Originalton Innenminister Thomas de Maizière [2]:

"Wer verändert wen? Lassen wir uns verändern durch die sogenannte digitale Welt oder haben wir die Kraft und den Willen, die digitale Welt nach unseren Wert- und Normvorstellungen zu gestalten."

Hier das Dokument im "Original", das in seiner Präambel mit der folgenden Absichtserklärung schliest:

"Die Bundesregierung wird ihre eigenen Kräfte und die Kräfte aller Beteiligter in diesen Handlungsfeldern bündeln, damit unser Land und seine Menschen den größtmöglichen Nutzen aus der Digitalisierung ziehen können.

IV.

Der Kommentar:

Dieser Satz bringt das Thema auf den Punkt. Die Frage lautet: Können wir wirklich noch behaupten, im Geiste dieser „Alten Welt“ stärker sein zu wollen, als das, was mit der Digitalisierung über uns hereingebrochen ist? Oder müssen wir uns gemeinsam mit Jenen, für die diese „Neue Welt“ inzwischen selbstverständlich geworden ist, auf die Suche nach jenen Werten begeben, die im Verlauf dieser Transformation, ja Revolution, auf der Strecke geblieben sind: Sie neu entdecken, definieren, erlebbar und nutzbar machen?

V.

Weitere Kommentare in den Zeitungen des nachfolgenden Tages:

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG:

"Mit dem vollmundigen Versprechen, das digitale Wachstumsland Nummer eins in Europa zu werden und dazu noch das datensicherste, ist das in der NSA-Affäre verlorengegangene Vertrauen nicht einfach wiederzugewinnen. Die Begeisterung über die Teilhabe und die Möglichkeiten des Internets, von denen die Digitale Agenda so häufig spricht, ist in der Bevölkerung längst nicht mehr ungebrochen, schon gar nicht in den Gebieten mit langsamen Geschwindigkeiten. Sollte es bei den lauen Ankündigungen bleiben, ohne dass sich vor Ort tatsächlich etwas ändert, wird die Digitale Agenda diejenigen, die auf den Netzausbau warten, aufs neue enttäuschen"

Das HANDELSBLATT aus Düsseldorf:

"Wenn die Bundesregierung Einigkeit erzielen würde, könnte sie binnen kürzester Zeit das mobile Breitbandnetz ausbauen und so einem Ziel ihrer ’Digitalen Agenda’ ein Stück näher kommen: schnelles Internet für alle bis 2018. Bei der Präsentation dämpften die zuständigen Minister die Erwartungen. Zuvor hatten sich bereits die Wirtschaftsverbände enttäuscht gezeigt."

Die LAUSITZER RUNDSCHAU aus Cottbus:

"Man kann das Wort ’Agenda’ unterschiedlich verstehen. Wie die Reform-Agenda 2010 als Katalog von Lösungen, die man tatsächlich umsetzt. Oder als Katalog von Fragen und Aufgaben, derer man sich bei Gelegenheit annehmen möchte. Um Letzteres handelt es sich bei dieser ’Digitalen Agenda’. Gelöst ist mit ihr noch nichts. Nicht der Datenschutz, nicht die IT-Sicherheit, nicht die Förderung der IT-Wirtschaft, nicht die Forschung, nicht die digitale Bildung, nicht einmal die Versorgung"

Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG aus München:

"Ein einziges Ziel ist halbwegs konkret benannt: die flächendeckende Versorgung mit Breitbandanschlüssen mit mindestens 50 Megabit pro Sekunde bis 2018. Hier aber lässt sich schon jetzt absehen, dass das Vorhaben grandios scheitern wird. Denn entlegene Gebiete können realistischerweise nur per Funk versorgt werden, doch dann müssen sich alle im Bereich einer Funkzelle die begrenzte Bandbreite teilen."

Der TAGESSPIEGEL aus Berlin:

"Wer mal einer Diskussion zwischen Leuten aus der Internetwirtschaft und Experten für Cybersicherheit zugehört hat, der wird sehr gespannt verfolgen, wie rasch die Wirtschaft die Forderungen des Innenministers nach eigenen Anstrengungen für mehr Sicherheit erfüllen wird. Gerade bei der Industriespionage liegen Welten zwischen dem, was man hierzulande für Internetsicherheit hält, und dem, was wirklich sicher ist - von anderen Entwicklungen der Netz-Kriminalität zu schweigen."

Die VOLKSSTIMME aus Magdeburg:

"Wieder so ein Großprojekt: Nach der verkorksten Energiewende will es die Bundesregierung nun mit einem digitalen Sprung nach vorn wissen. Dazu kann man nur viel Erfolg wünschen. Das Internet-Zeitalter hat uns längst vereinnahmt. Aber eine logische Strategie für den Umgang damit fehlt. Hohe Zeit, dass die Regierung dem Technologiewandel mit seinen tiefen Einschnitten in den Alltag der Bürger nicht mehr nur hinterhertrabt. Was nutzen elektronische Steuererklärungen, wenn hinterher die Belege ans Finanzamt geliefert werden müssen? Beim Internet krankt es nicht an der Logik, sondern an fehlenden High-Speed-Verbindungen. Die sind gerade auf dem flachen Land so wichtig wie Wasserleitungen, weshalb ihr Ausbau forciert werden soll"

Anmerkungen

[1Dort wird zuvor die ZDF-Doku "Tatort Internet - Wenn das Netz zur Falle wird" aus dem Jahr 2013 ausgestrahlt werden.

[2zitiert nach Von Falk Steiner "Drei Minister, ein Vorhaben" in den Informationen am Mittagim Deutschlandfunk vom 20. August 2014.


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