UK inside out

VON Dr. Wolf SiegertZUM Donnerstag Letzte Bearbeitung: 25. August 2013 um 11 Uhr 10 Minuten

 

Dass die Presse über sich selbst schreibt, ist immer ein besonders interessanter Moment, um die Kommentarspalten zahlreicher Ausgaben zu studieren und - hier mit Bezug auf Darstellungen des Deutschlandfunks - zu zitieren.

Seitdem der britische Geheimdienst ohne Hausdurchsuchungsbefehl in die Räume der Zeitung the guardian eingelassen wurde, um dort in deren Keller unter Aufsicht Festplatten mit den zugespielten Dokumenten zerstören (lassen) zu können, zerreissen sich die KollegInnen im In- und Ausland das Maul.

Das liesst sich dann im Verlauf des 21. August 2013 in etwa so:

 In der nationalen Presse:

bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

"Aber das soll eine aufklärerische Zeitung sein, die sich von Regierungsmitarbeitern vor die Wahl stellen lässt: ’Gebt das Material heraus, oder zerstört es’? Und die dann tatsächlich Festplatten unter Aufsicht zertrümmern lässt - aus Angst vor einem Rechtsstreit? Diesen Streit hätte man doch ganz gelassen in aller Öffentlichkeit austragen können"

bei der Frankfurter Rundschau

"Geheimagenten überwachen die Zerstörung von Festplatten in einer Zeitungsredaktion. Britische und amerikanische Dienste schöpfen den Datenverkehr ab. Aber die Regierung von James Cameron tut so, als seien die Enthüllungen Edward Snowdens mit Computer-Hacking der archaischen Art rückgängig zu machen. Die Journalisten des ’Guardian’ gehörten entlassen, hätten sie solche Daten nicht anderweitig gesichert"

bei der Süddeutschen Zeitung aus München:

"Rusbridger hat die Agenten ohne richterliche Anordnung und ohne größere Drohungen in ein Gebäude gelassen, in dem Geheimdienstler wenig verloren haben - in ein Zeitungshaus. Und er hat sie gewähren lassen, als sie erzwangen, was Journalisten verhindern sollten - Daten zu vernichten.
Das hat dem ’Guardian’ einen Prozess und möglicherweise eine Geldstrafe erspart, mehr nicht. ’The Guardian’, der Wächter,
hat so vor allem seine Konten geschützt. Die von Rusbridger gebilligte Aktion ist ein schwerer Schlag für die Pressefreiheit. Sie wird dem Ansehen des ’Guardian’ schaden,
vielleicht dem der ganzen Branche. Nicht jede Redaktion kann es sich leisten, geheime Papiere außer Landes zu lagern
und Reporter weltweit zu beschäftigen. Die Pressefreiheit muss dort verteidigt werden, wo sie bedroht ist. In diesem Fall war das in Großbritannien, im Keller des ’Guardian’.
"

Bei der Nordwest-Zeitung aus Oldenburg:

"Geheimdienstler statten der Tageszeitung einen Besuch ab und fordern die Herausgabe oder Zerstörung von geheimem Material. Wäre das Ganze in Russland oder China geschehen, na ja, das hätte uns wohl nicht allzu sehr gewundert. Doch dass ausgerechnet in Großbritannien, wo kritischer, manchmal auch zynischer Journalismus eine lange Tradition hat, so etwas geschieht, ist skandalös"

Beim Münchner Merkur

"Ausgerechnet die Regierungen, die nur allzu gern mit dem Finger auf Unrechtsregime deuten, versuchen nun in ihrem Land die Pressefreiheit einzuschränken. Mit welchem Recht wollen Obama und Cameron in China, Russland und Nordkorea auf Menschenrechte und Freiheiten drängen, wenn sie diese Rechte daheim mit Füßen treten?"

Bei der Neuen Osnabrücker Zeitung:

"Es ist richtig, dass der ’Guardian’ nun auch diesen schändlichen Knebelversuch öffentlich macht. Denn Journalismus ist kein Terrorismus. Diese glasklare Tatsache findet in Großbritannien inzwischen leider immer seltener Beachtung."

 In der Presse aus dem europäischen Ausland:

Dagsavisen aus Oslo:

"Das war Symbolpolitik: eine Machtdemonstration der britischen Regierung, um zu zeigen, dass sie mit dem Recht auf ihrer Seite die unangenehmen Enthüllungen über ihre Überwachungspolitik stoppen kann. Das kann man nicht falsch verstehen. Die Tat erinnert eher an autoritäre Polizeistaaten als an einen Rechtsstaat wie Großbritannien. Chef-Redakteur Rusbridger liegt richtig mit seiner Schlussfolgerung: Die Bedrohung des unabhängigen Journalismus ist real und sie wächst. Die Reaktion der britischen Regierung zeigt, wie wichtig Snowdens Enthüllungen waren"

Politika [1] aus Belgrad:

"Die britischen Journalisten haben mit ihren Veröffentlichungen die Pressefreiheit verteidigt, auf die der Westen bis jetzt so stolz war. Die USA und Grossbritannien untergraben mit solchem Terror gegen die Pressefreiheit die Grundlagen der Demokratie. Begreifen diese Staaten nicht, dass sie nicht von Journalisten, sondern von ihren eigenen Geheimdiensten bedroht sind? Die Journalisten in weniger demokratischen Staaten befürchten, dass auch ihre Regierungen auf die Idee kommen könnten, Zensur zu betreiben und sich ab sofort auf die Praxis in Grossbritannien und in anderen westlichen Demokratien zu berufen"

Die Prawda aus Moskau:

"Die Redaktion der Zeitung hatte die Wahl: das Material abzudrucken, es zu vernichten oder gegen die Regierung vor Gericht zu ziehen. Bei der letzten Variante hätte es die Möglichkeit gegeben, dass die Richter erfahren, was die Dokumente beinhalten. Im Laufe des Prozesses hätte der ’Guardian’ allerdings mit Strafsanktionen konfrontiert werden können. Deshalb war es einfacher und billiger, alles vor den Augen der Agenten von Sicherheitsdiensten zu vernichten. Und das ist in der Tat einer der merkwürdigsten Augenblicke in der gesamten Geschichte des ’Guardian’"

Die Neue Züricher Zeitung

"Was soll schon die Zerstörung einer Festplatte für einen Nutzen bringen, die zuvor beliebig hatte kopiert werden können, von der simplen Datenübertragung des Inhalts auf einen für die Regierung unerreichbaren Server irgendwo auf einem anderen Kontinent ganz zu schweigen? Der Chefredaktor des ’Guardian’ hat denn auch schon erklärt, dass man weitere Recherchen zur Abhöraffäre problemlos in die USA verlagern könnte"

 Beim Guardian in London selber:

"Ihr hattet Euren Spaß, jetzt wollen wir das Material zurück. Mit diesen Worten leitete die britische Regierung die wohl bizarste Zensur im Internet-Zeitalter ein. In den Redaktionsräumen des GUARDIAN sah der Geheimdienst bei der Zerstörung der Informationen so zufrieden zu, wie wohl früher die spanischen Inquisitöre bei Bücherverbrennungen. Sie waren unbeeindruckt von der Tatsache, dass Snowdens Kopien bereits um die ganze Welt geschickt wurden. Sie wollten ihre symbolische Ketzerverbrennung. Hätte sich der GUARDIAN diesem Ritual widersetzt, hätte der Geheimdienst nach den Dateien gesucht und sie im Auftrag der britischen Regierung vernichtet"

Es gelten die Regeln des Urheberrechts all rights reserved

Hören wir dazu auch den oben bereits erwähnten "Editor", Alan Rusbridger - " I was happy do destroy it ..." selber mit seiner Antwort - ab 02:40 - auf die Frage: "Why did you take the decision to destroy the files you had in your posession?" [2]

www.theguardian.com/world/video/2013/aug/20/alan-rusbridger-miranda-snowden-nsa-gchq-video

Und schauen wir uns diesen Tweet an:

Ist nach all dem hier Geschriebenen und Gesagten noch etwas hinzuzufügen? Vielleicht noch das:

Es wird offensichtlich, wie wenig die besonderen englischen "Spiel-" und Verhaltens-Regeln und Kodes "on the continent" bekannt sind, bzw. Eingang in die hier vorgetragenen Überlegungen und Meinungen gefunden haben.

Wurde doch das wichtigste Ziel des Herausgebers und der Redaktion(en) erreicht: auch weiterhin über das Thema schreiben zu können. Was auch, mehr oder weniger kleinlaut, inzwischen als unveräusserliches Recht von Seiten der Politik erneut hat zugestanden wrden müssen [3].

Hier hat eine Zeitungscrew gezeigt, dass sie längst in der digitalen Welt angekommen und in dieser auch handlungsfähig ist, während die Politik und "ihre" Geheimdienste gedanklich immer noch in den Symbolebenen der analogen Welt gefangen sind [4].

PS.

Bis zum Ende der Woche sind eine Reihe weiterer Reaktionen auch im Broadcast-Sektor zu verzeichnen. Hier als pars pro toto einige am Freitag, den 23. August, neu publizierte Aussagen:
 der Kommentar von Sissi Pitzer auf BR.de>Themen>Ratgeber>Digitales Leben>Schikane gegen Guardian
 der satirische Wochenrückblick von Klaus Pokatzky in der Sendung Corso, Kultur nach 3, im Deutschlandfunk unter dem Titel "Is was?!"

Es gelten die Regeln des Urheberrechts all rights reserved

 das Interview von Frau Ulrike Timm mit Erich Schmidt Ehnbohm auf Deutschlandradio Kultur das unter dem Titel angekündigt ist: "Kopflose Aktion" - Über das Zertrümmern von Festplatten bei The Guardian

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Anmerkungen

[1Der Link: http://www.politika.co.yu/ war bei der Erstellung dieses Textes nicht aktiv.

[2Zu den ersten Antworten, David Miranda betreffend, siehe auch: www.theguardian.com/media/2013/aug/20/guardian-editor-alan-rusbridger-nsa?CMP=twt_gu.

[3... wohlwissend, dass dieses nicht das erste Mal ist, dass von Seiten der Regierung bei unmissliebigen Stellungnahmen eingegriffen wurde - die BBC kann wahrlich ein Lied davon singen...

[4... dass es gelungen ist, mit den Herren vom Dienst in den Keller abzutauchen, anstatt sie in die Redaktionsräume zu lassen, ist von gar nicht zu überschätzende Symbolkraft (die auch von den jungen Leuten verstanden werden könnte ;-)

from: "Revenge_of_the_Fallen_Terrarians"
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