Berlinale: Kloock über Kino ohne Filme

VON Dr. Wolf SiegertZUM Montag Letzte Bearbeitung: 20. Februar 2013 um 18 Uhr 53 Minuten

 

Mit dem Start der Berlinale erschien in der Ausgabe der Frankfurter Rundschau vom 7. Februar 2013 ein Artikel der geschätzten Kollegin Daniela Klook, die schon 2007 mit dem Buch:

Zukunft Kino
The End of the Reel World

aus dem Schüren-Verlag auf sich - und die Bedeutung von einem Kino ohne materialisierte Filme - aufmerksam gemacht hatte.

Ihr gelingt es jetzt, einen Einblick in die neue Maschinenwelt der digitalen Filmdistribution zu geben, die für die Anlieferung und Abwicklung des Materials nach und in Berlin notwendig geworden ist.

Dabei werden wir uns erlauben - hoffentlich mit der Einwilligung der Autorin - ihren online vorliegenden Bericht auch an dieser Stelle nochmals vorzustellen. Es gibt derzeit nichts Besseres, was auch für Nicht-Fachleute deutlich macht, worum es da eigentlich geht:

BERLINALE DIGITAL
Filmvorführer? Das kann doch heute jeder!
Von Daniela Kloock

Filme zu zeigen scheint eigentlich ganz einfach, aber die technologische Logistik im Vorfeld der Filmprojektion ist heute bei der Berlinale komplizierter denn je.

Etwa 400 Filme umfasst das diesjährige offizielle Berlinale-Programm, dazu kommen 700 Titel innerhalb des Europäischen Filmmarkts. Wie diese riesige Anzahl an Filmen im Vorfeld betreut und innerhalb der 2500 Vorführungen koordiniert wird – das ist eine technisch-logistische Meisterleistung.

Um die organisatorischen Herausforderungen eines so großen Festivals zu stemmen, muss sich ein fester Mitarbeiterstab der Berlinale-Filmverwaltung das ganze Jahr über technisch auf den neuesten Stand bringen. Die Umstellung vom Zelluloid auf die Digitaltechnik hat die Festivals in den vergangenen Jahren grundlegend verändert.

Noch vor zehn Jahren liefen die Filme vom Band oder der 35-mm-Rolle. Man verließ sich aufs Manuelle und einen Kastenwagen zur Beförderung des Filmmaterials. In diesem Jahr sind bereits 60 Prozent der gezeigten Berlinale-Filme sogenannte DCPs (Digital Cinema Packages), erklärt André Stever vom Filmbüro auf Nachfrage. Neben den gewohnten Abläufen innerhalb der 35-mm-Schiene, die vor allem bei den Retrospektiven zum Einsatz kommt, erfordert das digitale Kino völlig andere Kontroll- und Vorbereitungsprozesse. Denn fast 30 Prozent der eingereichten DCPs sind fehlerhaft!

Dann muss das technische Team häufig innerhalb kürzester Zeit Formatierungsprobleme lösen, Fehler in den Dateien beheben, Festplatten reparieren oder zuweilen handfeste mechanische Probleme beheben. Obwohl die Berlinale Standards einfordert, kommt es durchaus vor, dass falsche Gehäuse geliefert werden oder Netzteile nicht passen.

Neben 35mm und DCP kommt Video als drittes Format hinzu. Hier reicht das Spektrum der eingereichten Film-Trägermedien von HDCAM-Bändern über die Mini-DV-Kassette bis hin zur Blue-Ray. Auch diese Beiträge landen, nachdem sie kontrolliert wurden, verschlüsselt auf den Berlinale-eigenen Servern.

Eine Festplatte pro Kinosaal

Die festivaleigene Technik hat zwar ihren Preis, aber sie hat sich bewährt, erklärt Ove Sander, der für die digitale Logistik des Festivals verantwortlich ist. Wichtig sind einheitliche Systeme und riesige Speicher, die die Berlinale komplett nutzen kann, um die Abläufe sicherer und schneller zu machen. Da in manchen Berlinale-Kinos täglich fünfmal Programmwechsel stattfinden, deren Server vom Speicherplatz her aber nicht ausreichen, wird für jeden Kinosaal – ein bis zwei Tage bevor das Programm läuft – eine eigene Festplatte zusammengestellt.

Tag und Nacht wird dann in zwei Schichten gearbeitet. 100 Gigabyte braucht allein ein Film, zeitlich nimmt das 20 Minuten in Anspruch, wenn es gut läuft. Doch die Zukunft liegt nicht bei den Festplatten. Kürzlich wurde der Sponsoring-Vertrag mit dem britischen Netzbetreiber COLT Technology bis 2015 verlängert. In Zusammenarbeit mit diesem Giganten der IT-Dienstleister sind bereits zwanzig Berlinale-Säle per Glasfaser mit dem zentralen Filmverwaltungsserver verbunden. Jüngster Coup: Das Cubix am Alexanderplatz wurde extra für die Berlinale mit Glasfasernetzen versorgt. Das ist das digitale Kino eben auch: ein Riesengeschäft!

Ein weiteres Spielfeld innerhalb des digitalen Festivalbetriebs sind Verschlüsselungssysteme. Denn jeder einzelne Film hat im Digitalen seinen sogenannten KDM, eine „Key Delivery Message“. Nur mit Hilfe dieses Schlüssels kann der Film zu bestimmter Zeit in einem bestimmten Vorführsaal freigeschaltet werden. Insgesamt werden während des Festivals mehr als 100 000 Schlüssel verwaltet.

Für die Filmvorführer soll sich die Arbeit vereinfacht haben. Ove Sander zufolge könnte jeder nach einer kurzen Einführung den Job machen, da die technischen Standardisierungen bei der digitalen Projektion das Leben der Vorführer vereinfacht hätten. Und sollte es doch einmal haken, gibt es das Notruftelefon. Die meisten Probleme können von der Schaltzentrale am Potsdamer Platz gelöst werden. Von dort kann ganz Orwell-mäßig auf die einzelnen Systeme zugegriffen werden. Tritt wirklich einmal so etwas wie ein Super-Gau ein, stehen Techniker des Fraunhofer-Instituts bereit.


Am Mittwochabend, den 13. Februar 2013, um 18:24 Uhr wurde von der Pressestelle der 63. Internationalen Filmfestspiele Berlin eine - erste - Meldung versandt, die die "fortschreitenden[n] Digitalisierung der Filmbranche" zum Thema hatte: Danach werden nur nur 8% aller Filme im 35mm-Format vorgeführt. Das bedeutet, dass in diesem Jahr über zweitausend "Filme" in den über 50 Kinosäälen des Festivals und dem European Film Market nur noch digital vorgeführt wurden.

"Um eine konsistente technische Infrastruktur während des Festivalbetriebs zu gewährleisten und Kompatibilitätsprobleme zu vermeiden, sind zahlreiche Umbauten in den Berlinale-Spielstätten notwendig. Der Bedarf an digitalen Projektoren, leistungsfähigen Serversystemen und schnellen Datenleitungen ist in den letzten Jahren enorm gestiegen.

Diese Herausforderungen wären ohne die Unterstützung und Expertise zahlreicher Partnerunternehmen kaum zu meistern. Mit Barco, Kinoton, Doremi, DVS, Dolby, Colt und ARRI unterstützen dieses Jahr gleich sieben Unternehmen die Berlinale als offizielle Partner bzw. Supplier im Bereich Digital Cinema.

Barco unterstützt die Berlinale bereits seit zehn Jahren bei der technischen Ausstattung. In diesem Jahr stellt Barco gemeinsam mit Kinoton dem Festival in 19 Kinosälen hochwertige D-Cinema Projektionslösungen zur Verfügung und bietet Rundum-Service für sämtliche Spielstätten. So sorgen unter anderem im Berlinale Palast, im Friedrichstadt-Palast, im Haus der Berliner Festspiele, im CinemaxX und im Martin-Gropius-Bau die D-Cinema-Projektionslösungen und der umfassende Service und Support von Barco und Kinoton für makelloses digitales Kino. Dabei kommt erstmals auch der DP2K-10Sx Projektor zum Einsatz, der von Barco speziell für kleinere Kinos konzipiert wurde. So wird z.B. das Kino Tilsiter Lichtspiele im Rahmen der Initiative „Berlinale Goes Kiez“ mit einem solchen Projektor ausgestattet.

Die Digital Cinema Server des amerikanischen Herstellers Doremi sind weit verbreitet. Um eine einheitliche Serverinfrastruktur während der Berlinale zu gewährleisten, stellt Doremi 20 ihrer IMB ShowVault Server für einen reibungslosen Ablauf zur Verfügung.

Das deutsche Unternehmen DVS liefert insgesamt drei ihrer DI-Workstations CLIPSTER® zur Validierung und Vereinheitlichung der eingegangenen Digitalfiles. Außerdem stellt DVS mit seiner Speicherlösung SpycerBox Flex ein leistungsstarkes 30 TB Storage System zur Verfügung.

Die Hardware von Doremi und DVS ist mit 20 Gigabit pro Sekunde an das Leitungsnetz von Colt angeschlossen. Insgesamt stellt die Firma Colt 32 Gigabit Bandbreite für die Übertragung von Berlinale Filmen vom Film Office in die verschiedenen Spielstätten zur Verfügung. Das Netz wurde über die letzten Jahre kontinuierlich ausgebaut. Inzwischen sind rund 40 Kinosäle über Colt Glasfasern mit dem Film Office verbunden.

Auch das Traditionsunternehmen Dolby feiert mit der Berlinale bereits das 10-jährige Jubiläum der Partnerschaft. Dolby unterstützt das Festival mit seinen innovativen, zukunftsweisenden Audiotechnologien und Dolby 3D-Lösungen.

ARRI unterstützt mit seiner langjährigen Expertise im Bereich Digital Cinema das Festival u.a. bei der Erstellung von KDMs für die unterschiedlichen Spielstätten der Berlinale. In diesem Jahr wurden so über 140.000 Schlüssel durch das festivaleigene Key-Management verwaltet und über das Colt-Netzwerk auf die D-Cinema-Server aufgespielt."


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