ZERO
Zwei Tag im Sofitel-Hotel in München. Das wohl mal Bayerpost hiess und an der Bayerstrasse liegt, gleich neben dem Bahnhof.
Das ist gut so, wenn man mit dem Zug kommt. Und war jetzt noch besser so, weil man die eingeschneite Stadt am nächsten Abend mit dem Zug noch wieder verlassen konnte, nachdem die Flughafenverwaltung München alle Starts und Landungen hatte absagen müssen.
Dort angekommen, wird gleich vor der Tür angefragt, ob man beim Gepäck behilflich sein könne. Jeder im Hause spricht Dich mit einem „Bonjour, …“ auf den Lippen an. Allein, wenn dann der so Angesprochene auf Französisch antwortet, ist es schnell vorbei mit der Weltläufigkeit.
ONE
Dieses kleine Erlebnis – und das sei hier ohne Häme geschildert – ist exemplarisch für das, was sich in diesen zwei Tagen in den hinteren Räumen des Hotels auf der „Preview“ zur CeBIT-Messe 2013 abgespielt hat. Alle, die da deutsch reden, bedienen sich zwar in fast jedem ihrer Sätze englischer Begriffe, denken aber deutsch.
Nach „Cloud Computing“ und „Managing Trust“ ist das Motto der in einem guten Monat bevorstehenden Veranstaltung „Shareconomy“. Und es gibt kaum einen der angetretenen Referenten und Redner [1], der nicht betonen würde, wie passend dieses Thema für diese Zeit sei, ja, dass es ihrem Unternehmen und ihren Unternehmungen geradezu auf den Leib geschrieben sei.
Das macht ver-wunderlich: Es ist ein grosser Erfolg für die Messeleute, die ja nicht nur Organisator, sondern – in Kooperation mit dem BITKOM – auch Ausrichter der CeBIT sind – und nicht nur „host“, wie es die Messe in Berlin vorgibt zu sein, wenn sie – im Auftrag der GFU – die Internationale Funkausstellung, IFA, ausrichtet.
Damit machen nicht nur Märkte eine Messe, sondern die Messe macht sich die Mühe und geht das Risiko ein, die Märkte von Morgen mit jeweils einem solchen "Leitmotiv" zu skizzieren.
Das ist gut so. Aber es wird, im Guten wie im Strittigen, zu einem Konflikt zwischen den nationalen Interessen der Verbände und Vereinigungen in Deutschland und den internationalen Entwicklungen führen.
Denn all diese Momente dessen, was neudeutsch „Collaborative Consumtion“ genannt wird, ist – überspitzt gesagt – nichts anderes als der Versuch, das Momentum der Rote-Punkt-Mitfahrer-Gemeinde vom Kopf auf die Füsse zu stellen. Und damit auch ökonomisch zu bewehren.
TWO
Jetzt, nachdem unsere Gesellschaft durch die IT und die Digitalisierung grundlegende Veränderungen erfahren hat, wird die Ressource Mensch in einem neuen Licht gesehen und als solche wieder mehr und mehr in den Vordergrund gestellt.
"Die Kommunikation..." - so schreibt der Veranstalter auf seiner Webseite zum Thema: Shareconomy - das neuen Wirtschaften? - Die Kommunikation wird sich ändern. Die Art und Weise, wie Entscheidungen getroffen werden; die Rolle des Managements dabei ebenso wie die Ansprüche der Mitarbeiter an Ihre künftigen Arbeitgeber. „Der Trend vom Besitzen gehe immer stärker zum Nutzen oder vom Kaufen zum Leihen“, so Frank Pörschmann, CeBIT-Vorstand der Deutschen Messe AG.
Dazu hagelt es an diesen beiden Preview-Tagen nur so von Beispielen der Partizipation, in denen selbst das Privateste zum Gegenstand der ökonomischen und sozialen Wohlfahrt gemacht wird.
THREE
Ein Modell, das nicht bei den Fahrrädern stehen bleibt, die jetzt bei der fiktiven Fahrradverleihfirma "Contoso" auch mit Microsoft-Tools verwaltet werden sollen [2], sondern erstreckt sich bis zu den wichtigsten und privatesten Heiligtümern der Deutschen: das Auto und die eigene Wohnung.
Der zeitweise Abschied von den Statussymbolen wird mit der kleinen Börse der wirtschaftlichen Kompensation belohnt. Selbst die Frage, wozu der Besitz noch etwas wert sei, wird ernsthaft gestellt. [3]
Auftrieb für solches Streben gibt es durch den Umstand, dass diese Thesen von einer gelebten Teilhabe nicht nur von den Jungen und Singles vorgetragen und vorgelebt werden, sondern dass etwa bei den Wohnungsvermittlungs- und Übernachtungsbörsen das Durchschnittsalter von Nutzern wie Anbietern weit über 30 ist – und dass diese Angebote auch – und vor allem – von jungen Familien genutzt werden.
In 15 Jahren, so die These eines anderen Sprechers, müssten die Unternehmen so zusammenarbeiten, wie es heute schon diese Nutzergruppen tun würden. Und: Die IT-Dienstleister der Zukunft würden sich schon heute darauf vorbereiten (müssen), mit ihren neuen Technologien diese Art der „Sharing-Economy“ zu unterstützen.
Wenn wir wirklich diese „Intelligent Society“ erreichen und in und mit ihr eine neue Zukunft erleben wollten, dass müssten wir mit unserem Denken weniger „Blech“ produzieren als bisher. [4]
Treffender als in dieser zweideutigen Eindeutigkeit kann man es eigentlich kaum noch sagen.
Die Schwerpunkte der ECM-Unternehmen, so der Branchenverbandssprecher des BITKOM – der darauf hinweist, dass 88% aller Mitglieder von stabilen oder wachsenden Umsätzen ausgingen und 67% in 2013 die Zahl ihrer Arbeitnehmer aufstocken wollten – die Schwerpunkte dieser Unternehmen lägen auf folgenden vier Themen:
• Cloud
• Apps
• Standardisierung von Branchenlösungen
• Dienste für Privatpersonen.
Eines der Mitglieder in dieser Business-Community, die Firma ATOS, entfaltet bei dieser Gelegenheit die These, dass gut 50% aller Mails „sinnlos“ seien und deshalb die gesamte Binnenkommunikation auf die neue Basis einer Mind-Sharing-Plattform gestellt werden solle - Stichwort: Zero Email.
Und so weiter und so fort...
FOUR
Die CeBIT, also keine Hardware-Show mehr, sondern eine Software-Show (wie geht das eigentlich?), die Lösungen zeigen will und Dienstleistungen, mit denen man auf diesen veränderten Märkten hofft überleben zu können.
Das wir ein hartes Brot. Denn die CeBIT spielt in Hannover. Und diese Stadt in Niedersachsen liegt in Deutschland. Und die Bundesrepublik in Europa. Und auf Europa setzt keiner der grossen Playern mehr einen Heller.
Wie bitte? Nein, wir wissen alle, dass dieser Satz so nicht stimmt.
Aber soeben zurück von der CES fällt doch auf, wie sehr sich die grossen internationalen Gesellschaften dort darum bemühen, mit den US-Amerikanern auf Augenhöhe zu sein.
Der Panasonic-Chef zeigte auf grosser öffentlicher Bühne in der Keynote seinen Mustang, mit dem er in seiner Studienzeit durch Kalifornien gekurvt sei. Und der Samsung-Chef hatte sich erlaubt, einen ehemaligen Präsidenten der Vereinigten Staaten mit Namen Clinton als Gastredner in seine Keynote zu holen… diese Firmen wissen, wie sie sich auf Augenhöhe mit diesem Partner bringen müssen, um dort Fuss zu fassen.
Deutschland als Bezugspunkt für solche Art der Identifikations-Strategien ist weit davon entfernt, es mit den USA an diesem Punkt aufnehmen zu können. Hier ist nicht Vielsprachigkeit Trumpf, nicht das produktive Miteinander alter ineinander verschwisterter und verfeindeter Kulturen, sondern das (sorry folks) Nachäffen einer Weltsprache und der aus dieser abgeleiteten Termini, mit denen man glaubt sich profilieren zu können, „inhouse“ wie international.
FIVE
Was sich weit unter der Oberfläche einer solchen Preview abspielt, ist etwas gänzlich Anderes, als was das offizielle Konzept uns weismachen will. Wir werden hier nicht auf eine – hoffentlich erfolgreiche – Messe eingestimmt, um deren Zukunft sich der neue Chef höchstpersönlich in seinen einleitenden Worten glaubt „keine Gedanken machen“ zu müssen.
Eben diese Gedankenlosigkeit wird sich bitter rächen. Drei Jahre noch, und dann wird die wohlgehegte und gepflegte Kompetenz und der Ehrgeiz, mit eigenen Messe-Motti die Zukunft in den Griff zu bekommen, sich in ihre Einzelteile zerlegt haben.
Flächenverkauf, Anzahl der Aussteller und Teilnehmer, Umsatzzahlen, … viele der altbewährten und im internationalen Wettbewerb notwendigen Indikatoren für Erfolg oder Misserfolg werden nicht mehr darüber hinwegtäuschen können, dass das Modell der Teilhabe keine ausreichende tragfähige Basis ist für den Erfolg einer Messe.
Also soll auch diese in Zukunft auf der Basis eines in diesem Jahr erstmals erprobten innovativen Crowdsourcing-Modells runderneuter werden, mit Hilfe dieser Seite: https://innovation.cebit.de/home und der Firma buecher.de GmbH & Co. KG aus Augsburg als erstem Pilotpartner [5] [6]
Aber Achtung. Die Textzeile des famosen Songs: „First we take Manhattan, then we take Berlin“ [7] wird an dieser deutschen Haupt-Stadt nicht sein finales Ende gefunden haben. Hannover, auch heute noch die Haupt-Stadt der grössten Computer-Show der Welt, wird sich in Grösse und Bedeutung nicht mehr jenen Strömungen erwehren können, die sich dem Thema einer "Shared Economy" in einem ganz anderen als dem hier gepriesenen Modell verschrieben haben.
Oder glaubt wirklich jemand, dass der jetzt in der VR China in Betrieb gesetzte Hochgeschwindigkeitszug zwischen Peking und Kanton ohne die Blaupausen von Alstom bis Siemens hätte verwirklicht werden können? [8]
Oder glaubt wirklich jemand, dass ein Kapspersky Lab – in dem Vortrag wurde von mehr als zweitausend neuen Bedrohungen pro Tag gesprochen - trotz ihrer als sensationell empfundenen Meldung von Spionagesoftwarefunden auf seit Jahren eingeschleusten Firmenrechnern in Osteuropa und Russland, es sich wirklich erlauben würde zu vermelden, wo und auf welchen Rechnern in Zukunft der Bundestrojaner zum Einsatz kommen wird?
SIX
Der spannendste Vortrag dieser zwei Tage war einer der letzten. Er kam – wie schon bei der überzeugenden Darstellung von Strato – nicht von einem Marketingmann, sondern von jemandem, der das Unternehmen von der Sache her und von innen heraus kennt: Thomas Ulemann von ESET in Germany.
Er macht ebenso überzeugend wie unprätentiös deutlich, wie das Sharingmodell aus der Sicht der Malware-Hersteller, -Vertreiber und Anwender genutzt - und damit der Nutzer ausgenutzt - wird.
Vor allem und bis zum Exzess: sein Vertrauen!
Wenn es einen Vortrag gegeben hätte, der neben der Eingangspressekonferenz hätte ins Netz gestellt werden sollen, dann dieser. Denn die hier vorgestellten Beispiele sprechen für sich selbst.
Als das Non-Plus-Ultra seien hier zu „guter“ Letzt jene Malware-Programme genannt, deren Aufgabe es ist, zunächst einmal den - ohne Kenntnis des Nutzers – gekaperten Rechner nicht etwa zu zerstören, sondern von anderen dort gegebenenfalls schon eingenisteten Kuckuckseiern zu befreien: Oberstes Gebot solcher ultimativen Software sei es, zunächst einmal die Schadprogramme anderer Malwareprogrammierer zu beseitigen – um sodann die alleinige Hoheit über den so befallenen Rechner zu erhalten.
Es geht um die Herausführung des "users", um die nicht einmal mehr von ihm selbst verschuldete Unfähigkeit noch erkennen zu können, was sich da auf seinen Systemen tut. Ihm wird schon lange nicht einmal mehr mitgeteilt, er wird nicht einmal mehr gewahr, dass sich die Unterwelt schon längst die Resourcen seines Rechners „geshared“ hat. Er ist längst der Geschädigte, bevor er überhaupt etwas von dem Schaden merkt, der über sein System als Schnittstelle angerichtet wird - sei es bei ihm selbst oder bei anderen.
Es geht schon lange nicht mehr um Schuld und Sühne, um die Illusion, überhaupt noch selbständig den Vorteil der gewollten Partizipation anbieten und/oder nutzen zu können.
Aus Share’n Care ist Do Care, Don’t Share geworden. Und die Idee zur Rettung der westlichen Werte einer auf Vertrauen aufbauenden Zivilisation beginnt sich als eine Chimäre zu verpuppen.
Alle dieses gut Gemeinte und gut Gewollte beginnt sich schon heute in das Gegenteil dessen zu entwickeln, für das es zur Blüte gebracht werden soll.
Die ebenso verlockenden und scheinbar augenfälligen Illusion, mit der Idee des Teilens die Ökonomie von Morgen ausgestalten zu können: ein Teil von jener Welt, die stets das Gute will und doch das Böse schafft?
SEVEN
Don Tapscott und Antony D. Williams zitieren in ihrem Buch "WIKINOMICS. How Mass Collaboration Changes Everything" Portfolio, 2006, Seite 113, Alf Bingham mit dem Satz: "It requires a lot of trust to believe that you can accomplish your goals by relaying on freelance scientists to come up with solutions."
Auf der CeBIT-Preview wurde in der ESET-Pressemappe folgender Text verlegt: "Im Internet hat niemand etwas zu verschenken. Sein Sie daher auf der Hut, wenn Sie sich kostenlose Apps herunterladen."