Für heute ab 10:10 Uhr wird im Deutschlandradio unter dem Titel "Kontrovers - politisches Streitgespräch mit Hörern und Studiogästen" eine von Dirk Müller moderierte Diskussionsrunde zum folgenden Thema stattfinden:
Wann entscheidet die Politik?
Der Streit über das Urheberrecht im Internet
Laut der DLF-Vorschau sind zu dieser Sendung die folgenden Studiogäste eingeladen:
– Lars Klingbeil
– Stefan Niggemeier
– Stephan Thomae
– Marc Olejak
Auch die Beteiligung von Hörern wird erwünscht.
Daher aus diesem Anlass der folgende Text:
Mein z(uk)ünftiges Urheberrecht:
Prolog, Prolegomena, Positionen
I. Der Prolog:
In Erwägung…
… dass nichtmaterielle Werte auch dann einen Wert haben, wenn sie nicht mehr an einen materiellen Träger gebunden sind
… dass sich der Wert eines Rechtes erst im Verlauf seiner Anwendung erweist
… dass die Werthaltigkeit einer Leistung nicht allein durch ihren ökonomischen Marktwert zur Geltung gebracht wird
… dass Nießnutz und Missbrauch an einem Recht die zwei Seiten der gleichen Medaille sind, deren Verwendung ihren Gebrauch - als Mittel des Verbrauchs - voraussetzt
… dass der geldwerte Vorteil einer Nutzung die Zahlungsbereitschaft des Nutzers nicht als eine der Leistung inhärenten Qualität vorausgesetzt werden kann
In Erwägung … dieser und weiterer Veränderungen, die als Folge des technologischen Wandels – vor allem aber der Verwandlung des „Analogen“ in das „Digitale“ – die Zukunft unseres Lebens und unserer Arbeit schon heute nachhaltig beeinflussen, prägen, determinieren - in Erwägung all dieser subjektiv oft sehr unterschiedlich wahrgenommenen Veränderungen ist es an der Zeit, die für die Zeit des „Analogen“ geltenden Maßstäbe, Richtlinien und Werte auf den Prüfstand zu stellen. Und sich selbst, seine private wie seine berufliche Umgebung gleich dazu. Um zu prüfen, wie dieser neue Umgang aussieht und welche Folgen er zeitigt: hic et nunc, also sofort und unmittelbar spürbar, erlebbar, nachvollziehbar, aber in futura, bis hin zur Vorwegnahme einer noch nicht erlebbaren Zukunft.
II. Prolegomena
Wir Journalisten stellen mit unserer Arbeit „etwas“ dar, was es ohne unsere Arbeit so nicht gegeben hätte. Ein neuer Text, ein neues (Bewegt-)Bild, ein neuer Ton.
In dem Moment, wenn uns dieses Werk abgekauft wird – egal ob Stück für Stück oder en masse im Rahmen eines Anstellungsvertrages – wird es der weiteren Verwertung und Distribution durch Dritte anheim gestellt. Im Gegensatz zur „guten alten Zeit“ geht der Trend immer mehr dahin, dass dieser Rechteverkauf als sogenannter Buy-Out-Deal nur noch einmal und für alle Zeiten und für alle Nutzungsarten getätigt wird.
Im Gegensatz dazu zeichnet sich eine Tendenz ab, die besagt, dass es sehr viel sinnvoller sein könne, sich als Urheber eines neuen Textes, (Bewegt-)Bildes oder Tons direkt an den Nutzer zu wenden und ihm dieses Werk zur freien und / oder kostenpflichtigen Nutzung zur Verfügung zu stellen (Im Rahmen dieser Nutzungsalternativen gibt es noch ein Reihe von Zwischen- oder Zwitter-Modellen: von „all you can read“ zum Festpreis bis hin zur freiwilligen Zahlung, je nach Gusto).
Die Vervielfachung der „Freien“ in traditionellen Journalisten-Verbänden, aber auch die Neugründungen von Freien-Verbänden, sie sind einer solchen Entwicklung und ihren neuen Möglichkeiten geschuldet, sie sind aber zugleich auch Ausdruck einer immer schwächeren Bindungsqualität zwischen den Urhebern auf der einen und den Verwertern / Vetrieblern / Vermarktern auf der anderen Seite.
Damit wird nicht nur die Vertretung eines sich mehr und mehr ausdifferenzierenden wie auch individualisierenden Berufsstandes immer schwieriger, der Beruf selbst wird immer prekärer. Die einst fast symbiotische Beziehung von Produzent und Reproduktion war auch in der „guten alten Zeit“ alles andere als frei von Ausbeutung.
Heute aber ist die Selbstausbeutung die erste Produzentenpflicht, bevor überhaupt über eine erfolgreiche Ausbeute der entwickelten Gewerke gesprochen werden kann.
Unter diesen Verhältnissen zerschlägt die unverhältnismäßige neue Freiheit der Nutzung der neuen wie der alten Gewerke auch die restlichen noch übernommenen Bezüge und Begründungen einer erfolgreichen Wertschöpfung. Nicht nur, dass heute ein Jeder sein eigener Produzent und Distributor werden kann, sie oder er kann damit sogar im Markt Erfolg haben. Ganz und gar ohne die dabei ausgelagerte Inanspruchnahme der oben benannten klassischen Makler- und Vermarkter-Funktionen.
Diese Gemengelage verschärft sich nochmals dadurch, dass heute unter Stichworten wie „soziale Netzwerke“ auch die Agenten der oben benannten Funktionen mehr und mehr dabei sind, sich in die ureigenste „Intimsphäre“ der Informanten und damit auch in das klassische Informationsreservat eines Journalisten einzumischen: Sei es, dass sie nicht länger nur Preisausschreiben für ihre Nutzerkollektive veranstalten, sondern diese mit ihren individuellen Sichtweisen und Fähigkeiten als wisdom of the crowd zu nutzen verstehen – sei es, dass sie die bisherigen Funktionsbeschreibungen und damit verbundenen Qualitätsnormen ihren zu Prosumern herangewachsenen Nutzern als neue Identifikationsangebote zur Verfügung stellen.
Summa summarum: Es wird eng für die professionellen Urheber. Ökonomisch gesehen. Es gibt immer mehr von ihresgleichen. Es gibt immer mehr, die sich dafür halten – oder auch dazu werden.
Es gibt immer mehr qualifizierten Nachwuchs. Und immer weniger „Königswege“, um das Neugeschaffene auch wirtschaftlich erfolgreich auf den Markt zu bringen.
Denn inzwischen gibt es immer wieder neue Opportunitäten für opportunistisches Konsumentenverhalten. „Geiz ist geil“. Was wir gerne übersehen: Dieser Spruch reklamiert, ja okkupiert das Interesse das Konsumenten mit nur einem einzigen gegenläufigen Ziel: die Steigerung des Absatzes – und damit möglichst auch des Umsatzes.
Geile Texte, (Bewegt-)Bilder und Töne gibt es heute schon zuhauf. Auf Knopfdruck und zum Nulltarif. Doch warum, bitte schön, tragen diese nicht zu einer Absatz- und letztendlich Umsatz-Steigerung bei denjenigen Journalisten bei, die sie als Urheber hergestellt haben?
III. Positionen
Wir, die sogenannten Urheber, wir wollen gutes Geld für gute Arbeit. Aber unsere Arbeitgeber sind keine Gutmenschen. Und unsere Nutzer auch nicht.
Wir arbeiten nicht als Journalisten, weil wir nichts Besseres gelernt haben, sondern wir machen uns die Arbeit, um die Welt – für die Leser, Nutzer und damit Nutznießer – begreifbar zu machen.
Nachrichten müssen nicht nur aufgespürt, sondern auch verständlich gemacht werden. Und verbleibt dann dennoch Unverständnis über den Inhalt der Nachricht, so gilt es diesen Prozess der Verständigung weiterzuführen, in Form eines Kommentars, einer Komikernummer, einer Meinungskompilation - oder was auch immer.
Boucler la boucle , wie das die Franzosen nennen: Informieren, Evozieren und Integrieren. Das Veröffentlichte werthaltig werden lassen, durch seinen Neuigkeitswert, durch seine Exklusivität, durch seine Interpretation, durch seine provokatorische Wirkung. Und manchmal auch nur durch seine repräsentative Wirkung von etwas, was "das Wahre und Gute" genannt werden kann. Eigentlich suchen wir Journalisten keine Arbeitgeber, sondern Menschen und Institutionen, die uns dazu ermächtigen, diese Ziele zu erreichen.
Gute Journalisten sind nicht nur Übermittler, sie sind Vermittler. Nicht nur Provider, sondern Propädeutiker. Nicht nur Personen, sondern Persönlichkeiten. Und damit haben sie in Zeiten, in denen die klassischen Verleger und Verlegerinnen aussterben, eine neue Chance.
Die Verwandlung, die den Konsumenten zum Prosumer gemacht hat, steht dem Journalisten noch bevor: Die Verwandlung des Text-, (Bewegt-)Bild- und Ton-Produzenten in einen trimedialen Tausendsassa ist nur die technologisch determinierte Vorahnung einer neuen Qualität von Mehrwertproduktion, die sich zur Zeit noch in status nascendi befindet.
Und der Kampf um ein neues Urheberrechtsverständnis scheitert nicht an den Raubkopierern und filesharing communities, sondern an der gewerbsmäßigen Unzucht eines alten Gewerbes, das sich in der digitalen Welt von seinen klassischen moralischen Fesseln hat befreien können.
Doch das, das ist noch nicht die Befreiung des Geistes von seinen Fesseln der Vergangenheit. Und doch sind diese Verstöße, so schmerzhaft und existenzgefährdend sie auch sein mögen, die heimlichen Vorboten einer neuen Zeit, die sich mit ihren neuen Möglichkeiten und Perspektiven noch in den Gewändern der alten verborgen hält.
Das ist starker Tobak zu behaupten, in den durch die Digitalisierung herbeigeführten Verschlechterungen etwas Gutes erkennen zu wollen. Gewiss. Aber es hilft nichts: Wer sich jenseits eines allgefälligen Gutmenschentums um neue Antworten bemüht, die die Kraft haben, in der Praxis Wirkung zu zeigen, wird nicht darum herumkommen, den aktuellen Phänomenen auf den Grund zu gehen: Auch wenn sie einen in der tagtäglichen Ausübung der eigenen Über-Lebens-Praxis eher nerven, denn nützen.
Damit wird von einer ganzen Branche abverlangt, zu was oft genug der oder die Einzelne noch nicht einmal persönlich in der Lage ist: die eigene Praxis und Lebensweise in dem größeren Umfeld ihrer Berufsgruppe zu sehen - dazu können auch Gewerkschaften und andere Interessensverbände ein gerüttelt Maß beitragen – und sodann diese Positionen als kampfbewährte Haltung auszubauen und zu propagieren. Wie viele Lamenti gibt es jeden Tag dahingehend zu hören, dass eine solche Art der Gruppeninteressenwahrnehmung und ihrer solidarischen Vertretung immer weniger möglich sei…
Dabei ist das erst der Beginn der Übung. Der Klassenkampf Zwo punkt Null geht nicht mehr nur gegen das Kapital, sondern gegen die Ausgeburten all jener Gespenster, die sich in den letzten Jahren in den neuen digitalen Nischen gütlich eingenistet haben. Die Unkultur der Gratiskultur zum Beispiel. Oder die Illusion von der sozialen Qualität der sogenannten sozialen Netzwerke. Es ist wahrscheinlich noch zu früh, diese Position in aller Ausführlichkeit entwickeln und auszubauen. [1]
Da aber auch die Journalisten „nur Menschen“ sind, sind sie Berichterstatter und zugleich Beteiligte des Prozesses. Sie sind immer weniger „Observer“ oder „Guardian“ und können es in vielen Fällen auch gar nicht mehr sein. Und dennoch. Und gerade deshalb. So wie Politiker im Deutschen Bundestag laut Status immer nur ihrem Gewissen verpflichtet sind – auch und gerade, wenn sie Partei ergreifen – so sind auch Journalisten nur der Wahrheit verpflichtet, wohl wissend, dass sie das „Wahre, Schöne und Gute“ als Maßstäbe ihrer Arbeit längst aus der Peilung verloren haben.
Sagen wir es so: Die Debatte um ein neues Urheberrecht wird erst dann mit einem übergreifenden Konsensus befriedet werden können, wenn es nicht mehr länger um den Verdacht der Zensur des Nutzerverhaltens geht, sondern darum, dass unter veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen das klassischen Freund-Feind-Denken durch eine neue dialektische Qualität abgelöst sein wird.
Solange wir noch Rundfunkgebühren bezahlen müssen, weil wir uns nach der Befreiung durch die Alliierten immer noch nicht aus den Nachwehen eines verlorenen Krieges haben befreien können,
solange wir mangels einer bewältigten Vergangenheit versuchen, dieses Denkmodell in Form einer „Kulturflatrate“ wieder fröhliche Auferstehung feiern zu lassen,
solange wir es technisch nicht verhindern können, dass den verwaisten Werken von einst neue Orphan Works an die Seite gestellt werden, die „dank“ technischer Machenschaften im Netz ihrer Urheberschaft „befreit“ wurden,
solange wir den Prozess der Digitalisierung immer noch mit der positiven Konnotation des Begriffes „Zukunft“ in Beziehung setzen, solange wir nicht den Mut haben zu fragen, wie die Zukunft nach der Digitalisierung eigentlich aussehen, welche Auswirkungen sie auf unser Leben und Arbeiten haben wird…
solange werden wir bei Fragen wie jener nach der Lösung des Urheberrechtes geneigt sein, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Und vergessen haben, dass Himmel und Erde nicht alles sind, was die Welt an Werten zu bieten hat.
Schluss jetzt: Der Worte sind genug gewechselt: In einem Text, der hiermit zur Diskussion und auch nach seiner Fertigstellung nicht zum Verkauf feilgeboten werden wird.
Wird er zitiert, bitte unter Nennung der Quelle und des Namens des Urhebers (sic!) :
„DaybyDay ISSN 1860-2967. Wolf Siegert. Publizist & Changineer.“ [2]
Nachtrag:
Obwohl dieses Thema noch auf der letzten Vorstandsrunde im DJV-Berlin Gegenstand der internen Diskussion war, gab es bis dato keine Information darüber, dass nun auch der Bundesverband hierzu eine Erklärung verabschieden würde.
Auch wenn es dafür in der Tat kaum einen besseren Anlass gegeben hätte als den für heute angesagten Welttag des Buches und des Urheberrechtes.
Dass dieses nun geschehen ist, wenige Stunden nach der oben erwähnten Sendung und dem hier vorgestellten Text, das ist ein Zufall der ganz besonderen Art, der allerdings an dieser Stelle nicht weiter auskommentiert werden wird.
Sattdessen hier der Link auf die Kurzfassung sowie die Langfassung der Erklärung des DJV-Bundesvorstandes vom 23. April 2012.
Preview:
Aus Anlass des Welttag des geistigen Eigentums wird es sicherlich eine weitere Diskussionsrunde geben.
Eingeladen hat dazu ab 14 Uhr bei freiem Eintritt in das Hôtel Concorde in der Augsburger Straße 41 in 10789 Berlin "alle, die es angeht und alle, die es interessiert" unter dem Titel: "Urheberrechtsdiskussion zwischen Kunst & Politik" die Deutsche Filmakademie. Im Veranstaltungskalender sind dazu noch keine weiteren Informationen vorhanden. [3]