Seit mehr als einem Jahrzehnt engagiert sich auch der Senat von Berlin um die Förderung der Medien-, Informations- und Kreativbranchen und spricht von einem der "größten Wirtschaftszweige[n]" der Stadt - und des Landes den es mit dem Projekt Zukunft zu unterstützen gilt.
Nicht erst seit heute hat sich nun eine weitere Gruppen von Menschen unter dem Label STIFTUNG ZUKUNFT BERLIN auf den Weg gemacht, um aus eigenen Stücken dem IKT-Bereich einen zweiten an die Seite zu stellen, der aus ihrer Sicht von vergleichbarer Bedeutung ist, den der Kultur.
Im der Einladung zur heute im Radialsystem durchgeführten Veranstaltung zur Präsentation neuer Thesen zum Thema "Kultur und Stadtentwicklung" heisst es u.a.:
"Für Berlin ist Kultur mehr als für andere Städte die zentrale Ressource städtischer Zukunftsentwicklung. Deshalb muss zukünftig Kulturpolitik als offensive, als für die Stadt insgesamt initiativreiche Politik organisiert werden. Kultur ist die Methode, um das Neue, das Innovative zur Triebkraft der Entwicklung der Stadt zu machen.
Kultur- und Stadtentwicklungspolitik – die weit mehr umfasst als den Bereich der Stadtplanung – müssen eine neue strategische Rolle für Berlin erhalten."
In der Sendung Fazit auf Deutschland Radio Kultur [1] wurde noch an diesem Abend nach einem Interview mit Peter Raue [2] ein erhellender Werkstattbericht als Interview mit Arno Orzessek ausgespielt:
Die Redaktion hat sich derweil die Mühe gemacht, dieses "Papier" wirklich zu lesen und wir halten es für Wert, dass es auch an dieser Stelle nochmals im vollen Wortlaut bekannt gemacht wird.
Kultur und Stadtentwicklung
Über die Kulturpolitik der letzten fünf Jahre ist Positives zu sagen. In schwierigen
Zeiten hat sie konsolidierend gewirkt, hat sie die Berliner Kultur vor finanziellen
Einbrüchen bewahrt.
Das aber reicht für die Zukunft nicht. Nötig ist, Kulturpolitik als offensive, als für die
Stadt insgesamt initiativreiche Politik zu organisieren. Für Berlin ist Kultur mehr als
für andere Städte die zentrale Ressource städtischer Zukunftsentwicklung. Kultur ist
die Methode, das Neue, das Innovative zur Triebkraft der Entwicklung der Stadt zu
machen. Wenn Berlin bleiben soll, was es ist, muss es sich verändern.
Dies zu leisten, muss zur großen Anstrengung der Kulturpolitik werden. Kulturpolitik
als Politik für die „Kultur der Stadt“: an dieser Herausforderung muss sich Kulturpolitik
messen lassen. Daraufhin muss sich Kulturpolitik mit ihren Inhalten und Zielen
leistungsfähig machen.
Kulturpolitik in Berlin muss zu einer offensiven Politik werden:
– offensiv in Hinblick auf die „Kultur der Stadt“, die Gesamtstrategie für die
Zukunft Berlins (1)
– offensiv auch in der „internen“, der auf Kunst und Kultur gerichteten Politik
(2)
– offensiv hinsichtlich der Mitwirkung von Bürgern, der Beteiligung der
Gesellschaft (3).
1.
Berlin hat noch sehr viel an Zugewinn nötig, um langfristig überleben zu können.
Es ist an der Zeit, das größte Potential, die Kultur der Stadt, zum Faktor der
Zukunftsentwicklung Berlins zu machen. Es geht um die Fähigkeit und um den
Anspruch des Kulturellen, Energiequelle und Ressource, auch richtungweisend zu
sein für die Zukunftsentwicklung Berlins. Berlin „leistet sich“ nicht die Kultur. Ohne
Kultur kann Berlin nichts leisten.
Dabei geht es ganz unmittelbar um die Stadt belebende Wirkung kultureller
Einrichtungen. Gerade in Berlin geht es umfassend um die „Kultur der Stadt“,
nicht nur um Kunst und Wissenschaft. Es geht auch um die Qualität der gebauten
Stadt und der innerstädtischen Umgebungen. Es geht auch um die Wahrung und
Entwicklung der städtischen Atmosphäre, ihrer Attraktivität für Kreativität und Kunst,
die Qualität der Stadt als Wohn- und Lebensort.
Umgekehrt ist auch Stadtentwicklungspolitik richtig verstanden ein bedeutender
Teil der Kulturpolitik. Hat sie nicht diesen kulturpolitischen Anspruch, so lässt sie beliebige, alle Beteiligten demotivierende städtische Entwicklungen zu, entsteht
„schlechte Stadt“.
Stadtentwicklungspolitik hat große Einflüsse auf die Stadtplanung, sie darf aber
nicht mit ihr gleichgesetzt werden, denn sie geht ihr voraus und bestimmt ihre
Aufgaben. Sie ist der Platz für stadtstrategische Arbeiten, die für alle politischen
Bereiche, von der Wirtschaft bis zur Sozialpolitik, zukünftige Spielräume zu finden
und zu definieren hat.
Die Stadtentwicklungspolitik Berlins muss sich von ihrer Beliebigkeit, ihrer
Unsicherheit befreien, indem sie sich auf die Grundressource „Kultur der Stadt“
bezieht und im Senat mit ihr gemeinsam organisiert wird, als eine gestaltende,
beeinflussende Kraft. Wir brauchen ein Senatsressort für „Kultur und
Stadtentwicklung“.
2.
Es geht um eine Kulturpolitik, die
– die Kraft hat, sich selbst hinsichtlich ihrer Strukturen und für neue
Entwicklungen auf den Prüfstand zu stellen,
– Offenheit für das Neue, die ständige Infragestellung bisheriger Konzepte
und Strukturen zu ihrem Charakteristikum macht,
– sich wie die Künste selbst inhaltlich weiterentwickelt,
– die Künste in ihrer eigenverantwortlichen Entwicklung ermutigt,
– permanent z.B. das Verhältnis zwischen Institutionen und freier Szene,
auch ihre internationale Rolle ebenso neu überprüft wie ihre
Aufgabenteilung gegenüber und gemeinsam mit der Bundeskulturpolitik,
– erneuernd und verändernd wirkt,
– sich selbst als permanenten Prozess begreift, nicht ausschließlich als
Bewahrerin des Bestehenden.
An der dann z.B. ein Projekt mit dem wegweisenden Potential eines Humboldt-
Forums nicht so spurlos wie bisher vorbeigehen kann. Es ist zurzeit eine der
wichtigsten Aufgaben Berliner Kulturpolitik, in Berlin und darüber hinaus zu
vermitteln, warum es sich lohnt, den Inhalt („Humboldt-Forum“) mehr als die Form
(„Schloss“) im Vordergrund zu sehen. Eine initiativlose Kulturpolitik verliert ihre
Bedeutung und droht angesichts immer knapperer öffentlicher Mittel marginalisiert
zu werden.
3.
Es geht um die Zukunftsentwicklung der Stadt gemeinsam mit den Bürgerinnen
und Bürgern. Wie in der Kulturpolitik so gehört auch in der Stadtentwicklungspolitik
die Mitverantwortung der Stadtgesellschaft zu den großen Zukunftsperspektiven. Der
Staat, „die öffentliche Hand“ ist auch in Zukunft unverzichtbar für die Entwicklung der Kultur. Gleichwohl benötigen wir stärkere Beteiligungsmöglichkeiten der Bürgerinnen
und Bürger.
Es fehlt eine Kultur des „Ernstgenommenfühlens“ von Bürgern in der Kulturpolitik.
Warum muss die Auswahl der Privaten im Stiftungsrat der Opernstiftung
beispielsweise durch den Senat erfolgen, wo sie dort ohnehin in der Minderheit sind?
Warum gibt es nicht ein regelmäßiges öffentliches Gespräch des Kultursenators mit
an der kulturellen Entwicklung der Stadt interessierten Bürgern? Warum bringt der
Senat Private nicht in einen produktiven Zugzwang, indem er ausdrücklich 50% einer
Finanzierung in Aussicht stellt, wenn Private die anderen 50% beisteuern (Beispiel
Kunsthalle)? Kulturpolitik muss private, bürgerschaftliche Energien – nicht nur, aber
auch – im Finanziellen aktivieren. Dies kann und sollte dann auch die öffentliche
Hand zu erhöhten finanziellen Anstrengungen herausfordern.
Berlin ist voller Energie, gerade bei kulturellen Akteuren. Manchmal reicht es sogar,
private Initiativen und Ideen, Anstöße und Projekte einfach zuzulassen. Politik muss
sich ihnen öffnen, sie bestenfalls unterstützen.
Ada und Christoph Bachmann, Stephan Balzer, Eckhardt Barthel, Leonie Baumann,
Arvid Boellert, Yvonne Borrmann, Klaus Brake, Wolfgang Brauer, Michael Braun,
Jürgen Bruns, Ludger Derenthal, Marion Döring, Ulrich Eckhardt, Manfred Eichel,
Ulrich Eickhoff, Peter Fissenewert, Thomas Flierl, Volker Hassemer, Dimitri
Hegemann, Nele Hertling, Susann und Manes Hillebrand, Ares Kalandides,
David S. Kastner, Enno Kaufhold, Urs Kohlbrenner, Uwe Lehmann-Brauns, Michael
Merschmeier, Catherine Mühlemann, Annette Pfnorr, Lutz von Pufendorf, Eva
Quistorp, Peter Raue, Conny Restle, Andreas Richter, Dieter Rosenkranz, Michael
Roßnagl, Jochen Sandig, Joachim Sartorius, Jürgen Schitthelm, Jürgen Schleicher,
Jan Schmitt-Tegge, Christel Schmitz-Wirsig, Bernhard Schneider, Julius H. Schoeps,
Gereon Sievernich, Gerhard Spangenberg, Willi Steul, Dieter Stolte, Alice Ströver,
Vera Sturm, Werner Tammen, Folkert Uhde, Dietrich von Beulwitz, Anemone Vostell,
Sasha Waltz, Jörg-Peter Weigle, Mariet Wijnen
24. August 2011