... Denken"

VON Dr. Wolf SiegertZUM Samstag Letzte Bearbeitung: 16. Januar 2015 um 15h20min

 

"Das Ohr aufwecken, die Augen, das menschliche Denken". Luigi Nono

Heute erlebt, die Verdi Oper in 4 Akten:Macbeth: [1]

Neuinszenierung
In italienischer Sprache mit deutschen und englischen Übertiteln

LEADING TEAM

Riccardo Muti, Musikalische Leitung
Peter Stein, Regie
Ferdinand Wögerbauer, Bühnenbild
Annamaria Heinreich, Kostüme
Joachim Barth, Licht
Lia Tsolaki, Choreografie
Heinz Wanitschek, Kampfszenen
Thomas Lang, Choreinstudierung

BESETZUNG

Željko Lučić, Macbeth
Sebastian Catana (12.08), Macbeth
Tatiana Serjan, Lady Macbeth
Elisabete Matos (12.08), Lady Macbeth
Dmitry Belosselskiy, Banquo
Giuseppe Filianoti, Macduff
Antonio Poli, Malcolm, König Duncans Sohn
Anna Malavasi, Kammerfrau der Lady Macbeth
Gianluca Buratto, Arzt
Andrè Schuen, Diener Macbeths
Liviu Gheorghe Burz, Mörder
Ion Tibrea, Ein Herold
Michael Wildner, Erste Erscheinung
Benedikt Gurtner, Zweite Erscheinung/Fleance
Philipp Schweighofer, Dritte Erscheinung
Robert Christott, Stephan Schäfer, Volker Wahl, Drei Hexen
Wiener Philharmoniker
Mitglieder der Angelika Prokopp Sommerakademie der Wiener Philharmoniker,
Bühnenmusik
Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor

Lieber Peter, [2]

ich weiss nicht, mit wem oder was Du Dich in Deinen alten Tagen hast versöhnen wollen, als Du diese Inszenierung der Verdi-Oper Macbeth angenommen und zu einem solchen Abschluss gebracht hast – mit mir zumindest nicht.

Was ich an diesem Abend auf Einladung der Salzburger Festspiele erlebt habe, stand in so krassem Widerspruch zu dem, was ich mir an Möglichkeiten der Umsetzung dieses Stoffes – gerade auf der Bühne der Felsenreitschule – versprochen hatte, dass ich mich entschieden habe, Dir diese Enttäuschung in Form eines offenen Briefes mitzuteilen.

Ich habe viele Deiner Schauspiel-Inszenierung gesehen und in den Tagen des Theaters an der Freien und Hansestadt Bremen oft in statu nascendi miterleben dürfen. Dieses ist für mich Deine erste Operninszenierung, die ich hier – nicht als Live-Übertragung in Ö1 – sondern mit Smoking auf einem der besten Plätze habe mitverfolgen dürfen.

Nein, es ist nicht die mehr als nur konventionelle Spielweise dieser „Neuinszenierung“, die mich so betroffen macht, sondern es ist die zunächst fast unglaubliche Erfahrung der Unmöglichkeit, dass jemand wie Du - aus meiner Sicht - weder den Herausforderungen des Stückes noch der Bühne hat entsprechen können.

Das will ich zunächst - als pars pro toto – an einigen Beispielen festmachen und sodann in einer noch präziseren Beschreibung darlegen, bevor ich in all der gebotenen Kürze eines solchen Formates auf einige weiterführende Überlegungen zu sprechen komme und auf die vorabendliche Begegnung mit der ausschliesslich aus Musik gebauten Macbeth „Oper“ von Salvatore Sciarrino.

Warum nur, Peter…

Wenn man sich solch einer traditionellen Darstellung verpflichtet fühlt – warum muss dann in der 6. Szene des zweiten Aktes die Königin bei der Wiederholung ihres Trinkliedes dieses wie einen Table-Dance auf dem Tisch des königlichen Hauses ausführen?

Warum konnte im Vorspiel zum dritten Akt nicht allein der an dieser Stelle besonders herausgestellten Musik ihr Recht gewährt werden, anstatt der Lichtregie die Freiheit zu geben, sich während dieser Passage mit ihren Rückwandilluminationen so unendlich zu blamieren, wie es nicht einmal mit einer farbigen Diskokugel möglich gewesen wäre?

Wieso mussten zur Wiedererweckung des Königs Macbeth nach der Verkündung seines Schicksals durch die drei Hexen Heerscharen herzallerliebster Kindlein als „Undinen und weißgeflügelte Sylphen“ bemüht werden? Auftritte dieser Art hätten an Peinlichkeit nur noch durch das Hervorzerren irgendwelchen Getiers auf der Bühne überboten werden können.

Warum gab es nur Auftritte von der Seite, die zu unendlich langen, oft völlig unmotivierten, verfrühten oder verspäteten Auf- und Abgängen geführt haben, die in ihrer Hilflosigkeit des nicht bewältigten Raumes weit eher an das Vaudeville eines Feydeau als die szenischen Verdikte eines Verdi erinnerten?

Und diese Hexen mit ihrem Kessel: Die da im Ringelrein um einen überdimensionierten, aus der „Erde“ herausgefahrenen Kessel herumhüpfen, der so aussieht, als sei er aus der Druiden-Szene eines Asterix-Heftes herauskopiert worden.

Und: Warum reicht es nicht, dass in der 9. Szene, der Schlusszene des vierten Aktes, die Soldaten mit ihren aus dem Wald geschlagenen Ästen als Tarnung auftauchen und auf die Bühne vorrücken, warum mussten plötzlich in der ersten Etage der drei Galerien im Szenenhintergrund ebensolche Äste zur Staffage aufgestellt werden?

Ich sehe, was ich sehe

Dieser Brief, Peter, entsteht unmittelbar nach dem Erlebnis dieser Aufführung und wird am Folgetag nur um Petitessen ergänzt. Ich habe bislang keine anderen Kritiken zu dieser Aufführung gelesen und selbst das Programmheft noch nicht weiter studiert. Nur ein Satz aus dem abgedruckten Gespräch mit Markus Hinterhäuser sei hier zitiert. Und sodann der eigenen Beobachtung des Gesagten gegenübergestellt.

Zunächst das Zitat [auf der Seite 25 des Programmheftes]:

Bevor die Lady ihren ersten Ton singt […] geht sie mit der Lampe durch die oberste Galerie der Felsenreitschule. Dann verschwindet sie, taucht auf der Bühne wieder auf und singt ihre Arie. Wo gibt es denn ein Theater, in dem man einen solchen Gang machen kann? Noch bevor die Lady überhaupt zu singen begonnen hat, wird vermutlich die Hälfte der Zuschauer heulen. Das sind die großen Chancen der Felsenreitschule.

Und hier meine Replik:

Vor dem Auftritt der Königin [3] wird der linke nach hinten führende Teil des Ganges von rückseitig angebrachten Leuchtkörpern in gelbes Licht getaucht. Und je weiter sie ihren Gang auf der langen Rückseite der Galerie fortführt, wird auch dieser Teil in der gleichen Farbe illuminiert. Als sie dann auf der Seite hinten rechts abtritt, ward von ihr nichts mehr gesehen, bis dass Sie auf der Spielebene mit ihrer Lampe wieder auftritt und sich – einmal mehr wie all die anderen auch - mit ihrem Gesang auf das Publikum hin zu orientieren beginnt.

Diese Lampe wird in dem Spiel der Königin absolut disfunktional eingesetzt, nämlich überhaupt nicht. Und so erinnert sie allenfalls noch die Altvorderen unter den Zuschauerinnen und Zuschauern an die „Darmol“-Reklame. C’est tout.

Mit dem Ende ihrer wunderbaren Arie und ihrem Abgang – von der Szene und sodann in den Tod – muss die Lampe von der Kammerfrau in Begleitung des Arztes weggetragen werden, da sie beim Abgang der Königin von dieser einfach auf dem Boden der Bühne vergessen wird.

Aber das ist nur der Wehrmutstropfen auf dem „i“ der versäumten Möglichkeiten, die Szenerie dieses Aufführungsortes wirklich zum Sprechen, zur Wirkung zu bringen.

Wie wäre es beispielweise gewesen, wenn bei dem hier zitierten und vom Zuschauer nachverfolgten Gang nur jeweils jener Abschnitt der Galerie erhellt worden wäre, der im Verlauf dieses Ganges von dem Lichtkegel des Nachtlichtes erfasst wurde? Das hätte gleich auf mehrfache Weise eine besondere – und dennoch durchaus diskrete – Wirkung erzielt: Der Gang wäre als Gang durch den mitwandernden Lichtkegel noch stärker zur Wirkung gekommen. Und damit zugleich auch die Tiefe und Einsamkeit dieses ganz weit oben liegenden dritten Umganges. Und damit – so ganz nebenbei – auch die besondere Architektur und Dichte dieses Raumes.

A deal is a deal

Meine Vermutung ist die Folgende: Du und Muti, Ihr habe einen Deal geschlossen – und der lautet wie folgt: Alle Arien sind die Domäne der Musik und gehören an die Rampe, alle Szenenverläufe sind Domäne der Regie und dürfen die Bühne in ihrer Gänze erobern.

Wenn dem so ist, dann ist das vor allem für die Sängerinnen und Sänger, die in diesem Prozess eingebunden sind, ein wunderbarer Deal. Sie haben den Spiel-Raum für sich und können doch ihre Präsenz an der Rampe entfalten.

Ein besonders gelungenes Beispiel dafür ist die 5. Szene im vierten Akt, die allein dem letzten grossen Auftritt des Macbeth vorbehalten ist. Am Ende seines Vortages – das ist bei einem Interpreten von diesem Format so sicher wie das Amen in der Kirche – ist grosser Beifall auf offener Szene zu erwarten.

Und das Geschieht am Ende des Klageliedes:

Nur Flüche, du Elender
werden Deine Totenklage sein!

Und da steht Macbeth, mutterseelenallein, vor sich selbst – und seinem Publikum. Und als dieses ihn mit seinem Beifall für seinen Gesang belohnt, hat er bereits seinen Kopf gesenkt.

Hier gehen in einem kleinen Moment die Figur des Schauspielers, die Rolle des Sängers und seine Verpflichtungen gegenüber dem Publikum auf wunderbare Weise zusammen.

Warum nur hat es nicht mehr von diesen Momenten gegeben?

Ein Nachsatz

Vielleicht ist die hier zum Ausdruck gebrachte Enttäuschung auch deshalb so gross, da am Abend zuvor die Aufführung von Salvatore Sciarrino konzertanter Oper „Macbeth“ auf dem Abendprogramm gestanden hat.

Was für ein Erlebnis!

Begleitet von einer Publikumsreihe, die gleich zu Beginn die Aufführung mit grimmigem Gesicht verliess und einem anderen Konzertbesucher, mit dem ein kurzes Gespräch angesichts des Salzburger Schnürlregens geführt wurde, der auch an diesem Abend die Gäste der Aufführungen beim Verlassen der Kollegienkirche aufs unfreundlichste überraschte. Er schimpfte nicht so sehr über das schlechte Wetter als über diesen „intellektuellen Snobismus“ der sich so nachteilig von der Inszenierung der „Frau ohne Schatten“, die er am Vorabend gesehen habe, abheben würde.

Nein, hier soll keine zweite Kritik an die erste, ebenfalls noch nicht geschriebene angehängt werden, aber hier soll doch darauf aufmerksam gemacht werden, dass es gelingen kann – und wie es gelingen kann – das Unsagbare in der Musik zum Sprechen zu bringen, das unendlich Komplexe in einer Haltung der Komprimierung und Verdichtung transparent werden zu lassen, das Persönliche in dem scheinbar so Gigantischen und Brutalen einer Figur wie Macbeth zur Geltung zu bringen.

Was diese auschliesslich auf die Musik konzentrierte Inszenierung ausmacht, das ist eine ebenso irritierende wie irrlichternde Mischung von Frequenzspektren, wie wir sie bei den Gesängen und Gesprächen von Walen als Ton-Aufzeichnungen erleben können, und jenen Klangbildern, die einem No-Theater-Stück hätten entlehnt werden können.

In dieser musikalischen Darbietung geschieht – was die Geschichte und ihren Fortgang betrifft – fast gar nichts. Und doch wird auf diese Art und Weise der Urgrund dieser Geschichte – und der Geschichte als Geschichte – erläutert. Und das auf die leiseste und eindringlichste aller bislang in diesem Themenzusammenhang erlebten Möglichkeiten.

„Reduce-to-the-max“, dieses industriepolitische Wortbild sei wie eine Metapher für eine Art von Musik zitiert, die eigentlich, will man bei Worten dieser Qualität verbleiben, nur noch mit einem kompositorischen Hai-Ku verglichen werden kann.

Finis

Diese Werk von Sciarrino ist, anders als bei Verdi, nichts für das grosse Publikum und schon gar nichts für so grosse Regisseure – auch wenn sie von sich sagen: „Mein Selbstbewusstsein ist nicht sehr groß“ (ebd. S. 24.). Aber es ist – bei aller Bescheidenheit – wirklich grosse Musik.

Anmerkungen

[1Ob dieser Link auch noch nach dem Ende der diesjährigen Festspiele aktive sein und bleiben wird, dafür kann an dieser Stelle keine Gewähr übernommen werden. WS.

[2Diese Form des offenen Briefes ist dem Umstand geschuldet, dass die Arbeit von Peter Stein in den jungen Jahren des Autors am Theater der Freien und Hansestadt Bremen wesentlich mit geprägt hat und der damals aufgenommene Dialog - auch wenn er sich über viele Jahre eher einseitig geführt wurde und dazu eher in den rein virtuellen Raum verlagert hat - niemals wirklich verstummt ist. WS.

[3nach den bereits alles andere als passenden Licht-Spielen – siehe oben im Text


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