No Show: "Können Bilder lügen?"

VON Dr. Wolf SiegertZUM Donnerstag Letzte Bearbeitung: 16. Januar 2015 um 14 Uhr 19 Minuten

 

Unter dem Titel: "Können Bilder lügen? - Fotografie zwischen Dokumentation und Inszenierung." findet heute die fünfte und letzte Tagung im Rahmen der Veranstaltungsreihe der Kulturstiftung des Bundes und der Ludwig-Maximilians-Universität München unter dem Motto Philosophie:Kunst 2009-2011 [1] statt.

"Das digitale Zeitalter", so die Intro, "und der Einsatz neuartiger Techniken der Bildproduktion und -bearbeitung haben unseren Begriff von Fotografie, Abbild und Wirklichkeit nachhaltig verändert. Der Fotografie als Zeugnis oder Mittel für die Dokumentation realer Sachverhalte steht das weite, und nicht ausschließlich künstlerisch besetzte Feld fotografischer Inszenierung gegenüber: Mit Bildwelten, die das Spektrum des Darstellbaren radikal erweitern und die Wahrnehmung des Betrachters herausfordern. "

Und weiter:

"Die Tagung Fotografie zwischen Dokumentation und Inszenierung in Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum Bonn setzt sich zum Ziel, zeitgenössische Fotografie im Kontext dieser unterschiedlichen Strategien zu analysieren. Eingeladen sind führende Vertreter der Philosophie, Bild- und Kunstwissenschaften aus Deutschland, Kanada und den USA, um ihre Positionen mit dem Publikum zu diskutieren."

Da eine persönliche Teilnahme [2] nicht möglich sein wird, hier zumindest der Versuch, dennoch mit Hilfe der vorgefundenen Texte und Quellen auf die dort geplanten / vorzutragenden Inhalte in anderer Gestalt zuzugreifen und das Programm und die darin aufgestellten Fragestellungen abzurufen.

Alle Vorträge dieses Tages werden allen Interessierten noch in diesem Jahr als Publikation aus dem Hatje Cantz Verlag und den besonders Wissbegierigen schon vorab als MP3-Streams auf der Seite Dokumentation zeitnah zu dieser Veranstaltung kostenfrei zur Verfügung gestellt werden.

Aber schon sehr viel früher wird es möglich sein, diese Vorträge sich als Soundfile über das Netz anzuhören, so dass die entsprechenden Links zu diesen Audio-Documents in der Nachfolge der ersten Redaktion dieses Texte hier eingestellt werden.

Hier nun die Ankündigungen zu den einzelnen Vorträgen:

 Inframediale Spuren: Fotografien zwischen Beweis und Zeugnis und das Dilemma des Dokumentarfilms

Prof. Dr. Michael Wetzel
Universität Bonn

SOUNDFILE

1992 machte der Fall "Rodney King" auch medientheoretisch Furore: Ein Polizeiübergriff auf einen Schwarzen wird von einem Zeugen mittels Camcorder mitgeschnitten – und dennoch geht die Polizei straflos aus. Die "objektiven" Daten der Aufzeichnungen werden solange montiert und interpretiert, bis sie das Gegenteil aussagen. Der französische Philosoph Jacques Derrida nimmt dies zum Anlass, die Differenz von Beweis und Zeugnis zu diskutieren. Naturwissenschaftlich oder medientechnisch erhobene Daten haben juristisch zwar den Status von Beweisstücken im Sinne der seit dem 19. Jahrhundert gerade durch die Fotografie etablierten Spurensicherung, aber sie sprechen nicht für sich, sondern sind mehrdeutig. Erst durch das von Menschen, die der Spurensicherung beiwohnten oder sie interpretieren, also von Subjekten, die schwören und sich moralisch verpflichten können, abgelegte Zeugnis, nehmen die Fakten einen kontextuellen Sinn an. Dieser hat damit Teil an einer Inszenierung, die durchaus im juristischen Sinne einer schon bei Quintillian beschriebenen Rhetorik folgt. Für die Fotografie hat Roland Barthes diese "Rhetorik des Bildes" bereits als Zwiespalt zwischen einer aufs Objekt verweisenden Denotation und einer kulturell gefärbten Konnotation an Beispielen der Werbung oder der politischen Berichterstattung demonstriert. Was sich zeigt, ist die Erfahrung, dass die angeblich objektiv abbildende "Photo-Graphie" in ihrer Semantik immer wieder an ihre eigenen medialen Voraussetzungen des "Schreibens mit Licht" und der Entwicklung eines mittels Kameralinsen aufgenommenen Bilds zurückgewiesen wird. Diese "inframediale", also die eigenen medialen Bedingungen mitbedenkende Sichtweise soll an Beispielen inszenierter Täuschungsfotos diskutiert werden. Abschließend wird zu zeigen sein, dass sich das Problem im Zusammenhang des Dokumentarfilms noch steigert, da hier die Montage immer das Authentische mit Fiktion durchdringt.

 We’re All Artists Now: Digital Photography Beyond Documentary and Staged Production

Prof. Dr. Dominic McIver Lopes
University of British Columbia, Vancouver

SOUNDFILE

With the help of digital cameras and image sharing through web sites like flickr, photography is now the most rapidly growing medium of artistic expression. It’s easier than ever to take photographs and also to share them with a wide audience, bypassing the artistic and economic control of the gallery system. In a slogan: "We’re all artists now." And that has changed the character of photographic art, which has seen a rapid diversification of photographic practices, communities, and aesthetic ideals. This diversification is good in its own right, but it also puts into relief some of recent trends in traditional gallery-based art photography, such as the kind of staged production and large scale of the Vancouver and Dusseldorf Schools. In some ways, these are reactions to the new, "popularized" photographic practices that open up aesthetic possibilities that go beyond these concerns of traditional photography.

(Vortrag in englischer Sprache, Synchronübersetzung ins Deutsche)

 Die Fotografie als die "menschenfeindlichste aller Künste"?

Prof. Dr. Klaus Sachs-Hombach
Technische Universität Chemnitz

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In seinem umfangreichen Roman Auslöschung. Ein Zerfall lässt Thomas Bernhard seinen Romanhelden Franz-Josef Murau an etlichen Stellen im inneren Monolog über die Fotografie reflektieren. "Der Erfinder der fotografischen Kunst", heißt es beispielsweise, "ist der Erfinder der menschenfeindlichsten aller Künste. Ihm verdanken wir die endgültige Verzerrung der Natur und des in ihr existierenden Menschen zu ihrer und seiner perversen Fratze." (Seite 25)

Der Vortrag wird zunächst die Motive herausarbeiten, die Bernhard zu dieser Einschätzung bewegen. Dazu gehört die vom Romanhelden geäußerte Auffassung, dass es keine Natur, sondern nur noch Kultur gebe und eine ’natürliche’ Aufzeichnung daher zwangsläufig eine Verzerrung darstelle. Wichtiger noch ist dessen Auffassung, dass diese Verzerrung sich insbesondere einstellt, indem von der Fotografie ein Wunsch- und Idealbild erwartet wird.

Von der Darstellung dieser Auffassungen ausgehend, wird der Versuch unternommen, den Begriff der Fotografie hinsichtlich objektiver und subjektiver Aspekte zu unterscheiden, wobei ich zu den letzteren sowohl die stilistischen als auch die funktionalen Aspekte zähle.

Insbesondere wird es mir im abschließenden Teil des Vortrages um eine Klärung der Verwendung von Fotografien im Sinne von Idealbildern gehen. Damit kommt zugleich die für die Fotografie zentrale Spannung zwischen Dokumentation und Inszenierung zur Sprache.

 What is special about photopraphy?

Prof. Dr. Kendall L. Walton
University of Michigan

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The old idea that photographs enjoy a special kind of realism by virtue of their "mechanical" origins refuses to die even in the face of impassioned contrary arguments. Once we understand what this special variety of realism amounts to the objections fall by the wayside. Photographs are special in other ways as well, some of which, though enormously important, have not been much discussed. The ones I shall examine also depend in one way or another on "mechanical" aspects of the photographic process.

A photographic still from The Wizard of Oz is a picture of Dorothy in the land of Oz; it depicts her. But it is a photograph, not of Dorothy, but of Judy Garland on a movie set; Judy Garland was in front of the camera when the photograph was taken. Photographs are nearly unique, among pictures and other representational works, in having these two distinct kinds of content. Sometimes the two coincide. Most ordinary snapshots of the Eiffel Tower are pictures as well as a photographs of the Eiffel Tower. In many instances photographs are understood to depict whatever it is that they are photographs of, whatever reflected light into the lens of the camera when the shutter was snapped. This simple fact is responsible for several strikingly distinctive features of photographic depictions. It explains, for example, the fact that photographs (casual snapshots anyway) are far more likely than pictures of other kinds to depict things accidentally, to possess unintended depictive content.

A snapshot of the Eiffel tower might depict a bird flying overhead. The bird may well have been unintended, a surprise to the photographer when the photograph was developed or uploaded; it just happened to fly into the scene, unnoticed, at the moment the picture was taken. If the picture were a drawing or painting rather than a photograph, however, viewers could be almost certain that the bird was depicted intentionally. (On some accounts, its depiction could not have been an accident.)

What a photograph depicts is not always evident from the image itself. It may depict an unrecognizable bit of soil, for instance. If a photographer doesn’t recognize what she is aiming her camera at, she might photograph and depict, unintentionally, a bit of soil. Or, intending to depict a rock or a child, she will inadvertently depict a moon rock or a musically gifted child, if the rock she photographs happens to be a moon rock, or the child musically gifted.

The possibility - the mere possibility - of accidental or unintentional depiction of either of these kinds profoundly affects both the role of photographs in conveying information, and their aesthetic character.

(Vortrag in englischer Sprache, Synchronübersetzung ins Deutsche)

 "Ein Bild ist etwas nur in einer Bildersprache" (Ludwig Wittgenstein) – und eine Fotografie in einer Fotografiensprache

Prof. Dr. Herta Wolf
Universität zu Köln

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Antworten auf eine Positionierung der "Fotografie zwischen Dokumentation und Inszenierung" sind nie nur aufgrund eines spezifischen Bildes und aufgrund dessen, was auf diesem dargestellt ist, zu finden, sondern immer nur unter Berücksichtigung seiner – immer – vielfältigen diskursiven Verankerungen. Es ist der Kontext, der ein spezifisches Bild determiniert. Wie auch immer inszeniert oder manipuliert ein Pressebild sein mag, das z.B. Frau Merkel bei einer Rede im Bundestag zeigt, verdrängen hier sowohl das "Ereignis", anlässlich dessen die Fotografie angefertigt wurde, als auch die auf dem Foto in einer durch eine Bildlegende ausgewiesenen Situation Abgebildete, Überlegungen zur Verfertigtheit bzw. Medialität des Bildes. Dieses wird transparent, man sieht durch es hindurch. Die Referenz bestimmt hier seine Lektüre.

In einem am 12. Februar 2010 in der Aperture Foundation gehaltenen Vortrag erzählt Thomas Ruff davon, dass er – um zu vermeiden, dass die Betrachter seiner als 100-teilige Serie angelegten Porträts durch die Bilder hindurch auf die Abgebildeten sehen - darauf gekommen sei, die Formate seiner Bilder zu vergrößern. Sie soweit zu vergrößern, dass die Abgebildeten hinter den Bildern zurücktreten. Und wirklich, statt "Petra" oder "Heinz" oder "Peter", d.h. statt der Transparenz des Mediums Fotografie, dank der dieses selbst hinter die Abgebildeten zurücktritt, die im Gegenzug als anwesend angeblickt wurden, gelang es Thomas Ruff derart, nicht nur ein Foto der spezifischen Person zu erzeugen (das tat er auch mittels seiner kleinformatiger Abzüge), sondern dieses bzw. diese als Bild rezipieren zu lassen. Was er in seinen "Porträts" also tat ist, mittels der Medienspezifik der Fotografie (Vergrößerung) deren Medienspezifik (Transparenz) zu umgehen.

Eines der Statements von Mel Bochners 1970 publizierten Multiples "Misunderstandings. A Theory of Photography", das sich mit den Tautologien des Mediums Fotografie auseinandersetzt, repliziert aus der 1969 publizierten Philosophischen Grammatik von Ludwig Wittgenstein dessen Überlegung, dass, genauso wenig wie wir uns Schwarzweißfotografien in farbige übertragen müssen, um sie vertraut zu machen und damit rezipieren zu können, wir Strichmännchen "in realistische übertragen müssen", um sie zu "verstehen". "Wie", folgert Bochner durch (mit) Wittgenstein, "wenn wir nun hier sagten: ’ein Bild ist etwas nur in einer Bildersprache?’" Und in der Tat hat die fotokritische Diskussion von Fotografien im Kunstkontext nach der Ära der – insbesondere auf die Diskussion der fotografischen Medienspezifik abhebenden – Postmoderne und im Rekurs auf die großformatigen Arbeiten eines Jeff Wall, James Welling, Thomas Demand, Andreas Gursky und Thomas Ruff (um nur einige zu nennen) darauf abgezielt, das Fotografische durch das Bildhafte zu ersetzen. Ob Michael Fried mit seinem Buch "Why photography matters as art as never before" (2008) oder Margaret Iversen und Diarmuid Costello in der Dezemberausgabe 2009 von Art History, in der sie die Ergebnisse einer Tagung publizierten, die im Rahmen des Forschungsprojektes "Aesthetics after Photography" abgehalten wurde: Sie alle sprechen sich bezüglich der postkonzeptuellen Fotografie gegen einen Rekurs auf das Fotografische und für dessen Verleugnung durch das Bild, d.h. die anderen Bildverfahren analoge Internationalität des Bildverfertigens gleichermaßen wie die Subsumtion der Fotografie unter die Modalitäten des Bildermachens, aus. Wie aber, wenn – nichtsdestotrotz – das Bildhafte der Fotografie sich deren Transparenz verdankte? Und hinter der "Bildersprache" die Fotografiensprache der Fotografie, und das unhintergehbar zutage träte? Eine Fotografiensprache, die wiederum immer schon jenseits von Dokumentation und Inszenierung operierte.

Eingeleitet wird dieser Tag von zwei Begrüssungen durch:

 Dr. Stefan Gronert
Kurator für Gegenwartskunst, Kunstmuseum Bonn

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und

 Prof. Dr. Jakob Steinbrenner
Ludwig-Maximilians-Universität München

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Anmerkungen

[1"Ziel des Projekts ist es, aktuelle Fragen der Kunst in einer möglichst klaren und verständlichen Sprache zu erörtern. Dabei sollen die Methoden und Begriffe der analytischen Philosophie für das Verständnis zeitgenössischer Kunst fruchtbar gemacht werden.
Projektverantwortliche:
Prof. Dr. Julian Nida-Rümelin und Prof. Dr. Jakob Steinbrenner
Lehrstuhl für Philosophie IV, Ludwig-Maximilians-Universität München

[2Wie übrigens auch Herrn Prof. Nida Rümelin...


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