0.
Der nachfolgende Text ist der erste Versuch eines "Rundumschlags", einer Positionsbestimmung. Und das inmitten einer umfangreichen Informationstour durch die Büros von chinesischen wie in China angesiedelten europäischen und US-amerikanischen Unternehmen.
Auf den Folgeseiten werden dazu eine Reihe von Anhängen präsentiert werden: mit Fotos Shanghai (III), einem eintägigen Einblick in die EXPO [1] und weiteren Kommentaren und exemplarischen Beispielen zum Thema Shanghai (V).
I.
In der Dienstags-Ausgabe von CHINA DAILY wird am 14. September 2010 um 9:41 ein Artikel von Yu Ran veröffentlicht unter der Überschrift:
Landmarks lit up in celebration
Darin ist die Rede, dass an diesem Tag der 60. Jahrestag der Beziehungen zwischen der Schweiz und der VR China mit einer Lichtinszenierung von Gerry Hofstetter zelebriert werden soll.
Genannt: "Swiss Night of Colors" und durchgeführt von Montag an der Lupu Bridge [2], und dann ab heute am Swatch Art Peace Hotel und am Fairmont Peace Hotel sowie am Mittwoch an der Pudong Development Bank, jeweils eine halbe Stunde vor und nach Mitternacht.
"Light represents hope and the future. I’m very proud to create this light art extravaganza to celebrate this special moment for China and Switzerland," said Hofstetter. "I feel honored that my debut in this country is for such a significant event."
II.
Auf seiner eigenen Website präsentiert Hofstetter zwei exemlarische Sammlungen von Lichtinstallationen.
Von solchen, in denen signifikante Landmarks in der Schweiz mit den Farben und Symbolen der Nationalflagge überzogen werden:
http://www.hofstetter-marketing.com/lightart_performances_galerie_1.html
Und von solchen, in denen er signifikante Landmarks anderer Länder mit seinen eigenen Licht-Bildern verfremdet und damit in einem neuen Licht erscheinen lässt:
http://www.hofstetter-marketing.com/lightart_performances_galerie_2.html
Interessant, dass er in einem dieser Länder eines der signifikantesten Landmarks, das Brandenburger Tor in Berlin, ebenfalls mit den Nationalfarben des Gastlandes, der Bundesrepublik Deutschland, illuminiert - und eben dieses Bild als Referenzfoto auf die eigene Hompage gesetzt hat.
III.
In diesen drei Nächten passiert nunmehr etwas, was man gerne als eine Ereignis von einer neuen Qualität benennen mag. Es soll eine Verbindung zwischen der Nation der Schweiz und der Volksrepublik in China hergestellt werden.
Und es wird interessant sein, ausführlicher zu beobachten, welcher Symbole er sich dafür bedienen wird - in der Annahme, dass er die Projektion der Schweizer Nationalfarben und -symbole auf die Landmarks in Shanghai wohlweislich unterlassen wird.
Dazu wird unter den Augenzeugen dieser Veranstaltung eine Umfrage durchgeführt und das Ergebnis hier vorgestellt werden. Es interessiert also nicht nur, was objektiv gezeigt wurde, sondern was davon subjektiv erinnert werden konnte. [3]
IV.
Die Entscheidung, nicht selber dieses Ereignis in Augenschein zu nehmen stand mit der Frage im Zusammenhang, wie die knappe Zeit hier in Shanghai am besten genutzt werden könne. Und die Entscheidung lautet, sich anstatt dieses Ereignisses nochmals auf das zu besinnen, was in den ersten Tagen an Eindrücken aufgenommen wurde, welche davon hängen geblieben sind - und wie diese Erfahrungen verarbeitet werden können.
Und dabei ist die hier erwähnte Lichtinszenierung in mehrfacher Weise auch ein symbolischer Akt: Wenngleich auch nicht nur in dem Zusammenhang, wie er von den Veranstaltern in ihren offiziellen Erklärungen zur Darstellung bringen.
Vielmehr geht es - und das ist sicher eine gewagte These - darum, dass diese künstlerische Aktion einen Tatbestand von hoher Reichweite und Tiefenwirkung versinnbildlicht, der auch für diese Lichtaktion gilt: Hohe Reichweite, dank der überaus kräftigen Lichtwerfer. Und grosse Tiefenwirkung, durch das optische und nur in der Nacht mögliche Re-Design eines allfällig bekannten und sich aus seiner Umgebung abhebenden Stücks Natur - oder Architektur.
V.
Die These soll noch weiter ausgeführt werden. Hier wird mit den Mitteln der Kunst aufgehellt, was am Tag all-täglich an jeder Fassade und Mauerwand zu sehen ist: die Brandnames der Marken aus aller Herren Länder.
Ja, es werden sogar ganze Häuser mit der einzigen Absicht errichtet, diesen Brands viele exterritoriale Heimstädte zu schaffen, in denen sich dann diejenigen potenziellen Käufer einfinden können, die für das Fortleben dieser Brands und damit den Bestand der für sie errichteten Häuser so unerbittlich wichtig sind. [4]
Auf die an diesem Tage an den Handelsdelegierten der österreichischen Aussenhandelsstelle gestellte Frage, ob sich denn diese Investitionen in diese Bauten gelohnt haben, ist die Antwort eindeutig: Auch wenn die Anzahl der Besucher in diesen Verkaufspalästen überschaubar bleiben mag. Diejenigen, die diese nach ihren Einkäufen wieder verlassen hätten, seien mit so hoher Kaufkraft ausgestattet, dass nicht die Masse von Kauflustigen den Ausschlag geben würde, sondern die Kaufkraft der Wenigen.
VI.
Das Entscheidende dieses im Shanghai Centre geführten Gesprächs war aber nicht die Bewertung der vorgetragenen ökonomischen Daten von dem Erfolg der chinesischen Wirtschaftsmacht im Vergleich zu den Finanzkatastrophen in allen westlichen Ländern [5], das Entscheidende war es, miterleben zu müssen, mit welch süffisanter Wohlgefälligkeit mehr als einmal auf die nachweisbaren Erfolge hingewiesen wurde.
Letztendlich standen die zitierten Erfolge ein als Repräsentanz eines Menschen, der in seiner Rolle der fortwährenden Repräsentanz vergessen lassen will, dass es letztendlich dann doch nicht um ihn als Ratgeber und Stichwortgeber geht, sondern "um die Sache".
Nach der Entwicklung Chinas bis in das Jahr 2020 befragt, wurde erklärt, dass sich dieses Land bis dahin als die zweite Weltmacht neben den Vereinigten Staaten von Amerika etabliert haben würde. Und: Das Europa in diesem Zusammenhang bis dahin keine Rolle mehr spielen würde.
So vorgetragen. Um dann das Gespräch mit dem Entzünden einer Zigarette vor dem versammelten Publikum - nach vorheriger Einholung von dessen Einwilligung - fortzusetzen.
Widerspruch, Euer Ehren? Keiner.
Erstens hat er aus Sicht der Autors Recht mit seiner Einschätzung der Rolle Europas - aber eben deshalb ist der Nachgeschmack von diesem Gruppengespräch umso bitterer: Denn so, wie dort mit grossen Worten die Positionen dieses kleinen - nun sogar von Bruxelles annektierten - Landes voller Zuversicht und Eigenlob vorgetragen wurde, wird klar, warum Europa auch in Zukunft gegenüber der VR China keine wirklich grosse Zukunft haben wird. Denn China, so gross und so vielfältig wie Europa - wird mit den sich zum Teil überschneidenden Problemen eines Vielvölkerstaates weit besser klarkommen, als dazu im Vergleich die Europäer.
Und zweitens: Wie will man einem Mann widersprechen, der die letzten 25 von 27 Jahren seines Lebens nicht mehr in seiner Heimat verbracht hat und der von sich zu sagen weiss, dass er in der Lage sei, auf Alles und Jedes eine Antwort zu haben - oder aber zumindest einen dahingehenden überzeugenden Eindruck hinterlassen zu können.
VII.
Auf die gleiche Frage nach der Position Chinas im Jahr 2020 antwortet der für die Beziehungen zu den Hochschulen in China verantwortliche Google-Mann, ein gebürtiger Shanghai-Chinese, dass es die vornehmliche Aufgabe seines Landes sei, so gut zu werden, wie es auch heute schon an Leuten mächtig sei.
Und dann berichtet er davon, wie sich die Abschlusskandidaten in Massen darauf einrichten würden, mit ihren Bewerbungen an die Google-Türen in einer der drei Tier-Cities, oder in HongKong anzuklopfen - und wie einigen von ihnen, auch Frauen, neue Gelegenheiten für die angewandte Forschung eröffnet werden würden.
Und das nicht nur im Elfenbeiturm: die Zeit, in der die ASCII-Zeichen die Welt des Internets dominiert haben würden, sei nun vorbei, so wie zuvor in einer Frage behauptet. Und: Die Zeit eines ökonomischen Engagements sei gekommen, das sich auch mit einer corporate social responsability paaren würde.
Dass er in diesem Zusammenhang nichts über die durchaus sensiblen Beziehungen zur chinesischen Regierung sagen werde, dafür würde er um Verständnis bitten. Und dass in den Räumen des Google-Büros im Raffles City Tower nicht fotografiert werden möge, sei auch zu beachten. Aber er könne durchaus von den do’s & dont do’s
berichten, die in ihrer täglichen Arbeit eine Rolle spielen würden. Ein Angebot, das sich dann als ein Führung durch die beiden Ebenen des LABs auf der 16. und 17. Etage des Hauses entpuppte. [6].
Es ist wie früher beim Gang durch die Fabrik. Nur das die Menschen hier vor Bildschirmen zum Teil riesigen Flachbildschirmen an ihren Tastaturen hocken und die Freiheit haben, die ihren Arbeitsplatz ein klein wenig zu individualisieren: mit einem Stofftier an der Seite oder einer erweiterten Rückenlehne aus einem aufblasbaren Nackenkissen, so wie man es wenige Nächte zuvor noch auf seinem Flugzeugsitz verwendet hatte.
VIII.
Diese Thema nimmt auch eine prominente Bedeutung beim Besuch der einzigen Werbeagentur Österreichs ein, die nicht nur in Europa, sondern auch in den USA, in Chicago und in China, hier in Shanghai, vertreten ist.
Auch wenn die Medienunternehmen, insbesondere aus dem Printsektor, sich nach wie vor eher in Peking angesiedelt hätten, sei für sie Shanghai die Adresse Nummer eins. Hier sei man der Platzhirsch vor Ort. Und nach einem ersten Jahr des Austestens sei man sogleich in das Zentrum der Stadt gezogen, habe eine ausreichend ausfinanzierte Firma gegründet, diese voll und ganz an den Spielregeln des hiesigen Marktes und dessen Anforderungen ausgerichtet und sich damit letztendlich eine eigene Lizenz erwerben können. Eine Lizenz, bei der die Tätigkeit als Medienunternehmen im weitesten Sinne als Teil ihres Firmentitels mit angesagt werden dürfe: Und das in einem Land, in dem das Thema der Medien voll und ganz dem Einfluss der chinesischen Regierung unterliegen würde.
Und zu den do’s & dont do’s würde gehören, dass man gewisse Farben - wie die Farbe gelb - nur spärlich und zielgerichtet verwenden dürfe - und die Farbe rot als Textfarbe vollständig aussen vor lassen solle. Oder, dass es völlig unmöglich sei, eine chinesische Fahne in irgend einem Prospekt oder einer Website abzubilden. Und von der taiwanesischen Landesflagge ganz zu schweigen. Ganz im Unterschied zu den USA, in denen mit ihrer Flaggen- und rotweissen Farbenpracht immer wieder basic layer of reference für viele ihrer Kommunikationsstrategien geschaffen werden würde.
IX.
Während man im Westen immer noch - und immer mehr - mit einer Power-Point-Folie das Layout einer success-story entwerfen kann, ist in China damit kein Blumentopf zu gewinnen. Hier gilt es nach und nach, Schritt um Schritt, von A bis Z aufzuschreiben und zu begründen, wie man weiter vorgehen will: ökonomisch, strategisch, politisch.
Die heute im Gespräch vorgetragene These, dass die kommunistische Partei Chinas den Kommunismus abgeschrieben und sich nur noch dem wirtschaftlichen Erfolg als dem Massstab aller Ding verschrieben habe, ist von einer Naivität, die man so erfahrenen Handelsleuten eigentlich nicht gerne auch nur andeutungsweise in ihre italienischen Modedesigner-Schuhe stecken möchte.
Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Hier wie anderswo. Hier und heute in China sein zu wollen, um sich der Chance des eigenen ökonomischen Erfolges zu verschreiben, ist legitim. Aber: Welcher Preis wird für diesen "Erfolg" gezahlt werden?
So wie die industrialisierten Gesellschaften immer noch dabei sind, sich mit den Folgen der nachhaltigen Zerstörung der natürlichen Ressourcen zu beschäftigen, werden die nachwachsenden Generationen der westlichen Welt erkennen müssen, dass nicht nur auf ihren T-Shirts, sondern auch auf allen hochwertigen Gütern ein "Made in China"-Label kleben wird.
Und damit sind nicht nur die i-pods und hp-elite-books gemeint, sondern auch alle Transportmittel, vom Auto bis zum Flugzeug, alle Sonnenkollektoren und Windkrafträder und last but not least: ihre Bankhäuser und Regierungen.
X.
Verkehrte Welt: Wo Volvo draufsteht, ist schon heute kein europäischer Kapitalist mehr dahinter, sondern ein Kapitaleigner, der sich nur durch seine Allianz mit Staat und Militär auf diese Stufe der ökonomischen Verfügungsgewalt hat katapultieren (lassen) können.
Während wir immer noch erfolgsgewohnt die Brand-Marks auf den Landmarks der Stadtlandschaften dieses hochdynamischen Entwicklungslandes als die Zeichen des eigenen Erfolges glauben deuten zu dürfen, haben Lichtblicke wie die dieser nächtlichen Inszenierungen eines Schweizer Lichtkünstlers erahnen lassen, dass sich all diese Zeichen an den Wand auch ganz anders deuten lassen könnten: nämlich als die Anbringung von Insignien, die nicht den Erfolg der Brands signalisieren sondern derjenigen, die ihnen solches gegen Gebühr gestattet haben. All diese Brand-Marks hängen heute da wie die Trophäen an den Wänden ehemaliger Jagd-Hütten, sich sich längst in Beton-Paläste verwandelt haben.
Nach aussen hat es immer noch den Anschein, als habe "der Westen" mit seinen Marken und Markenprodukten "den Osten" okkupiert. Und der Besuch bei Firmen, die im Tandem mit ihren jeweiligen chinesischen Partnern inzwischen zumindest die drei grossen Städte fest in ihrer Hand haben, scheint dies auf allen Ebenen bestätigen zu wollen.
Und doch lässt sich der Verdacht nicht so einfach von der Hand weisen, dass diese Chance, Gewinn zu machen und sich auf den Wachstum in China zu freuen, nur (noch) so lange gilt, solange die chinesische Seite damit noch den grösseren Reibach zu machen in der Lage ist.
Eine echte Win-Win-Situation!?
Kurzfristig! Vielleicht?
Aber was wird, wenn in Zukunft nicht mehr die (Raub-)Kopierer mit ihrem Tun den Markt bestimmen werden, sondern die Kreativen selbst. Und wenn diese nicht länger aus Europa, sondern wenn auch sie sich erfolgreichen Ideen und Produkten über den heimischen Markt hinaus zu etablieren begonnen haben? [7]
Wenn bis dahin nicht schon aufgrund der ökologischen Folgeschäden die Sintflut eingesetzt hat, wird sich der chinesische Staatskapitalismus als eine nachhaltige Einflussquelle auch in den westlichen Systemen festsetzen wollen. All die derzeit importierten made in china Gadgets sind nur die von uns scheinbar so preiswert eingekauften Vorboten einer Sturmflut, die zunächst noch in Transportmitteln wie trains & boats & plains von den Touristen mit nach Hause gebracht werden. Aber: In nicht mehr allzu langer Zeit werden auch diese trains & boats & plains aus China kommen [8] und dabei sein, den grossen Industrien in Europa und den USA den Rang abzulaufen und den Schneid abzukaufen. [9]
Wie man auf Google-Books bei Michael Berger in seiner Einführung über "Karl Marx: Das Kapital" bei utb [10] in einem Originalzitat von Maos Meister Marx nachlesen kann:
"Mit dem stets wachsenden Übergewicht der städtischen Bevölkerung, die sich in grossen Zentren zusammenhäuft, häuft die kapitalistische Produktion einerseits die geschichtliche Bewegungskraft der Gesellschaft, stört sie andererseits den Stoffwechsel zwischen Mensch und Erde, d.h. die Rückkehr der vom Menschen in der Form von Nahrungs- und Kleidungsmitteln vernutzten Bodenbestandteile zum Boden [...]." [11]