Erst als dieser Titel
Lisboa lebt
Lisboa lebt auf
Lisboa lebt auf pump
fertig war, kam die Erinnerung an einen Spiegel-Text auf, der schon vor ca. einem Jahrzehnt verfertigt worden ist - und es auch tatsächlich war.
Er stammt von Helene Zuber und ist überschrieben mit dem Titel:
PORTUGAL
Tanz ums Goldene Kalb
In der Unterzeile heisst es dann:
Vom Armenhaus zum Konsumparadies: Das Land am Rande Europas schwelgt im neuen Wohlstandsgefühl - und lebt ungeniert auf Pump. [1]
Aus ihrer Sicht stellte sich die Lage zum Beginn dieses Jahrtausends so dar:
"Portugal hat sich von Grund auf gewandelt, seit es vor 25 Jahren mit der so genannten Nelkenrevolution die Militärdiktatur abschüttelte, die das Gros der Bevölkerung von Information und Bildung abgeschnitten hatte. Der Aufstieg vom melancholischen Armenhaus zum optimistischen Mitglied der Euro-Zone gelang nach dem EU-Beitritt 1986 vor allem dank der Zuwendungen aus Brüssel: netto etwa fünf Milliarden Mark pro Jahr. "
Seite heute hat nun neben den Städtenamen von Bruxelles, Maastricht, Nizza und Rom auch Lissabon die Funktion eines Siegel-Namens, mit dem der gleichnamige Vertrag von Lissabon gezeichnet und nun in Kraft treten kann.
Das Auswärtige Amt verweist nochmals auf die lange Entwicklungsgeschichte dieses Vertrages, löscht alle Kommentare der vormaligen Minister, die diese Entwicklung mit begleitet haben und bedient sich nun eines neuen Zitates des noch neuen Aussenministers, Herrn Westerwelle.
""Auf Grundlage des Vertrages geht es jetzt darum, konkrete und gute Politik zum Nutzen der Bürgerinnen und Bürger in Europa zu gestalten."
Dabei hat das Vertragswerk in der nun in Kraft getretenen Form viele "Federn" lassen müssen:
– es wird nicht einmal "Verfassung" genannt
– die Grundrechtecharta ist nicht in allen EU-Ländern gültig (so im Vereinigten Königreich nicht und nicht in Polen)
– die Gültigkeit der sogenannten "doppelten Merhheit" wird nicht vor 2014 in Kraft gesetzt werden
– es gibt keine EU-Flagge, Hymne oder dergleichen
– anstatt eines EU-Aussenministers gibt es nun einen "Hohen Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik")
Wirklich neu ist dagegen, dass
– erstmals ein Mitgliedsstaat aus der EU austreten [- auch ausgeschlossen werden? - WS] kann.
– die Fraktionen des Bundestags gegen die EU-Kommission klagen können, sollte diese aus deren Sicht ihre Kompetenzen überschritten haben
– eine Millionen Europäer in einem gemeinsamen länderübergreifenden Votum eine Volksabstimmung auf den Weg bringen können.
Vielen wahrscheinlich nicht mehr bekannt ist dagegen der Vertrag von Lissabon, der am 20. April 1859 zwischen Portugal und den Niederlanden geschlossen wurde. Dieser Vertrag ist vielleicht nicht so sehr wegen der damals zur Verhandlung anstehenden Inselgruppen auf dem Solor- und Timorarchipel von Bedeutung, wohl aber deshalb, weil sich darin erstmals zwei wichtige europäische Kolonialmächte überhaupt über eine Gebietsaufteilung - hier zunächst in in Südostasien - haben verständigen können.
Und: Weil in diesem Vertragswerk den Einwohnern in den jeweils getauschten Gebieten die Religionsfreiheit garantiert wurde.
Schaut man sich auf der twitter-Seite mit den Kommentaren zum am 13. Dezember 2007 in Lissabon unterzeichneten Vertrag um, so sind bei den "Followers" nicht nur Politiker-Portraits zu finden, sondern auch die Embleme der BRD und der EU. Hinter dem ersten steckt das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe mit seinen Presse-Erklärungen, hinter dem EU-Emblem eine nicht klar zu identifizierende Quelle, die sich "EU News" nennt und mit dem Tweet-Namen "EuropeanUnews" auftritt. Was für eine seltsame Mesalliance...
Nachdem die Feierlichkeiten dieses Tages mit von Beethovens "Ode an die Freude" eröffnet waren, sagte der nun an-ständige für die nächsten zweieinhalb Jahre nominierte EU-Präsident Herman Van Rompuy [2], dass es nun auf auf absehbare Zeit keine weiteren Vertrags-Feierlichkeiten mehr geben werde. Seine Worte:
"Wir werden lange mit den neuen Regeln leben müssen. Sehr lange. Die Debatte über Institutionen ist für lange Zeit beendet."
Wie wird die Bevölkerung in 10 Jahren über diesen Vertrag denken? Wird es dann die jetzt von der SPD auch für die Bundesebene geforderte Möglichkeit einer Volksabstimmung geben?